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IV. Englische Wissenschaft nnd Dichtkunst. 275 eine ähnliche republikanische Bundcs-Vcrfassung geben zu lassen, wie sie in den nieder ländischen Vereinsstaatcn bestand. Rach der Rückkehr des Königs war auch Milton in Gefahr; seine „Schutzrede" 3. Mitton» wurde vom Henker verbrannt; er selbst saß eine Zeitlang in der Haft des Hauses der jäh'r-°une'° Gemeinen; nur der Verwendung einflußreicher Freunde hatte er es zu verdanken, daß Dichtung-,-., er den Schcrgcnhänden der Verfolger und der reaktionären Wuth der „Cavaliere" ent ging. Karl II. soll gesagt haben, „ich höre, er ist alt, arni und blind, dann ist er genugsam gestraft." Und so war cs in der Thal. Sein Vermögen war verloren ge gangen; er lebte mit einer dritten Frau in einer liebeleeren Ehe; seine Häuslichkeit war ohne Freude und Freunde; seine zwei Töchter lebten mit der Stiefmutter in Unfrieden und waren selbst gegen den Vater ohne Hingebung. Zn diesen Zähren der Trübsal suchte Milton wieder Trost und Erhebung in der Dichtkunst, für die er während der republikanischen Zeit wenig Muße hatte. Nur einige Sonette gaben der inneren Stim mung Ausdruck; eines der schönsten ist sein Klagelied auf seine Blindheit. Jetzt ent schloß er sich, das „kalte Element der Prosa abzustreifen" und zur Poesie zurückzukchren. Ein junger Freund, der Quäker Ellwood, las ihm vor; seine jüngere Tochter Deborah schrieb auf, was ihr der Vater diktirte. Schon in der Zugend hatte sich Milton mit dem Gedanken eines größeren epischen Gedichtes getragen: aber dem gereiften Repu blikaner stand es nun nicht mehr an, den britischen Fabelkönig Arthur mit seiner Tafelrunde, den er sich damals als Helden auscrsehen, zum Gegenstand seines poetischen Schaffens zu wählen: er griff zu einem Stoff, der seiner protestantisch-puritanischen Gesinnung, seiner Bibelgläubigkeik und dem ganzen religiösen Charakter der durchlebten Zeit entsprach. Wie einst Dante, der Vcrtheidiger der kaiserlichen Monarchie, nachdem er die beste Kraft seiner Mannesjahre an die politischen Kämpfe einer tiefbewegten Zeit gewendet und sein Lebensglück in dem Schiffbruch seiner vaterländischen Hoffnungen versunken sah, in einem religiös-allegorischen Gedichte seine kirchlichen und politischen Grundsätze und Ansichten niederlegte; so beschloß auch Milton, der Verfechter der reli giösen und bürgerlichen Freiheit, der Anwalt der Volkssouveränctät und des Königs mords, nachdem seine Ideale an der harten Wirklichkeit zerschellt, in einem inhaltschwcrcn tiefsinnigen Werk anzuwcnden „was ihni in diesem Leben noch an Gabe verblieben," gleich dem Florentiner in der „Hinaufläutcrung des Sinnlichen zum Himmlischen" die Aufgabe des künstlerischen Schaffens erblickend. Die bei Mit- und Nachwelt bewun derte episch-allegorische Dichtung „das Verlorne Paradies" war die Frucht dieser geistigen Arbeit. Obgleich erst unter der Restauration jim I. 1667) vollendet, athmct sic doch durchaus den Geist des Puritanismus, wie die „Woche der Schöpfung" von Du Bartas den des Hugcnottcnthums (X, 709). Was konnte cincin so ernst gestimmten Geschlechte, das gesehen hatte, wie die Nation zu Gerichte saß über den König, wie nach himiu- bschem Rathschluß die Sünden der Väter heimgcsucht wurden am spätgeborncn Enkel, väher liegen als die Erzählung vom Sündcnfall, der die göttliche Strafgcrcchtigkeit über die Menschheit herabzog, sie aus dem Paradiese verjagte und den Leiden im Leben und dm Schmerzen des Todes hingab? Wie die Dichter des Altcrthums die Mythengötter m die Mcnschcnwclt cingrcifcn lassen, so benutzt Milton die aus dem altpcrsischen Glaubcnskrcis entsprungenen biblischen Traditionen von guten und bösen Engeln, von Mächten und Hecrschaaren des Himmels und der Hölle, um die christlichen Vorstellungen und Doctrincn anschaulicher zu machen, um Theologie und Poesie, Dogma und Mythcn- diidung zu einer dichterischen Schöpfung mit symbolisch-didaktischer Tendenz zu ver schmelzen, die Schätze fremden Wissens mit der eigenen Erfindung verbindend. Von dsm anfänglichen Plane einer dramatischen Behandlung ist er abgcgangen. Doch ent hält die erzählende Form im reimlosen Blancvcrs viele dramatische Elemente. 18«