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Mittwoch. t. Dezember 1987 SLchfisch« Volkszeitung Nummer 781, Seite 7 «5/ec/r^ ^-rc/ r^e „Mir fehlt nichts, Muttchen!» Verzweifelt schaut sie in seine Augen, die so ernst ge. worden sind. Da kommt ihr dann ein Gedanke der furcht, bar für sie ist. Sie hat den Jungens, namentlich Dieter, soviel Gutes vom Vater erzählt. Ganz deutlich erinnert sie sich an jene Stunden. Manchmal war es hier in der Stube abends beim Lampenlicht, manchmal nebenan im Schlaf zimmer, wenn Dieter ins Bett mutzte, aber noch nicht zur Ruhe kommen konnte — dann hat er sie umarmt und zu sich aufs Bett gezogen und leise gebeten: „Muttchen erzähle doch etwas vom Vater!» Sie hatte dann erzählt, bis er mit einem still beglückten Lächeln eingeschlafen war. Und nun hat Dieter gesehen, datz der Vater ganz anders ist. Sicher, lich daher wird Dieter so verändert sein. Er ist über den Vater enttäuscht, vielleicht auch enttäuscht darüber, datz seine Mutter ihm in all den Jahren nicht die Wahrheit gesagt hat. Diesen Gedanken greift Mutter Steding auf. Sie ist so. fort überzeugt, datz auch Ernst und Fiete deshalb so ver ändert sind. Nur daran wird es liegen, und ihre Schuld ist es. Wie immer, nimmt sie auch jetzt das Schwerste aus sich: die Schuld an all dem, das nun über sie und ihre Jungens gekommen ist. Da setzt sie sich hin, zieht Dieter zu sich heran und nimmt ihn auf den Erhöh. „Nun sei mal ganz vernünftig, Dieter", sagt sie mit müder Stimme. „Und ehrlich, Dieter, du bist über Vater ent täuscht!" Dieter steht sie überrascht an. „Aber Muttchen, ich . . „Doch, Dieter, du hast dir Vater ganz andcu; vor gestellt . . . und nun glaubst du, datz ich gelogen lmbe!" Heftig schüttelt der Junge den Kops. „Nein, nein, Muttchen, das glaube ich doch nicht." Schon füllen seine Augen sich mit Tränen. Er umarmt Mutter Steding, drückt sie an sich. „Das darfst du nickt von mir denken!" „Sieh mal, mxin Junge", fährt sie leise fort, getrieben von dem Verlangen, alles wieder gutzumachen. „Ich habe dir doch oft vom Vater erzählt . . . dazwischen liegen aber dreizehn Jahre, in denen ich nichts vom Vater gehört habe. Er hat sehr viel durchgemacht, andere hätten es gar nicht überstanden . . . und dadurch ist er nun so ganz anders geworden, Dieter!" Dieter hat seinen Kopf auf ihre Schulter gelegt, still härt er zu. Und doch erleichtern U're Worte ihn nicht. Seins Arme krampfen sich um ihren Nacken. „Bitte, Muttchen", stützt er hastig hervor, „bitte, nicht davon sprechen!" Und dann weint er haltlos vor sich hin, ohne mehr ein Wort hervorzubringen — und Mutter Etc- ding fühlt, wie he!tz seine Wangen sind, wie rasch sein Herz schlägt. Sie bringt ihn ins Bett und sitzt still neben ihm, bi» er endlich ruhiger wird. Aus Zehenspitzen geht sie hinaus. Dieter ist eing«. schlafen. Vielleicht läuft sich alles wieder zurecht, denkt sie, krank scheint er jedenfalls nicht zu sein. In der Stube setzt Mutter Steding sich an den Tisch, um noch einige Strümpfe für die Jungens zu stopfen und Dieters Spielhose noch aus zuflicken. Ehe die Jungens mit dem Vater von der Arbeit kommen, wird sie wohl damit fertig werden. Sie beeilt sich und grübelt unentwegt, während die Hand die Nadel führt. Schließlich geht sie an die Kommode, um einige Flick, herauszusuchen. Sie zieht die unterste Schublade aus, kramt darin herum. Dabei findet sie die kleine Zigarettenschachtel in der Dieter sein Geld verwahrt. Sie lächelt, daran denkt Dieter scheinbar gar nicht mehr, hat inzwischen nie wieder davon gesprochen. L8. Fortsetzung. .Latz nur, Muttchen, es wird alles noch gut!" Er führt sie in dir Küche, ist ihr dort behilflich, stellt Geschirr aufs Tablett und trägt es in die Stube, deckt den Tisch — und dabei steht Dieter ihn aus großen Augen schweigend an. Seitdem Dieter von Hanncken Sudemann das Geld er- Italien und heimlich in der Schlafstube verborgen hat, kann er nicht mehr lustig und unbefangen sein. Woran das liegt, weiß er nicht. Dauernd hat er so ein Gefühl, al» ob ihn etwa» bedrückt, al» ob in seinem Innern etwas schwer ge- worden ist. Wo er auch geht und steht, selbst in der Schule denkt er darüber nach. Es ärgert ihn, daß er in der Schule versagt, daß der Lehrer ihn oft schilt, datz die Spielkame raden ihm grollen, weil er nicht mehr mit ihnen tollt -- aber er kann nichts daran ändern, es ist nun einmal so. Und immer wieder denkt er auch daran, wie der Vater an jenem Tag auf die Zeitung gestarrt hat auf die kleino Mitteilung aus Buenos Aires. Die hat Dieter später aus geschnitten und sich aufbewahrt — ohne sich eines besonderen Grundes bewutzt zu sein. All da» wäre ja noch zu ertragen, wenn die Mutter ihn nur nicht immer so ansehen würde. Er weiß ja nicht, was er ibr antworten soll, weiß sich all das ja selbst nicht zu erklären. Datz sie sich seinetwegen Sorge macht, bedrückt ihn noch mehr. So gern möchte er etwas tun, um sie zu er- freuen. Aber ihm selbst macht ja nichts mehr Freude, weder da» Fahrrad noch die Rettungsmedaille. Mehr als einmal nimmt Dieter sich vor, mit seinem ältesten Bruder darüber zu sprechen. Ernst ist ja so ver nünftig und kann ibm vielleicht Helsen. Jedesmal aber, wenn er seinen Bruver vor sich sieht, zögert er, dann ver lieren sich all die Worte, die er vordem sich sorgsam zurecht gelegt hat, dann weitz er nicht mehr, wie er es beginnen und was er sagen soll. Manchmal denkt er auch an Hann« chen Sudemann, er hat ihr versprochen, zu ihr zu kommen, wenn ihn etwas quält; aber auch davor schreckt er zurück. So trägt er Tag für Tag die vielen, vielen Gedanken, dir er fick macht, mit sich herum. Darüber wird er still und nachdenklich und ernst. Sonst hat er die Stunde des Nach mittags ausgenutzt und getollt und gespielt; jetzt ist er zu rückhaltend und beobachtet viel, und sein Blick ist schärfer geworden. Ihm entgeht nickt, weder die still verborgens Sorge der Mutter, noch die Unruhe der beiden Brüder — und auch nicht die Unstetigkeit des Vaters. Manchen Blick fängt Dieter auf, den der Vater seinen Brüdern oder der Mutter zuwirft, wenn er sich unbeobachtet wähnt — und jeder dieser Blicke bereitet ihm eine unerklärliche Angst. Dieter gerät darüber in einen Zustand dauernder inne rer Anspannung, die sich manchmal, wenn er abends allein im Bett liegt und nicht einschlafen kann, in Tränen aus- zulösen versucht. Am anderen Morgen ist Dieter zumeist ein wenig erleichtert; aber wenige Stunden genügen, um die- selb« innere Spannung wieder auftommen zu lassen. Wenn er sich manchmal nachmittags gar keinen Rat mehr weih und bi» Zähne zusammenbeihen mutz, um Mutter Steding nichts merken zu lassen, dann nimmt er das Fahrrad und radelt io«, fährt kreuz und quer durch die Straßen, und dabei rollen ihm die Tränen unaufhörlich über das Gesicht. .Lunge, du mutzt doch Vertrauen zu mir haben", sagt Mutter Steding eines Tages zu ihm. »Da« habe ich doch, Muttchen!" ...Rein, dir fehlt etwas — und du sprichst nicht dar über!^ Sie nimmt seinen Kopf in beide Hände und zwingt ihn, ihr in die Augen zu sehen. „Dieter, bist du denn trank?" „Nein, Muttchen!" „Aber du bist ganz anders als sonst, Dieter!" Eie fchlinelt den Kovf. ..Dir fehlt etwas!" nokintt von k. vvcvcir cop/Ngdl dy K,n iUUiUr » Co., b^Un-r.i>i«>vore «» N-cliSwck o«lx>«« Arglos schiebt sie die Schachtel zur Seite, stutzt aber im selben Augenblick: nanu: ist die Schachtel leer? Eie streift den Gummiring herunter und macht die Schachtel auf. Tai- sächlich, es ist nicht ein Pfennig darin! Kopsschiiitelnd legt Mutter Steding die Schachtel zurück. Sonderbar, wo mag denn der Junge das Geld gelassen l-aben? Vielleicht hat er schon etwas gekauft! Aber dieser Gedanke beruhigt sie nicht: nein, dann hätte Dieter davon gesprochen. Nachdenklich schiebt sie dir Schublade wieder zu, setzt sich an den Tisch. Aber die Arbeit will ihr nicht mehr von der Hand. Ob Dieter vielleicht des Geldes wegen in der letzten Zeit so still und bedrückt gewesen ist? Dieser Gedanke liegt nahe. Unerklärlich bleibt ihr nur, was Dieter mit dem Geld begonnen hat In den Taschen hat er es nicht mit sich herumgetragen, denn sie bürstet seine Kleidung täglich aus und hätte es dabei ganz bestimmt gesunden. „Na, das wird sich schon klären!" tröstet sie sich schließ lich selbst. Jetzt will sie nicht mit ihm darüber sprechen, morgen vielleicht oder übermorgen, wenn er ruhiger ge- worden ist. „Dieter habe ich ins Bett gelegt!" sagt sie abends zu den beiden größeren Jungens. „Er fühlte sich nicht wohl; geht jetzt nicht hinein, er schläft!" Was sonst noch gewesen ist, daß Dieter so bitterlich geweint hat. daß die fünsund- dreißig Mark aus der Schachtel fehlen, erzählt sie nicht. Die beiden Jungens sind sehr still, mit dem Vater spre chen sie kein Wort. Mutter Steding sieht während des Essens von einem zum andern, es muß irgend etwas zwischclt ihnen vorgefallen sein. Als Fiete einmal hinaus in die Küche geht, folgt sie ihm. „Was habt ihr mit Vater gehabt, Fiete?" „Ach, nichts weiter!" will er leicht darüber hinweg, gehen. Sie zögert. „Du hast also auch kein Vertrauen mehr zu mir!" stößt sie endlich leise heraus. Da dreht er sich rasch zu ihr um. „Mutter, wie kannst du das sagen!" Und dann ärgerlich: „Wenn du es mit Ge- walt wissen willst . . . zum dritten Male ist Vater heute angetrunken von einer Besorgung zurückgekommen. Heute war es ganz besonders schlimm, es war ihm schon äußerlich anzusehen ... aus dem Hos hat er dann mit einem Vor arbeiter sogar Streit angesangen!" „Junge, was soll daraus noch werden?" sagt sie ver zweifelt. Achselzuckend steht Fiete vor ihr. „Das weiß ich auch nicht, Mutter ... in der ersten Zeit ging alles so gut. Wenn Ernst ihn jetzt losschickt, dann kommt er erst nach zwei, drei Stunden zurück, treibt sich in Kneipen herum.." Sie denkt an das Geld, das Otto Steding ihr gegeben hat. Soviel kann er doch gar nicht zurückbehalten haben, um dauernd trinken zu können. „Das ist schlimm!" sagt sie darauf, mehr nicht. „Tja!" meint Fiete. „Wenn er es so weiter treibt, dann macht Ernst bald mal einen mordsmäßigen Krach, Muttchen... es ist für uns so schwer, dem eigenen Vater Vorwürfe machen zu müßen!" Drüben klappt die Stubentür, Otto Steding kommt in die Küche, er sagt nichts, aber er mustert Mutter Steding und Fiete mit einem mißtrauischen Blick, trinkt ein Glas Wasser, geht dann wieder hinaus. „Gestern hat er zu Ernst gesagt: schlimm, wenn die Kinder sich mit der Mutter gegen den Vater verschwören! So ungefähr, als ob wir ihm unrecht tun!" Fiete lacht ärgerlich. „Na, laß nur, Muttchen, wenn wir erst mit unterer Arbeit durch sind, wird schon alles anders!" Damit trösten sie sich, Fiete und Ernst. Mit diesem Ge- danken gehen sie jeden Morgen an die Arbeit. Wenn es erst geschafft ist, dann wird sich vieles ändern! Und haben sie sich sonst auf den Erfolg hauptsächlich gefreut, weil sie der Mutter damit das Leben erleichtern und sie für manches entschädigen können, jo verbinden sie setzt noch die Hoffnung damit, den Vater auf eine andere Babn zu bringen. Sie sprechen nicht miteinander darüber, sie sind beide auch selten allein, weil meistens der Vater bei ihnen ist — und doch ljaben sie stets den gleichen Gedanken. sFortsetzung folgt., Freundliche Antworten für humorige Leute Romankeser mit Geschmäckern Pfefferfresser in P. — „Kannst Du mir erklären, warum di« «in« Hälfte der Romanleser für Liebesgeschichten schwärmt, die andere aber Deketiv- und Abenteurersachen lesen will? Ich gehöre zur zweiten Gruppe und finde, daß die Zeitungen meist die erste Gruppe allein als vorhanden ansehcn." — Mein lieber Freund, Dich trügt die Perspektiv«. Du meinst, weil Du in der Gruppe der Detektiv-Begeisterten stehst, diese Gruppe bilde die Hälfte der Romanleser. Das ist ein Irrtum: sie macht nur «inen nicht allzu großen Bruchteil aus! Frage einmal «inen Buchhändler oder -Verleiher, er wir- Dir Bescheid geben, welche Sachen am meisten verlangt und gelesen werden: Bücher, die froh machen, bei denen das Herz warm wird. Und was gäbe es Erfrclkkicheres in jedem Sinn als die Liebe? Schreibe Dir einmal ein Vierteljahr lang die Filmtitel auf: Unter zehn Filmen wird kaum ein reiner Kriminalsilm s«ln! Das Publikum der Filme und Romane ist aber weitgehend dasselbe, mit keiner Kunstform des Schrifttums hat der Film mehr Sehnlichkeit als mit dem Roman. Liebe ist eben etwas Netteres als Mord und Totschlag, und die Torheit hübscher Mädchen erfreulicher als die Gerissenheit schwerer Jungen. Uebrigens protestiere ich, wenn Du neben dem Liebes- und Detektiv-Roman gar keine andere Arten des Romans aner. kennen willst. Die berühmtesten Romane deutscher Zunge sind Bildungsromane sSimplizissimus, Wilhelm Meister. Der grüne Heinrich), In denen Liebe wie Abenteuer nur Episoden sind. Endlich aber gibt es doch auch noch den humoristischen und satirischen Roman — Don Quijote, Gullivers Reisen, Gargan- tual —, zu dem wir Deutschen freilich wenig Talent haben, den wir aber doch recht gern lesen. Der Detektiv-Roman, den der Amerikaner E. A. Poe erfunden hat, Kat sich vielleicht über lebt. Ein Anzeichen dafür Ist. daß es schon Detektiv-Romane gibt sz. B. die von Frank Heller), die sich selbst karikieren. Mehr und mehr wird dem Detektiv-Roman der Tatsachenbericht und die Biographie vorgezogen. Denn von alle» Abenteuern ist da» Leben das größte. Litten oder Rosen F. P. in M. — „Sind rote Wangen unbedingt schöner al» weiße? Ich finde, rin .Bleichgesicht' kann auch sehr nett kein. Und ich glaube mich zu erinnern, daß diese Art von Schön- Hilt früher sogar sehr geschätzt war." — Lin Streit darüber, was dem einen oder anderen besser Gefällt, ist nie zu schlichten. Du hast insofern recht, al» in der nwnischcn Dreiklang, der aus der Reise keine Langeweile auf« kommcn läßt, die Seele angenehm stimmt und das Auge nicht anstrcngt, sondern ausruht. Lesen auf der Fahrt macht Spaß Hält man nur das rechte Maßt Warum so verächtlich? E. H. in I. — „Deine Bemerkung .Quark oder Quarg?' bat mich zu der Ueberlegung gebracht, warum man eigentlich das Wort »Quark' im verächtlichen Sinne gebraucht. .Das geht Lich einen Quark an' oder .um einen Quark' streiten setzt doch voraus, daß der Quark ein geringer Wert sei. Dabei ist Quark eine sehr köstliche Sache; ich wenigstens esse ihn für mein Leben gern." — Dein Lob des Quarks erfreut mein Herz. Denn seit langen Jahren beobachte ich die Regel, mindestens einmal in der Woche abends Kartosseln mit Quark zu essen. Uebrigens scheine ich da nicht allein zu stehen; cs gibt Lokale, die dieses Abendessen an bestimmten Tagen als Spezialität sühren. Quark sättigt und ist billig — diese zweite Eigenschaft ist es, aus der sich die rechte Antwort auf Deine Frage ergibt. Der Mensch ist nun einmal im allgemeinen so töricht, daß er billig gleich: wenig wert setzt. Wofür man wenig oder nichts zu bezahlen braucht, das schätzt man nicht hoch ein. Da nun der Quark wenig kostet und in den settcn Jahren vor dem Kriege noch weniger, so wurde „Quark" im alltäglichen Sprachgebrauch gleichbedeutend mit „Nichtigkeit". So wie man sich auch angcwöhnt hat zu sagen: „billig wie Brombeeren", da jeder, der des Weges kommt, sie sich pslücken kann. Dabei sind Brombeeren ein herrliches Lab sal; die Engländer machen einen feinen Schnaps daraus /„Black berry brandy") für den die gleichen Leute, die sonst „Billig wie Brombeeren!" sagten, früher viel Geld l> zahlten. Es ist kurzsichtig, die Dinge nur nach dem Geldwert zu betrachten und die Köstlichkeiten, die unser Land in üppiger Fülle besitzt, zu mißachten. Wir lernen es ja heute Gott sei Tank wieder, die Erzeugnisse des Hcimatbodens höher zu achten. Nicht schlech ter als die R'densart „Billig wie Brombeeren!" würde es zunr Beispiel klingen, wenn man künftig sagte — und man sollte so sagen: „Köstlich wie Quark!" , Auch daran war Marabu schuld . .. Mokry in O. — „Da hast Du vor einem Jahre geschrieben: Hosenträger oder Gürtel, das sei eine Frage der Haltung. E» sprach aber unverhohlen die Sympathie für den Gürtel au» Deinen Zeilen. Ich trug von da an nur noch den Gürtel. Neulich trug ich ihn sogar zum Frack bei einer Hochzeit. Mein« Frau fragte sofort, ob ich verrückt geworden fei. Ich aber vcr« traute auf Dich — und wurde auf der Hochzeit von alle» geschnitten — Daran bist nur Du schuld!" — Dein wehmutsvolles Schreiben, mein lieber Mokry, hat mich in tiefes Nachdenken versenkt. Denn wie haben es di« andern herausgekriegt, daß Du zum Frack den Gürtel trugst? Sragen hinter der Wand Tat die „schwanenweiße", „lilienweiße" Haut In der ritter lichen Dichtung des Mittelalters als Schönheitsideal gilt. Rote Gesichtsfarbe galt als „bäurisch". Aber mar das nicht schon ein überzüchtetes Ideal? Gewiß ist die Gesichtsfarbe verschieden, je nachdem, welchem Typ der einzelne angchört. Zu sckwnrzem Haar wird man ost bleiche, an Röte arme, zu hellerem Haar oft recht frisch gefärbte Gesichter antressen. Dichter haben diese beiden Arten von Gesichtern, soweit es sich um Frauen handelt — aber bei den Männern ist es nicht viel anders — mit Lilien und Rosen verglichen. So etwa der alte unverwüstliche Rudolf Baumbach: „Mädchen durste ich kosen Schlank und lilienglcich, Frauen wie volle Rosen Ueppig und anmutreich — Aber Lilien und Rosen Werden von der besiegt, Die mich als Knaben mit Kosen Hat in den Schlaf gewiegt." Das ist keine schlechte Lösung: Jeder hat sein eigenes Schön- hcitsidcal, das weitgehend von dem Bilde der eigenen Mutier, also von der eigenen Art bestimmt wird. Wir Stadtmenschcn freilich, unter denen die „Bleichgesichter" häufiger sind als cs der Natur entspricht, freuen uns immer, wenn wir ein „G'sich- terl wie Milch und Blut" sehen. Zarte weiße Haut und rosige Wangen: das ist eine Lösung Deines Problems, die auch Dir gefallen wird! Leseratten unterwegs V. Z. in M. — „Manche Mitmenschen müssen während einer Fahrt in Eisenbahn und Autobus unbedingt lesen Schadet das Lesen unter solchen Bedingungen nicht dem Auge?" — Gewiß bedeutet Lesen während einer Fahrt, die den Kör- per und damit den zu lesenden Text in schlitternder Bewegung hält, eine größere Anstrengung für das kluge als das Lesen am ruhigen Schreibtisch. Auch die Beleuchtung kann während einer Fahrt sehr viel ungünstiger fein, als sie es unter uor- malen Bedingungen ist. Trotzdem wird man von einer Schä digung wohl nur dann reden können, wenn die Lektüre :,n Uebermaß getrieben wird. Wer in Dresden in den Zug steigt, ein Buch aus der Tasche zieht und mit Lesen erst wieder aus hört, wenn der Zug in Berlin hält, wird wohl meist ein leich tes Augenflimmern spüren. Etwas anderes aber ist cs, wenn man ein Buch oder eine Zeitung bereit hält, um ab und an während der Fahrt einen Blick Hineinzuwersen. Dann wird die Lektüre geradezu -um Ruhepunkt für drs Auge, oas sich an den draußen vorüberziehenden Bildern satt gesehen hat. Eine solche Abwechslung zwischen Betrachtung der Landschaft, Lektüre und Beobachtung der Mitreisenden bildet einen har-