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Die Wirtschaftslage t« -er Kreishauptniannschäst Leipzig Leipzig, 11. August. Die Loge im Juli hat sich gegenüber dem Juni sehr wenig, »erändert. Eine geringe Besserung zeigte die Metallindu strie, ausgenommen der Geringstvalder Bezirk. Die Kris« in der Schuhindustrie besteht in erhöhtem Maste fort. Die Geschäftslage der Textilbetriebe hielt sich im Leipziger Bezirk besser als in der Burg» siädter Gegend. Die Bautätigkeit blieb durchgängig flott. Sehr lebhaft war die Nachfrage nach Arbeitskräften für die Landwirtschaft. Der Bedarf konnte jedoch nicht befriedigt werden. Tie Lage für An gestellt« ist nach wie vor schlecht. Die Abnahme der Arbeitslose» betrug im Juli zusammen 918. Die Gesamtzahl der Erwerbslosen einschließlich Krisenfürsorge und Notstandsarbciter t» der Kreishauptmannschaft betrug am 31. Juli rund 22 090 (Vor monat: 23000). ) Bevölkerungsstatistik. Nach dem 31. Wochennachiveis des Statistischen Amtes der Stadt Leipzig fanden in der Woche vom 29.-Juli bis 4. August 159 Eheschließungen statt. Die Zahl der Lebendgeborenen betrug in der Woche vom 22. bis 28. Juli 203, davon 94 Knaben und 109 Mädchen. 57 Lebendg^borene waren unehelicher Abkunst. Gestorben sind in der Woche vom 29. Juli bis 4. August 135 Personen, darunter 13 Kinder unter 1 Jahr. Unter den Gestorbenen befanden sich 78 männliche und 57 weib liche Personen. ) Brand in d«u Polyphonwerken. In Wahren entstand am Donncrstagnachmittag bei den Polyphonwerken ein Brand. Eine 28jährige Arbeiterin »vor damit beschäftigt, Petroleum üb«r einen« Hlaskocher anzuwärmen. Beiin Wegnehmen einer ettva 8 Liter ent haltenden Blechkanne spritzte ein Teil des Inhaltes heraus u««ü ge riet in Brand. Die Arbeiterin erlitt schwer« Brandwunden und fand Aufnahme im Krankenhaus St. Georg. Der Brand wurde durch die Betriebsseuerwchr gelöscht. ) Gemeine Handlung. Am 7. d. M. wurde auf den, Haupt balmhossvorplatz in Leipzig eine Frau von einem Personen kraftwagen überfahren. Sie wurde in die Sanitätshauptwache iin .Hauptbahnhof geschafft. Eine unbekannte Frau trug ihr die Hand tasche und entfernte sich aus der Sanitätslrmche mit dem Bemerken, sie könne nicht sehen, wenn jemand verbunden würde. Nach ihrem Weggang bemerkte die Verunglückte, daß ihr- die „hilfreiche" Frau 10 Mark entwendet bitte. > Schwindler mit den Banknoten. In Leipzig und, wie nunmehr scstgcstellt. in Halle, Berlin, Frankfurt a. M., Stuttgart, Pforzheim, Mannheim und München ist ein Betrüger ausgetreten, der «nit außer Kurs gesetzten und ausländischen Noten Geldbeträge erschwindelte. In einem hiesige«« Falle nannte er sich „Runa Ga- zctta" aus Rom. Inzwischen ist er vom Kriminalamt festgestellt worden: Er heißt Salomo» Kaininkowitz und ist in Ko penhagen geboren. Er hat sich hier als Jude ausgegeben und hat es verstanden, bei seiner Pcrmieterin, bei der er unangenieldet ge wohnt hat, die Anmeldung zu hintertreibeu. Ctirmnitr, Lvicksu, PIsurn Futternot im Erzgebirge Forderung der Landwirte nach Milchpreiserhöhung. Chemnitz, 11. August. In einem Bericht des Verbandes der Landwirte im Erz gebirge, auf dessen Veranlassung in den letzten Tagen sämtliche Bezirke, größtenteils unter Teilnahme von Vertretern der Ver- waltungs- und Finanzbehörde», durch die Bezirksvorsitzenden bereist worden sind, wobei auch eingehend Rücksprache «nit den Vertrauensmännern der einzelne«« Orte gehalten wurde, heißt cs n. a.: „Verhältnismäßig wenig hat die Winterfrucht gelitten. Bei den S o m n« e r f r ii ch t e n zeigen sich vielfach Brandstellen und Notreife. Ter Hafer ist kurz geblieben, so daß außer dem Ausfall durch die Notreise, d. h. dem geringen Ertrag und geringen Geivicht der Körner, auch das Stroh fehlt, das Sonimersiroh, das schon in nomalen Jahren ein wertvolles Fut termittel darstellt, in diesen« Jahre bei dein Futtermangel aber ganz besonders dringend nötig wäre. Die Kartoffeln haben äußerlich für den Laie» ein gutes Aussehen, zieht man aber eine Stockprobe, io zeigt sich geringer Ansatz, oft auch ein zweiter Knollenansatz, der natürlich nie mehr zur Ausbildung gelangen kann. Spät gepflanzte Rüben sind vollkommen ver dorrt, das Kraut ist durch tierische Schädlinge vollkommen vernichtet. Ist schon hiermit ein wichtiges Futtermittel weg, gefallen, so sicht es geradezu trostlos mit der Rausutterver- Das Fräulein v. Scuderi Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten. Von E. T. A. Hoffman n. (9. Fortsetzung.) La Negiile empfing die Scubcri mit der hohen Achtung, auf die die würoige Dame, von dem Könige selbst hoch geehrt, gerechten An spruch mache» koiiiite. Er Hörle ruhig alles an, was sie über die ent setzliche Tai, über Olivicrs Verhältnisse, über seine» Charakter vor- bracble. Ei» seines, bcinabe hämisches Lächeln war indessen alles, womit er bewies, daß die Beteuerungen, die von häufigen Tränen begleitete» Ermahnungen, wie jeder Richter nicht der Feind des An geklagten sein, sondern auch auf alles achten misse, was zu seinen Gunsten spräche, nicht an gänzlich tauben Ohren vorülberglitten. Ms das Fräulein nn» endlich ganz erschöpft, die Tränen von den Augen wegirockiiend, schwieg, fing la Regnie an: Es ist ganz Eures vortrefflichen Herzens würdig, mein Fräu lein, daß Ihr, gerührt von de» Tränen eines jungen verliebten Mädchens, alles glaubt, was sie vorbringt, ja daß Ihr nicht fähig seid, de» Gedanken einer entsetzliche» Untat zu fassen, aber anders «st cs mit dem Richter, der gewohnt ist, frecher Heuchelei die Larve abzureißen. Wohl mag es nicht meines Amteö' sein, jodein, der mich fragt, den ('lang eines Kriminalprozesses zu entwickeln. Fräulein, ich tue meine Pflicht, wenig kümmert mich das Urteil der Welt. Zittern solle» die Bösewichter vor der Chambre Ardenie, die kckne Strafe kenn! als Blut und Feuer. Aber von Euch, «nein würdiges Fräulein, nnchte ich nicht für ei» Ungeheuer gehalten werden an Härte und Grausamkeit, darum vergönnt mir. daß ich Euch mit wenigen Woricn die Blutschuld des jungen Bösewichts, der, dem Himmel sei es gedankt! der Rache verfallen «st, klar vor Augen lege. Euer -charfsinnigcr Geist wird dann selbst die Gutmütigkeit verschmähe», die Euch Ehre macht, mir aber gar nicht aiistche» würde. Also! Am Morgen wirb Rene Cardillac durch einen Dolchstoß ermordet gesunden. Niemand ist bei ihm als sein Geselle Olivicr Vrusson und die Tochter. In Olivicrs Kammer, unter andern, findet man einen Dolch von frischem Blute gefärbt, der ge nau i» die Wunde paßt. — Cardillac ist, spricht Ölivier, in der Nacht vor meine» Augen niedergestoße» worden. — Man wollte ihn berauben? — Das weiß ich nicht! — Du gingst mit ihm, und es mar dir nicht möglich, dem Mörder zu wehren? Ihn festzuhalten? Um Hilfe zu rusc»? — Fünfzehn, wohl zwanzig Schritte vor mir ging der Meister, ich folgte chm. — Warum in aller Welt so ent fernt? — Der Meister wollte es so- — Was hatte überhaupt Meister sorgung aus. Die Heuernte wird hinsichtuch der Güte gelobt, weist aber hinsichtlich der Menge einen Ausfall von mindestens einem Drittel auf. Seit der Ernte sind die Wiesen ver- brani« t und verdorrt, mit einer Grummeternte ist über haupt nicht zu rechnen. Es ist fraglich, ob noch etwas Futter zum Abweiden wächst. Der Klee ist dieses Jahr weg- geblieben, nur die besten Gegenden melden: Ein zweiter Schnitt ist nur da gekommen, wo der erste bereits zeitig geliauen und der Nachwuchs noch durch Niederschläge gefördert worden war. Die Futternot ist so groß, daß an Stelle des Grünfutters last durch gängig bereits das in Knappen Mengen geborgene dies jährige Heu angegriffen werden muß. Das Winterfutter wird dieses Jahr schm« vier Wochen früher angegriffen und voraus sichtlich zu Weihnachten zu Ende sein. Es bleibt nur übrig, Zu kauf an künstlichen Futtermitteln, dies im erforder lichen Maßen durchzuführen, ist aber der erzgebirgische Bauer infolge der vergangenen vier Notjahre nicht in der Lage, zumal der Handel die F u t t e r m i t t e l p r e i s e bis zu 50 Prozent herausgesetzt hat Es i st ganz unmöglich,daßder Bauer d i e s e P r ei s e a u f b r i n g t. Der Bauer wird leider feinen Viehbestand den Futtermenge» unpassen, d. h. Vieh ver schleudern uiüssen. wen» nicht seine Einnahmen den notwendigen Ausgabe» angcglichen und ihm andere Ausgaben, ivie Steuern, erspart werden. Verringerung der Milchviehbestände, knappes Futter für den verbleibenden Rest, Fehlen des unerschwinglichen Kraftfutters wird in aller Kürze eine empfindliche Milchknapp heit Hervorrufen. Die Produktion wird, soweit sie aufrecht erhalten werden kann, ganz wesentlich durch die Futterpreise verteuert werden. Soll die notwendige Versorgung der Be völkerung mit Milch in ausreichendem Maße aufrechterhalten bleiben, so muß zum Ausgleich der erhöhten Futterkasten un bedingt eine Erhöhung der Milchpreife erfolgen." tz. I» einer Lehingrube verschüttet. In einer Lehmgrube bei Mücke rling wurden drei spielende Kinder von herein- brechenden Lehmniassen verschüttet. Während zwei gerettet wurden, konnte der Sohn des Arbeiters Dietz nur als Leiche geborgen werden. tz. Berkehrsunsälle in Chemnitz. In der Nacht zum Don nerstag führte auf der Zschopauer Straße in Chemnitz ein 42 Jahre alter Geschirrsührer ein Pferd. Ein in gleicher Rich tung fahrender Kraft «vagen fuhr das Pferd an, wo bei der Führer des Pferdes von dem Kraftwagen überfahren und ein Stück mitgeschleift wurde Kurz nach seiner Einliefe rung in das Krankenhaus erlag er seinen Verletzungen. — An« Donnerstagvormittag sprang ein 43 Jahre alter Geschäfts führer an der Straßenkreuzung der Frankenberger und Dresd ner Straße von einem fahrenden Straßenbahn wagen ab und erlitt beim Sturz eine schwere Kopfver letzung. Seine Ueberführung in das Krankenhaus machte sich nötig. — Auf der Zwickauer Straße wurde der vierjährige Knabe Kurt Pfaff beim lieber schreiten des Fahr wegs von einem Personenauto allgefahren und zu Boden ge schleudert. Im Krankenhause ist das Kind gestern morgen den erlittenen schweren Verletzungen erlegen. 5>U5 «Irr l-suritr k. Amerikanischer Besuch. Der Bautzen er Verkehrs- verein bat es sich auge'legen sein lassen, auch in dem vielvermögen de» Amerika für den Besuch Bautzens und der Lausitz zu werben. Eben hat einer der bekanntesten amerikanischen Reiseschrifisteller, Redakteur Karl K. Kliehen von der Ncuyorker Eveiiing World, eine Reise nach Europa und besonders »ach Deutschland angctreten und wird bei dieser Gelegenheit auch nach Dresden und Bautzen kommen. Dem Vorsitzenden des Bauhcner Verkehrs-Vereins, Redak teur C. Schwarz, ist cs durch Vermittlung Neuyorker Freunde ge lungen, Kitchen auch für die Lausitz zu interessieren, und dieser hat zugesagt, mindestens mit nach Bautzen zu komme». Er hat in Deutschland studiert und ist infolgedessen mit den deutschen Verhält nissen berciis einigerinaßen vertraut. Sein Besuch wivd nicht nur vom Standpunkte der Verkehrssördcrung, sondern auch in politischer Beziehung zu begrüßen sein. l. Einbruch. Ein dreister Einbruch wurde in der Nacht zum Sonntag in das Kummersche Kaufhaus in Vernsdorf verübt. Einbrecher benutzten die Mwesenheit des Inhabers und drangen von der Hinterfront aus in die Geschäftsräume ein und stahlen dort für 5—6000 Mark Waren, hauptsächlich Herrenkonfektion und seidene Damenuntcrwäsche, die sie an Ort und Stelle in Koffer verpackten. l. Ein Bauernhof eingeäschert. Am Donnerstagnachmitlag brach auf dem Bauernhof des Landwirtes Stark in Kamen; beim Dreschen von Getreide durch Funkenflug einer Lokomo. bil« Feuer aus, durch das nahezu das ganze Gehöft eingeäscheri wurde. Der Schaden ist außerordentlich groß und mir zum Teil durch Versicherung gedeckt. Neben den bereits eingebrachtcn Ernte. Vorräten sielen die Lokomobile und die Dreschmaschine, mehrere Schweine, zwei Bullen und zahlreiches Federvieh den Flammen zum Opfer. l. Boin Zuge überfahren. Am Donnerstagmittag ließ sich univeit des Schwimmbades der bei der Fa. Liske und Häbler tätige Geschäftsgehilfe I. W. Linke vom Zuge überfahren. Der Tod trat sofort ein. da ihm die Räder den Kops vom Rumpfe trennten. „Enttäuschung mir einem Finanzminister ^ Klagen des sächsischen Fleischergewerbes. Die Fleischer-Verbands-Zeitung, das amt. liche Organ des deutschen Fleischer-Verbandes und der wirk- schafilichen Organisationen des deutschen Fleischer-Gewerbes, verössentlicht in ihrer Nummer 176 einen Notschrei aus Sachsen unter der Ueberschrift: „Enttäuschung mit einem Finanzminister." Nach einem Hinweis darauf, daß die Fleischsteuer in Baden abgeschafst wurde, liest man weiter: „Die Hoffnungen, die das sächsische Fleischergewerbe beim Amtsantritt des Finanzministers Weber mit Siecht hegte, sind bitter enttäuscht worden. Webers Position in der Regie rung ist so schwach, daß er es bei den diesjährigen Verhand lungen über den Haushaltplan nicht einmal wagen durste, seinen Ministerkollegen und dem Landtag den Vorschlag auf Aufhebung der Schlachtsteuer zu machen. Es braucht nicht besonders darauf hingewiesen zu werden, daß dieses gänzliche Per- sagen des Finanzministers in einer'Frage, in der er sich, als er noch Syndikus des Landesausschusses für das sächsische Hand werk war, stets rückhaltlos auf die Seite des Fleischergewerbes gestellt hat, große Erbitterung und Enttäuschung hervorgerufen hat. Mit larmoyanten Reden über die Finanznot des Staates und Versicherungei«, daß man die Schlachtsteuer sofort obbaue, sobald es die Finanzverhältnisse nur irgendwie gestatten, ist niemand geholfen . . . Das sächsische Fleischergewerbe «vird de» Kampf gegen das Schlachtsteuer-Ilnrecht erneut aufnehmei« und durch seine geschlossene Front einem überängstlichen, vor lauier Koalitionsrücksichten seine früheren Beteuerungen vergessenden Finanzminister den Rücken stärken." Das ist ja eine recht interessante Parallele. In Baden, wo das Zentrum maßgebend «st, wird die Fleischstener abgeschafst, in Sachsen, wo die W i r t sch a f t s pa r te i den Finanz minister stellt, nicht. Aber das sächsische Fleischergewerbe wird weiter dem Herrn Finanzminister „den Rücken stärke««". Oder sollte es doch durch Schaden klug werden? Liememde- und Keiuiexerzttien in Schirgiswalde Letzten Mittwoch in der Frühe lauteten cs die Glocken de« Pfarrkirche in die Stadt und die katholische Pfarrgeinvinde Schirgis- walde in, jubelnden Tedenn« hinein, daß wieder eine Gnadenwoche, still und unbemerkt in der großen Oeffentlichkeit zwar, aber desto beglückender für die Teilnehmer am zweiten diesjährigen Kursus der Heiincxcrzitien, vorüber sei. Wiederum habe» sich vom 1. bis 5- August 58 Jnn-gmädchcn aus der Pfarrgemeinde und vom 4. bis 8. August 51 Frauen für drei Tage in die stille Einsam keit des Gebetes und der Betrachtung zurückgezogen. Nur wer solche Tage der Geistessannulung selber erlebt, weiß das Glück derer, die hier die Exerzitien gehalten haben. Wiederum zeigte sich die Fricd- hosskapclle als ein überaus stimmungsvoller Ererzitienraum und das Elisabethheim als ein vorzüglicher Speisesaal. Die Ruheplätze waren noch vermehrt worden; bei weiteren Kursen i» kommenden Jahren soll noch mehr für die Erholung und Bequemlichkeit der Exerzitanten Sorge getragen werden. Insgesamt haben in diesem Jahre 241 Fronen und Mädchen, d. i. etwa ein Zehntel der Pfarr, gemeinde soweit sie für Ercrzitiei« in Betracht kommt, an den hei' ligen Udbungen teilgenomine». Kurse für Männer nnd Jungmänncc sollen nächstes Jahr folgen. Wetterbericht -er Dresdner Wetterwarte Witterringsaussichten. An Stärke zunehmende Winde aus westlichen Richtungen, veränderliche Bewölkung, müßig «vorm, Gewitterneigung. In, übrigen zunächst keine erheblichen Nie derschläge. Cardillac so spät auf der Straße zu tun? — Das kann ich nicht sagen. — Sonst ist er aber doch niemals »ach neun Uhr abends aus dem Hause gekommen? — Hier stockt Olivier, er ist bestürzt, er seufzt, er vergießt Tränen, er beteuert bei allem, -was heilig, daß Cardillac wirklich in jener Nacht ausgegangen sei und seinen Tod gesunden habe. Nun merkt aber wohl auf, mein Fräulein. Erwiesen ist es bis zur vollkommensten Gewißheit, daß Cardillac in jener Nacht das Haus nicht verließ, mithin ist OlivierS Behauptung, er sei mit ihm wirklich ausgegangen, eine freche Lüge. Die Haustür ist mit einem schweren Schloß versehen, das bei dem Auf- und Zuschließen ein durchdringendes Geräusch macht, dann aber bewegt sich der Tür flügel widrig knarrend und heulend in den Angeln, so daß, wie es angestellte Versuche bewährt haben, selbst im obersten Stock des Hau ses das Getöse widerhastt. Nun wohnt in den« untersten Stock, also dicht neben der Haustür, der alte Meister Claude Pairu mit seiner Auswärtcrin, einer Person von beinahe achtzig Jahren, aber noch munter und rührig. Diese beiden Personen hörten, wie Car dillac nach seiner gewöhnlichen Weise an jenem Abend Punkt neun Uhr die Treppe hinabkam. die Tür mit vielem Geräusch verschloß und verrammelt«, dann wieder Hinausstieg, den Abendsegen laut las und dann, wie man cs an dem Zuschlägen der Türe vernehmen könnte, in sein Schlafzimmer ging. Meister Cloude leidet an Schlaf losigkeit, wie es alten Leuten wohl zu gehen pflegt. Auch in jener Nacht konnte er kein Auge zutun. Die Aufwärterin schlug daher, es mochte halb zehn Uhr sein, in der Küche, in die sie über den Hausstur gehend gelangt, Licht an und setzte sich zum Meister Claude an den Tisch mit einer alten Chronik, in der sie las, während der Alte, seinen Gedanken nachhängcnd, bald sich in den Lehnstuhl setzte, bald ivieder ausstand und, um Müdigkeit und Schlaf zu gewinnen, in, Zimmer leise „nd langsam auf und ab schritt. Cs blieb alles still lind ruhig bis nach Mitternacht. Da hörten sie über sich scharfe Tritte, einen harten Fall, als stürze eine schwere Last zu Boden, und gleich daraus ein dumpfes Stöhnen. In beide kam eine seltsame Angst und Beklommenheit. Die Schauer der entsetzlichen Tat, die eben begangen, gingen bei ihnen vorüber. Mit dem Hellen Morgen trat dann ans Licht, was in der Finsternis begonnen. Mer, fiel die Scuderi ein, aber um aller Heilige» misten, könnt Ihr bei allen Umständen, «die ich erst weitläufig erzählte, Euch denn irgendeinen Anlaß zu dieser Tat der Hölle denken? Hm, erwiderte la Regnie, Cardillac war nicht arm — im Besitz vortrefflicher Steine. Hrka«», fuhr die Scuderi fort, bekam denn nicht alles die Tochter? Ihr vergeht, daß. Olivier Cardillacs Schwiegersohn wer den sollte. Er mußte vielleicht teilen oder gar nur für andere morde««, sprach la Regnie. Teilen, für andere morden? fuhr der Präsident fort, wißt, mein Fräulein, daß Olivier schon längst geblutet hätte auf dein Greveplatz, stünde seine Tat nicht in Beziehung mit dem dicht ver schleierten Geheimnis, das bisher so bedrohlich über ganz Paris waltete. Olivicr gehört offenbar zu jener verruchten Bande, die, alle Aufmerksamkeit, alle Mühe, alles Forschen der Gerichtshöse ver spottend, ihre Streiche sicher und ungestrast zu führen wußte. Durch ihn wird — muß alles klar werden. Die Wunde Cardillacs ist denen ganz ähnlich, die alle aus der Straße, in den Häusern Er mordete und Beraubte trugen. Dann aber das Entscheidendste: seit der Zeit, daß Olivier Brusson verhaftet ist, haben alle Mordtaten, alle Beraubungen aufgehört. Sicher sind die Straßen zur Nacht zeit wie am Tage. Beireis genug, daß Olivier vielleicht an der Spitze jener Mordbande stand. Noch will er nicht bekennen, aber es gibt Mittel, ihn sprechen zu machen -wider seinen Willen. Und Madelon, rief die Scuderi, und Madelon, die treue, un schuldige Taube. Ei, svrach la Regnie mit einein giftigen Lächeln, ei, wer steht mir dafür, maß sie nicht mit im Komplott ist. Was ist ihr an dem Vater gelegen, nur dem Movdbuben gelten ihre Tränen. Was sagt Ihr, schrie die Scuderi, es ist nicht möglich; den Vater! dieses Mädchen! Oh, fuhr la Regnie fort, oh, denkt doch mir an die Brinvillieri- Jhr möget es mir verzeihen, wenn ich mich vielleicht bald genötigt sehe. Euch Euren Schützling zu entreißen und in die Conciergen« Wersen z» lassen. Der Scuderie ging ein Grausen an hei diesem entsetzliche» Verdacht. Es war ihr, als könne vor diesem schrecklichen Manne keine Treue, keine Tugend bestehen, z«ls spähe er in den tiefste», geheimsten Gedanken Mord und Blutschuld. Sic stand aus. Seih menschlich, das war alles, was sie beklommen, mühsam atmend her« Vorbringen konnte. Schon im Begriff, die Treppe hinabzusteigen, bis zu der der Präsident sie mit zeremoniöser Artigkeit begleitet hatte, kam ihr, selbst wußte sie nicht wie, ein seltsamer Gedanke. Würde cs -mir wohl erlaubt sein, den unglücklichen Olivier Brusson zu sehen? So -fragte sie den Präsidenten, sich rasch umwcndend. Dieser schaute sie mit bedenklicher Miene a», dann verzog sich sein Gesicht in j>encs widrige Lächeln, das ihm eigen. Gewiß, sagte er, gewiß wollt Ihr nun, «nein würdiges Fräulein, Euer»« Gefühl, der innern Stimme mehr vertrauend als dem, was vor unfern Augen geschehen, selbst Olivicrs Schuld oder Unschuld prüfen. Scheut Ihr nicht den düster» Aufenthalt des Verbrechens, ist es Euch nicht gehässig, die Bilder der Verworfenheit in asten Ab stufungen zu sehen, so sollen -für Euch in zwei Stmidcn die Tore der Conciergerie offen sei».. Man wird Euch diesen Olivier, dessen Schicksal Eure Teilnahme erregt, vorsiellen. (Fortsetzung folgt.)