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Kr. 18 Weißerttz-Zeitung.; 29. Februar 1856. Inserate werden mit 8 Pfg. für die Aeile berechnet und in allen _ Expeditionen angenommen. Freitag. Erscheint Dienstag« und Freitag«. beziehen durch alle Postanstal ten. Preis pro Quart. 10 Ngr. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Verantwortlicher Rcdactenr: Carl Ich ne in Dippoldiswalde. Ein Stück aus dem preußischen Ber- faffnngsleben. Zn der preußischen Kammer ist jüngst von dem Grafen v. Pfeil eine Rede gehalten worden, welche in der Ge schichte des modernen Verfassungslebens ihres Gleichen nicht kennt, und die darum in Preußen allgemeine Ent rüstung, in der übrigen civilisirten Welt einen sittlichen Ekel hervorgerufen hat. Die Zeitblätter aller Farben haben nicht umhin gekonnt, jene famose Rede zu beleuchten. Zum Verständniß dieser denkwürdigen Rede müssen wir Folgendes bemerken. Durch Einmischung einzelner Regierungsbeamten ist es in Preußen gelungen, die äu ßerste Rechte in den Kammern so zu verstärken, daß die Zahl der freisinnigen Beamten zu einem kleinen Häuflein zusammengeschmolzen ist. Es sind auf dem Landtage über die Art und Weise der Wahl Dinge enthüllt und zur Sprache gebracht worden, worüber jeder Vernünftige schäm» roth die Achseln zucken mußte. Da nun die Partei der äußersten Rechten, wozu in ihrer Mehrzahl der Adel vom Lande gehört, die unbedingte Herrschaft in den Kammern ausübt, so glaubt sie auch die günstige Gelegenheit benützen zu chüssen, einen frei sinnigen Paragraphen nach dem andern aus der Berfas- suug auszumerzen. Lor Allem strebt diese Partei dahin, den Landadel wieder zu „kleinen Herren." wie im Mittelalter zu wachen, und wieder Zustände herbeizuführen, deren Be seitigung der Landmann in neuerer Zeit dankbar begrüßt hat. Die Regierung hat nun jüngst ein Gesetz über Po lizei, welche die Rittergutsbesitzer in ihren Dörfern ausüben sollen, zur Berathung vorgelegt. Ei» Paragraph dieses Gesetzes, welches das Ansehen der Rittergutsbesitzer heben soll, sagt nun sehr vernünftig und selbstverständlich Folgendes: ,,Wenn ein Gutsherr die Polizei persönlich verwaltet- und er begeht dabei Verbrechen und Vergehen, welche bei einem Beamten strafbar sind, so soll auch der Gutsherr nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs zur Verantwortung gezogen und vom Ge richt bestraft werden können." , Gegen diesen Paragraph trat nun Graf v. Pfeil, ein Mitglied der Rechten, mit einer Offenheit.auf, welche die Pläne dieser Partei so unvorsichtig enthüllte, daß selbst einige Genossen seiner Partei es für gerathen fanden, ihre Mitgenossenschaft zu solchen Plänen und Ansichten abzu lehnen. Die famose Rede deS Herrn Grafen lief auf den Satz hinaus: Eli, Beamter gewöhnlichen Schlags, der sein Amt im Namen deS Königs verwaltet, muß für ein Vergehen oder Verbrechen im Amte bestraft werden, wie daS Strafgesetz verschreibt. Ein adeliger Rittergutsbesitzer aber dürfe nicht so behandelt werden; er dürfe nicht be straft werden, wenn er auch in seinem polizeilichen Amte ein Verbrechen begehe. Um nun zu beweisen, wie schlimm es in der Welt stehe, wenn man die adeligen Rittergutsbesitzer für Ver brechen, die sie als Polizeibkamte begehen, eben so bestrafen wolle, wie königliche Polizeibeamte, führt er ein Bild aüs seiner eignen Polizeiverwaltung vor. Mit unverschämter Offenherigkeit erzählte er nun: „Er hab« einen Menschen, von dessen juristischer Un schuld er überzeugt gewesen, fünf Tage lang schlie ßen und einsperren lassen; er habe einen Einwohner seiner Güter, der ihn öffentlich beleidigt habe, des Nacht verhaften lassen und als Richter in eigner Sache auf acht Tage zu Arrest verurtheilt; er habe einen Mann, der aus Hunger ein Stück Fleisch von einem ausgeleg- _ tLN.Pmdec^daoer Heschnitt«u,.^o bestraft,.daß er, der Graf, deshalb würde Zuchthausstrafe bekommen haben, wenn er unter dem Kriminalgcsctze wie andre stehen sollte. Wollte man die adeligen Rittergutsbesitzer bei Vergehen und Ver brechen in ihrem Polizeiamte eben so strafen, wie könig liche Polizeibeamte, so hieße das der Ritterschaft ein Brandmal der Schande anfd rücken." Wir bedauern die Unterthemen des Herrn Grafen von Pfeil, und glauben, daß selbst in Rußland mehr Ge rechtigkeit zu finden ist, als die Unterthanen dieses „kleinen Herrn" genießen. Die Preußen können aber gleichwohl für diese seltene Offenheit danken. Nun wissen sie doch, wohin der Herr Graf und die mit ihm gehen, zusteuern. Mit edler Entrüstung erhob sich aus jene famose Rede der Abgeordnete Wenzel und sagte: „Wenn Sie nun nicht sehen, wo man hinaus will, so wollen Sie nicht sehen!!" Nun in der Thal, wer nicht sehen mag, wo Herr Graf v. Pfeil hinaus will, wenn er das Recht begehrt, Un schuldige zu schließen, zu prügeln, einzusperren, und fstr solche Schandthaten Straflosigkeit fordert; der mag nicht sehen. Der Herr Graf will für sich und seine edeln Par teigenossen Vorrechte, wie das eben auSgcsprochne, und für die Bauern das Recht, sich prügeln zu lassen. Diese offenherzige Rede des Herrn Grafen wurde von den Parteigenossen deS edel» Mitglieds klugerweise mit einem Eifer desavouirt (abgeleugnet), welchen man sonst nur gegen die Linke anwandte. Die Klugen und Vorsichtigen auf der äußersten Rechten mußten allerdings -- sehr erschrocken ssein, ihre» gräflichen Genossen mit Grund sätzen und Gesinnungen'unvorsichtig hervörtreten zu sehen, für welche die Zeit noch nicht reif ist, deren offenes Be- kenntniß einer glücklicher» Zukunft Vorbehalten bleibe» mochte. Es kann daher Niemanden wundern, daß die Führer der äußersten Rechten, Herr v. Gerlach und Wa-