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712 P. Literatur und Geistesleben. setzte er ein friedliches, tolerantes, den Gesetzen unterworfenes, auf die Förderung eines unschuldigen, einfachen Volkslebens gerichtetes entgegen, das offenbar das Ideal seines Zöglings, des Herzogs von Bourgogne sein sollte." Nie hat der Erzieher eines Förster sein Amt mit so großein Eifer, so klarem Blick und mit so steter Rücksicht auf das Land, dem der Zögling angehörte, verwaltet. Da die in dem mythologischen Roman „Tele- mach" ausgestellten Grundsätze durch den grellen Contrast mit der Regierung LuL- wigs XIV. als eine Satire auf die letztere gelten konnten und man hie und da An spielungen zu finden glaubte, so verbot der von dem neidischen Bossuet gegen Fcnclo» aufgereizte König nicht nur den bereits begonnenen Druck dieses „Rcgentcnspiegcls" sondern belegte auch den Bischof, mit besten mystisch-religiösen Ansichten er überdies unzufrieden war, mit seiner Ungnade. Erst nach Ludwigs Tod wurde das Ganze vollständig ge- druck und zugleich die merkwürdige Abhandlung („Anweisungen für das Gewissen eines Königs") beigefügt, in der Fenclon aus den Lehren des Christcnthunis die Grundsätze einer von Räthen aus dem Volke umgebenen konstitutionellen Monarchie ablcitete, die regelmäßige Einberufung der Generalstände empfahl und die Verwaltung des Staates nach festen Gesetzen zur Gewissenssache der Regenten machte. Nicht in der Größe und dem Glanze eines Reiches, sondern in der Wohlfahrt der Angehörigen desselben sicht er die Aufgabe der Staatsverwaltung. Die zur Vergrößerung des Reiches oder für den Ruhm eines Fürsten geführten Kriege werden in den Schriften Fenelons auf das Entschiedenste verdammt. Alle Staaten gehören nach ihm einer einzigen großen Genossenschaft, dem menschlichen Gcschlcchtc an, demnach sind alle Kriege nur Bürgerkriege. Bei ihm findet sich zuerst die schöne Idee der Philanthropie klar ausgesprochen. „Fenelon würde es vorziehcn, wenn die Macht niemals mit der Religion in Verbindung gcrathcn wäre; in ihm erscheint die individuelle Religion, auf ein unmittelbares Vcrhältniß der geistlichen Spiritualität zu ihrem göttlichen Urquell, die sich nur vor Abwegen zu hüten hat, ge gründet, von der Idee des menschlichen Geschlechts durchdrungen; seine Sprache strebt »ach der Leichtigkeit und Anmuth, die das Ideal des achtzehnten Jahrhunderts bildet." Die gehaltene sanfte Würde des Stils harmonirt vortrefflich mit dem Inhalte des Werks, wobei die didaktische Tendenz den heroischen Geist zurückdrängtc. Durch ^>ie gehobene Sprache in ungebundener Rede tritt das Buch seinem moralischen Zweck näher. Von demselben Geiste edler Sittlichkeit und Menschenliebe sind auch die übrigen Schriften Fenelons durchweht, seine „Untersuchungen über das Dasein Gottes" und seine Ab handlung „über die Erziehung der Töchter". Die „Todtengespräche, oder Dialoge großer Männer im Elysium", der Form aber nicht dem Geiste nach eine Nachahmung der Lucia- Nischen Gespräche (IV, 308), sind lehrreiche Reflexionen in dialogischer Form religiösen und moralischen Inhalts. 4. Die Prosaliteratur. Wir haben erwähnt, daß die französische Akademie die schönsten Früchte ihrer Thätigkeit in der Ausbildung einer corrcctcn und eleganten Schrift- und Umgangssprache erntete. Nicht nur die poetischen Arbeiten in gebundener und ungebundener Rcdesoriu ) geben Zcugniß von dem hohen Aufschwung, den die französische Sprache und Dictio» durch den lebhaften Wetteifer der Dichter und Schriftsteller in diesen regsamen und bewegte» ^ Zeiten Ludwigs XIV. genommen hat, auch die wissenschaftlichen Werke philosophische oder religiösen Inhalts, auch die Reden und rhetorischen Schriften, auch die Geschichts- und Memoircnliteratur und vor Allem die Briefe und die Studien und Reflexionen)» Briefform erlangten eine formale Vollendung, die mit der Gcsammtbildung des Jahr hunderts sich auf gleicher Höhe hielt. Descartes hat nicht blos in dem philosophisch^ ! Wissen, sondern auch in der sprachlichen Darstellung der philosophischen Gedanken »»