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III. Deutsche Wissenschaft und Dichtung. 751 wahren Glück", so das beschreibende oft geschmacklos übertriebene Lehrgedicht „Vesuvius". In den, Schäfergedicht „Hcrcynia," einer dem Frciherrn von Schafgotsch gewidmeten prosaischen Erzählung, mit Gedichten durchwebt, sind die Anfänge einer Landschafts malern in Worten enthalten. Natürlicher und mannichfaltiger zeigt sich Opitz in seinen „poetischen Wäldern", in seinen „Epigrammen" und in den zahlreichen lyrischen Ge dichten geistlichen und weltlichen Inhalts, worin er in leichteren jambischen und trochäi- schcn Versen und Strophen eine reiche Fülle von Empfindungen, von Stimmungen, von Eindrücken und Einfällen des Augenblicks, von ticfrcligiösen Gefühlen wie von Weltlust und Lebensfreude entfaltet. Nach seinen Grundsätzen hat ja der Dichter den Beruf, „den Menschen durch Poesie religiös und moralisch zu erziehen, ihn wissenschaftlich zu bilden, daneben dann auch wieder die Zügel zu lockern und der Heiterkeit und dem Genüsse sein Recht angedcihcn zu lassen". Darum finden auch Wein, Lieder und Liebe ihre Stelle, und die griechische Mythologie muß häufig mit ihren Gebilden aus- helfm. Doch verwahrt er sich in einer entschuldigenden Vorrede gegen den Verdacht, als ob er in seinen dein Horaz nachgebildetcn Liebesgedichten von eigenen Schönen und eigenen Freuden und Erlebnissen spreche, als ob es ihm mit seinen erotischen Gesängen Ernst wäre, und um mit seinen heidnischen Göttern den Frommen keinen Anstoß zu geben, erklärt er sie für Symbole der Natur, für menschliche Personifikationen und spottet gelegentlich der „Göttcrzunst mit ihrem Obersten, der den Huren nachschlich." Opitz war kein genialer Dichter, aber ein vielseitiges Talent, ein Mann von aus- gebreiteten Kenntnissen in der alten und neuen Literatur und von regem Interesse für alles Eig-n- was des Menschen Geist und Gemüth ergreift und bewegt. Hat er doch auch die Psal- mm und Heinsius' Lobgesang auf Christus überseht, und während er in vielen geistlichen Liedern die religiöse Frömmigkeit der Zeit mit der modernen Kunstrichtung zu verbinden suchte, hat er zugleich das mittelhochdeutsche Annolied herausgegebcn! Ist auch seine Poesie eine Poesie des Verstandes, die verglichen mit der herzlichen Gcmüthlichkeit Luthers und mit der cmpfindungsreichen Volksdichtung kalt, trocken und platt erscheint; glänzen auch seine dichterischen Erzeugnisse mehr durch ihre formalen Vorzüge, durch Reinheit der Sprache, durch Glätte des Versmaßes, durch Witz und Gewandtheit; so ist er doch kein unebcnbürtigcr Zeitgenosse von Malhcrbe und Heinsius, nicht unwürdig des Ruhmes, dm ihm die Mitlcbcnden und die nächste Generation zugetheilt haben. Er hat der deut schen Dichtung wieder Achtung und Ansehen verliehen, von der Poesie selbst und ihren Pflegern eine würdigere Auffassung begründet und nach allen Seiten belebend und an regend gewirkt. Selbst in der religiösen Dichtung hat er durch seine Kirchenlieder, durch seinen Lobgesang aus die Geburt Christi u. A. eine neue Richtung angebahnt, indem er sich nicht an die lutherische Bibel hielt, sondern die geistlichen Stoffe in eine neue kunstgerechte Sprache und Form kleidete. So ward Opitz der Fahnenträger der modernen Dichtkunst in Deutschland, der Meister einer Kunstschule, deren Gesetze und Regeln ein ganzes Jahrhundert lang kanonische Geltung hatten. War cs da zu verwundern, daß die Zeitgenossen und die nächsten Geschlechter ihm unendliches Lob spendeten, ihm den Ehrensitz auf dem deutschen Parnaß einräumten, ihn zum Muster und Vorbild ihres eigenen Schaffens wählten? Bon dieser Höhe hat ihn die neuere Kritik und Aesthetik hnabgestürzt; sie hat dem schlesischen Dichter viele Schwächen vorgehaltcn und ihn für die Sünden seiner Nachahmer und Verehrer verantwortlich gemacht. Mau bczeichncte ihn als einen charakterlosen Wohldiener und Schmeichler; allein wann waren denn die Dichter unempfänglich gegen Gönner und Wohlthäter? Die Kunst mußte damals mehr als je nach Brot gehen und Opitz hat nur das Beispiel des hochgefciertcn Horaz nach geahmt wenn er den Spruch befolgte: „dcß Brot ich eß', deß Lied ich sing". Mau hat ihm die Herabwürdigung der Dichtkunst zu einer handwerksmäßigen Technik und