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678 L. Die letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. hat keiner dem Lande so tiefe Wunden geschlagen, keiner die innersten Gefühle seiner Unterthanen so empfindlich verletzt, keiner die geschichtliche und politische Stellung des Kurstaats so schwer geschädigt als er. Friedrich August war eine imponirende Fücsteugestalt, die sich der Volksphantasic tief cinprägtc und die Leiden und Schmerze», welche er dem mitlcbcnden Gcschlcchte zufügte, bei den Nachgebornen i» Vergessenheit kommen ließ. Ein vollkommener Cavalier, der mit glänzenden körper lichen Vorzügen einen lebhaften gewandten Geist, vielseitige Bildung, ritterliche Manieren verband, der die Gunst der Frauen und die Zuneigung der Männer in gleichem Grade zu gewinnen wußte, auf dem Schlachtfeide, in wildem Jagd revier sich eben so sicher und frohmuthig bewegte, wie im prachtschimmerndc» Salon, im Kreise eleganter Herren und Damen, im Glanze gesellschaftlicher Vergnügungen, wie sollte nicht im Zeitalter Ludwigs XIV. ein solcher Fürst eine hervorragende Rolle in der großen Welt spielen? Und doch war die Stelle, zu der ihn das Schicksal berufen, so wenig geeignet, seiner nach Größe und Aus zeichnung dürstenden Seele den genügenden Schauplatz zn gewähren. Schon als er in jungen Jahren die Länder Europa's durchreiste, in Wien die Freundschaft des römischen Königs Joseph gewann, in Paris, London und Madrid das glanz volle Hofleben und den Luxus der reichen Aristocratie bewunderte, in Italien sich an den Schätzen der Kunst ergötzte, nagte an seinem Herzen das drückende Ge fühl, daß er in dieser Welt der Pracht und Herrlichkeit eine untergeordnete Stellung cinnchme. Und doch trug er das Bewußtsein in sich, daß er alle Gaben besitze, sich auf der Höhe des Lebens mit Sicherheit und Auszeichnung zu bewegen. Dieses Mißvcrhältniß zwischen der inneren Sehnsucht und der zugewiesenen Stellung verlor sich auch nicht, als ihm durch den frühen Tod des Bruders der kurfürstliche Thron zu Theil ward. Denn auch der bescheidene Wirkungskreis eines von Ritterschaft und Landständen beschränkten Rcichsfürsten konnte seinen Stolz und Ehrgeiz nicht befriedigen. Für die hohe Rcgentcnaufgabc, das Erb land seines Hauses durch verständiges Wirken von den wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden zu befreien und zu neuer Blüthe emporzuheben, fehlte ihm Sinn und Hingebung. Er wollte höher hinaus; er wollte im Rathe der Mächtigen mitsprecheu, die Herrlichkeiten der Welt genießen, die er in den große» Hauptstädten kennen gelernt, vom Glanze der Majestät sich umleuchtet sehen. gio?swr»sel° Die Feldzüge in Ungarn, deren wir früher gedachten (S. 460), trugen dem Kur fürsten gerade nicht viele Lorbeeren ein, wenn schon die Türken ihn wegen seiner Ricsen- stärkc „die eiserne Hand" nannten. Doch wurde der Frcundschaftsbund mit Joseph noch inniger geknüpft, aber auch zugleich der Ucbertritt zur katholischen Kirche cingelcitet. Wie viel dabei der Kaisersohn selbst, wieviel die Bekchrungskunst der Jesuiten, wie viel die Zureden des Convcrtitcn Christian August von Sachsen-Zeitz, Cardinal und Erzbischof von Gran mitgcwirkt haben, ist schwer zu entscheiden; der durchgreifendste Beweggrund war aber offenbar der Wunsch, durch den Ucbertritt das Hinderniß zu be seitigen, das seiner Königswahl in Polen entgegengestanden hätte und von der Gegenpartei zu Gunsten des französischen Mitbewerbers ausgebeutct worden wäre. So geschah