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VII Pathetische in den Fluß der Bedingungen herab und schützte es vor Er starrung; sie zeigte dem Großen seine Verwandtschaft mit dem Staub und bewahrte es vor Uebermuth; dem Kleinen seine Bahn nach der Höhe und rettete es vor Verzweiflung. Sie machte die Phantasie zum Wagenlenker, den Witz zum Streiter. Ihr Gegengewicht schaffte Gleich gewicht, ihr Stachel Bewegung, ihre Heiterkeit Versöhnung, und auf diesem Punkte, dem A und O aller Kunst, begegnen sich Tragödie und Komödie wieder und reichen sich als ebenbürtige Zwillingsschwestern die Hände. Denn tragisch ist was Alle weinen macht, das unwiderstehlich Traurige; komisch was Alle lachen macht, das unwiderstehlich Lustige: beide Gemüthseindrücke aber lösen sich in Thränen. Wir schmeicheln uns mit der Einbildung, daß wir in den uns erhaltenen Werken von Aeschylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes, das Beste besitzen, was die tragische und komische Muse den Griechen im Ganzen und das Beste, was sie diesen einzelnen Meistern eingegeben hat. Indem wir nun von Sophokles' Leben und Dichten eine gedrängte Nachricht geben, wird noch Manches zur Sprache kommen, was aus das griechische Theater ein Licht wirft. Die Zeitgenossenschaft der drei berühmtesten Tragiker pflegt man bezüglich der unsicher:: Altersberechnung an die Schlacht von Salamis zu knüpfen und sich unter der Vorstellung deutlich zu machen, daß Aeschylos als 45jahriger Mann in dieser Schlacht gekämpft habe, Euri pides am Tage der Schlacht geboren sei und Sophokles bei der Siegesfeier als erwachsener Knabe im Festreigen getanzt habe. Wie dem auch sein mag, so ist wahrscheinlich, daß Sophokles zwischen 497 und 495 v. Ehr. in dem reizenden, durch Götternähe geheiligten Gau Kolönos, eine halbe Stunde von Athen, geboren ist. In seinem „Oedipus aus Kolonos" giebt er eine Schilderung seines Heimatortes: Wo die Sängerin Nachtigall, So einheimisch im feuchten Flur-Schooß, Ihr schmelzendes Klaglied Hebt ans Ranken goldenen Ephen's, Und friedlich umher Gehölz, Früchtedurchschimmertes, mildgehütetes Bor Sonnengluth und Stnrmwuth, Lanbreich blüht; wo so oft der Schwarm-Gott