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Das Kreuz am Wege Bo« Max Zetbig, Bautzen. Dort, wo in der sonnenüberglänzten Einsamkeit zwischen Wald und Heide weihe Straßen von Dorf zu Dorf ziehen, steht «m Stande eines kargen Kornfeldes ein Kreuz am Wege. Es ist von einem kleinen, verwetterten Zaun eingefahi. Gras und Blumen spielen um den klobigen Stein von Granit, und ein wilddlühcnder Heckenrosenstrauch will ihm mit seinen Hellen Blüte» bis an die Brust. Aus dem Stein wächst ein Kreuz von Eisen, das die Zeit rostrot gesärbt hat. Es sieht aus, als hätte der Stamm alles Blut und allen Schmerz des Heilandes auf- gelrunkcn, der an dieses Kreuz geschlagen ist und ergeben herab sieht auf das ernteblonde Feld, darinnen Kornblumen, Mohn und Margeritten als eine blühende Freude wuchern. Das Angesicht Christi zeigt jenes duldende Lächeln der Verzeihung, das alle Güte und allen Opfermut des Lebens in dieser Stunde vor dem Sterben noch einmal zusammenfaßt. Dieses Lächeln segnet die Welt, den blauen Himmel, der als ein gottesnaher Sommerdom Uber der Landsäiast ruht, das Lied der Lerchen, die ihre silbernen Brücken zwischen Himmel und Erde bauen, den Flug der Schwalben und Falter, die das Kreuz aus- blitzenö umspielen, und oll das Kleine, tausendfältige Leben, das um die Fähe des Kreuzes kreist. Wenn die Sonne hoch im Mittag steht, ist ein Heller Schein um das Goltesbild, und alles Land und Leben ringsum trägt sein heiliges Licht. Manchmal kommt ein alter Bauersmann vorüber, denkt an Weiter und Ernte, lüftet die schwere Tuchmütze und murmelt ein „Gelobt sei Jesus Christus!" wie Bitte und Gebet. Und wenn die versorgten Frauen aus dem Dorfe sonntags zur Kirche gehen, schlagen sie ein demütiges Kreuz, knien vor dem Christus bild zu kurzer Andacht nieder und lehren ihren Kindern gleiches Tun. Dann verschont sich das Lächeln des Heilandes, Erde und Ewigkeit berühren sich darin, und es ist, als breite der Gekreu zigte die angeschlagenen Hände zum Segen aus. We eine süße Weihrauchwolke weht der sommerwarme Äust ans dem nahen Kiefernbusch herüber, und so liegt mit An dacht. Stille, Tust und Glanz auch im Alltag eine festliche Welt um das Kreuz. Gei ern bin ich wandernd daran vorübergegangen. Da körte ich von fern ein wildes Rasen, das die Innigkeit der Stunde ivahnwitzig zerschlug. Ein verwegener Bursche sagte mi: seinem Motor am Kreuz vorüber, dah der Staub aufwirbelte und die Steine flogen. Der Weg knirschte wie vor Wut und rvarf sich dem wilden Fahrer hart und trotzig entgegen. Aber die Maschine, gräßlich, breit und gemein, drückte ihn nieder. SA hatte nicht Zeit, sah Kreuz und Christus nicht und jagte dahin in rasender Fahrt. Die ganze Straße war in dem Augen blick Zorn. Unruhe und Erschütterung. Das Zittern und Stöh nen ging der Erde durch Mark und Gebein, durchfuhr den Stein und sprang am Krern hinauf zum Leibe Christi. Da schlitterte die schwcrqeslochtsne Dornenkrone und grub sich marternd tiefer in das Fleisch. Das unschuldige Blut strömte in neuen Bächen hernieder. Christus verschloß die Augen vor Schmerz und sah die Welt nicht mehr. Der Himmel war zerrissen wie ein zersetztes Tuch und über dein Land lag Betrüben und Finsternis. Wieder ward die Stunde Kreuzigung und Hohn und Spott: „Bist du ein König und bist d» Gottes Sohn, so hilf dir selbst! Steige herab!" Wie die wilden Räder vorüber waren, beruhigte sich die Straße von ihrem Erbeben. Feld und Wald und Wiesen, die vor Staub und Steinen fast erstickt worden waren, wagten wieder zu atmen. Die Blumen schlugen die Augen aus und sckMiten besorgt zu Christus empor, und auch das neue zaghafte Lied der Vögel klang wie eine scheue Frage: „Hat es dir weh getan, lieber Herr?" Christus erwachte wie von einem bösen Traum. Er hatte den Schmerz überwunden, aber er wußte nun. daß die Welt ewig neues Leid herauf ruft in die Zeit und daß ewig seine Liebe bleiben müsse unter den Menschen. Eine Träne, die ihm die Qual aus dem Auge gepreßt, trank ein Vogel fort, der vorüberflog. Ta lächelte Christus wie zuvor, und das Lächeln geht wie ein Segen über die Flur. Nun ist es wieder ganz still um das Kreuz am Weg. Die Felder sind warm und gut im Ruch von Korn und Brot. Der —Wss ssr IssrM —^ Togcil-Tabletten sind ein hervorragendesMittel gegen kkeums, Siek», Isekis», Srlpps, klsrvsn- unS Kopßeekmsr», ! Schädigen Sie sich nicht durch minderwertige Mittel! ^ Uder 6000 Arzte anerkennen die hervorragende Wirkung des Togal. Fragen Sie Ihren Arzt. Zn allen Apotheken. Preis Mk. 1.40. V.4S cuin. >2,b l,INi. 74,z Ncill. »cet. sal. »o >00 Rm^I. , Geistige Erneuerung der Parieren Die großen politischen Parteien in Deutschland sind unter bedeutenden Führern als geistige Volksbewegungen entstanden, die staatsbürgerliche Gesinnungs- und Arbeitsgemeinschaften sein wollten. Hervorragende Abgeordnete, Zeitungen, Männer der Wissenschaft und der Wirtschaft widmeten sich ihrer Leitung und Förderung. Die breiten Kreise der Wähler hingen mit Ehr furcht an ihrer Partei, weil sie den Bürgern Gelegenheit gab, zur Seile des Fürsten mitzuwtrken an der Verwirklichung der vaterländischen und nationalen Ausgaben des Staatsvolkes, namentlich an der Förderung der Werke des Friedens. Denn die Abgeordneten der Partei wurden in der Volksvertretung zugezogen zur Sicherung der Rechtsordnung, der öffentlichen Zucht und Sitte, der Volkswohlfahrt überall dort, wo Schwache und Bedrängte die Hilfe ihres Gemeinwesens anrufen müssen. Heute fällt im Volksstaate diese Staatsaufgabe dem Volke allein zu. Die Einleitung der Reichsverfassung umschreibt sie mit den Worten: „Das deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu befestigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu för dern, hat sich diese Verfassung gegeben." Sie verpflichtet die deutschen Staatsbürger zum Dienste an der Erfüllung dieser Aufgabe. Sie leisten ihn in den politischen Parteien. Darum nehmen alle staatsbejahenden, stoatspolitischen Parteien teil an der Ehre, die dem Staate gebührt. Ihre Anhänger erfüllen in der Parteiarbeit ihren Bürgerberuf als Ruf Gottes, des Schöpfers des Staates, zum Treuedienste am Lebensglück der Staatsvolksgenossen. Jeder Staatsbürger weiß sich selbst dafür sicher und gewiß des vom Gewissen geforderten Treuedienstes aller Mitbürger an seinem Wohle. Er hat an diesem von der Verfassung öffentlich verkündeten Treuebunde ein deutsche Vaterland, eine deutsche Heimat, in der er sich in guten und bösen Tagen bei seinem deutsch» Staatsvolke geborgen weiß. Auf all das muß er verzichten, wenn er unter eine Fremdherr, schaft fällt: darum haben die Deutschen sich durch alle Jahr. Hunderte hin gegen die Fremdherrschaft heldenhaft gewehrt. Wenn die Ehrfurcht vor den alten politischen Parteien und die Treuegesinnung gegen sie seit dem Zusammenbruche man- chn Deutschen verlorengegangen ist, ivenn sie sich von ihnen entfremdeten, so geschah es auch deshalb, weil im Drange der inneren Wirren, im lauten Interessenkampfe des Tages die politischen Parteien ihre alte Ueberlieserung, die hochgesinnte Auflassung der Parteiarbeit als Bürgerberuss- dienst an Vaterland und Nation nicht mehr hingebend pflegten. Eine politische Partei lebt von dem Streben »ach vaterländischen und nationalen, im letzten Grunde religiös- sittlichen Hochzielen, für die nur eine hochgesinnte Lebensauf fassung und ein hochherziger Lebenswille Verständnis aufbringt. Der Schöpfer stellte dem Staatsvolke diese Ziele, damit es im Ringen um ihre Verwirklichung sich eine höhere Mensä)werd>i,ig erarbeite. Mit bloßen eigensüchtigen Nützlichkeitsberechnungen kann ich einem Ziveifelnden die Bestandsnotwcndigkeit der staatspolitifchen Partei ebenso wenig beweisen, wie die Pflicht zur Uebernahme von staatsbürgerlichen Ehrenämtern, erst recht die Pflicht Zum Wehrdienste im Felde. Am vaterländischen un- nationalen Staotsgedanken müssen deshalb die politischen Par teien all ihr Denken und Arbeiten richten, darum alle ihre Politik als Staatspolitik betreiben. Der Staatsgedanke und die Staatspolitik erwecken in den Parteimitgliedern Hoch achtung und Ehrfurcht, machen sie hochgesinnt und hochherzig. Diese vaterländischen und nationalen Geisteswert« und Gemüts werte müssen die politische Presse und die Parteizusammen künfte wiederum pflegen. Aus diesen Lebenskräften erstanden und erstarkten einst die politischen Parteien: aus ihnen werden sie sich heute wieder geistig, seelisch erneuern. Wind spielt eine Abendweise in den Aehren. Der Wald lob- stngt einen grünen Psalm, und die Wiesen duften nach Heimat. Vom Kreuz herab schaut Christus in das blühende Land. Er wartet am Wege. Wartet und wacht. vreräen unrl Umgebung Komm! endlich -er Wallslratzen- Durchbruch? ^ ' Dresden, 16. August. Der Durchbruch der Wallstraße läßt lange auf sich warten. Es ist schon geraume Zeit her, seit man auf dem Gelände des ehemaligen Arbeitsnachweises die dunklen Kasematten geöffnet hat. Die Arbeiten waren seit Monaten eingestellt worden und erst in den letzte» Tagen sind sie vom Ticfbauomt wiederaufgenommcn worden, nachdem die Geschäftsinhaber der Wallstraße dieserhalb ein dringendes Ersuchen an den Rat gerichtet hatten. Wie man jetzt hört, ollen die Arbeiten so gefördert werden, daß mit der Fertigstel lung dieses Durchbruches noch im Herbst dieses Jahres bestimmt gerechnet werden kann. Die Jnnehaltung dieses Vorhabens erscheint uns nicht nur der Anlieger der Wallstraße wegen, sondern auch im allgemeinen Interest« geboten. Denn der Bauplatz in sei ner jetzigen Darstellung gereicht der Stadt an dieser doch immerhin zentral gelegenen Stelle keineswegs zu besonderer Ehre und es wird höchste Zeit, daß sich das Vekschönerungsamt dieses toten und zu Unrecht etwas sehr verwahrlosten Winkels sehr eingehend annimmt. Korreklur einer Grundstücksneubelaskuug? Dresden, 18. August. Die dcutschnationale Fraktion hat den Antrag im Land tag eingebracht, die Regierung zu ersuchen, eine Verordnung dahin gehend zu erlassen, daß Ncubelastungen der Grundstücke durch Ge bühren oder Abgaben (Straßenreinigung oder Feuerlöschabgaben usw.), die in der FriedenSmiete 1914 nicht enthalten sind, auf die Mieter umgelegt werden können. ArbeUsvermiMmlg und Tarifvertrag Dresden, 18. August. Nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenver- lcherung 8 62 sind bestimmte Zusammenhänge zwischen Arbeitsver mittlung und Tarifvertrag insofern gegeben, als, soweit ein Tarif vertrag besteht, die Vermittlung beteiligter Arbeitnehmer an betei ligte Arbeitgeber nur zu tariflich zulässigen Vedin. gu ngen erfolgen darf. Dazu ist eine Unterrichtung der Arbeits nachweise über die in ihrem Bezirke bestehenden abgeänderten und aufgehobenen Tarifverträge dringend erforderlich. Die Möglichkeit dazu gibt die neue Fassung der Tarifvertragsordnung vom 1. 8. 1928 und die zu 8 8 erlassenen Ausführiingsbcstiminungcn (RGBl. 1 Nr. 6). Hiernach sind die Parteien des Tarifvertrages verpflichtet, dem Landesarbeitsamte nach Abschluß des Vertrages innerhalh eines Monats kostenfrei zwei Abschriften oder Abdrucke des Tarifvertrages und seiner Müiiderungc» zu übersenden und das Außerkrafttreten des Tarifvertrages innerhalb eines Monats mitzutcilen. Kommt eine Vertragspartei dieser Verpflichtung nicht nach, so kann der Rcichs- arbeitsminister ihr eine Ordnungsstrafe in Geld aufcrlegen. Im Interesse einer reibungslosen Arbeitsvermittlung ersucht der Präsident des Landesarbeitsamts die Tarisvertragspartcien, ihre Verpflichtungen regelmäßig zu erfüllen. 3VVV stellungslose Angestellte in Dresden Dresden, 18. August. Nach einem Bericht des Arbeitsamtes Dresden war die Ar beitsmarktlage in dieser Woche zufriedenstellend. Durch den Saisonbcginn in einzelnen Berufen belebte sich die Ver- mittlungstätigkcit außerordentlich. Namentlich die Süßwaren-Indu- strie benötigte zur Bewältigung der Vorarbeiten für das diesjährige Weihnachtsgeschäft geeignete Fachkräfte. Auch auf den Bauten, die nur noch des Innenausbaues bedurften, fanden Facharbeiter für Jnnenarbciten, wie Heizungsmonteure, Bautischler und Bauanfchtä- gcr gute Beschäftigung. Während in fast allen Verufsgruppen der Bestand an Slbreä- suchenden dauernd wechselt, ist die Zahl der stellungsuchcndcn An gestellten seit Monaten unverändert hoch geblieben. 2000 männ. liehe und 1000 weibliche Angestellte sind zur Zeit ohne Stellung. Di« Lage für die Angcstclltenbcruse ist durch Anforderungen saß ausschließlich jüngerer und den ständigen Zugang älterer Kräfte in:! besten Erfahrungen und umfassenden Kenntnissen gekennzeichnet. Tu- durch wird die Lage gerade der älteren Angestellten imimr trostloser, weil mit einer Unterbringung in absehbarer Zeit nicht z>, rechnen ist. Zahl der Arbeitsuchenden am Wochenende: 19 909 (bislm 20 884); Unterstützte: Arbeitslosenversicherung 10206 (bisbci 10804); Krisenunterstützung 1871 (bisher 1871); Kurzarbeilciuntcr- stützung 388 (bisher 407). Bei Notstandsarbeiten wurden 1684 (bis her 1654) Personen beschäftigt. : Technische Hochschule. Der Lehrer an den Staatlichen Vereinigten Maschinenbauschulen in Dortmund, Dr.-Ing. Kou stantin Weber, ist vom 1. Oktober 1928 ab zum ordentlichen Professor der Festigkeitslehre in der Mechanischen Abteilung der Technischen Hochschule zu Dresden ernannt worden. : Hauptmcldeamt- Das Presseamt des Polizeipräsidiums Dres den teilt uns mit: Wegen Vorrichtungsarbeiten im Hauptmcldcamle können von Montag den 20. bis Sonnabend den 25. Angnst nur ganz dringliche Anträge und Anfragen erledigt werden. Das Fräulein o. Scuderi Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten. Von E. T- A. Hossmann. (14. Fortsetzung.» Nimmermehr werde ich dein Gefährde sein, heuchlerischer Böse wicht. So wollte ich aufschreien, aber Las innere Entsetzen, das mich bei Cardillacs Worten erfaßt, schnürte mir die Kehle zu. Statt der Worte vermochte ich nur einen unverständlichen Laut auszusto- ßcn. Cordillac setzte sich wieder in seinen Arbeitsstuhl. Er trock nete sich den Schweiß von der Stirn. Er schien, von der Erinne rung des Vergangenen hart berührt, sich mühsam zu fassen. Endlich fing «r an: Weise Männer sprechen viel von den seltsamen Ein drücken. deren Frauen in guter Hoffnung fähig sind, von dem wun derbaren Einfluß solch lebhaften, willenlosen Eindrucks von außen her aus das Kind. Von meiner Mutter erzählte mau mir eine wunderliche Geschichte. Als d i e mit mir im ersten Monat schwan ger ging, schaute sie mit audcrn Weibern einem glänzenden Hoffest zu, das in Trianon gegeben wurde. Da siel ihr Blick aus einen Kavalier in spanischer Kleidung mit einer blitzenden Juwelenkette um den Hals, von der sie die Augen gar nicht mehr abwenden konnte. Ihr ganzes Wesen war Begierde nach den funkelnden Steinen, die ihr ein überirdisches Gut dünkte». Derselbe Kavalier Halle vor mchreren Jahre», als meine Mutter noch nicht verheiratet, ihrer Tugend nachgestellt, war aber mit Abscheu zurückgcwiese» wor den. Meine Mutter erkannte ihn wieder, aber jetzt war cs ihr, als fei er im Glanze der strahlenden Diamanten ein Wesen höherer Art, der Inbegriff aller Schönheit. Der Kavalier bemerkte die sehnsuchtsvollen, feurigen Blicke meiner Mutter. Er glaubte jetzt glücklicher zu sein als vormals. Er wußte sich ihr zu nähern, noch mehr, sic von ihren Bekannten fort an eine» einsamen Ort zu locken. Dort schloß cr sic brünstig in seine Arme, meine Mutter faßte nach der schönen Kette, aber in demselben Augenblick sank cr nieder und riß meine Mutter mit sich zu Bode». Sei cs, daß ihn der Schlag plötzlich gcirosse», oder aus einer anderen Ursache; genug, er war tot. Vergebens >var das Mühen meiner Mutter, sich den im TodeS- krampf erstarrten Armen des Leichnams zu entwinden. Die hohlen Augen, deren Sehkraft erloschen, auf sie gerichtet, wälzte der Tote sich mit ihr aus dem Boden. Ihr gellendes Hilfsgcschrei drang end lich bis zu in der Ferne Vorübergehenden, die herbeieilten und sie retteten aus den Armen des grausigen Liebhabers. Das Entsetzen warf meine Mutter auf ein schweres Krankenlager. Man gab sie, mich verloren, doch sie gesundete, und die Entbindung war glück licher, als man je hätte hoffen können. Aber die Schrecken jenes fürchterlichen Augenblickes hatten mich getroffen. Mein böser Stern war aufgegangen und hatte den Funken hinabgeschossen, der in mir eine der seltsamsten und verderblichsten Leidenschaften ent zündet. Schon in der frühesten Kindheit gingen mir glänzende Dia manten, goldenes Geschmeide über alles. Man hielt das für ge wöhnliche kindische Neigung. Aber es zeigte sich anders, denn als Knabe stahl ich Gold und Juwelen, wo ich sie habhaft werden konnte. Wie der geübteste Kenner unterschied ich aus Instinkt unechtes Ge schmeide von echtem- Nur dieses lockte mich, unechtes sowie gepräg tes Gold ließ ich unbeachtet liegen. Den grausamsten Züchtigungen des Vaters mußte die angebo rene Begierde weichen. Um nur mit Gold und edlen Steinen han tieren zu können, wandte ich mich zur Goldschmiedsprofession. Ich arbeitete mit Leidenschaft und wurde bald der erste Meister dieser Art. Nun begann eine Periode, in der der angeborene Trieb, so lange niedergedrückt, mit Gewalt empordrang und mit Macht wuchs, alles um sich her wegzehrend. Sowie ich ein Geschmeide abgeliefert, siel ich in eine Unruhe, in eine Trostlosigkeit, die mir Schlaf — Gesundheit, Lebensmut raubte. Wie ein Gespenst stand Tag und Nacht die Person, für die ich gearbeitet, mir vor Augen, geschmückt mit meinem Geschmeide, und eine Stimme raunte mir in die Ohren: Es ist ja dein — es ist ja dein — nimm cs doch — was sollen die Diamanten dem Toten! Da legte ich mich endlich auf Diebcskünste. Ich hatte Zutritt in den Häusern der Großen, ich nützte schnell jede Gelegenheit, kein Schloß widerstand meinem Geschick, und bald war der Schmuck, den ich gearbeitet, wieder in meinen Händen. Aber nun vertrieb selbst das nicht meine Unruhe. Jene unheimliche Stimme ließ sich dennoch vernehmen und höhnte mich und rief: Ho, ho, dein Geschmeide trägt ein Toter! Selbst wußte ich nicht, wie es kam, daß ich einen unaussprechlichen Haß aus die warf, denen ich Schmuck gefertigt. Ja, im tiefsten Innern regte sich eine Mordlust gegen sie, vor der ich selbst erbebte. In jener Zeit kaufte ich dieses HauS. Ich war mit dem Be sitzer handelseinig geworden, hier in diesem Gemach saßen wir er freut über das geschlossene Geschäft beisammen und tranken eine Flasche Wein. Es war Nacht geworden, ich wollte ausbrcche», da sagte mein Verkäufer: Hört, Meister Nene, ehe Ihr fortgcht, muß ich Euch mit einem Geheimnis dieses Hauses bckanntmachcii. Dar auf schloß er jenen in die Mauer eingefügten Schrank auf, schob -ie Hintcrwand fort, trat in ein kleines Gemach, bückte sich nieder, hob eine Falltür auf. Eine steile, schmale Treppe stiegen wir hinab, kamen an ein schmales Psörtchen, das er aufschloß, traten hinaus in den freien Hof. Nun schritt der alte Herr, mein Verkäufer, hinan an die Mauer, schob an einem nur wenig hervorragenden Eisen, und alsbald drehte sich ein Stück Mauer los, so daß ein Mensch bequem durch die Oefsnung schlüpfen und auf die Straße ge langen konnte. Du niagst einmal das Kunststück sehen, Olivier, da» wahrscheinlich kluge Mönche des Klosters, das ehemals hier lag, fertigen ließen, um heimlich ein- und ausgchen zu können. Es ist ein Stück Holz, nur von außen gemörtelt und getüncht, in das von außen her «ine Bildsäule, auch nur von Holz, doch ganz wie Stein, eingefligt ist, das sich mitsamt der Bildsäule auf verborgenen Angeln dreht. Dunkle Gedanken stiegen in mir auf, als ich diese Einrichtung sah, es war mir, als sei vorgearbeitet solchen Taten, die mir selbst noch Geheimnis blieben. Eben hatte ich einem Herrn vom Hofe einen reichen Schmuck abgeliefcrt. der, ich weiß es, einer Opernsängcrin bestimmt war- Die Todesfolter blieb nicht aus — das Gespenst hing sich an meine Schritte, der lispelnde Satan an mein Ohr! Ich zog ein in das Haus. In blutigem Angstschweiß gebadet, wälzte ich mich schlaflos auf dem Lager! Ich sehe im Geiste den Menschen zu der Tänzerin schleichen mit meinem Schmuck. Voller Wut springe ich auf — werfe den Mantel um — steige herab die geheime Treppe — fort durch die Mauer nach der Straße Nicaise. Er kommt, ich falle über ihn her, er schreit auf, doch von Hinte» fcst- gcpackt stoße ich ihm den Dolch ins Herz — der Schmuck ist mein! Tics getan, fühlte ich eine Ruhe, eine Zufriedenheit in meiner Seele wie sonst niemals. Das Gespenst war verschwunden, die Stimme des Satans schwieg. Nun wußte ich, was mein böser Stern wollte, ich mußte ihm nachgcben oder unterstehen! Du be greifst jetzt mein ganzes Tun und Treiben, Olivier! Glaube nicht, daß ich darum, weil ich tun muß, was ich nicht lassen kann, jene,» Gefühl des Mitleids, des Erbarmens, tvas in der Natur des Men schen bedingt sein soll, rein entsagt habe. (Fortsetzung folgt.)