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V. Der Norden und Nordosten Europas. 627 Sohn enterben wollte. Zwar wurde durch die Vermittelung von Eberhard Danckelmann, dem Erzieher und vertrautesten Rath des Prinzen, eine Versöhnung hergcstcllt und der Thronfolger kehrte nach Berlin zurück. Allein das Testament wurde trotzdem nicht umgestoßen. Nachdem früher schon mehrere derartige Vermächtnisse abgefaßt waren, vollzog Da« T-fta- der Kurfürst seinen letzten Willen unter Bestätigung des Kaisers in einem Testamente, groß<n°Kur- das man nur als Erzeugniß eines altersschwachen müden Geistes oder als Ausstuß über- ^ großer Vatcrliebe beklagen kann. Verschiedene Stücke des Staatsgebiets. Minden, Hal berstadt, Ravensberg u. A., wurden den nachgcborncn Söhnen als unabhängige Terri torien angewiesen, wenn auch das Kriegs- und Steuerwesen und die Vertretung auf dem Reichstage in der Hand des künftigen Kurfürsten vereinigt bleiben sollte. Es war freilich für jene Zeit, da das Recht der Primogenitur noch keineswegs ein fest und all gemein anerkannter staatsrechtlicher Grundsatz war und auch die Landcsherrschaft viel fach gleich einem privatrechtlichen Besitz aufgefaßt wurde, nicht leicht, die standesgemäße Ausstattung nachgeborner Söhne mit dem Prinzip des untheilbaren Staatsganzen in Einklang zu bringen, und der Kurfürst glaubte, durch die selbständige Anweisung von Land und Leuten an die jünger« Söhne die Einheit des Staats nicht zu gefährden, da ja in den hauptsächlichsten Functionen des Staatslebcns die Hoheit des Nettesten gewahrt blieb. Doch aber war das Vcrmächtniß des großen Kurfürsten ein Abfall von der brandenburgischen Tradition und seinen eigenen politischen Grundsätzen und hätte, wenn es zur Ausführung gekommen wäre, nur zur Lockerung der kaum gegründeten Staats einheit beitragen können. In den letzten Lebensjahren des Kurfürsten kam mit dem Kaiser ein Abkommen zu Stande, welches damals vielleicht eine sehr weittragende Bedeutung nicht besaß, aber vmr Kaiser eine Angelegenheit betraf, die in der Folge noch zu den gewaltigsten Verwicklungen führen sollte. Es handelte sich um die seit mehr als cineNi halben Jahrhundert schwebenden Ansprüche. Differenzen über die schlesischen Ansprüche. Brandenburg behauptete nicht nur fort während sein Recht auf das kraft einer Erbverbrüdcrung Brandenburg zustchende, von Oesterreich aber eingezogene und dem Fürsten von Lichtenstcin verliehene Herzogthum Jägerndors (XI., 1037), sondern auch bet dem Aussterben des piastischen Hauses in Liegnitz (1675) aus Grund eines von Kurfürst Joachim H. geschlossenen Erbver trags (vom Jahr 1545) auf die drei Herzogthümer Licgnitz, Brieg und Wohlau. Die böhmische Krone hatte die piastische Erbverbrüderung nie anerkannt und gestützt auf diesen zweifelhaften staatsrechtlichen Grund hatte Oesterreich die Fürstcnthümer als er ledigte Reichslehen in Besitz genommen. Für Jägerndors war man am Wiener Hof bereit, allenfalls eine Entschädigung zu geben, namentlich als die Türkenkriege den Kaiser Leopold nöthigten sich nach brandenburgischer Hülfe umzusehcn. Es kam nun zu Berlin ein geheimer Allianzvertrag zu Stande, in welchem Oesterreich einen kleinen^ Mär; Landstrich, den Schwiebuser Kreis, abtrat, Brandenburg dagegen nicht nur seinen weiteren schlesischen Ansprüchen entsagte, sondern auch das engste Bündniß mit dein Kaiser einging. Sie versprachen sich gegenseitige Hülfeleistung, falls Einer feindlich an gegriffen werden sollte; der Kurfürst sollte, um zu diesem Zweck eine starke Kriegs mannschaft erhalten zu können, österreichische Subsidien beziehen, und versprach dafür, bei einer Kaiserwahl seine Stimme einem Erzherzog zu geben und bei der bevorstehenden Erledigung der spanischen Erbschaft die Rechte der deutschen Linie verfechten zu helfen. In Folge dieses Vertrags zogen in demselben Jahre 8000 Brandenburger unter dein General Johann Adam von Schöning dem Kaiser gegen die Türken zu Hülfe und be währten im fernen Nngarlande bei der Erstürmung von Ofen ihren alten Kriegs ruhm (S. 454.). Es war ein Vertrag, der die brandenburgische Politik für eine noch 40*