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Sozialpolitische Umschau MWlmlShue ISk IIISE Meiler vom Slan-punkl der Erziehung Von Jugeiidsekretär Jos. Haider. Eensizunehmende Tatsachen und Erfahrungen in der Jugendfürsorgepraxis veranlassen mich, zu der obigen ,^rage Stellung zu nehmen. Wohl keinem Menschen bleibt es ver borge», das; trotz der wirtschaftlichen Krisenstimmung, welche allgemein in unserem Vatcrlande noch herrscht, da und dort die Geschäftstätigkeit wieder aufgelebt, ja, das; sogar »n Vauhaudwerk sieberhastes Leben erwacht ist. Eine breite Gruppe von Handwerkcrberusen, Zcmnierleute, Banschreiner, Banschlosser, Maurer, Dachdecker und Gipser, hat wieder gute Verdienstmöglichkeiten errungen. Mancher Handwerks meister, der in den letzten Jahren hart um seine Existenz zu ringen hatte, ist nun wieder in der Lage, sein Geschäft zu fundieren und auszubauen, und wie mau aus Fachkreisen hört, soll die Bautätigkeit jedenfalls fiir eine Reihe von Jahren anhalten. So erfreulich dies ist, so hat die ganze Wirtschafts- entwicklung doch auch wieder ihre unguten Dinge mit im Gefolge gehabt. Sowohl die Wirtschaftskrisen, als auch die Wirtschaftshochkonjunkturen tragen immer ein unsolides Mo ment in sich. Obgleich hier nun blos; von der Hochkonjunktur einer verhältnismäßig eng abgegrenzten Wirtschaftsgruppe die Rede ist, so hat diese doch Bedeutung für unser ganzes volkswirtschaftliches und soziales Leben. Sie hat vor allem bei den Banhandwerksberusen eine höchst ungesunde Lohn bewegung ausgelöst! Da es im Augenblick an den nötigen Facharbeitern entschieden fehlt und dadurch die Geschäfts- auftrüge Verzögerungen erleiden, haben sich die Arbeit« nchmerverbünde diese Konjunkturspannung zunutze gemacht und ihre Lohnforderungen Zug um Zug erhöht. Man bediente sich dabei wieder der „Streiks". Ich halt« die>e gegenwärtige Lohnbewegung nicht nur deshalb für ungesund, weil sie Anlaß zu einer allgemeinen Preistreiberei werden kann, sondern auch deshalb, wen bei anderen Wirtschaft-« gruppen zum Teil tatsächliche Krisenstimmung herrscht und man dort selbst bei den sehr geringen Arbeiter« und Ange stelltenlöhnen oft kaum in der Lage ist, mit dem Auslands markt zu konkurrieren. Hier also mehr oder weniger Hunger« löhne, dort hohe Konjunkturlöhne, die doch bei den weniger gut bezahlten Angestellten und Arbeitern eine gewisse Eifer sucht herbeiftthren müssen, die sich dann langsam in große Unzufriedenheit umsetzt. Da nun auch der ungelernte Arbeiter von den Kvnjunkturlöhncn ebenso Profitiert, ent steht hier ein besonderer Reiz. Ungesund heiße ich diese Lohnbewegung vor allem auch deshalb, weil in der Ent lohnung tatsächlich kein wesentlicher Unterschied, zum Teil säst keiner, zwischen ungelernten und gelernten, zwischen alten und ;ungen Arbeitern gemacht wird. Vom Standpunkt der Erziehung ist cs gerade für die Jugendlichen höchst gefährlich, wenn diese nun auf einmal so viel verdienen, mehr verdienen als manchmal ältere Familienväter. Schon während des Krieges hatten wir doch gelernt, wie gefährlich es ist, den Jugendlichen (ich meine da hauptsächlichst die halbwüchsigen Bürschchen von 16—18 Jahren) zu große Verdienstmöglich- kciten zu schaffen. Besonders schädlich war es, daß in der Bezahlung von gelernten und ungelernten Arbeitern tvin größerer Unterschied gemacht wurde. So war also bei der Jugend nicht nur die Ziel strebigkeit gehemmt, sondern auch der Genußsucht Vorschub geleistet. Ein typischer Fall aus der Praxis zeigte in neuester Zeit deutlich, in welch raffinierter Weise manche Jugendlichen versuchten, ein Lehrvertragsverhältuis zu Fall zu bringen, um als Hilfsarbeiter gegen hohen Lohn bei einem anderen Handwerksmeister weiterzuarbeiten. Ein Malerlehrling brachte dies fertig durch Passiven Widerstand, indem er einfach öfters ohne Grund vom Geschäft wegblieb, bis endlich sein Meister das Bertragsverhältnis aus lauter Aergcr selbst kündigte. Dies war dem Lehrling so recht, denn ein anderer Meister stellte ihn als Malergehilse um einen Wochenlohn von rund 50 Mark ein, nebst freier Kost und Logis. Die Folge davon war nun, daß in dem 17jähr. Burschen der Stolz so stark anwuchs, daß alle Einfluß möglichkeit auf ihn völlig vernichtet wurde. Er entzieht sich auch absichtlich dem Einfluß seines Fürsorgers. Früher war er mit einfacher Kleidung zufrieden, heute geht er mit Sportjacke, Reithosen, Seidenstoffhemden und Spazterstock einher. Sein Strebevermögen ist in ihm erloschen und er kümmert sich kaum um seine Pflichten, denn er fühlt sich so mächtig wie ein Erwachsener, der allein über sich verfügt. Sein gewöhnlicher Aufenthaltsort in der Freizeit wird das Casö, die Weindiele und das Kino werden. ... So lehrt die Praxis: Aehnlich wie dieser Fall sind auch andere Jugendfälle gelagert, und die Jugendfürsorge weiß ein Lied zu singen von den Bürschchen, welche durch das viele Geldverdienen „wirtschaftlich all zu selbständig geworden sind." Diese Tatsachen möchte ich all denen zu bedenken geben, welche für die Lohnpolitik verantwortlich sind und diele mitbestimmen, oder Einfluß auf sie haben. Vom er zieherischen Standpunkt ist es einfach unerhört, wenn man auch bei den Jugendlichen die Lohnpolitik aus die Spitze treibt. Jedenfalls wäre eine größere Staffelung der Lohn skala sehr zu empfehlen; und zwar so, daß unser junges Volk deutlich spürt, daß es einen Zweck hat, voranzustreben und ein Handwerk tüchtig zu erlernen. Sek MIMMe M We MllWlllW Freiheit ist nicht hemmungslose Einzelwillkiir, sondern strebender Eigenwille, der seine Grenzen findet in den Forderun gen der Allgemeinheit. Diese sittliche Gebundenheit ist die Vor aussetzung jeder Kräfteentfaltung, die auf die Dauer den ge- wollten Zweck nur dann erreicht, wenn sie sich innerhalb des ihr durch das öffentliche Interesse gezogenen Rahmens vollzieht. Die Verletzung naturbedingter Notwendigkeiten findet immer tätigen Widerspruch, der hier die Nolle des gerechten Ausgleichs, den man selbst außer acht ließ, übernimmt. Da das nicht ohne zerstörende Erschütterungen vor sich geht und meistens ein Ex trem das andere abzulösen versucht, so ivird das Wechselspiel von Freiheit und Zwang so lange unheilvoll sich auswirlren, bis die sittliche Reife eines Volkes wenigstens in seinen verantwort lichen Führerschichten bis zur Erkenntnis der Unwürdigkeit und Unmöglichkeit eines solchen Zustandes und zur freiwilligen Ein ordnung in die Gesamtbelange vorgeschritten sein wird. Die Ueberspannung des Zunstzivanges führte um die Wende des Jahrhunderts zur Tragik des Kapitalismus, gegen dessen auf reibende Wettbewerbsüberbietunq die manchesterlichen Unterneh mer sich selber zu Schuhkartellen Zusammenschlüssen. Es wird niemand leugnen, daß zum Beispiel die Gebiets- Kartelle, Kontingentierungsliartelle und Ausfuhrkartelle die For men der wirtschaftlichen Betätigung durch Gebiets- und Absatz begrenzung segensreich beeinflußt haben. Aber in dem Augen blick, wo Submissions-, Verkaufs- und Preiskartelle eine ge sunde Konkurrenz zwangsläufig ausschalteten, hemmten sie den lebendigen Willen zur Fortführung der Betriebsrationalisierung und Produktionsverbillignng. Die organische Stetigkeit wuchs jedoch ans zur bequemen Gewinnsichcrung, deren Objekt die Verbraucher waren. Wen» schon in einer normalen Wirtschaft diese Gefahr drohte, so mußte die Tendenz in der Zeit des ver ringerten Absatzes, die unsere Volkswirtschaft heute durchzu machen hat, eine Vergrößerung der unproduktiven Kräfte inner halb des Betriebes und der Güterverteilung herbeisühren, wobei die Preise ohne Rücksicht auf die Kauffähigkeit der Verbrauä>er sich lediglich dem guten Auskommen der produzierenden und handelnden Kettenglieder anpaßten. Unter dem Schutze der Preiskartelle fanden die für die produktive Arbeit nicht mehr benötigten Glieder als Händler immer noch lohnende Beschüst- gung. Und so braucht man sich über die unmögliche Spanne zwischer Erzeuger- und Kleinhandelspreis nicht zu wundern, die bei manchen täglichen Bedarfsartikeln bis zu 200 Prozent be trägt. Inwieiveit die verkehrte Kartellpolitik an diesen Zu. ständen Schuld trägt, zeigt mit aller Eindeutigkeit die erfchrek. kende Tatsache, daß die Zahl der Kartelle, die im Jahre 1005 noch 400 betrug, im Jahre 1024 auf 2500 in der Industrie, 400 im Großhandel und 150 im Kleinhandel herausschnellte. Man kann nicht umhin, Herrn Dr. Frhrn. v. Wangenhelm, dem Vor sitzenden der Landwirtschastskammer für die Provinz Pommern, recht zu geben, -er unter der Ueberschrift „Produktionskosten. Syndikate, Kartelle und Ringbildung" in der Nr. 493/1925 der „Kölnischen Zeitung" ausführte: „Die fehlende Tätigkeit, aus gesunder Grundlage Friedensergeünisse erzielen zu können, wird ersetzt durch wirtschaftsschädliche, lediglich engsten Sondsrinter« essen dienende Maßnahmen (Syndikats-, Kartell- und Ringbil dung). Diese Tendenz findet bedauerlicherweise staatliche Unter- stiitzung vermutlich aus Erwägungen steuer- und sozialpolitischer Art heraus. Der notwendigen und ohne künstlichen Einfluß zu erwartenden Entwicklung wird damit jedenfalls entgegengear beitet . . . Den heutigen Syndikats-, Kartell- und Ringbestre bungen liegt der gemeinsame Gedanke zugrunde, die naturgemäße Entwicklung zu hindern. Ohne fiir oder gegen die Kartellbildung Stellung zu nehmen, kann ivohl gesagt werden, daß das Festhal- ten an bestimmten Zielen (Auffassung des Kartells als Versiehe- rung gegen Konjunkturschwankungen und Krisenschutzmittel) sich unter den heutigen Verhältnissen als in hohem Matze wirt schaftsschädlich erweist." In der Tat muß ein Zusammenschluß, der lediglich einem verhältnismäßig kleinen Teil unseres Volkes auf Kosten der Gesamtheit ein friedensmäßiges Einkommen und die Möglichkeit einer schnellen Kapitalanhäufung sichern will, auf das schärfste bekämpft werden, schon im Interesse der Wirtschaftsgesundung. Sicherlich wird die verkehrte Relation zwischen willkürlichem Preisdiktat und den Notwendigkeiten des Absatzes an der immer enger werdenden inneren Kaufkraft sich totlaufen und einer natürlichen Entwicklung Platz machen. Ansätze dafür sind bereits vorhanden. Aber bis dahin ist die wertvollste Zeit für die An passung an die neuzeitlichen Wirtsckiaftsmethoden vertan, wäh rend die Wirtschaft der übrigen Länder einen Vorsprung vor unserer ehedem vorbildlichen Wirtschaft erlangt hat, den wir nicht mehr einzuholen vermögen. Englische n»d deutsche Wirtschastszahlen. Trotz der be ängstigenden Zunahme der Arbeitslosigkeit kann England einen Rückgang der Indexziffer melden. Diese fanc von 216,7 Ende Januar 1925 auf 202,6 Ende Mai; das be deutet einen Rückgang um rund 6 v. H. Gerade entgegen gesetzt ist die Entwicklung in Deutschland: bei weiterer Ab nahme der Arbeitslasenziffer» ein Steigen der Kosten für die Lebenshaltung allein von Mai bis Juni »in 2.1 v. H., von Juni vis Juli um 3,6 v. H. Es ist schwer, diese ab weichenden Zahlenbewcgungen allein damit zu begründen, daß steigende Konjunktur Anziehen der Preise nnt sich bringt. Der Erhöhung der Lebenshaltungskosten steht keine Erhöhung der Löhne und Gehälter als Ausgleich gegenüber. Bei alledem bleibt als peinlicher Rest der Erklärung oie Ueberzeugung, daß in die deutsche Preisbewegung Faktoren kttnstlischcr Perteuernng eingeschaltet sind.' Deutsches und englisches Lohnniveau. Der „Manchester Guardian Coinmercial" untersucht in seiner Nummer vom 4. Juni 1925 die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Eng lands und Deutschlands. Nach diesen Feststellungen ver dienen englische Werftarbeiter an Reallohn 60 v. H., unge lernte Arbeiter 24. v. H. mehr als die entsprechenden deutschen Arbeitergruppen. Dabei ist die deutsche Arbeitszeit länger. Ungünstig wird die deutsche Wettbewerbsfähigkeit be einflußt durch höhere Rohstvffprcise, höhere Eiseubahnsrach- ten und größere Steuerbelastung, die mit 216 Mark ;e Kopf angeseht wird. Auch aus dieser Zusammenstellung geht deutlich hervor, wie tief das deutsche Lohn- und Gchalts- niveau liegt. Der Anteil des Lohnes am fertigen Produkt ist im Verhältnis in Deutschland so gering, daß er die übrigen verteuernden Faktoren mehr als aufwiegt; denn sonst könnte die deutsche Industrie nicht so den ausländischen Wettbewerb drücken. Auch dann nicht, wenn man an die Tatsache der Kampfpreise auf dem Weltmarkt denkt. Was aber alles nicht hindern wird, daß die Wirtschaft nach wie vor über die verteuernde Wirkung der angeblich hohen Lohne quotc klagt und alles versucht, um eine Korrektur der un zulänglichen Beamtengehälter zu verhindern. Arbeilgeber und Arbeitnehmer Universitütsprosessor Dr. Briefs (Freiburg t. Br.-, der bekannte, auf katholischer Grundlage fußende Nativnal- ökonom, hielt kürzlich vor dem Verbandstag der christlichen Bauarbeiter Deutschlands einen Vortrag, in dem er eine interessante Schilderung des Verhältnisses zwischen Arbeit geber und Arbeitnehmer bot. Der wichtigste industriewirt schaftliche Vorgang war — so führte er aus die Kon zentration der Verfügung über die industriellen Wirtschafts- niittel. Wir haben eine Konzentration des Kapitals, eine Konzentration der Verfttgungsmacht über die industriellen Werkmittel und über die Werke. Beim großen Konzern hat sich gewissermaßen das vielköpfige System der direk torialen Verwaltungen zusammengeschlosscn; es hat sich zentralisiert. Es sind einige ganz gewaltige wirtschajts- führcnde Köpfe vorhanden und unter diesen gewaltigen Wirt- jchaftsführcnden Köpfen ist zunächst ausgebaut ein breites generaldirektoriales System und unter diesem wieder ein breites Direktorialshstem. Es hat sich, im Rahmen der mittelalterlichen Rechtsgeschichte gesprochen, die Ministeria- lität der neuen Unternehmung, des neuen Unternehmer tums gebildet; es ist ein Prozeß der Bildung eines Dienst- adclS der großen Kapitalsherrschaften im Gang. Die großen Konzerne selbst sind ungefähr' dasjenige, was die Grund herrschaften des Mittelalters waren, den „Ministerialen', das heißt dem Dienst- und Verwaltungsadel des mittel alterlichen Grundherrn, entsprechen heute der General direktor und die Direktoren. Da haben wir also zunächst die charakteristische Figur des Generaldirektors. Ihm zur Seite stellt sich nun aus dem Gebiete, wo diese» so konzentrierte Kapital dem Arbeitnehmertum gegenübertritt, «ine weitere charakteristisch« Figur: die Verwaltung der Arbeit, jenes Rohstoffes, von dem neben dem Kapital di« moderne Unternehmung lebt, und die Taktik dem Arbeiter, der Arbeiterschaft und ihren Verbänden gegenüber üherntmntt der Shndlms. Der Gy n« ;-LS- W'LW nehmer von heute, den Ansturm der Gewerkschaften und die Ansprüche der Arbeiter abzuwehren sticht. Die Bedeu tung des Syndikus liegt darin, daß er spezialistisch vorge schult ist. Er ist akademische Intelligenz; er kommt von der Universität oder jedenfalls von der Hochschule, er kommt mit der ganzen Taktik und mit der ganzen Borschulung, die die Universität in diesen Dingen zu geben hat, mit dieser Taktik mnd dieser Vorschnlung aber eingestellt im Dienste der Abwehr von Arbeitcrinteressen, im Dienste der Abwehr des Angriffes organisierter Arbeitermassen in Gestalt der Gewerkschaften. Das ist diese Seite der Sachlage. Auf der anderen Seite haben wir die zweite Front, die auch ihren charakte ristischen Sozialopponenten vorschickt, das ist der Gewerk schaftsführer. Syndikus und Gewerkschaftsführer sind die für unsere Zeit charakteristischen Figuren aus dem Ge biete des Kampfes zwischen Kapital und Arbeit. Hinter beiden stehen große Machtverbände, mit einem Unterschiede: Aus der Syndikusseite ist die Macht der vertretenen Inter essen, Besitz- und Eigentumsmacht, Kapitalsmacht, Macht, die cs gestattet, auszuhalten, Macht, die es gestattet, zu warten, im Gegensatz zu der in außerordentlich mächtigen Verbänden gesammelten Arbeiterschaft, die bet aller Massenhaftigkett des Aufmarsches nicht über die Eigenschaft verfügt, zu warten, auf lange Sicht zu manövrieren, sondern bestrebt ist, angesichts des fehlenden wirtschaftlichen Rückgrates ent weder zuzuschlagen oder nicht« zu tun. Dieser Mangel an Taktik, an taktischen Möglichkeiten hängt, wie es Brentano schon genannt hat, mit den Eigentümlichkeiten der Ware Arbeit zusammen, die überhaupt nicht warten kann, sondern die eben tagtäglich Lohn haben mutz. Der Lohn ist die Achse des arbeitenden Daseins, und der Lohn hängt an der Arbeitsstelle. Und so kreist um die Arbeitsstellen und um den Lohn das taktische Vermögen der Gewerkschaften und der GewerkschaftSführung. Aus diesem Grunde konnte be reits im Hahrs 1921 Professor Marr im Jahresbericht des Frankfurter Sozialen Museum» sagen: „Die Gewerkschaften mögen heute noch so sehr in der Macht sich befinden — das ist alles fauler Zauber, das geht alles vorbei; derjenige, der die Arbeitsstelle hat und der den Lohn zahlt, wird über kurz: oder lang da» Heft in her Hand haben." Wäre es wohl mWfch, däß die Gewerkschaften, die kraft der politischen Demokratie und kraft auch des gestiegene» sozialen Prestiges heut? so einflußreich sind, wirklich eines Tages von dem, der die Arbeitsstelle hat, und von dem, der den Lohn zahlt, so zu Paaren getrieben werden können? Zwei Jahre später, 1923, als ich an der Ruhr war, im Oktober und November, sah ich, wie sich die Katastrophe schon vollzogen hatte: aus den Werken entlassene Leute stürmten unter voller Nicht beachtung aller gewerkschaftlichen Taktik und aller gewerk schaftlichen Vorschläge mit Gewalt an die Fabrikorte, um die ersten zu sein, die wieder ausgenommen wurden. Der Anschlag am Fabrikorte führte aus: „Zu Bedingungen der Vorkriegszeit". Zu Hunderten drängten sich die Leute heran, durch die Gärten, über die Zäune ging alles. Wirk lich, jener Mann hatte recht, der gesagt hatte, daß derjenige, der die Arbeitsstelle habe und der den Lohn zahle, zum Schluß das Heft in der Hand haben werde. Nun inzwischen? Es ist bekannt, was alles darauf ge folgt ist, wie der Vorstoß von seiten mancher unkluger Arbnr- gebervertreter kam, ein Vorstoß, der die Absicht hatte, mit den Gewerkschaften vollständig aufzuräumcn. Syndikus Dr. Klentner bediente sich in Elberfeld des Satzes: „Societates esse delendas". Also, „ich bin der Meinung, man muß die Gewerkschasten kaputschlagen". Das Charakteristische der Situation uiih der Meinung auf Arbeitgeberseite, zumal auf Seite der Arbeitgeberverbände, scheint mir darin zu liegen, daß die Neigung zum Niederschlagen und zur Zerstörung der Gewerkschaften bet den Arbeitgebern nicht sehr groß war. Die Berliner Zentrale der Vereinigung der deutschen Arbeit geberverbände hat jedenfalls, was ein Vorgehen von dieser Seite anbelangt, sehr rechtzeitig zurückgehuft und sich sehr vorsichtig geäußert. Das deutet darauf hin, daß auf jener Seite aus der Vergangenheit doch vieles gelernt worden ist. Man habe ia, so wird man sich dort sagen, nicht etwa die Wah» der „Gewerkschaften", sondern man habe nur die Wahr „Gewerkschaften oder aber Herrschaft der Masse!" Entweder organisiert sich die Arbeiterschaft zur Lmtretung ihrer ge rechten und berechtigten Interessen iutUszipltnierter Form, oder aber, wenn wir ihr diese disziplinierten Formen der Organisation zusammenschlagen, dann wird ganz etwa» an deres herauskommen als die Zufriedenheit, die sich wohl mancher Dummkopf im Arbeitgeberlager dabei als erreich« bar gedacht hat.