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* Vehsrsa» «d« Acht«««? Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! An dieses antiquierte Ge bot für Staatsbürger wird man von Zeit zu Zeit gemahnt. Natürlich mutz es eine Obrigkeit geben. Gewiß, und wenn nötige sogar eine energische. Diese Obrigkeit mutz auch di« Gesetze zur Ausführung bringen, denen sich jeder fügen muh und jeder Ver ständige auch fügen wird. Aber nicht nötig ist es. im Zeitalter der Selbstverwaltung in Staat und Ge meinde ein „Untertanen-- und ..Vorgesetzten"-Der. hältnis zwischen Staatsbehörden und Bürger zu be tonen oder zu schaffen. In einer öffentlichen Be kanntmachung einer Amtshauptmannschaft über die Bekämpfung der Blutlaus und der Raupen werden am Schlüsse die Herren Eemeindeoorstände und Guts vorsteher angewiesen, die Beteiligten bei „fortge setztem Ungehorsam* (nämlich in bezug aus die Vertilgung der schädlichen Insekten) sofort anzuzeigen. Es mutet doch mindestens komisch an, in dieser öffentlichen Bekanntmachung an den unbedingten, schuldigen, allgemeinen Gehorsam der Kgl. Amts- hauptmannjchast gegenüber erinnert zu werden. So befiehlt ein Machthaber seinem Untergebenen. Gegen ein Verlangen der „Beachtung" der behördlichen Vor schriften wird wohl niemand etwas einzuwenoen Haden, aber datz der an der Verwaltung des Staates mehr oder weniger selbst mitbeteiligte „Staats bürger" (nicht Untertan) sich „fortgesetzren Ge horsams" der hohen Amtshauptmannschoft gegen über befleißigen müsse, dürste einigen Wider>pcuch Hervorrufen. An und für sich ist ja dieseBckanntmachu> g völlig unbedeutend und unwichtig, aber die Sache ist „typisch". Einem von den veränderten Verhältnissen in der Bewertung der Staatsbürger durchdrungenen, sagen wir, einem auch nur etwas „liberal" oder modern angehauchten Beamten dürste, man sollte cs wohl meinen, der Satz vom „fortgesetzten Ungehor sam" wenig geeignet erscheinen, in erner ösfentlickcn Bekanntmachung als Denkmal der guten staatlichen Disziplin zu prangen. * Der Sächsische Lehrerverei« hat sich in seiner letzten Sitzung wiederum mit der Frage der Schulgesetzreform beschäftigt und beschlossen, die noch unerledigten Punkte hierzu der nächsten Vertretcrversammlung zu überweilen. Es sind dies die Memoricrstofffrage, die Frage der Selbst- Verwaltung, die Angelegenheit der Arbeitsschule und innerer Selbstverwaltung, die Anstellunge- und Rechtsverhältnisse der Lehrer, die Fürsorge für Schwachsinnige, das 7. Seminarjahr, hygienische For derungen und Schulstrafen. Für die Hauptversamm- lung des Deutschen Lehrervereins entsendet der Säch sische Lehrerverein 47 Mitglieder nach Straßburg, von denen 29 zugleich Mitglieder des Gesamtvorstandes im Deutschen Lehrervereine sind. * Zur Privatbeamtenbewegung. Dom „Verband Deutscher Bureau-Beamten (Sitz Leipzig) wird uns geschrieben: „Zn der Sonnabendstühnummer des Leipziger Tageblattes (26. Februar 1910) ist an erster Stelle ein Aufsatz „Neue Strömungen in der Privat beamtenbewegung" erschienen, der sich gegen das Vorgehen der sog. „Freien Vereinigung für die soziale Pensionsversicherung" in der jüngsten Ver gangenheit wendet. Wir sind mit der Tendenz des Aufsatzes zwar einverstanden; um jedoch Mißver ständnissen vorzubeugen, möchten wir bemerken, datz die darin angegebene Zusammensetzung der Freien Vereinigung nicht ganz zutreffend ist. Es ist dort ge sagt, daß unter anderen auch die Bureaubeamten zu der dissentisrenden, im Gegensatz zum Hauptausschusse stehenden Gruppe gehören. Das ist insofern nicht richtig, als von den bestehenden Bureaubeamten- organisationen nur der sozialdemokratische, der Eene- ralkommission der freien Gewerkschaften angeschlossene ..^verband der Bureauangestellten und der Verwal tungsbeamten der Krankenkassen üsw. Deutschlands" (Berlin) dazu gehört (Mitglieder dieses Verbandes und hauptsächlich Krantenkassenbeamte), während die übrigen und darunter namentlich der „Der- band Deutscher Bureaubeamten" (Leipzig) dem Hauptausfchuß angeschlossen sind. Der „Verband Deutscher Bureaubeamten" stand allerdings von An fang an aus dem Standpunkt, daß der Ausbau der bestehenden Alters- und Invalidenversicherung das beste sei, gehörte also der Minderheit des Hauptaus schusses an. Um aber die Arbeit des Hauptaueschusses nicht zu beeinträchtigen, hat der Verband sich mit einer Reihe anderer Verbände dem Votum der Majorität gefügt. Wir bedauern daher auch den jetzigen Versuch des Hauptausschusses, einen Keil in die Privatbeamtenbewegung zu treiben, auf's leb- Hafteste. Weniger denn je dürfen sich die Privat beamten gerade jetzt den Luxus einer Spaltung im eigenen Lager leisten; vielmehr müßte die Notwen- * Tschirschkv und Aehrentbal. Die böswillige Notiz des „Echo de Paris" über Graf Aehrenthals Verlangen, den deutschen Botschafter in Wien abzu berufen, ist bereits im offiziösen „Wiener Fremden blatt" widerrufen worden. Dasselbe tut nun auch die „Nordd. AUg. Ztg.": „Eine Meldung des „Echo de Paris", wonach Graf Aehrentbal bet seinem Be such in Berlin die Abberufung des deutschen Bot schafters von Tschirschky durchgesetzt habe, dessen Nachfolger Staatssekretär Freiherr von Schoen sein werde, rst in der deutschen Presse mit Reckt ange zweifelt worden. Wir stellen fest, daß die Angaben des „Echo de Paris" ebenso frei erfunden sind wie alle Gerüchte über eine angebliche Verstimmung zwischen dem deutschen Botschafter in Wien und dem österreichisch-ungarischen Minister des Aeußern. digkett innerer Geschlossenheit von allen denkenden Elementen innerhalb des Berufsstandes in der nach drücklichsten Weise betont und danach gehandelt werden." * Di« nationalliberalen Vereine im 28. sächsischen Wahlkreise (Plauen) hielten am Sonntag in Oels- nitz i. V. ihre Wahlkreistagung ad. Aus dem er statteten Geschäftsbericht geht hervor, datz die Vereine folgende Mitgliederzahlen aufweisen: Adorf 617, Bad-Elster 54, Herlasarün 58, Klingenthal 118. Markneukirchen 52, Oelsnitz 87, Plauen Stadt 585 und Schöneck 56. Seminaroberlehrer Baumgärtel - Plauen referierte dann Uber die Lage im Reich. Im Anschluß an dieses Referat wurde eine Resolution angenommen, die die Stellung der nationalliberalen Reichstagsfraltion zur Frage der Privatbeamtenver sicherung billigte. Weiter besprach Postsckretär Rausch-Plauen die Lage in Sachsen. Nach diesem zweiten Referat wurden folgende zwei Reso lutionenangenommen. 1. „DieWahlkreistagung spricht der nationalliberalen Landtagsfraktion ihre volle Anerkennung aus für ihre zielbewusste Haltung in allen Fragen unserer Landespolitik. Im besonderen stimmt sie dem Vorgehen der Fraktion in der Frage der Reform der Ersten Kammer vollauf zu und betont, daß auch der Industrie das Recht zugestanden werden mutz, ihre in die Erste Kammer zu entsendenden Vertreter selbst zu wählen, wie dies bei der Landwirtschaft der Fall ist. Wenn sich in Sachsen die innerpolitische Lage zu einem Konflikt zwischen dem in der Zweiten Kammer ausschlaggebenden Liberalismus und der Negierung zugespitzt hat, so ist die Schuld daran einzig und allein der Regierung zuzuschreiben, die die nationalliberale Fraktion in die Oppo sition geradezu hineingedrängt hat. Gleichwohl empfindet dre Versammlung Genugtuung dar über, daß der Führer der nationalliberalen Fraktion, Abg. Hettner, zum Ausdruck gebracht hat, daß es die nationalliberale Partei an der posi tiven Mitarbeit in den dem Landtag vorliegenden Fragen nicht fehlen lassen wird, getreu ihrem Grund satz, allezeit das Wohl der Gesamtheit über das Interesse der Partei zu stellen. Möge diese Mit arbeit auch weiterhin getragen sein von einem wahr haften Liberalismus zum Wohle und zur gedeihlichen Entwicklung unseres sächsischen Volkes und seines Vaterlandes." — 2. ,,Die Wahlkreistagung erwartet von der am 6. März in Chemnitz stattfindenden Landesausschutzsitzung, daß sie dafür Sorge trägt, datz so bald als möglich Stellung genommen wird zu den einschneidenden Richtlinien, die dem zu erwartenden neuen Dolksschulgesetz seitens der Partei und der Landtagsfraktion zugrunde zu legen find." — Da der bisherige Obmann ves Wahlkreises Stadtrat Eroser - Plauen aus Gesundheitsrücksichten sein Amt niederleate, wurde an seiner Stelle Fabrik besitzer Friedrich Uebel-Plauen gewählt. * 2m Vaterländischen Verein zu Liebertwolkwitz sprach am Montagabend Redakteur Dr. Günther- Leipzig über „Die Entwickelung des deutschen Wirt schaftslebens im IS. Jahrhundert". Redner begann mit der Schilderung der Zustände vor der Bauern befreiung, skizzerte dann die Entstehung des Zoll vereins und ging dann näher auf das Zeitalter der freien Unternehmung ein, das durch die Errungen schaften auf den Gebieten der Technik, der Chemie und des Verkehrs zu seiner hohen Blüte gelangt sei Endlich schilderte er den Uebergang von der Volks wirtschaft zur Weltwirtschaft, den wir seit der Reichs gründung erlebt haben, und besprach die Konsequenzen, die sich aus dieser Entwickelung ergeben haben. Der Vortrag fand lebhaften Beifall. * Freisinnige Versammlung. Eine gutbesuchte Versammlung veranstaltete dre Freisinnige Volks partei in Mockritz-Zetznitz bei Döbeln, einer Hochburg des Bundes der Landwirte. Parteisekretär Hofmann-Leipzig sprach über „Bürger und Staat". Der Vortrag fand starken Beifall. * Kein Generalstreik zugunsten der preußischen Wahlrechtsreform. Der „Schles. Ztg." zufolge haben sich die bayrischen, sächsischen und württembergiscken Sozialdemokraten dahin ausgesprochen, datz für die Erringung eines preußischen Wahlrechts absolut keine Stimmung für einen Generalstreik resp. Solidaritätsstreik wäre. — Das wird den preußischen Genossen sehr fatal sein. * Vereinsverband akad. geb. Lehrer Deutschland». Wir haben vor einigen Wochen auf die 8. Tagung des Vereinsverbandes akad. geb. Lehrer Deutschlands, die vom 29.—31. März in Magdeburg stattfinden soll, hin gewiesen und die Tagesordnung der am 30. abzuhal lenden Hauptversammlung mitgeteilt. Da in der Vorversammlung, die dieser am gleichen Tage voraus geht, ebenfalls Fragen von allgemeiner Bedeutung verhandelt werden, bringen wir an dieser Stelle deren Tagesordnung: 1) „Bericht über die Weitervcrsolgung der Vorschläge des Herrn Rektor Dr. Schaarschmidt aus Chemnitz hinsichtlich der freieren Gestaltung des Unterrichts und der Erziehung auf der Oberstufe." Berichterstatter: Studienrat Prof. o. Brause- Leipzig. 2) „Die Zensurenfragc." Berichterstatter: Direktor Dr. Eüldner-Magdebura. 3) „Die Schluß prüfung an Nichtvollanstalten. Berichterstatter: Prof. Dr. Feyerabend-Cöthen. 4) „Ueber Erleichte rung der Verwaltung und Leitung großer Anstalten." Berichterstatter: Studienrat Rektor Baur-München. 5) „Ueber die Zulassung von Frauen zur Leitung höherer Lehranstalten." Berichterstatter: Direktor Dr. Lenschau-Charlottcnburg. Bei der Wichtigkeit, die die höhere Schule für unser Staats- und Volks leben besitzt, darf diese Versammlung ihrer Leiter und Lehrer sowie vor allem ihre auf das Wohl der Schule gerichteten Beratungen allgemeiner Beachtung sicher sein. » Eine Schlappe des Bundes der Landwirte. In der ,,Welt am Montag" wird aus dem Kreise Neu stettin in Hinterpommcrn berichtet: In Grünewald, einer weltentlegenen Ortschaft Hinterpommerns, fand eine Agitationsversammlung des Bundes der Land wirte statt. Als die Versammlung eröffnet werden sollte, räumten die Anwesenden demonstrativ den Saal, trotz allen Winkens der Gutsbesitzer, die aus der ganzen Umgegend erschienen waren, um durch ihre Anwesenheit der Versammlung das nötige Relief zu geben. Obwohl sie gestikulierend die den Saal Ver lassenden zurückzuhalten suchten, blieben sie mit ihren Kutschern und den vier Wänden allein. Selbst die Tagelöhner der Gutsbesitzer schlossen sich der bäuer lichen Bevölkerung an. * Das Ergebnis der Hamburger Bürgerschafts wahlen. Bei den Notabelwahlen, dem letzten der drei Wahlgänge zur Halbschicht,gen Erneuerung der Bürgerschaft, erhielten dre Rechte zwölf, das linke Zentrum vier, die Linke zwei, die Vereinigten Liberalen zwei Sitze. Die neue Bürgerschaft setzt sich nunmehr wie folgt zusammen: Rechte 38 (bisher 43), Linkes Zentrum 35 (bisher 37), Linke 37 (bisher 35), Vereinigte Liberale 29 (bisher 23), Sozialdemokraten 20 (bisher 21). Fraktionslos 1 (bisher 1). * Ausbau der Selbstverwaltung in Sachsen- Weimar. Eine in das Verwaltungsleben des Groß herzogtums Sachsen-Weimar tief einschneidende Ge setzesänderung ist, wie im weimarischen Landtage vom Negierungsvertreter Geheimen Staatsrat Dr. Paulhen bekannt gegeben wurde, ihrem Abschluß nahe. Nach diesem Gesetz werden alle größeren Städte des Großherzogtums dem Verwaltungsbereich der Bezirksdirektionen entzogen und dem Staats ministerium direkt unterstellt werden. Damit wird ein langjähriger Wunsch der Städte erfüllt. Suslayü. . Deverreich-llngsrn. * Im Abgeordnetenhaus begann gestern die erste Lesung des Budgets 1910. Der Abgeordnete Beer (Soz.) verlangte endliche Abkehr von der die ge samte Volkswirtschaft schädigenden bisherigen Zoll- und Handelspolitik und trat für rasche sten Abschluß der Handelsverträge mit Serbien und den anderen Balkanstaaten ein. 2m weiteren Verlaufe der Sitzung wendet sich Abg. Sylvester dagegen, daß von „Regierungsdeutschen" ge sprochen werde, die Regierung sei ohne Zutun der Deutschen ins Leben gerufen worden. Die Deutschen hätten die Regierung auch nur dort unterstützt, wo sie es für sachlich berechtigt erachtet hätten. Insbesondere durch die Ereignisse der letzten Zeit seien die Deutschen von der Regierung weiter abgerückt. Die Zusammenschließung der nationalen Parteien habe auch die Deutschen Zenlens Sennre. Von Walter Behrend. Johannes B. Jensen, der Däne, ist jetzt ziemlich bei uns eingebürgert worden. Schon liegt eine Reihe seiner gewaltigen Dichtungen, in denen die neuen Welten, die Welten des Ostens, unerhört aus strahlen, in glänzenden Uebersetzungen vor. Wir haben „Madame d'Ora" und „Das Rad", seine großen Romane, in denen ein Seherblick schon die Zukunft umspannt. Amerika breitet sich in ihnen wie in einem schimmernden Weltenspiegel sinnbetäu bend aus, in einer Pracht von ehernen, unvergäng lichen Bildern, in die man beim Lesen tief und tiefer versinkt. Es ist der Ruf der großen, der taumeln den Fernen selbst, der wild und selig lockend aus diesen intensiven Visionen klingt, die einem unver gleichlichen Temperament entstiegen. Eine macht volle Kunst hat sie geformt. In kühnen, neuen Wort gewändern wandern die Ahnungen von einem neuen, ganz neuen Menschenwert prophetisch aus den funkelnden und donnernden Zeilenkatarakten dieser imposanten Prosaschöpiungen hervor, die an Walt Whitmans schallende Weltrhythmen erinnern. Nach Balzac, der allerdings in einer ganz anderen Sphäre stand, ist Johannes D. Jensen wohl der gigantischste Epiker der modernen Menschheit. Er steht an keinem präzisen Anfang, an keinem deutlichen Ausgang; es gibt heute für den Künstler keine Epoche einzuleiten, nicht die Stimmung vom Ende eines vollendeten kulturellen Zeitabschnitte» auf den Beginn des nächsten zu übertragen: wir stehen vielmehr mitten in einem neuen Werden, und in den Werken Jensens kommt die moderne Weltstimmung, jenes siegreich nach hundertfachen Zielen strebende Bewußtsein, das Bewußtsein der Befreiung und der intellektuellen Eroberungen, hinreißend zum Durchbruch. In ihnen wird sie wie kaum je vorher künstlerischer Nieder schlag. Hell und hoffnungsfroh leuchtet di« große Entwicklungsidee durch fein monumentales Oeuvre. Ich denke mir Johannes V. Jensen al» einen echten Nordlandsmenschen. Groh, stark, blond, blau äugig. Er ist «in Kerl, der Fauste hat. ein Phä nomen, da» Europa überraschte. Seine Kunst bringt absolut neue Formen, ungeahnte Klänge des Satz rhythmus, ungeahnte Farben der Stilwenduna, des Ausdrucks. Dieser Künstler ist ein Weltwanderrr, «in echter Kosmopolit. Er ist vollkommen traditions los, der junge Mensch, der die Stimmung des jungen Kontinent», die Sensation Amerika, restlos in sich ausgenommen «nd alle Hemmnngen der Vergangen heit von sich abgeschüttelt hat. Strahlend hängt die Zukunftssonne über seinem lichten Barbarenscheitel. Nehmt seine „Madame d'Ora" oder jein „Rad" zur Hand, und euch wird New Pork und Chicago suggeriert. Stockenden Atems geht ihr durch die „donnernden Wätder der Zivilisation von Stein und Eisen", in die der epische Wanderer aus den Wald träumen Hinterindiens von seiner nordischen Sehn sucht, die ihn rastlos macht, zurückgetrieben wurde. Eine elementare Kraft schleudert eure Phantasie durch die rauschenden Riesenstädte des Ozeans. New Porr! Zn den blendend zuiamwenlaufenden Re flexen der Dichtung bricht sich noch einmal all der ungeheure Glanz der fabelnden Weltstadt selbst. Die weißen Wolkenkratzer klettern funkelnd wie schlanke, symmetrische Schneeberge in den blauen Himmel hinauf. Das „tiefe Mahlgetöse" der Stadt tönt zum zwölften Stockwerk empor. Wie Riesenschlangen der Urzeit, die weiße Dampfwolken auszischen, rasen die I--Züge in wütender, ratternder Schnelligkeit hoch droben zwischen den Lichtermeeren der Häusere aa.n dahin. Und unter ihnen wie schwarzer Wellenschlag das grausame, rastlos summende Tohuwabohu von Abercausenden von hetzenden und gehetzt werdenden Menschenschicksalen. Drunten auf dem Fluß heulen die Dampfer auf, wie harpunierte Untiere, während über dem endlofen Häuserchaos, oim unablässigen, bald zunehmenden, bald verhallenden Brodeln dann plötzlich die Brooklynbriicke hängt, deren glänzende Eisenkorstruktion aus weißen Ballen von Fieber dampf hervorblitzt. Ein Wundergebild. Dunkel dröhnt die Luft. „Waggons und Straßenbahnen lie fen durch das Gitterwcck da oben wie Schiffchen in einem Gewebe. Je mehr man hinaufsah, um so mehr verstand man von ihren großen Tönen; man unter schied trabende Pferde dort oben. Die Brücke sprach oder sang wie ein Eisgletscher, der vom Berge hinab gleitet, cebend, und sie selber hing schlummernd tm Sonnennebel." Tas ist das Amerika Johannes V. Jensens, dessen Visionen wie ein unübersehbares, leuchtendes Ge triebe von rhythmisch donnernden und wirbelnden Riesenstahlmaschinen sind. Vom betäubenden Lärm des ganzen Zeitalters hallen seine Romane widcr. Da» technische Problem, das Problem unserer Zeit, entwirrt und verbildlicht sick in diesen imponieren den Kunstwerken, die es in eines seiner eigentlichen, uns „erhabener" dünkenden Gegenteile transpo nieren: ins Symbolische. Jensen ist der Meunier der Literatur. Er ist ein verzückter Optimist, er füllt vom heiligsten Glauben an die Größe der Gegen wart. Sie ist seine Religion, seine barbarische Ekstase. Und so schöpft er aus dem technischen Zeit alter, das wie ein wild bewegtes, sich höher und immer höher emporringendes Meer ist, die tiefe, dunkle Seele hervor, die immer unter der Macht wuchtiger, großartig-brutaler Oberflächen ruht und die nur ein unreifer, törichter, historischer Idealis mus abzuleugnen versucht. Der Däne ist ein Fana tiker der Aera der sozialen Kraftresultate und der andauernden ideellen Revolutionen, der Aera der bohrendsten Analyse und der universalsten Synthese. Keine Zeit vorher ist von >o unendlich viel Sonnen licht überschüttet worden, das trunken, freudig und ruhelos-sehnsüchtig macht und zu unendlicher Arbeit erwärmt. Auf der einen Seite ist Jensen derart der typische große, der ausgeprägte Mensch und Verkünder des Zeitalters der Maschinen und der Elektrizität, der adäquate Künstler der Zngenieurcpocke. Auf der anderen fühlt und weiß er, daß unter der Oberschicht höchster Jntellektualität auch im modernen Menschen noch dumpfe Triebhaftigkeit liegt, das glühende Heer der primitiven Leidenschaften. Wie verborgenes Feuer in tiefsten Erdschächten, die unheimlich sind. Und leicht können sie aus dem Unbewußtsein hervor brechen durch die dünne Epidermis der Zivilisation. Jensens Geist bestrahlt die Entwickelungsstufe der Gegenwart in ihrer ganzen Ausdehnung. In gewissen Momenten legt seine unbändige Kraft jedoch die ge samte Evolution auf einen einzigen Punkt zusammen, indem er zugleich Schlaglichter auf den Menschen der Steinzeit wirft. Aus diesem schwindelhaften Gesichts winkel der Genesis läßt uns sein Eefamtwerk blicken, wenn die Welt seiner Ideen und Gestalten wie eine Serie von grandiosen Kinematographenbildern an uns vorüberrollt. Auch die Urzeit regte sich choatisch und gewaltig und doch wieder der höchsten Ordnung voll. Nicht wie zufällig hörte der Dichter z. B. den Etsgletschergesang der Brooklynbrücke, dieses Wunder werkes der Moderne. In der Vorrede zu seinen neuesten Erzählungen, den „Exotischen Novellen", die dem Leser hier nahe gerückt werden sollen, sagt der große Däne in derselben Idee: „In diesen Novellen habe ich versucht, jenseits von Zeit und Raum zu dichten: im Reick des Unbe wußten und der Einfalt. Tropisch, primitiv ist immer die Liebe. Die Menschen in diesem Buch folgen nur ihrem Blut, werden von demselben Urtriebe ge drängt, der mich nach dem Osten zu pilaern zwang. Im Elementaren sind wir uns begegnet. Der Heiß- Himmel dieser Novellen loht von Abenteuern, ist oft durchzuckt von ocn Blitzen eines wilden Urwald humors, kannibalischen Lichtern der Groteske, die aber unabsichtlich erscheint' denn so wie Jensen den Stoff empfindet, springen sie von selbst au» ihm hervor. veranlaßt, sich auf einer nationalen Grund lage zusammenzuschließen. — Der tschechische Abge ordnete Baxa kritisierte das gegenwärtige Regre- rungssystem. Die Beseitigung des jetzigen slawen feindlichen Regimes sei das Losungswort aller slawischen Parteien. Es gehe nicht an, daß im Haufe des allgemeinen Wahlrecht» die Majorität der Ministerbank von Deutschen gebildet werde. Hierauf wurde di« Verhandlung abgebrochen und das Haus verhandelte über Dringlichkeitsanträge. » Der neue ungarische Unterrichtsminister. Wie das Ungarische Telegraphen-Korrespondenz-Bureau aus Wien meldet, erfolgte in der gestrigen Audienz des Ministerpräsidenten Grafen Khuen Heder- vary beim Kaiser die Ernennung des Grafen Jo hann Zichy zum Unterricht», und Kultus- m i n i st e r. Frankreich. * Die lleberwachung der Rhcingrenze durch Luft ballons. Professor Painleve teilt in der „France Militaire" mit, daß der Militärausschuß der natio nalen Luftschiffnhrtsliga mehrere Sitzungen abge- halten Hube, in denen General de la Croix seine Ansichten über die Verwendung von Lenkbal lons zu Kriegszwecken dargelegt habe. Der General ging von dem Grundsätze aus, daß vor allem die ganze Rheingegend zuüberwachen sei. Sie soll in drei Abschnitte eingeteilt werden: der erste zwischen Maas und Moselin der Richtung von Köln, der zweite zwischen Riosel und Rhein in der Richtung von Straßburg und der dritte die Gegend zwischen Straßburg und Basel. Die zur lleberwachung verwendeten Lenkballons würden einen Flugranon von etwa 300 I<m haben. Die Taktik hänge mit der Ausrüstungsfrage zusammen, die gegenwärtig studiert werde. So würden das Luft torpedoboot und verschiedene andere Erfin dungen geprüft. Die Aeroplane sollen mit einem lorpcdobootartigcn Geschoß ausgerüstet werden und gewissermaßen die Rolle der Torpedoboote in der Luftschisslotte spielen. * Die Verbilligung de» Briesportos. Die Kamme» bat die von dem früheren Handelsminister oorge- schlagene Herabsetzung des Briefportos angenommen. Soweit diese Aenderung den Verkehr mit dem Ausland betrifft, so werden in Zukunft Briefe bis zu 20 Gramm mit 25 Centimes, von 20 bis 40 Gramm mit 40 Centimes und von 40—60 Gramm mit 55 Centimes frankiert werden. * Zur Arfenal-Skandalafsäre in Toulon wird weiter gemeldet: Infolge der von dem Polizeibe amten Sebille geführten Untersuchung über die im Touloner Arsenal vorgekommenen Unregelmäßig keiten wurde der Marinelieferant Iauze Nalloy wegen Besteckringsversuchen verhaftet und nach Toulon gebracht. Die Verhaftung hat großes Auf sehen erregt, da Nalloy in Handels- und politischen Kreisen großes Ansehen genoß. * Das Ende des Rationalismus im Parlament scheint, so schreibt uns unser Pariser O.-Korrespon- dcnt, für die nächsten Wahlen bevorzustehen: die „Plebiszitäre", d. h. verkappten Bonapartisten, haben nicht einmal den Mut, ihre Kandidatur auf rechtzuerhalten. Nach dem Häuptling der „Patrie Fran>.aise", Gauthier de Llagny, gibt jetzt auch der frühere Kavallerieoffizier I. Lasics bekannt, daß er den Wahlkreis Gers nicht länger vertreten will, angeblich weil er sich hinfort seiner Familie widmen möchte, in Wahrheit aver, weil die klerikale Wähler schaft nickt mit ihm zufrieden ist. Larsies war einer der sympathischsten Deputierten der Reckten, beliebt Lei allen Parteien; nur wenige Volksvertreter nah men ihre Aufgabe so ernst und wohnten so regelmäßig den Sitzungen bei- Die Zwischenrufe, die der schnei dige Draufgänger unermüdlich in die Debatte schleu derte, wurden immer mit Lachsalven belohnt; denn dieser Nationalist besaß Witz und Geist, ärgerte seine politischen Freunde ebenso gern wie die Gegner, wenn sie oratorisch nicht ganz auf ihrer Hut waren, und zeigte dann auck in wirtschaftlichen Fragen seltene Sachkenntnis. Seit einigen Monaten beteiligte sich Lasies mit Benoist und Iaures an der großen Kam pagne zugunsten der Listenwahl, was fetzt doppelt verständlich ist. da ibn die Kreiswahl aus dem Sattel gehoben hat. Jedenfalls sieht man ihn weniger gern aus dem Parlament scheiden als den Pfau der natio nalistischen Partei, den etwas süffisanten Organisator der Kampfliga „Patrie Franeaisc", Gauthier de Clagny, dessen Nedcn von ebensoviel Hochmut wie Hoblheit zeuoten und der seinen Rückzug, d. h. feinen politiscken Bankerott, mit „parlamentarischer Ver ekelung" und andern Phrasen z« erklären sucht. Allem Anschein nack ist die republikfcindliche Bewegung, die vor zehn Jahren so fest einsetzte, ganz zu Ende. Ja, diese primitiven, siedenden Menschen der Tropen, die der Künstler hier schildert, sie rauchen von Leiden schaften. Ihre Sehnsucht, ihre Wünsche, ihre Dramen, alles ist im Animalischen verankert. Sie sind so furchtbar schwül, so brennend in ihren Begierden, daß fortwährend stahlblau dunkelnde Firmamente von Eewitterahnungen über ihrem Wesen ausae- spannt sind. O, man hat seine Lust unter diesen ele mentaren Gestalten, diesen Besessenen, deren Nähe gefährlich ist und das Blut reizt, das die steile Sonne aufkochen läßt. Wie ein breiter Goldflcck taucht der Blondkopf ocs nordischen Reisenden in diesem gluten reichen Spiel der bunten Exotenabenteuer auf, Rast losigkeit und die Träume der fernen Horizonte reißen seine Augen weit und hungrig auf nach neuen, immer wieder neuen Sensationen. Und deshalb vermag Jensen feinen Dichtungen auch jenen gewaltigen kos mischen Hintergrund zu geben, der doch groß, tief und ruhig atmet. Die Summe der „Exotischen Novellen" berührt wie ein in barbarischen Farben glühender Teppich unter der Tropensonne. Jede einzelne ist ein er lesenes Meisterwerk, in dem angespannteste Sttlkroft das Kolorit des Mtlieus bis auf die zarteste Nuance vollkommen herausholt. Jede Erzählung ist ein Stück restlos gelebten Lebens, über dessen Umrisse das Svrungfeuer der Intuition ein sengend-scharfes, elek- trisck-weißcs Licht gießt und sie in blendend klarer, energischer Linie hervortreten läßt. Jensen sckont sich nicht al» Künstler; er gibt immer den Grund ver ent legensten Tiefen. Bewunderungswürdig ist es, wie er manchmal z. B. den Eedankengang, die animalische Triebhaftigkeit des Objektes fernes eigenen Gestal tungswillens annimmt. Ein geradezu glänzender Be weis für diesen eminenten psychologischen Prozeß ist die Novelle „Der Kuli". Der Dichter versetzt sich hier vollständig in die naive Denksphäre, dre primiriv« brutale Empfindungswelt eines Rickfchawkuli» Im glühenden Singapur. Er eignet sich bis aus die un merklichste Bewegung die Geste des alten Chinesen Hoang Tschin Fo an, der seinen gelben, elenden Kör per zwischen den Deichselstangen seines Rickfchaws, de» zweirädrigen Passagierwagens, über die grau samen Sonnenorandftraßen Singapur» schleppt. Lch, der herzensgute Hoang Tschin Fo ist so elend, so krank. Er muß hungern. Er hat es im Leben zu nichts ge- bracht, weil er immer zu gefühlvoll war. Und heute will sich kein Europäer mehr von dem häßlichen Mongolengreis mit der großen grünen Wunde am Schienbein fahren lassen. Die weißen Teufel ziehen alle die jungen, kräftigen Kulis vor. Zu guter Letzt wird der arme Fo nun auch noch hingerichtet, bloß «eil er einen der glücklicheren Konkurrenten, den