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Onter^altuns und V^i88en ftlr.pl - 7. ^ptil 1929 8äofi8>8cfte VoHtsreilunj; Olüeklieker Zufall Jimmy Carter ging die Oxford Street hinauf. Er mar sehr nachdenklich und hatte kaum «inen Blick siir da» hastige Straßen- treiben feiner Umwelt. Seine Nachdenklichkeit hatte gewichtige Ursache. Seit fünf Jahren war er Buchhalter bei Blooggs u. Binls, Import und Export, gegen ein Wochengehalt von fünf zehn Pfund und schon dreißig Jahre alt. Der Traum der Selb ständigkeit. seit leinen Praktikantenjahren sein Lebensziel, war langsam erblüht. Erst seit er Miß Molly Dougal kennen ge lernt, wuchs seine Sehnsucht nach Selbständigkeit aus das neue. — Einen Clark würde Mih Molly wohl nicht heirate» wollen, und nach einer Heirat stand Jimmys-Hinn, seit er täglich MH Mollys schlanke Gestalt vor Augen hatte. Ein derber Stoß gegen seine Schulter warf ihn an die nächste Hausmauer. Ein Mensch, rücksichtslos alle ihm im Weg befindlichen Passanten zur Seite schleudernd, rannte wild an ihm vorüber. Zugleich hörte er einen metallischen Klang. Als er sich ausrichtete, sah er ein glänzendes Ding zu seinen Füßen. An ihm vorüber wälzte sich eine Menschcnwoge, schreiend, brül lend. zwei Tommys an der Spitze. Unwillkürlich bückte er sich und hob das glänzende Ding auf. Ein billiger Vronzeguß, ein stehender Löwe, wie man wohl solche Figuren vorne an dem Kühler der Autos-anbringt. Weder Kunst- noch Materialwert. Jimmy Carter steckte das Ding in die Tasche und ging weiter, seinen Gedanken nachhängend. Misz Molly Dougal war Stenotypistin bei Wallacc Blythe, dessen Bürofenstcr nach demselben Hof gingen, wie die Fenster des Kontors von Blooggs u. Vinks. So hatte Carter täglich von 9 Uhr früh bis 5 Uhr abends Gelegenheit, Miß Molly an ihrer Maschine arbeiten zu sehen und ihr durchs Telephon Guten Morgen, Mahlzeit, und gute Nacht zu sagen. Lange Zeit wußte Miß Molly nicht, wer ihr die Tageszeiten wünschte und ihr beim Plaudern jede ihre Bewegungen schilderte, bis sie eines Tages Jimmys seliges Gesicht hinter dem Fenster gegenüber entdeckte. Dann hatten sie sich einige Male in einem kleinen Tccsalon in Tottenham Court Road getrosfen, wonach auch Miß Molly mächtig viel von Jimmy Carter zu halten begann. Vor einigen Tagen war der Leiter des Zweiggeschäftes von Blooggs u. Binks in Liverpool gestorben, und die Chefs hatten Carter den Posten angeboten. Das Schlimme daran war nur, daß er «ine Sicherstellung von 500 Psund hatte leisten müssen, «nd keine fünfzig besaß, und dann auch, ob Miß Molly mit einer Uebersiedelnng nach Liverpool einverstanden sein würde. Das waren gewichtige Gründe zu Jimmys tiefem Nachdenken. Er bog in Tottenham Court Road ein und traf im Teesalon Miß Molly wartend an. Nach kurzer Zeit fiel ihr seine Schweigsamkeit auf, und sie entlockte ihm mit weiblicher Schlauheit die Beichte seiner Sor gen. Dann schüttelte sie den rotblonden Bubikopf und sagte seufzend. „Fünfhundert Psund, nicht zu machen, und nach Liverpool wär ich so gern gegangen." „Oh, Miß Molly" jauchzte Jimmy, zärtlich ihre Hand drückend, „dann ist wenigstens eine meiner Sorgen erledigt.—" „Ja", Miß Molly blieb traurig, „aber die fünfhundert Psund machen die größeren." Von Da siel auch rin Schatten aus Jimmys jauchzende Freude, und er versank wieder in trauriges Grübeln. Auch Molly sprach nicht mehr viel. Als sie Abschied bis zur nächsten Zusammen kunft nahmen, war ihr ganzes Denken aus die Beschaffung von fünfhundert Psund gerichtet. — In seinem Junggejellenheim Lberkam Jimmy die ganze- Hoffnungslosigkeit der nächsten Zukunft. Verzweifelnd fuhr er in seine Taschen, als könne er dort das ihm fehlende und doch so nötige Geld finden. Seine Finger stießen aus den Bronze- löwen und Hollen das glänzende Ding heraus. Aergerlich besah er es eine Weile. „Könntest du nicht aus Gold sein, dann wäre mir geholfen", dachte er, und warf es mißmutig gegen den eisernen Füllosen. Beim krachenden Aufschlag flog der Kops des Löwen ab und rollte in die Mitte des Zimmers. Ans dem hohlen Leib, der beim Ofen liegen blieb, glitzerte es blutig rot. Jimmy hob ihn auf und schüttelte verwundert den Kops. Aus der Höhlung zog er an dünner wundervoll gearbeiteter Goldkette einen großen, eigen artig geschlissenen Rubin hervor. Wie ein blutiger feuer- sprühender Stern lag er in seiner Hand. „Der Stern des Südens, der Stern des Südens", stammelte Jimmy. — Beim Rout des amerikanischen Botschafters hatte es sich ereignet. Lady Summcrsield war mit ihrem berühmten Hals schmuck erschienen. Dem Stern des Südens. An dünner, wundervoll gearbeiteter Goldkette hing der große, eigenartig ge schliffene Rubin. Wie ein blutiger feuersprühender Stern lag er auf der weißen Haut des Dekolletees. Der Stern des Südens war ein legendenhafter Schmuck Warren Hastings, der Erobe rer Indiens, hatte ihn nach England gebracht. Nach wechsel- vollen Schicksalen war er in den Besitz der Summersields ge langt. Die Damen drängten sich um die Lady und bewunderten den Stein, dessen Wert in das Fabelhaste ging. Lady Summer- sield löste stolz den Schmuck vom Halse und legte ihn dem Haus- hosrneister aus die Silberplatte, der damit im Saale herum- ^ ging und die Gäste den Stein bewundern ließ. Da ging mit einem Male das Licht aus. Es wurde stockfinster. Augen- NorzenFloelrei» Als der Morgen auf tauigem Hügel stand, deine Strahle», Sonne, wie Garben baud, sie dem Tag auf den Avagcn zu schwingen — fiel dem Wölklein am Himmel das Wandern ein, stieg ein Vöglcin vom Nest ins Blaue hinein und di« Glocken begannen zu singen. Die Klänge wallten wie Mönche im Chor und pochten mit Flügeln an Türe und Tor und rasteten scheu in den Wiesen . . . Den Bach in der Ferne, der Berge Band und Türme und Dächer, das ganze Land sah ich im Schimmer zerfließen! kram ckott. Msrsselr. «lein Inhalt A. Jwars: Glücklicher Zufall Franz. Joh Biersack: Morgen Glocken. Hellmuth Quast-Pcregrin: Erkcnen. Maria Mayer: Das Freudenleer Schloß. Gerhard Krause: Dein Kommen und Gehen. Hans Wirtz: Freiheit! Alois Wogcncr: Kunstwerke am Weg«. Maria Ivel«: Sie im Pelz. i!>illiiii!i!!>IMl!il>i!il!!li!i!iili!>iii!iiiW!iiii!ili>llii!iii!i!!ll!li>l!il!i!!!>iii!!H!l!!,i,i!!,!Iiii!Hll!l!l,!i!liii>!N>ii!i!!!!!!!!ilii!!!II blickliche Verwirrung entstand. Als das Licht wieder auf flammte. stand der Butler mit offenem Munde da, die leer« Platte in der Hand. Der Stern des Südens war verschwunden. Ein junger, sehr eleganter Herr lehnte an dem Saaleingang. Er hatte im Augenblick, da cs dunkel wurde, mit einem Satz diesen Platz erreicht. Der Botschafter, der aus dem erregten Stimmengewirr das Geschehnis erfuhr, stand ratlos. Der junge elegante Herr lächelte eigen. Er zog eine kleine Metallslötc hervor und psiff dreimal. Das Signal ließ Männer in den Saal dringen, deren unbewegte verschlossene Gesichter anzeigten, daß sie eine Dienstpflicht zu vollziehen hatten. „Ladys and Eentlemen!" begann der Botschafter, „Scot- la Pard hatte mich bereits heute morgen verständigt, daß eine Verbrechergesellschast bei mir einen Raubzug beabsichtige. Seither steht mein Palais unter polizeilicher Bewachung. „Capitain Morgan von der Kriminalabteilung", bei diesen Worten trat der junge, elegante Herr vor, „hat die Ober leitung. Lady Summersields Schmuck ist verschwunden. Der Dieb muß unter uns weilen. Ladys and Kcntlemen, ich bitte, den Anordnungen des Capitains Morgan Folge zu leisten. Der verschwundene Schmuck muß gefunden werden." Dieser Schlußsatz des Botschafters blieb unerfüllt. Der Schmuck wurde nicht gesunden, obwohl Capitain Morgan alle im Saal befindlichen Personen genau durchsuchen ließ. Der Schmuck wurde nicht gesunden, obwohl im Saal lein Winlelchen un- durchforscht und jedes Möbelstück vom Platze gerückt und einige mal« umgekehrt wurde. Aus einem Taburclt stand ein billiger Bronccguß, ohne künstlerischen oder materiellen Wert, ein stehender Löwe, eine Figur, wie man sic wohl vorne aus ocm Kühler der Autos anzubringen pflegt. Capitain Morgan nahm ihn mehrmals in die Hand, um ihn gleichgültig wieder zurück- zulcgen. Der Stern des Südens blieb verschwunden. — Sämtliche Londoner Tagesblättcr brachten Berichte des Diebstahls beim Rout des amerikanischen Botschafters. Durch phantastische Reportcrschildcrungen in den Einzelheiten aus» geschmückt Sie publizierten die von Lady Summersield aus- gesetzte Belohnung von 1000 Psund siir die Zurückbringung des Sterns des Südens. J-mmy Carter suchte krampshast die alten Nummern der Zeitungen hervor, in denen er die Berichte des Diebstahls und die ausgcsetzte Belohnung gelesen. Var seinen Augen tanzte eine Ziffer Tausend Psund. Gott segne den Zufall, der mir die Broncefigur vor die Füße gelegt, dachte er. Dann stürzte er aus dem Hause und ln das nächste Nutotaxi. „New Scotland Pard!" ries er dem Chausseur zu und las nochmals die Kundmachung, daß alle den Stern des Südens Lrkeuner» SvllwnU» grrasi korsgrio. „Vorsicht. Kunze, Vorsicht! Nicht so hitzig da ins Dunkele hinein. Wer weiß, wo der Kerl sitzt." Erregt hält der Beamte den Kameraden zurück, der, mit der Taschenlampe vor sich herleuchtend, die Kellertreppe hinab steigen will. Auch der Portier, der die beiden Polizisten herein- gerufen hat, warnt, der Keller sei wirklich verbaut, die Gänge unübersichtlich, man könne nicht wissen — und so ein Verbrecher sei doch zu allem fähig ... So steigen beide Polizisten langsam die Treppe hinab und das grelle Licht ihrer Taschenlampen tastet weiß und scharf den Gang ab, den rechts und links die Latten- verschläge flankieren. Nichts ist zu sehen und nichts ist zu hören, nicht das geringste Geräusch verrät, daß dort unten ein über raschter Dieb Zuflucht gesucht haben kann. Aufmerksam blicken die Beamten nach den Vorhangschlössern, die unbeweglich an den Haspen hänge>i, alles geschlossene Verschlage, in denen sich niemand versteckt haben kann. Langsam, vorsichtig, Schritt für Schritt gehen die Männer weiter den Gang entlang, rechts und links blicken sie. jedoch alle Latten stehen so eng, daß sich nirgends ein Mensch durchzwängen könnte . . . Der Portier ist an der Treppe stehen geblieben, er soll auf passen, daß nicht der Verbrecher plötzlich aus einer Ecke hervor gestürzt käme und das Weite suche, während die Polizisten hinten im Gange find, er zittert« an allen Gliedern und umklammerte das kleine Handbeil, das er in aller Eil« an sich gerissen hatte, mit beiden Händen, als ob er sich an ihm festhalten müsse. Noch sieht er die beiden Beamten und ihr Anblick gewährt ihm eine gewisse Beruhigung, jetzt aber haben die beiden das Ende des Ganges erreicht, der dort «ine Biegung macht, sie stehen einen Augenblick und dann verschwinden ste und der Schein ihrer Lampen zuckt hier und da hinter den Verschlügen auf, fahl, matt, wie fernes Wetterleuchten und gestaltet unheimliche Gestalten in dem Laternrngewirre. Der Portier zittert — wenn fetzt — da — war da nicht «in Geräusch in seiner allernächsten Nähe gewesen — rin Schlurfen. Knistern — wie ein schleichender Schritt — er greift nach seiner Laterne, die am Boden steht, hebt sie hoch, leuchtet in den näch sten Gang hinein . . . Nichts — nichts — sieht er. der Gang ist leer, kein Mensch ist dort, nichts bewegt sich . .. Da — hinten . . . dort wo die Beamten sind ... ein Getöse, als wenn eine Kiste polternd umgewoifcn wird — ein Schrei — Stimmen . . . halt! Hände hoch! Kommen Sie heraus! Oder es wird geschossen! . . . Der Portier lauscht aus den Lärm — da hinten ist der Einbrecher, jetzt haben sie ihn . .. Und das Geräusch, hier, in feiner Nähr, war nur Täuschung gewesen, sicher nur Täusch ... Da hinten wieder Gepolter — ein Schuh kracht — Schreien — rasch nacheinander zwei Schlisse — grauenvoll dröhnen sic hier unten im Keller — der Portier steht, hält den Atem an, starrt nach .dem Lichtschein, der zwischen den Latten umherirrt — wieder Schreien — da hinten — noch ein Schuß . . .1 Da — plötzlich — ganz in seiner Nähe — ein Rascheln — da — vor ihm — im Dunkel — eine Gestalt... Hierher — hier ist erl" schreit der Portier, seine Stimme schlügt über, rin Gekreisch ist es, er packt fein Beil mit beiden Händen, schwingt es hoch, will den Ausgang verteidigen — da vor ihm — der Mensch bleibt stehen — und setzt sieht er es deut lich — der Mensch steht mitten im dunkele» Gange und hat seinen Revolver aus ihn gerichtet — ganz deutlich fleht der Por tier das kleine blinkende Ding in dem blendenden Licht der am Boden stehenden Laterne .. . „Hierher . .. hierher . . .1" Da hört er eine ihm bekannte Stimme: „Mensch — Höhne — find Sie vernünftig — geben Eie den Weg frei . . .!" Di« Stimme befiehlt, aber «in Zittern ist in ihr, ein Beben der Erregung, der Angst, die Stimme kennt er, sehr gut kennt er sie . . . „Herr Jhlding, Sie?" Entsetzen, Staunen, Schreien, alles klingt im Tone der Frage aus . .. Und der Portier vergißt den drohenden Revolver, er läßt sein Beil finken, er beugt sich vor, um den anderen zu erkennen, den anderen, den Einbrecher, der der verdorbene Sohn des Ge heimrats Jhlding ist, welcher oben in der ersten Etage wohnt... Hinten im Keller Lärm, der näher kommt, die Polizisten haben den einen Einbrecher festgenommen, sie schleppen ihn durch den Gang, das Wimmern »nd Jammern einer Menschenstimmr stöhnt durch das Scharren und Schlesien . . . und das Licht be wegt sich zuckend dahinten . . . Mit einem Schritt steht Jhlding dicht vor dem Portier — noch immer droht der Revolver . . . „Platz — oder?" „Machen Sic keine Dummheiten!" „Lassen Sie mich durch." „Aber um Gotteswillen. wie kommen Sie denn . . .?' Und der Portier kann es nicht saßen, daß dieser Mensch der Sohn des Eeheimrats sei, des Mannes, der im ganzen Hause als ein Muster der Pflichterfüllung und Ordnung, der Menschen liebe gilt . . . „Aber, Herr Jhlding, um Himmels willen . . ." „Gehen Sie fort, Höhne, ich muß raus;! Die Polypen dürfen mich nicht kriegen. Ls wäre meines Bakers Tod!" Jetzt ist der Lärm der Kommenden schon a» der Gannccke, noch eine Sekunde, dann muffen die Polizisten Jhlding sehen — da tritt Höhne beiseite, ein seltsames Empfinden hat er, nicht Angst vor der Schußwaffe ist es, »ein, nur der Gedanke, cs tonne dem alten guten Geheimrat das Herz brechen, wenn man seinen Sohn in seinem Hause als Einbrecher süsse» wurde . . . „Und bei Ihrem Vater wollten Sie . . ?" Der Flüchtling nickt und jetzt sicht der Portier etwas Nasses in den Augen des Diebes blinken. „Gehen Sie. gehen Sie und bessern Sie sich," keucht er hastig und schiebt den anderen förmlich zur Treppe. Und der Ein brecher stolpert hinauf und feine Beine zittern ihm unter dem Leib« und das Laufen fällt ihm so schwer wie seinem Genoffen, den die Beamten angeschoffen haben . . . Einen Augenblick steht der Portier, zittert am ganzen Leibe — den Flüchtling hatte er schon gekannt, wie er noch ein Schüler war, den niemand in der ganzen Gegend mochte seiner lose» Streich« wegen und dem man immer wieder ver-icb, weil der Vater ein so braver, rechtschaffener Mann war. Und dann f el der Junge in der Schule durch, kam in die Lehre, tat auch dort nicht gut, kleine Unehrlichlciten, Unterschlagung. Und dann Ge richt, Strafe und darnach ging er seine eigenen Wege, die besten waren es nicht und bis hierher hatten sie ihn geführt . . . Der alte Portier schüttelte den Kops — da kamen die Be amten mit ihrem Gefangenen. „Den haben wir!" „Na, Gott sei Dank," brummte der Portier und verriet mit keiner Silbe, daß noch ein zweiter Kerl im Keller gewesen sei.