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V. Der Norden und Nordosten Europas. 687 mit Natalia Naryschkina, der schönen Tochter eines geringen Edelmanncs den vierjährigen Sohn Peter und zwei Töchter. Die Thronbesteigung des Erstge bornen, Feodor Alcxcjcwitsch ging nicht ohne Gewallslreiche vor sich. Der Gunst-^ iilig des verstorbenen Zar, Matweejew, der die zweite Heirath bewirkt hatte, re?e-i«82. wurde unter der Beschuldigung, er habe die Krone dem unmündigen Prinzen Peter zuwenden wollen, um dann die Regentschaft sich anzueignen, von den Miloslawski's, den Verwandten der Mutter Feodors gestürzt, seines Vermögens beraubt und in die Verbannung gejagt. Neue Günstlinge drängten sich an den Thron und machten den Anfang der Regierung des jungen Fürsten durch Hab gier und Gcwaltthätigkeiten eben so verhaßt, wie einst Morosow und Genossen die ersten Jahre der Herrschaft seines Vaters. — Unter Feodor wurden die von Alexei begonnenen Reformen um einen bedeutenden Schritt weiter geführt durch die Vernichtung der Geschlechtsregister oder Stusenbüchcr (Rosrad), durch welche der Dienstrang der Familien im Heer und bei den Staatsämtcrn bestimmt ward. Während des Türkenkricges nämlich waren sehr viele Mißständc hervorgetreten, die ihre Hauptguelle in dem sog. „Mestnitschestw o", in dem genealogischen Ver zeichniß der zu Aemtern und Ehrenstellen Berechtigten ihre Quellen hatten. Wer einer Familie angehörte, die unter ihren Ahnen hochgestellte Würdenträger zählte, durfte denselben Rang als erbliches Recht für sich in Anspruch nehmen und brauchte sich keinem zu unterwerfen, der nicht ähnliche Vorzüge geltend machen konnte, eine hierarchische Stufenleiter, bei der kein persönliches Verdienst in Anrechnung kam, gleichsam ein „goldenes Buch" erblicher Ehren- und Familienrechte. Diese Barriere gegen jeden Fortschritt wurde nun durch einen durchgreifenden Akt nie- dergerisscn. Nachdem zuerst in einer Versammlung von Militürbeamten unter dem Vorsitz des reformsreundlichen Fürsten Wassily Galizyn der Beschlußrssi. gefaßt worden war, die Strelitzen nicht wie bisher in „Hunderte" sondern in Rotten von 60 Mann zu theilen und den Offizieren die im westlichen Europa üblichen Benennungen und Rangstufen zu geben, so daß die bisherige Stellung in der Dienstordnung durchbrochen, der Dienstrang nicht nach erblichen Bevor zugungen, sondern durch die freie Entschließung des Zar bestimmt würde, berief Feodor die Häupter der Bojarenaristokratie, der Landeskirche, der Beamtenschaft^»-issa. m den Audienzsaal seines Schlosses, setzte die Mißbräuche des Mestnitschestwo auseinander und brachte die Versammlung zu dem Beschluß, daß die genealogi schen Geschlechtsregister vernichtet, das Institut der Rosradkammer aufgelöst werden sollte. Und noch in derselben Sitzung wurden sümmtliche Rang- und Stufenbücher vor den Augen des Zar und der hohen Würdenträger verbrannt, ein Staatsstreich, durch den dem allrussischen Wesen die Wurzeln abgehanen und dem Einströnien europäischer Einrichtungen und Cultur die Schleichen geöffnet wurden. An Stelle der Rangbücher mit den erblichen Ansprüchen der Nach- gebornen wurde die Anlegung eines Adelsbuchcs augeordnet, „das jedoch keinen andern Zweck hatte, als das Andenken an die Vorfahren zu erhalten ohne daß