Volltext Seite (XML)
V. Der Norden und Nordosten Europas. 693 von Tschigirin unter Romodanowski's Oberbefehl kam er nach Kiew, diente dann im Heere des Fürsten Galizyn gegen die Tataren und stieg zum Rang eines Generallieute nant empor. Zn der kritischen Periode, da der Kampf zwischen der Regentin Sophia und dem Zarensohn Peter ausbrach, stellten sich Gordon und Lefort mit ihren Truppen auf die Seite der Zarenpartei im Troytzkischcn Kloster. Durch diese Treue und Hin gebung gewannen beide das Herz des jungen lebhaften Großfürsten. Cr besuchte sie häufig in der Sloboda und überzeugte sich, daß für seine civilisatorischen Pläne in dieser Fremdencolonie die geeignetsten Vermittler zu finden seien. Cr sah ein, „daß er eines Mannes von Bildung, Erfahrung und Kenntnissen bedurfte, der zugleich eine Elasticität des Geistes wie des Körpers, einen frischen frohen Muth und einen Thatcndrang besaß, um ihm auf allen Wegen zu folgen". Einen solchen Mann fand der Zar in Lefort: erzogen in einer rcsormirten Stadtgemeinde, die an Bildung und Wissen unter die ersten Sitze und Pflanzstätten der Civilisation gerechnet werden durfte; in Marseille und Amsterdam in das Industrie- und Handelsleben Angeführt, hatte der talentvolle Mann sich Kenntnisse, Erfahrungen und Einsicht gesammelt, die seinem neuen Vaterlande nütz lich werden konnten, und zugleich in religiösen und politischen Dingen einen freieren Standpunkt und eine kosmopolitische Weitherzigkeit gewonnen, die ihn auch unter einer Bevölkerung anderen Glaubens und anderer Nationalität eine friedliche Werkstätte fin den ließen. Dazu kamen noch feine, liebenswürdige Manieren, die ihm schon früher die Gunst der beiden Fürsten Galizyn erworben hatten, ein heiteres lebhaftes Tempera ment und gesellige Gewandtheit und Unterhaltungsgabe. Es konnte daher nicht fehlen, daß er bei dem jungen empfänglichen Großfürsten Vertrauen und Zuneigung fand, Zar Peter machte ihn zu seinem Führer und Rathgebcr, besprach mit ihm alle Pläne seiner civilisatorischen Neuerungen und hörte seine Vorschläge und Berichte an. Lefort wurde sein steter Begleiter und Gesellschafter, sein Günstling und Freund, sein Gefährte auf seinen Entdeckungsreisen nach den Culturländern des westlichen Europa. Die altrussische Partei betrachtete den hergelaufenen Fremdling stets mit Scheelsucht: sie stellte ihn als einen Abenteurer dar, der den jungen Herrscher nicht nur mit den Vorzügen der Civili sation, sondern auch mit den Lastern derselben vertraut gemacht habe, eine Ansicht, die sich als Tradition auf die folgenden Geschlechter vererbte. Erst der neueste Biograph, Moritz Posselt, hat es unternommen, gestützt aus Briefschaften und authentische Docu- mente, den hochgewachsenen, stattlich schönen Mann, der ebenso kräftig und gewandt die Waffen trug, das Schlachtroß tummelte, das Wild im Forst jagte als er die Feder zu führen und Ideen zu erzeugen und vorzutragen verstand , in seiner wahren Gestalt und Bedeutung darzustcllen, den Mann, „der von der Vorsehung ausersehen und dazu befähigt war, an einer welthistorischen Arbeit, deren Basis der Genius eines großen Volkes war, thätigen siegreichen Antheil zu nehmen". Die Trunksucht, die er mit seinem Herrn gemein hatte, vcrmochtc'weder seine Arbeitskraft zu schwächen noch ihn an der Aus führung der schwierigsten politischen und diplomatischen Geschäfte zu hindern. Geniale Naturen pflegen sich nicht immer in den Grenzen der Mäßigung und der guten Sitten zu halten ; und so mag auch an der Schilderung von dem lustigen Leben, von den Trinkgelagen mit derben Späßen und Ausgelassenheit, von dem Tabakrauchcn im Kreise lustiger Zecher und von tollen Ausschweifungen manches Wahre sein; aber diese dunkeln Schatten sollen die Lichtseiten nicht verdecken. Sicherlich hat der Zar aus dem langjäh rigen vertrauten Umgang mit dem ihm so sympathischen Manne viele Anregung und Belehrung, viele Gedanken und Entwürfe empfangen, wenn auch, wie schon Spittler richtig bemerkt, „ein Kopf dieser Art überall früh oder spät seinen Lefort gefunden haben würde". Als Peter auf die Nachricht von dem Tode des Freundes von Woronesch her-