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Der künstlerische Mensch Darüber schreibt Josef Kreit maier, S. I., im Ja- miarheft der „Stimmen der Zeit" sFreiburg i. Br., Herder) u. a.: „Die Dinge dieser Welt sind dem künstlerischen Menschen Brüder nnd Schwestern wie dem heiligen Franz: nicht so sehr ihre Wahrheilswerte sind es, die in seiner Seele Echo finden, sondern ihre Gefühlswerte. Ein einziger wirklicher oder vor- gcsielltcr Akkord vermag so in einer empfindsamen Seele ganze Welten anfzuwühlen und einen Gefiihlssturm zu entfesseln, der sie über ihre Winzigkeit und den armseligen Ort ihrer irdischen Verbannung in unendliche Weiten entrückt. Die Namen der zahllosen Tiere. Pflanzen und Gestirne lassen ihn kalt; worauf sein Sinnen und Trachten geht, sind ihre Formen und Farben, ihr lebendiges oder dynamisches Wirken. Ein junger Naturfor scher entgegnete einmal einem begeisterten Naturfreund, der ihm von seinen Schmetterlingsjagdcn erzählt hatte, die er als Knabe aus blossem Schönheitstrieb machte: „Aber das alles hat ja gar keinen Wert." So kann nur einer sprechen, der Lebenswerte nicht von wissenschaftlichen zu unterscheiden vermag und die be seligenden Wirkungen des Form- und Farbcnrausches noch nicht in seiner Seele verspürt hat. Hört der künstlerische Mensch einen Vogel singen, so locken ihn die süsse Melodie und die Gestalt des kleinen munteren Sängers: ob dieser aber Pirol heisst oder Nachtigall oder Zeisig, ist ihm gleichgültig, iveil der Name keiner lei Gefühlswerte vermittelt. Steigt er auf die Berge, dann nimmt er keine Instrumente für Höhcnmessunq mit und keine Botanisierbüchse. Denn er will die Blumen nicht in einen Käfig sperren, die er dort oben in Freiheit findet: sie erzählen ihm mehr, als ihm das gelehrteste Buch über Pflanzenkunde sagen könnte. Und wenn sein Auge über den weiten Horizont schweift, wacht das Gefühl der Unendlichkeit auf und überschüttet ihn mit seinen Verzückungen und erhabenem Schauern. In einer klaren feierlichen Sternennacht kann er stundenlang auf den Fittichen seiner Phantasie Hinausschweben aus den Kerkermauern des Erdballs in die unermeßlichen Fernen des Weltalls zu ver wandten, wenn auch ganz anders organisierten geist-leiblichen Geschlechtern, die vielleicht schon vor Iahrmillionen ausgestorben sind, weil ihr Stern unbewohnbar geworden war, oder die , erst nach Iahrmillionen in langsamem aber stetigem Vorbereitungs prozeß die nötigen Bedingungen ihres Daseins finden werden, vielleicht auch gleichzeitig mit uns leben, ohne von uns mehr zu wissen als wir von ihnen. Einen Widerschein solcher Betrach tungen finden wir in den Werken von Astronomen, die bei aller Wissenschaftlichkeit auch den künstlerischen Menschen in sich nicht verkümmern liehen, wie etwa Secchi oder Braun oder Bohle. Die mächtigen Gefühlswallungen, die solche Phantasien — Phan tastereien, würde der nüchterne Mensch sagen — Hervorrufen, sind die wahre Sphärenmusik, von der die Alten geträumt haben. Auch die Werke menschlicher Kunst haben für ihn nur soviel Bedeutung, als sie ihm neue Lebenswerte spenden, das Lebcns- gcfiihl erhöhen. Er fragt nicht nach kritischen Maßstäbcn und nicht nach geschichtlichen, kümmert sich nicht um die Ansicht an derer und nicht um ästhetische Theorien und Zeitdogmen, nicht um den Namen des Schöpfers und der ausführendcn Künstler, auch nicht zuerst um die Idee, den dargestellten Gegenstand, son dern triebhaft richtet sich bei ihm die erste Einstellung seiner kunsthungrigen Seele nach dem formalen Gehalt, nach dem, was die Kunst erst zur Kunst macht. Sein Verhältnis zum Kunstwerk ist instinktive Anziehung oder Abstoßung, wobei es ganz gut möglich ist, daß die objektiven Verhältnisse umgedreht erscheinen, daß das höhere Kunstwerk auf innern Widerstand stößt, ein be scheidenes dagegen eindringt und fruchtreickcn Boden findet. Ein Kunstwerk, das heute keine oder wenig Geltung mehr hat in Anbetracht der Künstlerischen Fortentwicklung, kann doch ein Kunstwerk sein im absoluten Sinn. Das aber kommt allein für ihn in Frage: denn, mag der Funken, der vom Werk in seine Seele überspringt, noch so klein sein, er vermag dort ein mächtig loderndes Feuer zu entzünden. Der Kunstkritiker dagegen ur teilt nach wissenschaftlichen Normen. Für ihn ist das einzelne Kunstwerk eingebettet in einen Entwicklungsstrom: gewahrt er an ihm kein Fortrücken der Linie, keinen Fortschritt, dann ist es für ihn bedeutungslos: als Kritiker, wie ja schon das Wort sagt, kann und darf er nicht den rein subjektiven Erlebniswcrt als Maßftab nehmen, sondern seine relative Güte. Darum ist es ganz gut möglich, daß ein Kunstkritiker, so töricht eine solche Behauptung aus den ersten Blick anmuten möchte, im letzten Grunde ein unkünstlerischer Mensch ist, so gut wie der Verfasser ästhetischer Bücher und Abhandlungen. Das Wissen erweist sich eben oft als einen Feind des Herzens." Der JeUrsm««, Von Heinrich Leis. Ein seltsam nahes Mit- und Nebeneinander der Gegensätze, jene Eigentümlichkeit der Kunst. Ewiges und Zcitlich-Bcorenz- tcs zu verbinden, in Beziehung zu setzen, ja. es zu einer höheren Einheit zusammenzuschweißen, zeigt der Zeitroman als Kunst gattung in besonders klarer, eindeutiger Art. Sein Wesen of fenbart sich gerade darin, daß er ein Abbild seiner Epoche schaffen, ihre Erscheinungsformen sozialen, völkischen, kulturellen Lebens im Spiegel der Gestaltung einsangen will. Dach dieses Aeußer- liche des Geschehens, die Zufälligkeit bunt wechselnder Schick sale bleibt für ihn schließlich nur das Mittel, der Stoff, dessen geistige Durchdringung recht eigentlich Ausgabe und Bewährung des berufenen Schössers ist. Nicht sowohl die referierende Wirk lichkeitstreue, die Falae von Ereignissen, sei es auch gewaltig aufrüttelnder Größe, ist wesentlich zur Formung des Charakter bildes einer Zeit, als vielmehr die Erkenntnis ihrer Geistigkeit, das ewige Mysterium der Idee, das mächtiger und wirksamer ist als alle äußere Gewalt des Vorgangs. Eben dieses Ideen hafte schafft aus sich das Wesen und die äußeren Erlebnisvor gänge, cs ist der geheime Urquell, aus dem der Wechsel der Er scheinungen aufspringt wie mit hell quirlenden Wasserströmen. Und als verstandesmäßig uncrgründbar eröffnet er die letzte Tiefe nur dem seherischen Blick, indes dem Alltagsmenschen nichts anderes sichtbar wird als ein Wogen und Fluten. Der Gegensatz der äußeren Erscheinung und der inneren, verborgenen Kraft wirkt in allem Erleben, er ist das eigentlich Rätselhafte und Unerklärliche, das uralte Wunder der Welt. Immer grenzen auch die einfachsten Erlebnisvorgänge des All tags irgendwie an das Mysterium des Unfaßbaren, und auf den gepflegten, oft durchmessenen Wegen der Gewohnheit rührt es zuweijen an wie Erschauern, wie Ahnung eines Fremden, das plötzlich dem Bild der bekannten, länastvcrtrauten Umgebung etwas seltsam Gesvenstisches gibt; Gedanken, nie gedacht, machen auf, wie von blendender Höhe sicht das Auge tief unter sich die Abgründe, die Täler der Gewohnheit, die fernen Gipfelspitzen von der Sonne jäher Erkenntnis überleuchtet, um dann, nach diesem weitausschweifenden Blick einer Stunde in den Zwang tagüblicher Erscheinungen zurückqerissen, das Bild einer wun- dcrhaftcn Klarheit nur in verblassender Erinnerung zu tragen. So nahe einander verbunden ist beides, die gleichgültig hin genommene Rütscllosigkcit der Gewohnheit und das wunder same, nur in seltenen Augenblicken seelischer Fülle einströmende Erkennen verborgenen Wesens: aus dein einen führt das andere aufwärts im Flug des Schaucns und kehrt zum Ursprung zu rück. Um Uebcrirdisches zu ahnen und zu erfüllen, ist notwendig ein Begreifen und Beherrschen des Irdisch-Alltäglichen. Und so bleibt auch für den Künstler, da ihm die Gestaltung des Gei stigen und Typischen seiner Zeit am Herzen licqt, Grundlage und Unterbau, das Wirklichkeitserlebeii. über dem seine Schöpfer kraft in mächtiger Spannung das Kuppeldach der Gestaltung emporwölbt. Ein Werk, das den wahren Geist zeitlichen Ge schehens in sich erfüllt, nicht nur die Aeußerlichkeit der Erschei nungen. ist zugleich im höchsten Sinne alltäglich, menschlich und natürlich; immer gültiq. wenn auch die zufälligen Voraussetzun gen sich ändern, den Späteren eindringlich wie den Zeitgenossen, da das Urwesen der Seele ein ewig Gleiches, der Natur ver woben, weil organisch gewachsen aus der großen Zusammen gehörigkeit alles Lebens. Die künstlerischen Voraussetzungen sür den Zeitroman unserer Tage sind überaus günstige. Dem Gestalter stehen unge heure Erlebnismasscn zur Verfügung: er selbst ist hincingezwuu- gen in den Strudel der Kümpfe, des sich überstürmenken Ge schehens: der Stoff wird ihm lebensnah, gebrochen und^ wider gespiegelt in tausend Erscheinungen alltäglicher Erlebnisse. In der Seele des Knnstcmpfangenden sind zugleich alle Gefiihls- voraussetzungen gegeben, wie ja immer die Sehnsucht nach Ge- staltung einer Zeit, einer Erlebnissolge zugleich als Streben ihrer Ueberwindung gedeutet werden mag. Und doch wird der Ideen roman großen Stiles nur dann geschaffen werden können, wenn er sich frei hält von der Beschränkung im Allzu-Zeillichen, das eben durch die übergroße Nähe des Erlebens Gefahren in sich birgt: sei es, in einer Gedankenkunst des Aefthätisierens zu ver sanden, sich aus der Fülle der lebenspendenden Einfälle in Ab straktion blutleerer Symbole zu verlieren, wenn die Schöpfer kraft nicht stark genug, die gewaltige Spannung vom Zeitbe- schrünktcn zum Allgültigen zu traaen: sei es, in der Diesseitig- keit parteilicher, zwcckbewußter Einstellung hasten zu bleiben, wenn der Wille nicht rein und künstlerisch selbstlos, kein anderes zu gestalten als das ewig Menschliche und in dem Geschehen zugleich die sittlichen Urkräfte der Zeit. Nur dann, wenn er auf sittliche Wertungen gegründet ist, wird der Zeitroman seiner höchsten und überzeitlichen Bedeutung gerecht werden dürfen, durch Gestaltung des Zcitmystcriums aus dem Chaos des Er lebens emporzusühren zur Klarheit und zur Wahrheit. Das Zeitliche als Symbol des Ewigen zu geben, ist Sinn alles künstlerischen Schaffens: Einzelerlebnis als Erlcbnistyp aller, zur Notwendigkeit gesteigert durch die Kraft der Ein gebung. Das Allmcnfchliche der Erlcbnisvorgänoe zu erfassen gilt, wen» irgendwo, in hervorragender Meise als iüeeile For derung siir den Zeitroman. Ans persönlichem Kunstempfinden muß Geist und Form erwachsen: aber dieses Zeiterleben soll Zeit- gcstaltung durchdringen und überwinden. Dann wird das schlecht hin Typische. Urmenfchliche des Werkes stark genug sein, gültig und eindrucksvoll zu bleiben auch für saniere Zeit: dann wird der Zeitroman — als Zeitdoknmenl, zugleich Mcnschheilsdoku- ment — die Epoche seiner Gestaltung überdauernd mitschnsfsn am großen Werk des Weltcngeistcs. indem er die Gegenwart den jungausstrebcnden Kräften einer besseren Zukunst dienstbar uni! nutzbar macht. Gegenwarlsmnjik Von Franz Joseph Schneider. In einer Sondcrstube eines kleinstädtischen Gasthauses, welches wohl aus das Prädikat „Wohlanstündigkeit" Anspruch er hebt, wollte man die Gäste, dieweil es Sonntag, etwas musikalisch unterhalten. Die Ausübenden des Kon-ertes waren ein älterer Klavierspieler, ein — auch ebenfalls schon gereister — Cellist, sowie ein junger Geiger. Die Pansen zwischen den einzelnen Musikvortrügen versuchte ich mir mittels illustriierten Zeitschrif ten zu kür.-en. In einer derselben — der neuesten sogar — be fand sich ein Bild, welches Pnecini auf dem Totenbette zeigt. Friedlich in den Schlnmmer gesunken, lag der Fürst aus dem Königreich der Töne da, welcher den Sckatz unserer Musik um so große Dichtungen bereichert, um nun nickt mehr als Schöpfer, sondern als Zuhörer den Melodien einer anderen Welt zu lau schen. Da — ich muß das ergreifende Bild niederlegen, denn leise beginnt die Geige zu singen, das Cella füllt mit ein, beide vereinigen sich mit dem Piano und lassen ihre Himinclsstimmen ertönen. Alle Musik ist schön! — ich mag allerdings auch einen zu wenig verwöhnten Geschmack siir diese Sprache der Seele aus der Zunge meines Empfindens haben — dann Entschuldigung. Sollte ich dennoch recht behalten, so wird, wenn sie uns einmal ent täuscht. cs damit wohl so sein, wie manchmal bei schönen Men schen, die allen Reiz verlieren und säst unschön dünken, sobald sie ihren Mund ösfnen. Diesem Musikstück, dem allerneuesten Schlager, ist es nämlich so von mir ergangen. Trotzdem ich den Titel „Radio" auf dem Notenblatte, welches der junge Geiger aus seiner Aktentasche holte, winken sah, konnte ich meine Anschau ung über dieses Stück, dessen Worte von eben demselben jungen Geiger in blondem Bubikopf laut und lustig begleitet wurden, nicht ändern. Der Text dieses Schlagers ..Radio" ist eine Dich tung, ebenso wie Goethes Faust eine Dichtung ist. Die Musik des Schlaaers „Radio" ist eine Tonscköpsung. ebenso wie die Sinfo nien Beethovens Tonschöpsungen sind. Diese beiden Niesen aus dem Reiche der Kunst können das nie leugnen, und wen» sie alle Paragraphen gesamter Gesetzbücher, sämtlicher Gesetzgebung her vorholten: ebensowenig wie Schillers Kassandra mit der Priester- Mystik und Aesormalion Bon Erich Przywara S. I., München. In seiner Einleitung zur Diepenbrockschen Seuseausgabe wies seinerzeit Joseph Görres darauf hin, wie sehr sich die Be wegung der deutschen Mystik aus dem Zerfall der ^objektiven christlichen Gemeinschaftsformen, der Kirche wie des Staates, erkläre. Und es ist ja auffallend genug, daß selbst der Mildeste des Dreigestirns Eckart-Tauler-Seuse. der schon ganz wieder in kirchlichen Geist einlenkende Seuse, doch ein Anklagebüchlein über die Zerrüttung der Kirche geschrieben hat. Im Zusammen hang der gesellschaftlichen Zustände zeigt sich eben die deutsche Mystik allzu sehr als eine Reaktionserscheinung, als eine Flucht aus der durch Kaiser- und Papststreit entweihten Kirche in die Heimlichkeit der Seele, um in ihr die wahre Kirche zu finden, die Seele als Kirche. Die kirchenstürzende Verwegenheit Meister Eckarts, in der er alle Sakramente, ja schließlich die Menschwer dung selber, nur mehr als Symbole des Entwerdens und Gott werdens faßte, als eine Art Kinderanschauungsunterricht, aus dem der Erwachsene in das „unmittelbar zu Gott" der kirchen überlegenen Seele hinaus- und hinaufwächst, ist selber ja nur ein Symbol jener Kirchenflucht der durch die Kirchencntwcihung tief verwundeten Seele. Wenn daher dem unverbildeten, gesunden christlichen Empfinden so manches an den Erzeugnissen dieser Zeit den Eindruck! des Uebersteigerten, ja fast Verkrampften macht, so wird man diesen kranken Ursprung der deutschen Mystik nicht vergessen dürfen, ihren reaktiven als produktiven Charakter. Von diesen Zusammenhängen her, aus denen die deutsche Mystik wuchs, gewinnen wir nun auch einen tieferen Einblick in das Werden der Reformation. War beim Ursprung der deut schen Mystik das Interregnum und der Papst-Kaiser-Konflikt der Hintergrund, so steigerte sich die Schrecknis dieses Hinter grundes bei der Reformation noch durch die in ihren religiösen Folgen gar nicht abschützbare Katastrophe des avignonesischen Schisma, das zeitweise die Christenheit in drei Teile spaltete, von denen jeder durch den anderen exkommuniziert war. Die furchtbarste Zerrüttung, die furchtbarste Unsicherheit steckte da, wo nach dem Wort des Herrn der Felsenqrund für die christliche Seele sein sollte. Der rückschauende Historiker kann ja wohl mühelos sagen, daß unter den zwei oder drei Päpsten nur der eine, der römische, der rechtmäßige gewesen sei. Aber wenn er in jener entsetzlichen Zerrüttung selbst gelebt hätte, unter dem christlichen Volke selbst, dem sich vom Quellpunkt der Christen heit nur Aergernis bot, das in dem Hagelwetter der sich und alle ihre Anhänger gegenseitig exkommunizierenden Päpste sein Heil wirken sollte, — er hätte wohl ein Verständnis für die qualvolle Frage, die aus diesem Wirrwarr herausschreien muhte: Wo ist denn nun das Heil für meine Seele? Und wenn auch in den Jahrzehnten vor der Reformation das Schisma beigelegt mar, — ist denn eine so tiefgehende Erschütterung, ja Todeskrankheit des christlichen Lebens so leicht zu überwinden, zumal aus die Päpste des avignonesischen Schismas die völlig verweltlichten Päpste der Renaissance folgten und ein Leo X. Luther gegen- überstand? So ist gewiß der Ausbruch der Reformation ei» Paroxismus religiöser Reaktion und die seelische Dämonie, die nun katholische und protestantische Luthcrsorscher gemeinsam bei Luther zugeben, nur die in einem Menschen gesammelte Dämonie dieses in psychischen Konvulsionen stöhnenden Zeitalters — aber cs ist, geistesgeschichtlich gesehen, nur die Reaktion aus die vor- ausgegangene Konvulsion des avignonesischen Schismas und der Zeit der Rcnaissanccpäpste. Deutsche Mystik und Reformation sind, in ihren zeitgeschicht lichen Zusammenhängen gesehen, wie zwei konzentrische Kreise. Auf die kirchliche Zerrüttung des Interregnum» und der Päpste- Kaiser-Streite antwortete die „Einkehr ins Innen" der deutschen Mystik, auf die weit schlimmere kirchliche Zerklüftung des avig- noncsischen Schismas und seiner Nachwirkungen antwortete die radikalere „Heilsgewißheit" der Reformation. Es ist nun nicht mehr nur eine Auslösung des Kirchlich-Objektiven „um des Ge wissens willen". Alles Menschliche erschien diesem zerrütteten Zeitalter so sehr als eine einzige Eiterbeule, daß es eine Ver bindung Gottes mit irgendeinem Menschlichen wie eine Gottes lästerung anschaucn mußte. Es war viel, daß Luther die Mensch werdung bestehen ließ. In der Konsequenz seines alleinwirk- lichcn und alleinwirkenden Gottes lag es nicht. Konsequent war nur seine Leugnung aller „Werke", auch des Hcilsglaubens als eines menschliche» Werkes. Der unberechenbare Willkürgott des unberechenbaren Gerichts und der unberechenbaren Gnade stand, wie eine einzige, furchtbare Verabsolutierung des Schicksalswir bels dieser hin- und h?rgeschleuderten Zeit, im unsichtbaren, rich tunggebenden Mittelpunkt. Die unheilbare Eiterbeule Mensch nnd der „Deus absconditus" des Wirbels vor Gericht und Gnade, diese beiden unmittelbar zueinander, so unmittelbar, daß der Umschlagstaumel von Verzweiflung zu Seligkeit, jene „getroste Verzweiflung" Lutbers. in deren Wehen die „Hcilsgewißheit" geboren wird, nur die wesenlose „Erscheinung" des beide allein wirkenden Gottes ist, des Gottes des ebenso radikalen Umschlags von Gericht nnd Gnade, — das dürfte als seelischer Asvekt der Reformation und ihrer urspriinalichen Religiosität sich smit Kiefl und Troeltsch) aufwcisen lassen. Es ist nun das eigentümliche der auf die Reformation fol genden innerkatholischcn Neugeburt, daß die in den Wehen der deutschen Mystik und der Reformation berausgetriebene indivi dualistische Ueberbetonung der Seele auch in ihr nnchklingt. ja fast mehr nachklingt, als man erwarten sollte. Zu sehr war eben die Reformation nur der höchste Wellenberg eines allseits ausge- peitschtcn Meeres. Zu schmerzhaft war er Anblick der entweihten Kirche auch für treukatholische Augen. Die Uebertreibungen der Reformatoren wurden abgelehnt, die Seelenbewegung aber, deren extremer Ausdruck ihre Lehre war, wirkte nach. Im Luthertum war die „Heilsgewißheit" auf den alleinwirkenden Gott gebaut als „Erscheinung" seiner Umschlagswirksamkeit. Dieses ihr Sein als „Erscheinung" war der Grund ihrer Sicher heit. Aber auch Ignatius von Loyola. Franz von Sales und die spanische Mystik St. Theresias und Johannes vom Kreuz kennen den Wechsel von „Trost" und „Untrost", von „Tag" und „Nacht". Ignatius von Loyola wie Franz von Sales arbeiten an Regeln über das Verhalten in diesen Seelenumichlägcn. und sür Et. Theresia wie siir Johannes vom Kreuz ist der Uebcrgnug aus der Seclennacht zu den Höhen mystischen Einsscins ein Wesens punkt des mystischen Ausstiegs. Gewiß klingt in den Visionen einer heiligen Theresia und vieler anderer, in den klugen Be merkungen eines Ignatius und Franz von Sales immer wieder das Wort Gottes gleichmäßiger Gegenwart sowohl in Trost als auch Untrost, Tag wie Nacht der Seele Aber es ist doch das Bersah- ren eines „fernen,, Gottes, was nach allen diesen Meistern den Un trost oder die Nacht, und das eines „nahen" Gottes, was den Tag oder den Trost kennzeichnet. Der Unterschied zwischen Luthers Heilsgewißheitssroge und dieser Trost- und Untrost- Frage liegt darum vielleicht nicht so sehr in diesem seelischen Drang noch einer Vergewisserung zwischen Gottes Liebe, nach einer möglichst fühlbaren Vergewisserung, sondern viel entschei- der darin, daß für Luther diese Frage mit der Heilssroge über- hauvt zusammensiel, während sie für die obioeu katholischen Heiligen auf der Hcilsfrage als Voraussetzung ausruht. Bei aller Not und Qual, die jenem nachresormatorischen Tvpus katholischer Frömmigkeit im Sueben nach einem fühlbaren Erweis der Nähe Gottes eigen war, hatte er doch im innersten Seelcnorunde das ruhige Vertrauen auf das durch das „onus operatum" der Kirche cmvfanoene .Neil, während die Not und Qual eines Luther ge rade erst um dieses Heil ging. Bei aller Beeinflub'ung durch die konvulsivischen ZeUwirbcl war doch sür jeu" katholischen Heiligen die objektive Kirche nicht in ihren Grundfesten erschüttert wie für Luther. Ihre Trost-Un Kost-Wirbel sind ein Schwanken auf festem Fundament, während die Verzweifung Vertrauen-Wirbel Luthers dieses Fundament selbst betreffen, wenngleich die Mon- resakämpfe des heiligen Ignatius auch gerade Scelenkümpse um Sicherheit über das erlangte Heil sind. So nimmt es nicht wunder, daß für diese nochrcsormato- rische katholische Frömmigkeit das ..Gott und ich" in den stark beleuchteten Vordergrund tritt, so sehr, daß in der spanischen Mnstik das Wunder der „Teilnahme an göttlicher Natur", das dach nach Kirchlicher L"b'x so hochsteht, daß selbst das Schauen Gottes im Icnseit nur seine Entfaltung ist. — daß dieses Wunder der Wunder nur mehr wie ein gleichgültiges Fundament der in die Höben eigentlicher, „nnio mystica" enworstrebendcn Seelen burg erscheint, und das Zentralaehcimnis des Christentums, die die Menschwerdung, fast nur wie ein Symbol der Gottwerdung der „unio mnstica" ist. Der Kampf um die Bedeutung Christi im religiösen Leben des Mnstikers. wie er aus den Schriften der heiligen Theresia uns entgegentritt. erscheint so nur wie ein unbewußtes Eingeständnis der bereits vollzogenen Zurückstellung,