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Rötaer sagt weider, ob er Schritte -u ergreifen haben werd«, um sich von der Mitverantwortung für Ri«her, Ausführungen zu entlasten, darüber müsse er sich die Entscheidung Vorbehalten. Rieber antwortet dann noch einmal unterm 20. Junl. Er kommt zurück auf den mehrfach er wähnten Präsidialbaschlub und legt ihn dahin au», datz der Hacksabund Stichwahlparolen Über. Haupt nicht ausgaben könne, dab er vielmehr bet sämtlichen Stichwahlen di« Ausgabe von Parolen den bürgerlichen politischen Parteien überlassen müsse. Rötger selbst habe im Falle Usedom Wollin diesen Standpunkt al» richtig anerkannt. Darauf folgt dann da» Schreiben Rötgers, das seinen An tritt anzeigt. Dl« Ortsgruppe Leipzig de» Hansabunde» verwahrt sich in folgender Entschließung gegen den Austritt Rötgers au» dem Hansabunde: „Der Vorstand der Ortsgruppe Leipzig des Hansa- Hundes verwahrt sich entschieden gegen die Behauptung des Herrn Landrat a. D. Rötger. datz der politische Kampf gegen Rechts zum satzungsgemätzen Ziele des Hansabundes ge- macht worden sei und erblickt in dem Austrittes Herrn Rötger ein bedauerliche« Verlassen gemeinsam übernommener Arbeit und eine Unterstützung gegnerischer Bestrebungen." Deutlcher Kerztetag. Il-r. Stuttgart, 22. Juni. Im Anschluh an die Begrüßungsrede des Vor sitzenden Dr. Hartmann-Leivzig (über die wir bereits gestern berichteten), folgte der Jahresbericht des Generalsekretärs Dr. K uh ns - Leipzig. Der Mitgliederbestand betrug am 11. Mai 1811 23 788: die iür die Kassenpraxis in Betracht kommenden Aerzte sind fast sämtlich Mitglieder des Verbandes. Reben unvermerdlichen Verlusten durch Tod und Niederlef.en der Praxis sind andere Verluste nicht zu verzeichnen. Die Stellenvermittlung hat sich nach wie vor als segensreich erwiesen sowohl hinsichtlich der Assistentenfrage, als auch der Schiffs ärzte. Mit fast sämtlichen Reedereien bestehen Schiffsärzteverträge. Im letzten Jahre waren nicht soviel Kämpfe auszufechten wie früher. Seit Bestehen war der Verband an 1822 Kämpfen betei ligt, von denen nur 11 vorläufig zuungunsten der Aerzte entschieden sind. Der Antrag auf Bestellung eines Beirates fand Annahme. Die Generalversammlung des Verbandes be schäftigte sich dann weiter mit der Stellungnahme gegenüber den „Schwindelkassen". Hierüber berichtete Dr. Scholl - München. Es gäbe eine Reihe von privaten Hilfstassen, die lediglich dem Zwecke dienen, dem Vorstand gröbere Einnahmen zu verschaffen. Es werden grobe Mittel für die Propaganda und für Agenten aufgebracht, um Mit glieder anzuwerben. Wenn aber die Mitglieder Ansprüche erheben, so werden sie ihnen versagt. In den Statuten sind eine Reihe von Fall stricken, welche es dem Vorstand ermöglichen, den Leuten ihre Rechte vorzuenthalten. Der Vor tragende führt eine Reibe von krassen Fällen an. Andererseits gäbe es auch solche AUl-rlassen für Wohlhabende, die sich zusammengetan Wien, um Aerztehonorare einzusparen. An sich sei hiergegen nichts einzuwenden, dagegen muffe man Hch entschieden gegen die Schwindelkaffen wenden. Der Vorstand empfiehlt die Annahme folgender Resolution: I. Die freien Hilfskassen find geeignet, die freie Aerztepraxis immer mehr einzuschränken und die Freiheit des Aerzie st ander zu gefährden, was nicht nur nicht im Interesse der Aerzte, sondern ebensowenig in dem der Patienten gelegen ist. II. Bei den freien Hilsskaffen sind zu unterscheiden 1) De rufskrankenkaffen, das find die eigentlichen Erwerbekaffen, 2) Zuschutzkaffen, 3) private Krankenkaffen. Mit den Berufskrankenkassen sind keine einzelnen Verträge, sondern nur Tarifverträge durch den Leipziger Verband abzuschlietzen, und zwar nur für versicherungspflichtige Mitglieder dieser Kaffen. III. Bet den Zuschuhkaffen, welche keine freie ärzt liche Hilfe gewahren, können freie Abkommen getroffen werden bezüglich Honorierung. Das Prinzip der freien Aeritewah! mutz aber gewahrt werden. IV. Mit Prioatkrankenkaffen, Schwindelkassen dürfen keine Verträge betr. ärztlicher Behandlung abgeschlossen werden, die Mitglieder solcher Kaffen sind als Privatpatienten zu behandeln. Es dürfen keine Abkommen betr. ärztlicher Gutachtung durch iaaenannte Vertrauensärzte getroffen werden, es dürfen weder Aufnahmen noch Nachuntersuchungen für diese Kaffen gemacht werden. Insbesondere dürfen die Kassenscheine behufs Krankengeldan- weisung nicht ausgeflillt werden. Bestehende Ver träge und Abkommen mit solchen Kaffen sind sobald als möglich zu kündigen. — Der Antrag wurde ein stimmig angenommen. Dr. Hesselbarth-Verlin sprach sodann über den Entwurf eine» Prlvatbeamtenverficherungsgesehes. Der Entwurf enthalte eine Reihe von Bestim mungen, die es als wahrscheinlich erscheinen lassen, dab auch Aerzte als Zwanasveriicherungs- pflichtia angesehen werden, so besonders Assistenten und Schiffsärzte. Diese Kreise haben aber sehr wenig Vorteil aus der Versicherung, weil ihre Beschäftigung nur vorübergehend ist. Die von ihnen gezahlten Gelder werden daher anderen Kreisen zugute kom men; wenn sie freiwillig weiter zahlten, würden sie viel mehr zu zahlen haben, als wenn sie der Ver- ficherungslaffe der Aerzte angehörten. Der Aerztestand bat am besten Gelegenheit, zu beobachten, wie sehr die Zwangsversicherung das Verantwortlichkeitsgefühl untergräbt. Die Aerzte haben auch am meisten unter den Querulierereien der Simulanten zu leiden. Es sprechen daher auch ethische Gründe gegen den Ver sicherung» zwang. Vorläufig seien ja alle Er örterungen darüber nur Theorie und hoffentlich bleiben sie es auch. — Die Versammlung nahm ein stimmig eine Resolution an, in der es beißt, der Verband zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des Aerztestandes lehnt den Entwurf eines Prioat- beamtenversicherungsgesetzes, soweit er den ärztlichen Stand einer Zwangsversicherung unterwerfen will, aus ethischen und wirtschaftlichen Gründen ab. Bei der vorftandswahl wurde an Stelle des ausscheidenden II. Vorsitzenden Dr. Götz-Leipzig Dr. Streffer-Leipzig gewählt, ferner Göhler-Leipzig. Die anderen Mitglieder wurden wiedergewählt. In den Aussichtsrat wurden Dr. Pfeiffer-Weimar und Abg. Dr. Mugdan- Berlin wiedergewählt. n. Deutlcher Lrsuertsg- ;u Dresüen. III. l:) Dresden, 22. Juni. Der 11. Deutsche Drauertag setzte heute unter dem Vorsitz seines Ehrenvorsitzenden, des Herrn Geh. Kommerzienrats Henrich, seine Beratungen im Saale des Etablissements „Volkswohl" fort. Die Teilnahme der Fachgenoffen war diesmal eine außer- gewöhnlich starke. Zunächst sprach Herr Proieffor Dr. Lintner-München über die Bewertung der - Gerste im Hinblick auf die zu erwartende Ertraausbeute aus dem Malze. Der Redner besprach die verschiedenen Methoden der Analyse bei den Untersuchungen der Gerste und wies darauf hin, dab hierdurch auch auf die Produktion der Gerste er zieherisch gewirkt werden könne, da durch das Er gebnis der Untersuchungen diejenigen Forderungen sestgestellt werden könnten, welche das Braugewerbe an eine gute Gerste stellen müsse. An zweiter Stelle sprach HerrDr.E.Wolff, Syndikus des Verbandes der Brauereien von Frankfurt a. M. und Umgebung, über Wirtschaftliche Organisations fragen im Braugewerbe. Er hob herocr, dab der Deut sche Brauerbund eine der ältesten, wichtigsten und bedeutendsten industriellen Vereinigungen Deutsch lands sei. Die Begründung des Bundes sei mit der Gründung des Deutschen Reiches Hand in Hand ge gangen. Von der Bedeutung des Braugewerbe» lege auch die Tatsache Zeugni» ab, datz die Brau steuer in dem Etat für 1811 mit 123 482 000 ein gestellt sei. während der Ertrag des Branntweines auf 163 470 000und der des Zuckers auf 161819000 Mark reduziert worden sei. Diese Entwicklung lasse die Frage berechtigt erscheinen, ob zu befürchten sei, datz das Braugewerbe in absehbarer Zeit vor einer neuen Steuererhöhung stehen werde. Rach seiner Meinung sei an eine solche wohl nicht zu denken. Der Staat habe ein Interesse daran, datz er die Henne, die ihm die goldenen Eier lege, nicht abschlachte, und es gäbe bei den Eenutzmitieln eine Grenze in der Besteuerung, die nickt überschritten werden dürfe. Hierzu komme noch ein wichtiges politisches Moment. Die gesetzgebenden Faktoren müßten sich bewusst werden, daß «ine weitere Aus dehnung der indirekten Steuern auf immer größeren Widerstand bei der Bevölkerung stoße. Die hierüber herrschende Unzufriedenheit werde der Staat jeden- falls nicht weiter steigern wollen, da solche Gelegen heiten von der Sozialdemokratie benutzt würden, um Agitation gegen die Regierung und die herr schenden Klassen ernzuleiten. Dazu komme, daß das Bier das einzige Eenubmittel sei, welches der kleine Mann habe, und die Bürger und Arbeiter, welche nach getaner Arbeit eine Stunde am Stammtisch verbringen, seien nicht die schlechtesten Mitglieder der Staates. Es könne nicht verschwiegen werden, datz die Organe der Reaierung nicht allgemein eine gleichmäßige Stellung gegen über dem Braugewerbe einnehmen. Er verweise darauf, datz im Jahre 1908 ein Staatssekretär sich an die Spitze eine» internationaten Kongreffes gegen den Alkoholgenuß gestellt habe. Nach den Berech nungen des Herrn Geh. Regierungsrates Dr. Del brück erhielten im ganzen gegenwärtig 1250 0l)0 Personen ihren Lebensunterhalt durch die Herstellung und den Vertrieb des Bieres. Es sei deshalb schwer verständlich, da» man der Brauindustrie durch Er lasse im Eisenbahn- uno Postwegen, in den Militär kantinen usw. ihre Existenz erschwere, anstatt sich zu überzeugen, daß nur der moralische Halt dauernden Schutz gegen die Unmätzigteit bilde. Er verweise hierbei auf die Aeukerung de» Herrn Ministerial direktors Geb. Rates Dr. Rumoelt bei der Eröffnung der Internationalen Hygiene-Ausstellung. Ein freier Deutscher, der gesund an Körper und Deist sei, brauche keine Zwangshygiene, die ihm vorjchreibe. ob er ein Lla» Vier vertragen könne und wieviel er trinken dürfe. Der Redner erwähnte zum Schluffe seiner Ausführungen noch eine Reihe von Aufgaben, die der Erledigung durch die großen Brauerei verbände harren, u. a. die Etchfrage für Bierfässer und Biergläser, das Flaschenpsand, die Einheits flasche, die Konzessioniert»»« der Flaschenbierhändler, die gemeinschastltche Eisversorguna und Hefe verwertung, das Verhälini» zu den Gastwirten, die Regelung des Kreditwesens usw. Zur Erreichung dieser Ziele sei e» notwendig, datz sich alle Braue reien wirtschaftlich zusammenfchlietzen. Nach einer Mittagspause begann nachmittags 2 Uhr die dritte Sitzung des Brauertages, die von der Deutschen Brauer-Union unter der Leitung des Herrn Direktors Funke-Berlin stattfand. Den Hauptvortraa hielt hierbei Herr Geh. Regierunggrat Prof. Dr. Delbrück über das Thema: „Das Bier einst und jetzt". Es gelte beute, so führte er aus, angesichts der Internationalen Hyqiene- Ausstelluna vor der Kulturwelt Zeugnis avzulegen über das Bier. Sein Werdegang seit den Urzeiten deutscher Geschichte habe zu einer Entwicklung ge führt, die uns berechtige, da» Vier al» einen Kulturwert und einen Kulturträger zu be zeichnen. Da es sich unter den Nahrungs- und Ge- nukmitteln der Menschheit als ein unentbehrlicher Bestandteil erwiesen habe, und da es unter den al» hygienisch zu bezeichnenden Getränken, wenn man seine Werteiaenschaften und die Menge feines Ver brauches in Betracht ziehe, an erster Stelle stehe, so dürfe es als das vollkommenste und als das auf sein hygienische Geuutzmittel bezeichnet werden. Wie die öffentliche Meinung im Kampfe um den Wert der alkoholhaltigen Getränke verwirrt fei, möge die Tatsache verdeutlichen, daß es besonderer Anstrengung bedurft hab«, um dem Bier al» Genuß- mittel auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung den Platzen der Sonne zu erkämpfen, der ihm ge bühre. Man dürfe der Ausstellungsleitung Dank dafür fügen, daß sie sich freigebalten habe von Ten. denzbestrebungen und datz sie der Brauerwelt das Recht zuerkannt habe, sowohl in der wissenschaftlichen Abteilung, al, auch in der gewerblichen den Sach- verständigen aller Völker, welche in diesem Sommer in Dresden zusammenkommen werden, zu zeigen, was die Brauindustrie in wissenschaftlicher, techni scher und wirtschaftlicher Beziehung für da» deutsche Volk bedeute. Zwei der edelsten Erzeugnisse der deutschen Landwirtschaft, die Braugerste und der Hopfen, würden im Werte von jährlich 290 und 34 Millionen Mart dem Brauerei gewerbe überwiesen und von ihm abgenommen. Diese hohen wirtschaftlichen Werte würden in der Malztndustrie weiter umgestaltet, die das Braumalz in einem Werte von 350 Millionen Mark iür die Sudverarbeitung zur Verfügung stelle. Endlich konnte die Bierbereitung selbst, die, mit fast 3 Milliarden Mart arbeitend, durch Tausende und aber Tausende von Betriebsstätten und Bertriebsstellen ihr Er zeugnis in die letzten Glieder der Bevölkerung in zede einzelne Familie sende. Der Redner verwies nun aus die Dioramen der Deutschen Brauer-Union in der Nahrungsmittelhalle und auf das Brauerei laboratorium in der wissenschaftlichen Abteilung der Hygiene-Ausstellung, um dann . eigentliches Thema zuzukommen. Er beschrieb das Bier bei den alten Germanen, das Bier im Mittelalter, das untergärige Bier und das Bier der Neuzeit. Bereits im Mittelalter habe sich ein wirkliche» Brauereigewerbe mit hoher technischer Vollendung entwickelt, und zwar sei damals o»er- gäriges Vier erzeugt worden, das sich von dem Viere der Alten unterschied durch die Anwendung des Hopfens, dessen Bittere in gewisser Weis« ausge glichen worden sei durch das Malzaroma eines unter starker innerer Verzuckerung dunkel abgedarrten Mal es. Weiter beschrieb der Redner die Herstellung des Vieres in der Jetztzeit, um dann noch aus den hohen Nährwert des Bieres hinzuweisrn. Die durch die Wissenschaft vermittelte Erkenntnis sei die nie versagende sichere Führerin in der Her stellung des Bieres, doch sei da» Wesen desselben durch die mitarbeitenden Chemiker oder Biologen nicht geändert worben. Die Zetten, wo der Chemiker selbst schaffend an dem Bier« künsteln wollte, seien längst vorüber. Seine Aufgabe lei keine andere, als die des Techniker», de« Braumeister», nämlich die, den natürlichen Werdegang des Biere«, der durch Lebensvorgänge bedingt sei, zu regeln und zu kon trollieren. Er glaube nachgewiesen zu haben, daß das Bier ein wahre» hygienische» Volks getränk sei. Da» sei e» immer gewesen und werde es ferner sein, weil es ein Naturerzeugnis sei." Deutscher Runülluy. von der Landung Lindpaintner», Büchners und Nollmoeller» in Lüneburg haben wir bereits be richtet. Inzwischen ist 7 Uhr 35 Min. auch Thelen dort eingetroffen, so datz bi»her vier Flieger das Zielband von Lüneburg passiert haben. König landet« 10 Uchr 10 Min. in Lübeck, wo er einen neuen Motor rinbauen lassen und dann den Flug fortsetzen will. Al» Abschluß der Kieler Fluglage unternahm Htrth mit Kapitän v. Pu st au einen Erkundigungsflug in 970 Meter Höhe, der über den Hafen führte. Da» Ergebnt» war überraschend güt, denn es gelang dem Fluggaste Hirths, in seine Karte Anzahl, Lage und Gröhe der dort ankernden Schiffe einzuzeichnen und die Anzahl der Schornsteine und den Anstrick zu erkennen. Bet der Preisver« tetlung schnitt am erfolgreichsten Büchner ab, der gegen 19 000 Mark gewonnen hat. An zweiter Stell« steht Ltndpaintner mit über 14 000 Mark. König, der gleich den Leiden obenge- Im Klastischen Theater zu Lsuchlteüt. Die Hoffnungen, die man auf die Wiederherstellung und Erneuerung des Lauchstedter Theaters ge setzt hat, sind bisher aufs schönste in Erfüllung ge gangen. Alljährlich zur Sommerszeit finden in dem alten klassischen Theater zu Lauchstedt, das durch die Erinnerungen an Goethe und Schiller geheiligt ist, Sonderauskührungen oder, um ein heute viel miß brauchtes Wort mit Recht anzuwenden, Festspiele statt, die in jeder Beziehung, historisch, literarisch und künstlerisch, auf hoher Stufe stehen. Hatte man im vorigen Jahr das Theater der Musik zur Ver fügung gestellt und halbvergeffene italienische und deutsche Spielopern ans Licht gezogen, so veran staltete man diesmal eine Ausführung klassischer Lustspiele. Als ein bedeutsamer Fortschritt in der Entwicklung des neuen Lauchstedter Theaters ist es zu begrüßen, daß als Spielleiter Hosrat Dr. Baut Schl enther ge wonnen worden ist. Es gibt nicht viele Persönlichkeiten in Deutschland, die so wie Schlenther geeignet sind, Lauchstedts Traditionen zu pflegen und sie mit neuem Geiste zu erfüllen. Als Literaturhistoriker beherrscht er das Gebiet des Theaters mit tief eindringender wissenschaftlicher Kenntnis, als Kritiker stand er an der Spitze der modernen Bewegung und al» Direktor des Wiener Burgtheaters hat er während eines Jahrzehnts sich als Theaterpraktiker und Regisseur bewährt. Nachdem er sein Wiener Amt niedergelegt hatte und wieder zu der Tätigkeit eines kritischen Betrachters und Beurteilers der Literatur und des Theaters zurückgekehrt war, lag es nahe, daß er bald zu neuen Ausgaben berufen werden würde, die seine wertvolle Kraft forder ¬ ten. Eine solche Aufgabe war Lauchstedt, und wie er sie gelöst bat, zeigt uns, daß hier der rechte Mann am rechten Platze stebt. Was in dem feierlich-friedvollen Raume des Lauchstedter Theaters uns beschert werden soll, das mutz abweichen vom Gewöhnlichen. muß echter Kunst dienen und den hohen Zielen entgegenstreben, denen an derselben Stätte vor hundert Jahren gehuldigt wurde. Der Dramaturg, der in Lauchstedt wirkt, soll aber auch ein Entdecker sein oder wenigstens ein Wiederentdecker: vergessene Werke sollen der Mitwelt neu vorgesührt werden, für andere die man wohl kennt, aber noch nicht genügend würdigt oder ver- stekt, ein neuer Stil der Darstellung gefunden werden. Selbstverständlich, daß ein Unternehmen, da» sein, Gäste au» nah und fern zusammenladet, Musterhafte» in Spiel und Inszenierung bieten muß. Bei der Generalprobe am Donnerstag, der ich beiwohnte, war das Theater fast bis zum letzten Platz gefüllt. Die Mitglieder des Vorstandes mit ihren Familien waren anwesend, der Hallenser Groß kaufmann Geheimrat Lehmann, der großherzige Protektor de» Unternehmens, die Professoren Robert, Kern und v. Blume au» Halle, ferner ein erwar tungsvolles Publikum Hallelcher Studenten. Gegen «in geringe» Entgelt war ihnen Gelegenheit gegeben worden, die Vorstellung zu besuchen. Die Hunderte von jungen Männern, die das ganze Parkett und Parterre einnahmen, erinnerten so recht an die Goethe- zeit, in der auch die Musensöbne aus Halle und Leipzig nach Lauchstedt pilgerten. Goethe legte großen Wert aus das Studentenpublikum und war nachsichtig gegen ihr ost burschikoses Gebaren. Daß jeü^Halle in Lauchstedt dominiert, liegt daran, datz der Sitz des Lauchstedter Theatervereins Halle ist und über haupt die ganze Erneuerung des Theaters von dort ihren Ausgang genommen hat. Es wäre aber sehr wünschenswert, wenn auch die Leipziger Studenten schaft sich wieder so lebhaft für Lauchstedt interessiern würde, wie cs vor hundert Jahren der Fall gewesen ist. Die Aufführung von Kleists Lustspiel „Der zerbrochene Krug" in Lauchstedt weckt mannig- sache Erinnerungen. Daß es jetzt in Goethes Theater Stürme der Heiterkeit entfesselt und mit jubelndem Beifall ausgenommen wird, ist eine nachträgliche Rechtfertigung des Dichters und seines Werkes vor — Goethe. Denn Goethe hat diese humorvolle Dichtung nicht gemocht, und wenn er sie auch im Jahre 18ü2 auf dem Weimarer Hofthealer zur Aufführung brachte, so wurde doch der schwere Fehler gemocht, das einaktige Stück in drei Akte zu teilen und so den eng zu sammenhängenden Gang der Handlung empfindlich auseinander zu ziehen. Es siel damals unter Zischen und Lärmen durch! Dennoch hatte Goethe das Werk nicht etwa verkannt, denn er meinle, daß es „außerordentliche Verdienste" habe, und „die ganze Darstellung sich mit gewaltiger Gegen wart" aufdränge. Daß diese Verdienste durch die Ausführung nicht sinnfällig gemacht wurden, liegt eben daran, daß die intuitive Erkenntnis von dem Wert eines Bühnenwerkes und die praktische Be arbeitung für das Theater, die eigentliche höchste Rcgtetütigleit, zweierlei sind. So wurde denn eine Ehrenschuld abgetragen, indem „Der zerbrochene Krug" in dieser histo rischen Lustspiel-Vorstellung in Lauchstedt auf geführt wurde. Die Regie führte, wohl ge meinsam mit Schlenther, der Hosschausvieler Hugo Thimig aus Wien, der dem Burg theater seit 37 Jahren angehört und längst sich eines wohlverdienten Ruhmes erfreut. Die Auskühlung war ein Triumph realistischer Darstellungskunst. Der Gehalt de» Werkes kam zu starkem, lebensvollem Ausdruck, und die Aufführung strotzte gewissermaßen von saftiger Lebenskraft.' Im Mittelpunkt stand Thimig selbst al» Dorfrichter Adam. Seine Dar stellung war von ursprünglicher komischer Kraft, aber über der Komik stand ihm die Charakteristik: sein Adam war ein Lüdrian, ein Sünder, der sein, Strafe verdient hat. aber dabei ein lustiger Sünder und so drolliger Kauz, daß man ihm nicht böse werden konnte. Den schwierigen Text behandelte Thimig mit großer Leichtigkeit, wie denn das gute Sprechen eine der besten Traditionen des Burgtheaters ist. Eine Tochter Thimig», die vom Kgl. Schausvielhaus in Berlin kommt, gab die Eva recht mädchenhaft und einfach und sah dabei wie eine echte Holländerin aus. Sie wuchs mit ihrer Rolle und steigerte sie schließlich, als sie Adam direkt bezichtigte, zu einer tiefgehenden Wirkung. Als Frau Marthe Rull lernten wir die sehr originelle Tiny Senders vom Burgtheater kennen. Sie war von groteskem An sehen, bäuerisch plump und derb, leidenschaftlich in der Betonung von Recht und Ehre und eure durch aus volkstümliche Gestalt. Nicht so leicht wie den andern wird ihr die Verssprache. Den Gerichtsrat gab Paul Paschen vom Reuen Schauspielhaus in Berlin und wußte durch seine auch körperlich über ragende Persönlichkeit die ganze Dorsgeiellschaft zu dominieren: mit ruhiger Milde, aber fest und be stimmt stand er inmitten des tobenden Aufruhrs. In der überaus temperamentvollen Auf- sühruiig wirkten mit frischen Leistunaen ferner die Damen Kupfer, Rohr und Voß und die Herren Walter als alglatter Schreiber, Gebühr als arg gekränkter Rupprecht und der alte Pauli als dessen Vater mit. Große dekorative Kunst war auf das Heim des Dorfrichter» verwendet worden, das den unordentlichen Sinn des wüsten Bewohners widerspiegelte und ein köstliches nieder ländisches Interieur wiedergad. Um Ludwig Holberg, den dänischen Dichter, hat sich Schlenther schon früher dankenswert bemüht, indem er mir Hoffory zusammen Holbergs Werke herausgab. Holderg lebte von 1684-1754, sein „Erasmus Montanus" erschien 1731 zuerst in Druck, kann also jetzt auf das ehrwürdige Alter von 180 Jahren zurückblicken. Von unsern klassischen Dichtern wurde dieser Däne verehrt, aber er hat niemals auf der deutschen Bühne Fuß fassen können. In Dänemark sind seine Stücke ständig auf dem Revertoire, während in Deutschland der „Erasmus Montanus" wohl zum letzten Riale von Schröder geivielt wurde. Und doch lohnt es sich sehr, wie die Lauchstedter Aufführung zeigte, diesen humor- und witzreichen Autor, diesen gemütvollen und warm herzigen Dichter kennen zu lernen. In Erasmus Montanus, der eigentlich Rasmus Berg heißt, aber feinen Namen latinisiert hat, lernen wir einen Bauernstudenten kennen. Dieser Typus ist ja eigent lich bei uns fremd, aber wenn unr näher zusehen, ist er uns doch auch bekannt: Rasmus kommt vom Dorf in die Stadt, nimmt Bildung an, studiert, er götzt sich an Geistesspielereicn und der Gesellschaft gleichgesinnter Kommilitonen: aufs Dorf zurückge kehrt, paßt er nicht mehr in das Milieu, also ein ganz moderner Vorwurf, und das ist der tiefste Grund all' der lustigen Episoden des Stückes. Seine größte Freude ist es zu disputieren — was uns zu nächst gleichsall» antiquiert erscheint; aber die dok trinären Theoretiker, die das Wort über die Tat setzen und das praktische Lehen vergessen, sind auch heute noch Lustspielfiguren. Man muß sich nur in die eigene Welt dieses Stoffes einleben und man wird auch bei Holberg bald heimisch werden. Und zwischen all den Wortspielen und lustigen Disputa tionen spricht doch immer ein gütiger, warmherziger Mensch zu un»: da tritt ein liebes, bescheidenes Elternpaar auf, eine treue, verliebte Braut, und manche« tiefgefühlt« Tränletn wird vergossen. Schließlich muß der stolze Geist Era»mi Montani vor der rauhen Wirklichkeit kapitulieren; er muß, um von dem Werbeoffizier freizukommen und das Bräutchen heiraten zu können, zugeben, daß die Erde flach wie ein Eierkuchen ist und nicht rund, wie er vorher behauptet hatte. Aber wir scheiden von dem bäurischen Geisteshelden mit dem Gefühl, daß er in seinem Herzen dennoch dentt: „Und sie ist doch rund.' Auch dieses Stück, wenn e» auch nicht so fort reißend wirkte, wie der „Zerbrochene Krug", wurde sehr belacht und erweckte das beisallsfrohe Trampeln der Studenten. Das Ganze spielt sich vor dem Bauernhaus der Familie Berg ab, und die Dekora tion war ebenso malerisch, wie im ersten Stück (Prof. Lefler'. Die Regie führte Dr. Paul Schlenther, der da» jünfaktige Lustspiel in drei Akte zusammen- aezogen und notwendige Streichungen vorgenommen hatte. Im übrigen sorgte er für einen raschen, tem peramentvollen Verlauf des Spiels. Erasmus Mon tanus wurde von Erich Walter vom Burgtheater gegeben, der die schwierig«, ziemlich rhetorische Kraft und Leichtigkeit erfordernde Rolle lebensvoll dar stellte. Besonders ist hervorzuheben, daß dieser Erasmus an sich glaubte, daß er nie an seiner Bedeutung und Mission irre wird, wodurch wir mitten in der Komödie einen fernen Klaira der Tragödie vernehmen. Dabei ließ der Künstler dem Montanus doch das Jungenhafte und Unreife, so daß wir ihm seine Dummheiten immer verzeihen müssen. Ein rührendes Paar waren die Eltern des Montanus, Paul Pauli vom Lessing theater und Tiny Sender», mit ihrem Eltern herzen voll Güte, Liebe, Schmerz und Verzeihen. Paul Paschen war der richtige Großbauer und nuancierte die Rolle durch seinen ländlich anmuten den, holsteinischen Dialekt. Margarete Kupfer vom Deutschen Theater al« seine Frau war recht komisch im Aussehen und Sprechen, während Helene Thimig wieder die Braut spielte und dabei von lieb lich-gesunder Anmut war. Noch ein Thimig spielte mit. nämlich der Sohn Hermann vom Meininger Hof theater, der als Bruder des Erasmus einen munteren Bauernburschen gab. Ein starkes komisches Talent ist Jacob Tiedtke vom Deutschen Theater, der den Küster sehr ergötzlich spielte, während ferner noch Krüger als Vogt, Gebühr als Werbeosfizier und Rupprecht als Korporal ihr Bestes taten. Ob mit dieser Aufführung Holberg für die deutsche Bühne gewonnen sein wird? Man versuche es nur auf den deutschen Theatern, dem Lauchstedter Beispiel zu folgen: sein lachlustiges, dankbares Publi kum wird der „Erasmus Montanus" immer finden. Das Theater leert sich, und gern verweilen wir noch in diesem stillen weltfernen Ort mit seinen großen Erinnerungen. Al« wir zum Bahnhof gingen, da wanderte vor uns her ein Trupp froher Studenten, und sie sangen am schönen friedlichen Abend ein herz haftes Volkslied. Es war wie ehemals in Schillers und Goethes Tagen, nur daß die Wanderknaben jetzt in den Personenzug steigen! Dankbaren Herzens scheiden wir von Lauchstedt, das eine un» allen teure Vergangenheit mit der lebendigen Gegenwart verbindet. Dr. I-uävig dtetitwdeim.