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Am meisten sündigt hierin eine Zeitung, ein in Nordbayern erscheinendes Blatt unver kennbarer, aber jedenfalls nicht reichsfreundlicher Färbung, von dessen weit ausgezogenen sogenannten BiSmarck- Erinnerungcn das bekannte Lessing'sche Wort gilt, daß das Neue darin nicht wahr und das Wahre nicht neu ist. Es hat nichts zu bedeuten, wenn Leute, denen schon so ziemlich alle Dinge, z. B. Freisinn und Socialdemokratie, Anti semitismus und PhiloscmitiSmus, zum (Juten gereicht haben, auch Bismarck in ihrer Weise fructificiren, einem großen Theile der Presse wäre aber das Minimum von Urtheil zu wünschen, das hinreichte, um alsbald zu erkennen, daß eS nicht Bismarck'sche Denkweise und Sprache ist, was hier geboten wird. Die bayerischen Blätter schenken den sonderbaren Erinnerungen wenig oder gar keine Beachtung. Die Centrumsleute, die das Athletenstück fertig gebracht haben, dem ersten Kanzler jedes Interesse und Verdienst an dem Schutz der nationalen Arbeit abzusprechen, erfahren nach einer in Bonn erscheinenden, gleichfalls klerikalen, mit dem Cenlrum allerdings nicht auf dem besten Fuße stehenden Correspondenz folgentze Be richtigung: „Für die deutschen Bauern besonders, mögen sie unter beliebiger Partnsahne kämpsen, ist Fürst Bismarck zu früh in den Ruhestand getreten und, trotz seines bohen Alters, viel zu früh gestorben. Die deutscden Bauern sind der innersten Ueberzeugung, daß Fürst Bismarck ihre Interessen ans dem Altäre der Handelsverträge denen einer verhältnißinäßig geringen Ausfuhrindustrie nicht geopfert haben würde, ohne damit den wirklichen Interessen der Industrie nahe ge treten zu sein. Seine überlegene Staatskunst und Sachkcnntniß hätte die deutsche Landwirlhschaft vor so schweren Nochtheilen ge schützt, unter denen sie jetzt leiden muß." Eine derbe Lection für die Parteibornirten in Münchener und anderen Redactionsstuben. Aber nicht nur in klerikalen Kreisen, selbst in der Socialdemokratie ist ein Streit um die Bewerthung des großen Tobten entstanden; die beiden ersten Parteiblätter sagen sich über die Bedeutung des Mannes, der gethan, was nach Liebknecht ohnehin ein beliebiger Schulze oder Müller gethan hätte, recht pikante Dinge. Die Meinungsverschiedenheit interessirt uns nicht weiter. Es war vorauszuseben, daß Herr Stöcker noch kommen würde, um über den Sarg des Mannes, den er trotz eifrigen Bemühens nicht auf den Scheiterhaufen zu bringen vermocht hatte, seinen Segensspruch zu sprechen. Wie er eS that, hat aber selbst Manchen, der den „Gottes mann" zu kennen glaubte, überrascht. Der Wackere spricht von einer von Bismarck heraufgeführten Aera, an die die Namen Lasker, Bamberger und Bleichröder geknüpft gewesen seien. Der Ton ließt natürlich auf Bleichröder, und so sehen wir denn einen Gastlichen al- den Einzigen in der Sprache der Gerichteten auS der Deutschland zur Schmach gereichenden „VerleumdunaS-Aera" der siebziger Jahre vor einem geheiligten Sarge seine HasseSnothdurft verrichten. Daß er dazwischen etwa- vou Christenthum und der Kirche der Reformation murmelt, versiebt sich bei dem Mann von selbst. In heißen Sommertagen wird Mancherlei erfunden, aber unbedingt in daS Reich der Fabel verweisen möchten wir doch nicht die Erzählung eines pfälzischen Centrumsblattes, wonach alsbald nach der Entlassung BiSmarck'S der Kaiser Windt- horst habe sondiren lassen, ob der Welse nicht zur Ueber- nahme eine- Ministeriums bereit sei, die Bereit willigkeit aber nicht vorhanden gewesen sei. Selbst die „Nationalzeituna", die fragt, wer der Heilung daS Ge- schichtchen wohl aufgebunden haben möge, theilt ihren Lesern die „Enthüllung" mit, und das thut die „National zeitung", wenn sie von der Unrichtigkeit einer inhaltsschweren Mittheilung überzeugt ist, sonst löblicher Weise nicht. Es ist di« „Germania", gewesen welche, wenn auch „unter allem Vorbehalt", die Erzählung deS unbekannten Blättchens der politischen Welt zugänglich gemacht hat, und schon dieser äußerliche Umstand scheint die unbedingte Versagung des Glaubens zu verbiete». Eine Perle der servilen Presse meint das „Geschichtchen" mit der Erinnerung abthun zu können, daß der Kaiser den Besuch Windthorst'S bei BiSmarck unmittelbar vor dessen Entlassung gemißbilligt habe. Die That- sache ist richtig und wird ja auch durch daS Entlassungsgesuch des Fürsten bestätigt; sie bildete ohne Zweifel eine der Stufen, über die der erste Kanzler auS seinem Amte geleitet wurde. Aber die andere Thatsache, daß nämlich Windthorft nach seinem bald darauf erfolgten Tode von oben herab wie ein Vater des Vaterlandes geehrt wurde, nimmt jener Miß- billigunH völlig den Charakter eines Beweismittels gegen die Erzählung des CentrumSblatteS. Jene Ehrung beleuchtet übrigens den Umstand, daß eine Unterredung mit Windthorft, eine von diesem nachgesuchte Unterredung, bei der Ent lassung BiSmarck'S eine Rolle spielen durste, so bell, daß es ziemlich gleichgiltig ist, ob daS Anerbieten eines Minister- PortefeuilleS gemacht worden ist oder nicht. Die „Berl. N. N." meinen, daß eine amtliche Richtigstellung unabweislich sei, falls überhaupt etwas richtiggestellt werden könne. DaS wird hier vielleicht schon deshalb unmöglich sein, weil mög licherweise eine andere als eine Amtsperson mit der „Sondirung" Windthorst'S beauftragt gewesen ist und die Acten über den Auftrag nichts auSweisen. Wahlrechtsphilosophen machen der social demokratischen, demokratischen und ultramontanen Presse daS Vergnügen, über die ehemaligen Cartellparteien als Wähler betrüger hersallen zu können. „Vor Tische", das Wort wird überall variirt, „las man'S anders." Wir sind der Meinung, daß eS sich bei den neuesten Zeitungsraisonnements über das Reichstagswahlrecht um nichts weiter als einen Zeitvertreib handelt, der als solcher schon deshalb gelten darf, weil auf die Kritik des Bestehenden und auf die Ersatzvorschläge keine nennenswerthen geistigen Kraftanstrengungen verwendet werden. Jedenfalls aber haben Demokraten, die die Monarchie aus ihre Existenzberechtigung zu prüfen lieben, und haben Socialdemokraten, die allen Grundlagen des bestehenden Staates daS Daseinsrecht absprechen, keinen Anlaß zur Ent rüstung, wenn nicht Jedermann daS ReichstagSwahlgesetz als etwas für die Zeit bis zur abermaligen Vereisung unseres Planeten unabänderlich Gegebenes hinmmmt. Der Anspruch des Radikalismus auf Privilegien in Bezug auf die Er örterung öffentlicher Angelegenheiten ist weder in den Gesetzen noch in der Vernunft begründet. Nützlicher denn als das Suchen nach dem Stein der Weisen, einem absolut guten Reichstagswahlrecht, sind die Erläuterungen der preußischen Blätter zu dem dortigen Landtagswablgesetz, an sich keine leicht verständliche Materie, die dazu seit den letzten Wahlen infolge der Steuerreform nicht unwesentliche Veränderungen erfahren hat. Hand in Hand damit geht die Fortsetzung der Discussion, wie sich die Socialdemokratie dort, wo sie überhaupt wählt, anstellen soll. Im „Vorwärts" hat soeben ein „im Vordertreffen stehender Genosse"denHamburgerBeschluß ganz und gar preisgegeben und das Eintreten für die freisinnigen Wahlmänner schon im ersten Wahlgang gefordert. Socialdemokratische Wablmännermehr- heiten, meint er, seien für irgend welchen Wahlkreis ganz undenkbar. Man werde also schließlich diejenige Partei unterstützen müssen, die das kleinste Uebel sei. „Wozu dann der Umweg?" Da die hier vorgetragene Ansicht die Oberhand in der Socialdemokratie gewinnen zu wollen scheint, werden sich andere Parteien die Frage vorlegen müssen, wie sic sich zu Candidaten deS Frei sinns als Candidaten auch der Socialdemokratie zu Verhalten haben. Die Conservativen Preußens schweigen sich über ihre Absichten in Schul- und verwandten Fragen, die möglicher Weise brennend werden,noch beharrlich aus, ausgenommen den „Reichs boten", der den Zeitpunkt für gekommen erachtet, die Vorzüge deS Zedlitz'schen Schulgesetzes zu rühmen. Einen größeren Ge fallen hätte das Blatt den Freisinnigen nicht erweisen können, aber auch die Nationalliberalen können mit seiner Offenherzigkeit zufrieden sein, denn sie haben nun einen Stützpunkt für directe Anfragen bei den Conservativen. Mit Bundesgenossen des Ultramomanismus in der Schulpolitik ist für sie noch weniger ein Bündniß möglich, als mit Bundesgenoffen der Socialdemokratie, die ihrerseits eine Vertretung im Ab geordnetenhaus« gar nicht ernstlich anstrebt. So einfach freilich, wie die „Nationalzeitung" ausrechnet, liegt das Exempel nicht. Das Blatt meint: „Wie in Bayern alle Liberalen in den dortigen Landesangelegen heiten dem KlerikaliSmus gegenüber sogar nur als eine einzige Partei austreten, ungeachtet heftiger Kämpfe in der RrichSpolitik, so können in Preußen die verschiedenen liberalen Fractionen den Conservativen gegenüber geeinigt Vorgehen." Der Vergleich hinkt auf beiden Füßen. Die Haltung deS Centrums in der Reichspolitik erleichtert in Bayern und die reichöpolitische Grundstimmung der Conservativen er schwert in Preußen dem nationalen Liberalismus den Kampf nach rechts. Sodann giebt es in Bayern keinen Eugen Richter; vielmehr wird daS von ihm inspirirte Nürnberger Blatt, wenn eS in irgend einer Angelegenheit die Liberalen auf einander hetzt, regelmäßig durch den Verlauf der Dinge deSavouirt. Mit Herrn Richter aber wird trotz ihrer Uebereinstimmung in vielen Fragen der Reichs Politik selbst die „Nationalztg." nicht auskommen. Herr Bueck erachtet eS entgegen unserer Annahme doch der Mühe Werth, den sonderbaren Bericht des sonderbareu Heiligen, den die Engländer als Areihaudelsmissionar nach Berlin geschickt, abzuthun. Er erklärt nämlich: „Vor einiger Zeit erschien ein Herr, augenscheinlich Deutsch- Engländer, bei mir, der sich als Emissär der englischen Handels kammern vorstellte. In längerem Vortrage setzte er mir ausein rüder, daß der deutsche Taris, besonders für die Verzollung baumwollener Gewebe, höchst unrationell gestaltet sei. Ich erwiderte ihm, daß mir dieser Umstand vollkommen bekannt sei, daß gerade der Central verband bereits bei der Ausstellung des autonomen Tariss, aber auch später bei jeder paffeuden Gelegenheit, leider aber erfolglos, bemüht gewesen sei, die Annahme eines besseren Systems für die Verzollung baumwollener Gewebe herbeizuführen, Laß er aber hoffe, bei der neuen Gestaltung des deutschen Zolltarifs mit seiner Ansicht durch zudringen. Der Herr hielt mir dann einen zweiten Vortrag über die Segnungen des Freihandels und darüber, wie wünscheuswerth es für un» sein müsse, daß Deutschland das Freihaudelssystem England» annehmen und sich damit nicht länger jener Segnungen entschlagen möchte. Ich erwiderte, daß ich vollkommen von den Vor- theilen überzeugt sei, die England aus Kosten Deutschlands genießen würde, wenn wir wieder zum Freihandel übergingen, und daß die deutsche Regierung wohl an der jetzt herrschenden Handels- und Wirthjchaftspolttit unentwegt sesthalten werde. Darauf ihrilte mir der Herr, anscheinend recht betrübten Herzens, mit, daß Aehnliche» auch im Auswärtigen Amt gesagt worden sei; davon aber, daß er von dort an mich verwiesen sei, verlautbarte der Herr mir gegenüber nichts. Dem ganzen Vorgang habe ich damals nicht die geringste Bedeutung beigelegt: ich war daher um so mehr erstaunt, ihn durch die Mittheilungen der „Centralstelle für Vorbereitungen von Handels verträgen" so ausgebauscht zu sehen. Die Manchesterblätter, die sich des Engländers so warm angenommen, schweigen zu dieser Ausklärung. Deutsches Reich. R. Berlin, 20. August. Einem Ereigniß von weittragender Bedeutung sieht die Marine in diesen Tagen entgegen. Auf der englischen Werft von Thornycroft werden die hierzu com- mandirten Baumeister das für Rechnung der deutschen Marine dort erbaute neueste Torpedo-Divisionsboot O 10 übernehmen. Es mag auf den ersten Blick sonderbar erscheinen, daß Deutschland, nachdem Stosch dazu übergcgangen war, Kriegsschiffe ausschließlich im Jnnenlande bauen zu lasten, ein Kriegsschiff kleineren Umfanges nach England in Auftrag gab. Die Erklärung ist in dem Umstande zu suchen, daß die deutsche Marine bezweckt, durch Prüfung in der Praxis nachzuweisen, daß die vielgerühmten englischen Torpedojägev nichts vor den deutschen Schiffen gleicher Art voraus haben. Deutschland leistet im Bau von Torpedo booten, seitdem diese fast ausschließlich auf der Schichau'schen Feirrlletsn» Der Regenbogen. Von Hans Brendel (Potsdam). Nachdruck verboten. Nirgends tritt der Unterschied zwischen der Weltauffastung des primitiven und des modernen Menschen so klar zu Tage, wie in der verschiedenen Auffassung der meteorologischen Er scheinungen. Wo der Naturmensch ein furchtbares Ringen feind licher Gewalten, einen ewig sich erneuernden Kampf der Götter mit den Giganten sieht, tritt uns das Walten ewiger, unbeug samer Naturgesetze entgegen. Wo der Wilde voll Angst und tödtlichen Grauens das schuldbeladene Haupt beugt, steht der Kulturmensch in bewunderndes Entzücken versunken — oder voll gespannter Aufmerksamkeit forschend, ob sich das Thor der Erkenntniß vielleicht noch weiter aufthun, der Schleier der großen Göttin sich ihm noch um ein Weniges lüften möchte. Aber dennoch versetzt auch er sich immer wieder gern auf den mythenbildenden Standpunkt der Vorfahren, in jenes Wunder schauende Kindheitsalter der Völker zurück, dem jeder Mensch in der eigenen Jugendzeit einmal so nahe gestanden ist. Griffen nicht der Lehrtrieb der Erwachsenen zu Hause und in der Schule so früh und so herrisch in das frische, selbst- thätige Geistesleben des Kindes ein, so würden wir sicherlich die Eindrücke, die der erste Anblick einer großartigen Natur erscheinung, z. B. des Blitzes ober des Regenbogens, auf uns ausübte, getreuer aufbewahrt haben; es würde sich zeigen, daß ein solcher Eindruck in vielen Fällen große Aehnlichkeit mit der Auffassung des primitiven Menschen besitzt. Nur dunkel noch schwebt mir die früheste naive Anschauung des Regen bogens als eines ungeheuren, durch seine Riesengroße über wältigenden Himmelspfades vor. „Bifrost", d. h. der schwan kende Weg, hieß, nach dem Zeugnisse der Edda, bei den nor dischen Germanenstämmen diese von den Äsen erbaute Brücke, über die die Götter jeden Tag zu ihrer Gerichtsstätte am Brunnen der Urd reiten. Das Roth im dreifarbigen Bogen ist brennendes Feuer und hindert die Reif- und Bergriesen, den Himmel zu stürmen; auch wacht Heimdall an ihrem Ende für die Sicherheit Walhalls. Dennoch werden bei der Götter dämmerung die Riesen der Feuerwelt, die Söhne Muspells, über sie reiten, und unter den Hufen ihrer Roste wird das Werk der Äsen zusammenbrechen. Diese Rolle der Götterbrllcke spielt der Regenbogen nicht nur in der Edda, sondern auch in der Sagenwelt der Wenden und der russischen Zigeuner, der Litauer und der Zainiten Rußlands, deren mythische Könige ihn al» Brücke aus Leder, Tuch oder Sammet benutzen, die sich nach Bedarf von selbst auf- und zu- sammenrollt. Als Geisterbrückt wird der farbige Bogen noch heut zutage in den verschiedensten Gegenden Deutschlands gedacht: die Tobten steigen auf ihm zum Himmel empor, die Engel wieder zur Erde. Ein österreichisches Volksmärchen erzählt, drei schöne Engel hätten ein Mädchen „iber a schein Regnbogn- briicka grob in'n Himml aini gfiard". Eine alte Bäuerin am Traunsee in Oberösterreich glaubte fest daran — hatte sie's doch in ihrer Jugend mit eigenen Augen gesehen! —, daß man diejenigen Bauern, die als bußfertige Christen gestorben, über den Regenbogen wandeln sehen könne. Erscheint ein solcher am Himmel, so eilt man schnell ins Haus, wäscht Gesicht und Augen mit Weihwasser, betet für die armen Seelen und begiebt sich ins Freie, wo man den Bogen ganz übersehen kann. Reine und fromme Menschen sehen dann immer eine Abtheilung von dreizehn Bauern, von einem wunderschönen Jüngling geführt, über die Brücke wandeln, die dort, wo die Bauern gerade gehen, die schönste Färbung zeigt. Vereinzelt hat sich auch der Glaube erhalten, daß der Regen bogen feurig sei; im Stiefingthal zu Steiermark soll auf einem Getrerdefelde oder einer Wiese, über dem er aufgeht, Alles ver brennen, da er so heiß ist. Wenn man rasch an die Stelle laufe, wo ein „Himmelsring" aufsteht, so finde man einen Sack Gold, oder — in bescheideneren Gegenden — ein Schüsselchen von Gold; eine ziemlich unmotivirte Verknüpfung der Naturerscheinung mit den als „Regenbogenschüffelchen" bekannten frühhistorischen Goldmünzen. Diese Vorstellung führt uns zu einer zweiten primitiven Auffassung des Regenbogens, die sich einer viel weite ren Verbreitung erfreut, nämlich zu dem Glauben, daß der Regenbogen das Master trinke und den Wolken zuführe. In Schwaben glaubt man, er stelle sich mit seinen beiden Enden stets über Gewässer, auS denen er dann mit zwei goldenen Schüsseln schöpfe, und diese Deutung als Wasterschöpfer und -Trinker findet sich vom elastischen Alterthum bis zur Gegenwart, von den britischen Inseln bi» zur malaiischen Inselwelt in mannig fachen, oft höchst seltsamen und interessanten Variationen ver breitet. Nicht selten wird er geradezu als Saugrohr, Pumpe be zeichnet, die bei ihrer aufziehenden Thätigkeit nicht nur mit dem Master Fische, Frösche, Kröten und Schlangen emporhebe — eine Vorstellung, die ihren Ursprung wohl dem bisweilen vorkommen den Frosch- resp. Fischregen verdankt —, sondern auch den unvor sichtig nahenden Menschen einschlürfen könne. Er trinkt wie ein Regenbogen, war nicht nur bei den Alten, sondern ist.auch bei den heutigen Slowaken eine sprichwörtliche Redensart. Sehr verbreitet ist der Glaube, daß dieses trinkende Un geheuer eine riesige, schillernde Schlange sei; so in einigen Gegen den Frankreichs, bei mehreren südslawischen Völkerschaften, an der Guineaküste und im Sudan. Die Dajaks auf Borneo kennen große Seeschlangen, die bei Regen und des Abends auf der Ober fläche der See spielen und durch den Widerschein ihrer glänzend bunten Leiber den Regenbogen und das Abendroth erzeugen. Wie nüchtern erscheint neben diesen phantasiereichen Deu- tungsvrrsuchen der unbefangenen Anschauung die wissenschaftliche Erklärung des Regenbogen» al» einer durch Brechung und Re flexion der Lichtstrahlen an der Innenwand eines dichteren Medium» entstehenden optischen Erscheinung! Und doch hat wahrscheinlich daS Auge eine» Naturkindes die fürstliche Pracht, in der die Göttin Iris inmitten einer Schaar von Trabanten und in der Fülle ihrer wechselreichen Gestalten auftreten kann, nie in der Schönheit geschaut und in dem Maße genossen, wie Blick und Geist deS geschulten Forschers das vermögen. Sogar die Mehrzahl der Leser wird die mehrfach zusammengesetzte Er scheinung eine» vollständigen Sonnenregenbogens kaum anders als vom Hörensagen kennen. Da spannt sich über dem bekannten siebenfarbigen Hauptbogen zunächst ein conccntrischer, schwächer leuchtender Kreisbogen, der Nebenregenbogen, aus, dessen Farben in umgekehrter Reihenfolge auftreten. Beide Bogen schließen einen dunklen, ungefähr 10 Grad breiten Himmelsraum ein, von dessen Tropfen nur wenige Strahlen das menschliche Auge tref fen, während aus den in der Richtung der beiden Regenbogen hinter einander liegenden Tropfen alle wirksamen Strahlen un geschwächt ins Auge gelangen. Innerhalb des Hauptregenbogens, weit seltener auch außerhalb des Nebenregenbogens, erblickt man in sehr günstigen Fällen, besonders bei großtropfigem Regen und tiefem Stande der Sonne, mehrere schmale, abwechselnd rothe und grüne Streifen, die überzähligen Bogen; sie verdanken ihre Entstehung der sogenannten Interferenz der Lichtstrahlen, d. h. der Fähigkeit, parallel, oder fast parallel laufenden Strahlen ihre Theilfarben zu verstärken oder auszulöschen. Der Hauptregen bogen setzt sich aus denjenigen Strahlen zusammen, die oberhalb der Tropfenmitte in den Tropfen eintreten, beim Eintritt zum ersten Male gebrochen, an der Rückwand des Tropfens einmal reflectirt und beim Austritt aus ihm zum zweiten Mal« gebrochen werden. Die Strahlen des Nebenregenbogens sind dagegen zwei mal reflectirt, haben also innerhalb des Tropfens einen längeren Weg zurückgelegt als jene und in Folge dessen durch Absorption etwas mehr Licht verloren. Daher erscheint der Nebenregenbogen dem Auge lichtschwächer als der Hauptbogen. Nicht immer ist zur Erzeugung eines Regenbogens der Regen tropfen als brechendes und spiegelndes Medium nöthig; Nebel, Thau, Lämmrrgewölk, sogar Schnee- und Eisflächen können ge legentlich seine Stelle vertreten. Der Nebelregenboqen im Be sonderen zeigt sich als weißer Kreisbogen von kleinerem Halb messer als der gewöhnliche, auf einer besonnten Nebelwand, und kann als Beweis dafür gelten, daß der Nebel keineswegs, wie noch häufig angenommen wird, aus lufterfüllten Bläschen, sondern aus soliden Wassertröpfchen besteht. Die Farben des Regenbogens entstehen bekanntlich durch die Brechung des zusammengesetzten Sonnenlichtes beim Ein- und Austritt der Strahlen aus den Tropfen. Das einfarbig rotbe Licht der Morgen- und Abenddämmerung erzeugt daher auch nur einen einfarbigen Bogen, der dem Volksglauben als unheimliches Vorzeichen für Unglück und Krieg gilt, ähnlich wie Kometen und Nordlichter. Am 25. Juni 1863 Abends 8t Uhr bildete die Sonne, hinter leichtem Gewölk untergehend, ein feuriges Abend roth. Ein gleichzeitig niedergehender, allgemeiner Regen ließ einen Regenbogen erscheinen, der, weil die Sonne im Horizont stand, beinahe ein voller Halbkreis war. Er zeigte nur die rothe Farbe und keine Spur von einer anderen. Da daS ihn erzeugende Licht nicht wie da- der Sonne gesammelt, sondern breit aus- einandergezogen war, so zeigte sich nur der äußere Rand des Regenbogen» scharf begrenzt, dagegen der ganze Jnnenraum leicht roth gefärbt. Der Regenbogen war stellenweise auch sichtbar, gleichfalls nur roth, aber schwächer, dazwischen das bekannte dunkle Band. Es liegen bis jetzt nur etwa acht sichere Beob achtungen dieses rothen Dämmrrungsbogens vor. In allen bisher angeführten Fällen war di« Sonne die Quelle des Regenbogenlichtes; man kann diese Erscheinungen als Son nenregenbogen einer Anzahl anderer, durch andere Lichtquellen er zeugter gegenüberstellen. Dem Sonnenregenbogen zunächst steht der Woltenregenbogen, hervorgerufen durch das blendende, von einer Wolke zurückgeworfene Licht der Sonne. Von der Terrasse der Tuilerien aus sah ein Beobachter im Osten zwei schöne Regenbogen übereinander, anscheinend concentrisch und mit der gewöhnlichen Farbenfolge, aber nur durch einen 2—3 Grad breiten Zwischenraum getrennt; hieraus, sowie aus dem leb hafteren Farbenspiel des oberen Bogens ging hervor, daß letzterer nicht der gewöhnliche Nebenbogen war. Nach Westen blickend, sah der Beobachter etwa 2 Grad unterhalb der Sonne eine Haufenwolke, deren oberer Theil so hell erleuchtete war, daß das Auge den Glanz kaum ertragen konnte: offenbar war dieser die Ursache des oberen Regenbogens. Es scheint bisher erst diese eine, 1841 gemachte Beobachtung des Wolkenregenbogens vorzuliegen. Weit häufiger tritt der gleichfalls farbige, meist nur durch den Hauptregenbogen vertretene Mondregendogen auf; doch — wie schon Schiller sagt, der ihn im „Teil" als doppelten Bogen schildert — „es leben Viele, die das nicht gesehn." Bei der Welt- umseglung der dänischen CoNxtte „Galathea" in den Jahren 1845—47 wurde die Erscheinung im Großen Ocean am 8. Sep tember Abends Uhr sehr schön wahrgenommen. Der etwa 20 Grad hohe, 60 bis 70 Grad weite Mondregenbogen erstreckte sich von Horizont zu Horizont und stand so hell da, daß man fast nach seiner ganzen Länge die Farben, von der rothen bis zur dunkelvioletten, unterscheiden konnte. Besonders das südliche Ende des Bogens war überaus klar, erleuchtete die ganze, innerhalb des Bogens liegende Ecke und warf sogar einen Widerschein aufs Wasser. Außerhalb dieses Theiles entstand auf kurze Zeit in der Entfernung von ungefähr 10 Grad eine jedoch weit schwächere Säule, ein Bruchstück des Nebenregenbogens. Vielleicht wäre er auch vollkommen hervorgetreten, wenn nicht der Mond theilweise hinter einer schwarzen Wolke verborgen gewesen wäre. Auch der Mondregenbogen kann von einer Nebelschicht erzeugt werden, wie ich denn einen solchen Mondnebelbogen im Jahre 1879 auf einer ausgedehnten, über weiten Wiescnflächen ruhenden Nebel schicht gegen Mitternacht sah; er schien mir einfarbig weiß, viel leicht mit einem ganz schwachen Stich ins Röthliche zu sein. Eine fernere Varietät des Sonnenregenbogens ist der Wasser regenbogen, ebenfalls ein vielfarbiger Bogen, der durch Brechung und Reflexion des von einem Wasserspiegel zurückgeworfenen Sonnenlichts in Regentropfen entsteht. Er ist mit voller Sicher heit nur einmal festgestellt worden. Künstliche Lichtquellen kön nen ebenfalls die Bildung regenbogenähnlicher Erscheinungen, der sogenannten Flammenregenbogen, herbeiführen. So hat man in Paris am 18. Februar 1849 durch Brechung und Spiegelung des Gaslichtes in Nebeltröpfchen einen weißen Kreisbogen von beträchtlichem Durchmesser, in Leipzig im Herbst 1893 durch die selbe Lichtquelle an den von Telephondrähten herabhängenden Regentropfen blaßröthliche Streifen entstehen sehen, und bei den gewaltigen Lichtquellen der Gegenwart wäre die Wiederholung solcher Beobachtungen unter günstigen Umständen nicht un möglich.