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41 seiner speeifisclieu Eigentbünilichkeit neben einem blossen Werk oder einer Erscheinung des verstandesmässigen Denkens verkannt. - Eben hierin bestand der allgemeine Irrthum der ästhetischen Lehre Baumgartens. Die Sphäre der Kunst und des Schönen ist an sieh eine ganz andere und selbstständige Kegion «neben derjenigen der Wissenschaft und des gedankenmässig Wahren. Für unseren gegen wärtigen Geschmack ist gerade alles Beabsichtigte und gedanken- massig Rcflectirte das spccifischc Gegentheil und die eigentliche Aufhebung der wahrhaften Vollkommenheit des Schönen. Wir ver langen vom Schönen in erster Linie, dass cs natürlich sein soll, während man zur Zeit Baumgartens wesentlich noch das Schöne mit dem Erkünstelten verwechselte oder es nicht aus sich, sondern aus seiner (Jebereinstimmung mit irgend einer abstracten Idee oder Regel aufzufassen und zu beurtheilcn pflegte. Es war dieses im Allgemeinen die Zeit des sogenannten Zopfthumes in der Geschichte der neueren Kunst, welchem auch die ästhetische Lehre Baumgartens zum Ausdruck diente. Man schätzte z. B. insbesondere die Allegorie, welche sich in unserer Zeit einer nur geringen Anerkennung in der Kunst und Aesthetik zu erfreuen hat. Diese ist in dirccter Weise die Er scheinung oder sinnbildliche Darstellung irgend eines Begriffes oder einer allgemeinen geistigen Idee, und durch Baumgarten wurde wesentlich das Schöne überhaupt in einem ähnlichen Lichte auf zufassen versucht. Man batte überhaupt damals für das eigentlich Freie, Natürliche und Ungezwungene im Schönen noch kein Vcr- ständniss. Die Lehre Baumgartens war der Ausdruck und die Folge des allgemeinen geistigen und künstlerischen Pedantismus seinei Zeit. Es ist aber immerhin wahr, dass die ganze Natur des ästhetischen oder empfindenden Erkennens aufgefasst und bcurtheilt werden darf nach der Analogie des denkenden oder logischen. Alles denkende Erkennen besteht darin, mit einem bestimmten gegebenen Begriffe als dem logischen Subjcct diejenigen Eigenschaften oder Prädicate zu verbinden, welche an und für sich zu ihm gehören oder in denen sein eigener logischer Inhalt und Werth besteht. Eine solche Operation des Denkens ist ein logisches Urtlicil und es setzt sich dasselbe naturgeinäss immer zusammen aus den beiden allgemeinen Gliedern des Subjcctcs und Prädicates. Nach dieser Analogie aber darf auch von Urthcilen unseres empfindenden oder ästhetischen Erkennens gesprochen werden. Mit einer bestimmten gegebenen sinnlichen Wahrnehmung, wie z. B. der einer Farbe,