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7250 BIrs«!lkI«8 f. k. Dlsch». Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 137, 17. Juni 1909. 1. Die Mitglieder der Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler sind verpflichtet, ihre Geschäfte in den Monaten Juni, Juli und August spätestens um 7 Uhr, in den übrigen Monaten spätestens um 8 Uhr zu schließen. Gleichzeitig mit dem Ladenschluß hat auch ine Arbeit eingestellt zu werden. 2. Auf Verlangen der Geschäftsführung über diese Zeit hinaus gemachte Überstunden sind den Gehilfen und Hilfs arbeitern extra, und zwar in der doppelten Höhe des sonst auf eine Stunde entfallenden Lohnes zu vergüten. Die zur üblichen Reinigung der Lokale erforderliche Zeit hat nicht als Überstunde im obigen Sinne zu gelten. 3. Solche Mitglieder der Korporation, welche außer dem Buch-, Kunst- und Musikalienhandel noch andere Ge werbe betreiben und aus Gründen der Konkurrenz daher ihre Geschäfte zu der obgenannten Stunde nicht sperren können, dürfen von 7 Uhr, resp. 8 Uhr ab keine Artikel des Buch-, Kunst- und Mnsikalienhandels mehr verkaufen und müssen jene Gehilfen und Hilfsarbeiter, welche sie für diesen Teil ihres Geschäftes engagiert haben, zu der erwähnten Stunde entlassen. 4. Die Mitglieder der Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler sind verpflichtet, ihre Geschäfte an den Feiertagen zwischen Ostern und Allerseelen geschlossen zu halten, und können ihre Geschäfte an Feiertagen nach Allerseelen bis Ostern exklusive nur in der Zeit von S Uhr bis 12 Uhr mittags offen halten. Für Korporations mitglieder, welche auch andere Gewerbe als den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel betreiben, hat Punkt 3 auch hier sinn gemäße Anwendung. Der Vorsitzende eröffnet die Debatte. Herr Robert Friedländer erklärt, daß er und seine engeren Kollegen durch diesen Antrag sehr überrascht seien; er habe nicht erwartet, daß die Korporationsvorstehung so tief einschneidende, den Geschäftsbetrieb eines jeden Chefs so nahe berührende Bestimmungen zur Abstimmung bringen würde, ohne daß sie vorher den Korporationsmitgliedern zur eingehenden Erwägung bekannt gemacht worden wären. Es erscheint ihm aus prinzipiellen Gründen fraglich, ob man jetzt gleichsam 6X »brapto so wichtige Dinge diskutieren könne. Hierbei legt er das größte Gewicht auf die Festsetzungen betreffend die Feiertagsruhe. Er bezweifelt, ob es gesetzlich zulässig sei, daß solche Bestimmungen durch eine Majorität der Versammlung allen Korporationsmilgliedern aufgedrungen werden können. Keine Korporation sei in ihrer Zusammen setzung so heterogen wie unsere, die Unterschiede zwischen Verleger, Sortimenter, Antiquar und Reisebuchhändler und den kleinen Vorstadtbuchhändlern seien unendlich groß und man könne unmöglich für alle diese gleichartige Bestim mungen einführen. Er fragt sich, wie mit hohen Spesen belastete Geschäftsleute, die an gesetzlich zulässigen Tagen arbeiten wollen, gezwungen werden können, zu feiern. Er fragt sich weiter, ob es nicht wünschenswert sei, derartige Be stimmungen durch eine Reihe von Komitees durchberaten zu lassen und erst dann der Korporationsversammlung vorzu legen. Ein plötzlich gefaßter Beschluß muß Verstimmung in vielen Kreisen Hervorrufen, was man auf einfachem Wege vermeiden kann. Er stellt daher den Antrag, man möge von einer Beschlußfassung über das Referat, respektive über die Anträge der Vorstehung derzeit absehen. Die Vorstehung möge der Reihe nach mit den einzelnen Mitgliedern der Korporation gruppenweise in Verhandlungen treten, ein aus führliches Memorandum ausarbeiten, dieses veröffentlichen und dann der nächsten Korporationsversammlung zur Be schlußfassung vorlegen. Herr Deuticke bemerkt, daß die von der Vorstehung beantragten Bestimmungen ja eigentlich nur in einem einzigen Punkte neue seien, nämlich in jenem betreffend die Feiertags ruhe und führt aus, daß die Vorstehung die Wünsche der Gehilfen und Hilfsarbeiter abgelehnt und denselben nur in diesem einen Punkte zugestimmt habe. Er glaubt, daß dies ein Mindestmaß von Entgegenkommen sei, das von der Korporationsversammlung ratifiziert werden soll. Im übrigen stünde ja eben der Antrag zur Diskussion, man möge sich heule über die Angelegenheit aussprechen und er sehe die Notwendigkeit, dies auf einem weiten Wege zu erreichen, nicht ein. Herr Stein ergreift hierauf das Wort und führt aus: auf der Tagesordnung stehe ein Antrag auf Beitritt der Korporation zum »Zentralverband kaufmännischer Gremien und Genossenschaften Österreichs«, schon durch diesen Antrag habe die Korporation selbst gezeigt, welchen Wert sie auf Organisation lege. Wie die Chefs sich organisieren, müßten aber auch die Gehilfen sich organisieren, zumal es mit jedem Tage klarer werde, daß man Buchhandlungsgehilfe nicht mehr vorübergehend, sondern als Lebensberuf sei. Die Möglichkeit, sich selbständig zu machen, werde immer geringer und eine Stellung als Buchhandlungsgehilfe, die man früher als eine Übergangsstellung betrachtet habe, müsse man heute in der überaus größten Anzahl der Fälle als eine Lebens stellung ansehen Es sei daher klar, daß die Gehilfen mehr denn je Zusammenhalten und eine Besserung ihrer Existenz zu erkämpfen suchen müßten. Der Kampf des einzelnen um seine Existenz wird durch die Organisation nur gemildert; jede Organisation setze aber eine Disziplin voraus und er wundere sich daher sehr, daß Herr Friedländer an dem Vor schlag der Vorstehung eine Kritik geübt, der Vorstehung da durch nicht jenes Vertrauen entgegengebracht habe, das sie ganz gewiß im vollsten Maße verdient. Herr Friedländer ginge von einem ganz falschen Gesichtspunkte aus, es sei nicht richtig, daß man die Korporationsmitglieder vor ein Novum stellt. In der »Buchhändler-Correspondenz« seien die Verhandlungen angedeutet gewesen. Der Punkt sei ordnungsgemäß auf die Tagesordnung gesetzt worden. Herr Friedländer hätte sich ebenso wie jeder andere, der sich dafür interessiert, bei der Korporationsvorstehung informieren können. Herr Friedländer irrt auch, wenn er meint, daß die Korpo rationsmitglieder nicht zur Einhaltung dieser Bestimmungen ge zwungen werden können. Er scheint eben die Bestimmungen des Z 114b der Gewerbeordnung nicht zu kennen oder nicht richtig erfaßt zu haben. Redner bittet, den Antrag des Herrn Friedländer abzulehnen und die Vorschläge der Vorstehung anzunehmen, zumal sie ja wohl das mindeste seien, was man von der Korporation erwarten könne. Die Korpo- rationsoorstehung habe ohnehin den Gehilfen nur eine einzige Konzession gemacht und er begreife nicht, wieso ein Chef selbst diese kleine Konzession noch schmälern wolle. Er bittet die Anwesenden, die Vorschläge der Korporation anzunehmen, um nicht eine weitgehende Verbitterung in die Reihen der Gehilfenschaft und Hilfsarbeiter zu tragen. Würde die Korpmationsversammlung die Vorstehung desavouieren, so würde dies nicht nur auf die Vorstehung selbst gewiß einen sehr peinlichen Eindruck Hervorrufen, sondern es würde in der Gehilfenschaft einen Sturm der Entrüstung heraufbeschwören. Jetzt schon bestehe in der Gehilfenschaft eine große Enttäuschung, man habe ein viel weiteres Entgegenkommen der Korporation erwartet. Diese Enttäuschung sei in der letzten Gehilfenver sammlung zum Ausdruck gekommen und die Führer der Ge hilfenschaft hätten einen sehr schweren Stand gehabt. Würde man diese einzige Konzession, die sie ihren Kollegen gebracht haben, noch verringern, so würden die Führer ihre Stelle eben nicht mehr halten können und würden weil radikaleren Elementen weichen müssen Die Gehilfenschaft muß mit ihrer Arbeitskraft geizen und sie werde berechtigterweise auch