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Onterlialtuns und V^i88en Lseksiscke Vollcsreitunx ^ D ^sln-xanF 1927 Aus dem Lnhatt. Dr. Ursula Ried: Römisch« Grabdenkmäler. Ehr. Raabe: Der Spaßmacher unsers lieben Herrn. Henriette Köhler: Florenz. Georg Maria Hof mann: Vor hundert Jahren aus Walze. Fünf Minuten Kopfzerbrechen. W! Römische Grabdenkmäler. Von Ur. Ursula Ried. I. Stumme Steine sind oft beredte Zeugen vergangener Taren, und stille Gräber reden oft laut von dem Geist ihrer Zeit und dem Wollen und Streben derer, die in ihnen fchlummern. Mag man nun durch die Strada della Tombe in Pom peji oder durch die Via Appia antiqua in Rom wandern: die Vergangenheit wird wach in unserer Seele bei diesen tleberresten pietätvoller Liebe und stolzen Familienstrebens. Und die Grabstätten der ersten Christen in den Katakomben kann man nicht betreten ohne starke Bewegung; es ist heiliger Boden, auf dem man wandelt, geheiligt durch die stete Todesbereitschaft derer, die in drohender Gefahr hier Kraft und Mut fanden, geheiligt durch die Ruhestätten derer, die freudig alles gaben für ihren Glauben. Wie feierlich-ernst ist eine Meßfeier dort! In der Papstgruft von San Lallieto sind neun Martyrerpäpstc beigesetzt, und die Katakomben mit ihren Denkmälern und Inschriften lassen das Schicksal der Kirche in jenen Tagen lebendig werden. Aus Roms Grabdenkmälern könnte man die Ge schichte der Stadt schreiben, aus seinen Papstgräbern die wechselvollen Geschicke des Papsttums und den Charakter ihrer stillen Schläfer erschließen. Die Hauptgrabstätte der Päpste ist Sankt Peter, und hier, beim Grabe des heiligen Petrus, haben mehr als hundert seiner Nachfolger ihre letzte Ruhestätte gesunde», wenn auch beim Abbruch der alten Peterskirche und bei früheren Umbauten viele Denkmäler zerstört worden sind. Eine Reihe von Päpsten sind außerhalb Noms beigesctzt — so die avignonesischen Päpste in Frankreich, Clemens II. in Bamberg, Gregor VII. in Salerno, Innozenz IV. in Neapel, Johann XXIll. im Baptisterium zu Florenz — und erst seit der nachavignonesischen Zeit sind die Denkmäler lückenlos, erhalten, ein lautes Zeichen für die Kunst und den Kunst willen ihrer Zeit. — Vor dem Hochaltar von San Giovanni in Laterano bezeichnet eine bronzene Grabplatte mit dem Bilde des Papstes die Grabstätte Martins V., 'lompomim Bilde des Papstes die Grabstätte Martins V., „lomporum ttiovum k'olieitao". Und nicht mit Unrecht wird er „das Glück seiner Zeit" genannt. Hat er doch nach langen, schweren Wirren des Schismas der Kirche den Frieden gegeben und den Grund zur Wiederherstellung des päpst lichen Ansehens und der päpstlichen Macht gelegt. — Viel prunkvoller sind die Gräber der Renaissancepäpste; das erste in der Reihe dieser glänzenden, von den größten Künstlern ihrer Zeit geschaffenen Denkmäler ist das von dem Florentiner Meister Antonio Pollajnolo gegossene Denkmal Sixtus' IV. (1471—1484) in der Sakraments kapelle von St. Peter; es zeigt zum erstenmal ein Haupt charakteristikum der Renaissance, ihren stark ausgeprägten, ans Heidnische erinnernden Individualismus und Per- könlichkeitskult; die Heiligendarstellungen und biblischen Szenen der früheren Denkmäler find verschwommen; außer der liegenden Figur des Papstes zeigt das Denkmal nur allegorische Darstellungen der Wissenschaften und sieben freien Künste. Zu den gewaltigsten und charakteristischsten Erab- mälern Roms gehört das Julius II., des Gewaltigen, wie man den italienischen Beinamen II Derribil« wohl am besten übersetzt. Ein Feuergeist, kühn in seinem Wollen, kraftvoll und mutig in dem Erstreben seiner hochgespannten Ziele, mehr zu einem König oder Feldherrn geschaffen, als zu einem Priester, hat er den durch seine Vorgänger zer, splitterten Kirchenstaat wieder hergestellt, befestigt und er weitert und ihn zum Mittelpunkt des italienischen Staaten systems erhoben. Aber trotz aller kriegerischen Interessen, gesetzgeberischen und politischen Tätigkeit war er ein Mäzen größten Stiles, der selbst inmitten des Kriegslärms Zeit fand für die Künste des Friedens. Und wie Achill seinen Homer, so fand Julius II. in Michelangelo den kongenialen Künstler, und das Grabmal, das Michelangelo für Julius II. schaffen sollte, war der charakteristische Ausdruck des Tita nischen in der Natur beider. Es sollte ein gewaltiger Frei- j bau werden; mit symbolischen Gestalten, mit Unterbau und ' allegorischen Figuren am Obergeschoß; das ganze sollte von der Statue des Papstes gekrönt werden. Der gewaltige Plan kam nicht zur Ausführung; aber auch die stark ver einfachte Form, in der das Denkmal heute in der Titcl- kirche Julius l!., in San Pieto in Vincoli, aufgestellt ist, und die meisterhaften, für den Unterbau bestimmten ge fesselten Jünglinge in Paris und die Statuen in der Florentiner Akademie zeugten von dem gewaltigen künstle rischen Wollen Michaelangelos. Das Denkmal wirkt in seiner heutigen Form unharmonisch, zusammengeleimt — auf den ersten Blick; denn dann ist des Beschauers Inter- ekle aanz von der Mosesstatue gebannt, der da killt. gan» Wille und Tatkraft, das mißachtete Gesetz in der Hand, von innerer Erregung geschüttelt, das Antlitz gefurcht, Führer eines Volkes, aber zugleich eine Verkörperung des ge waltigen Noverepapstes, und der leidenschaftlichen Natur des Schöpfers. Auch die allegorisch.» Gestalten des tätigen und beschaulichen Lebens, Lea und Rachel, sind von Michel angelos; aber ihre Wirkung schwindet unter der alles be herrschenden Mosesgestalt. In Santa Maria de tohna Minerva haben die beiden Medicäerpäpster Leo X. und Clemens VII. ihre letzte Ruhe stätte gefunden. Es sind streng klassische Monumente, ein durch vier korinthische Säulen gegliederter Unterbau aus weißem Marmor, der eine mit Reliefs aus dem Leben der beiden Päpste geschmückte und mit dem Palle der Medicäer gekrönte Attika trägt. In der Hauptnische des Unterbaus ist in segnender Haltung die Gestalt des Papstes, rechts und links von ihr Petrus und Paulus bzw. Hieronomus und Johannes der Täufer. Es waren nicht die größten Künstler der Renaissance, die den kunstliebenden Medicüern das Denkmal schufen, aber es ist echte Renaissance. Eines der interessantesten Erabmäler steht in der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell' Anima und ist von dem genialen Valdassare Peruzzi Hadrian VI., dem letzten deutschen Papst geweiht. Ein Mann von untadeligen Sitten, großer Frömmigkeit und hoher Gelehrsamkeit, schien er von der Vorsehung als Werkzeug erwählt, um die wahre Reform der Kirche an Haupt und Gliedern durchzusllhren. Trotzdem war ihm kein Erfolg beschieden, und das zwanzig monatliche Pontifikat wurde durch die Eifersucht der Fürsten, die Verleumdung seiner Gegner, den Hohn der Humanisten eine unsagbar schwere Bürde, ein wahres Martyrium. Diese Tragik seines Lebens spricht auch aus seinem Grabmal. Nach Art der Kardinalsgräber besonders in Santa Maria del Popolu aufgebaut, zeigt es in der Mittelnische den Sarkophag des edlen Papstes, und darüber seine Statue; der Papst ruht in voller Pontifikalkleidung auf dem Sarge, nicht als Toter, sondern wie ein von den schweren Tageslasten Ermüdeter; das ernste, von Kummer gefurchte Antlitz dem Beschauer zugewandt, stützt er das mit der Triara geschmückte Haupt mit der Linken. Und darunter stehen die schwermütigen Worte, die der edle, in seinem edlen Wollen stets verkannte und in seinen reinsten Bestrebungen stets gehemmte Papst auf sich anzuwenden pflegte: ?volr ckolon! Ovantum reksi-t in guas tempoi'g, vvl O wie viel kommt es optimi cujusgus vintus ineillat! doch darauf an, in welche Zeit auch des trefflichsten Mannes Wirken fällt!" In den Seitennischen des durch mächtige korinthische Säulen gegliederten Denkmals stehen die vier Statuen der Kardinaltugenden: die Mäßigkeit trägt eine Kette in ihren Händen, die Meishxit ist dargestcllt mit Spiegel und Schlange; die Tapferkeit hält einen Eichen zweig, der Löwe ruht zu ihren Füße»; die Gerechtigkeit erhebt das Schwert und hat den Strauß zur Seite. Ein fein ausgeführtes Relief unter dem Sarkophag stellt des Papstes Einzug in die Nom» avtnrnn dar. während die Lünette eine entzückende Darstellung der Mutter mit bem Kinde zwischen den Apostelfürsten schmückt. , c Der Spaßmacher unseres lieben Von 6hr. Raabe. So, Sie sprechen von Antonio aus Val di Scodra, von An tonio, dem Krüppel. Ja, der ist wirklich ein armer, unglücklicher Mensch gewesen. Gewesen, sagen Sie? Ist er es denn nicht mehr? Ist er denn nicht mehr blind? Sitzt er nicht mehr, in sich zusammen gefallen, vor dem Häuschen seiner Schwester, das bleiche Gesicht den Bergspitzen zugewandt; und braucht er sich denn nicht mehr mit seiner Krücke abmühen, wenn er einmal ein paar Schritt« machen will? Gewiß, er sitzt noch immer aus der blankgcschlissenen Bank neben der Tür, aber nun hat er eine Geige bekommen; ein billi ges, schlechtes Instrument nur, aber wenn man ihn heute fragte, würde er antworten: „Nein, ich bin nicht unglücklich, bin es nicht mehr." Aber wer fragt denn gerne einen armen, vom Schicksal so grausam behandelten Menschen? Die Dorsbewohncr kennen ihn nun schon so lange, und haben seit Jahr und Tag keinen be sonderen Gedanken mehr für ihn übrig, und die wenigen Frem den, die auf ihrem Wege zur hohen Teuselswand an ihm vor überkommen, begnügen sich gewöhnlich damit, ihn scheu anzu- schen. Manchmal auch legt einer von ihnen ein Geldstück neben ihm aus die Bank. Dan» gehen sie weiter und sagen, daß er ein armer Teufel sei, aber verzweifelt schlecht spiele. Sic können ja auch nicht wissen, daß Antonio nicht des Geldes wegen spielt, und daß er erst vor kurzem damit begonnen hat. Wenn sie dann nach einigen Stunden hoch droben aus der Felsenplatte stehen und, die Hände um das Eisengitter gekrumpft, hinüber zu den Berg riesen in der Runde, und hinab auf die wcißgetünchten Häuser mit den breiten, schwarzen Dächern sehen, wundern sie sich ge wöhnlich darüber, daß von hier oben aus die Natur so groß und gewaltig, das Menschenrverk dagegen so schwach und winzig, wenn auch als ihre Ergänzung erscheint. Die Kirche, die Häuser, die wenigen Obstbäume und geradlinigen Felder, alles nimmt sich ja aus wie Spielzeug, und die Tiere und Menschen kann man kaum sehen. Aber das dort drunten, der kleine schwarze Punkt vor dem weißen Häuschen ganz zur Rechten — gewiß, das ist der verkrüppelte Geiger, an dem man voriibcrgekommen ist. Ob der wohl auch einmal hier oben gestanden und den herrlichen Anblick genossen hat? Ja, Antonio hat mehr als einmal dort droben gechandcn, das letzte Mal an seinem Unglückstag vor nun neun Jahren. Da- mals hatte er gesunde, scharfe Augen, die klar sahen, wozu wir Florenz. Ein Friedensbild voll sanfter, froher Helle Scheint mir Florenz, ein lebendes Idyll, Im ganzen Erdenrund die schönste Stelle, Die je des Herren Schöpferhand entfiel. Wie schön hat Sr die Blühende gestaltet, Wie hat Er doch mit Seiner KUnstlerhand Ob all der hohen Schönheit hier gewaltet, Als Er durch dieses Tal den Arno wand. Und drüber legte Er des Firmamentes Bläue. Durchwoben mit dem hellsten Sonnenstrahl, Ließ herrlich wachsen Kunst, die ewig Freie. In diesein wahrhaft freien, schönen Tal. Der Süd, wie herrlich! Und wie fahl der Norden, Hier lächelt Luft und drüben winkt da» Grau, Und doch ist uns die Heimat lieb geworden, Ja, lieber als de» Süden» lachend Blau. Soarlott» lloblor. Brille und Fernglas benötigen. Damals hatte er gerade und kräftige Glieder, die nach viel, viel Arbeit geradezu riefen, und einen Sinn, so hossnungsfroh und leicht, daß er ihn aus dem engen Tal über die starrenden Berg« trieb, wie die drängende Lebenskraft den flüggen Vogel aus dem Nest. Mit vier anderen hatte er am frühen Morgen Len Weg zur steilen Wand und dem darüberliegenden Paß eingeschlagen. Fort wollten sie, weit über die Berge, hinab in das große, merkwürdige Land, das dort im Norden lag, wo die Menschen wie die Bienen schwärmte» und sich in Klumpen sammelten um flammende Oesen, lärmende Ma schinen, Schächte und Schornsteine, und wo das Glück liegen sollte für jeden, der arbeiten konnte und wollte, Eine kurze Rast halten sie droben auf der schmalen Platte gemacht, um noch einen Abschiedsblick zu tun ins Heimatdorf tief unter ihnen. Jeder jand gleich sein Heim unter den Spiclzeugbauten dort drunten, sah jede Latte am Zaun, jeden Stein aus der Straße. Für sie hatten die Häuser keine Dächer, und keine Mauer wehrte ihnen einen letzten, halbwehen Blick in die ärmliche Stube zu tu», in der sie groß und stark geworden waren, trotz Armin und mancher Entbehrung, Und wie um sich Mut zu machen, traten alle fünf, vom selben Gedanken geführt, bis an den äußersten Rand, wo jetzt das eiserne Geländer den Schauenden schützt, und hell schallte unter Hüteschwenken ihr Abschiedsruf hinaus über den Abgrund. Aber ehe noch die nächsten Klippen ihn zurück- gcworfen, ehe noch die kleinen Menschenameisen dort drunten ihn vernommen, war das Schreckliche geschehen. Noch heule weiß kei ner recht wie und warum. Antonio verschwindet neben ihnen. Sie sehen ihn stürzen, die Wand Hinuntergleiten, sich überschlagen. Nach stundenlanger, gefährlicher Arbeit gelang cs, ihn zu bergen. Halbtot trugen sie ihn nach Hause. Nun sitzt er dort, blind und verkrüppelt, Lvarum durste er nicht sterben? Warum durfte nicht we nigstens mit dem Leib auch der Geist zum Krüppel werde«? Denn wohl war des Leibes Geschick ein grausames, aber unbe schreiblich grausam war das Geschick der lebensvollen Seele, die seitdem täglich, ja stündlich mit der Ohnmacht des Leibes hadert«. Denn je mehr es ihm klar wurde, wie zerschlagen, elend und schwach er geworden war, um so mehr fraß in ihm der Gram über das, was gewesen und das, was hätte sein können. Er wurde verschlossen und bitter und gar abstoßend. Doch wer will ihn deshalb schelten? Er wünschte keine Teilnahme, Fremde Teilnahme ist ja, trotz allem, was sie schön macht, ein Zeichen eigener Schwäche, Er wollte keinen Trost. Wie abgegriffen sind im Grunde auch der Menschen Trostworte, wie wenig können auch die bestgemeinten insonderheit einem jungen Mann bieten, dem fast das ganze Sein uncrstattlich verloren gegangen ist. In solchen Fällen kann nur Gott trösten, und Gottes Trost wollte Antonio nicht. Wie konnte auch der, der ihn nicht hatte vor dem Unglück bewahren wollen, einen rechten Trost für ihn haben. Aber rvas wissen wir Menschen von Gottes Trost, non den Wegen, die er sucht und den Engeln, die ihn bringen? Und wie oft geschieht cs nicht, daß wir uns an ihm ausrichtcn und wissen es nicht einmal. Auch zu Antonio in Val di Scodra ist Gottes Trost gekommen, aber es war nicht etwa durch den Pfarrer, denn Val di Scodra hat gar keinen Pfarrer. Wer sollte ihn auch unterhalten? Es ist schon schwer genug, die Nahrung für die wenigen Menschen zu schaffen, die zwischen den hohen Bergen ge boren sind. Wohl hat das Dörfchen eine Kirche, aber Gottes dienst kann in Val di Scodra nur selten gehalten werden, fast nur an^en großen Festlagen. Dann denkt der Guardian de^ sechs Wegstunden entfernten Kapuzinerklosters an die Einsamen und schickt ihnen «inen Pater, wenn er nicht selber kommen kann^ Dann läutet dl« Nein« Elock« am Vorabend wohl zwei Stunden -