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5Scli5>5clir (!kfonik »»Freiheit, die ich meine .. Den „Leipziger Neuesten Nachrichten" wird geschrieben: Im Artikel 148 der Relchsversassung wirb gefordert: „Beim Unterricht in öffentlichen Schulen ist Bedacht zu nehmen, bah die Empfindungen Andersdenkender nicht ver letzt werde n." Die Vorkämpfer der weltlichen Schule betonen immer wieder, daß sie besonders »ach dieser „selbst verständlichen Moral der Toleranz" handeln würden. Einen Vorgeschmack davon konnte man erhalten bei einem der „Unter- haltungsabende". den die „weltlichen Elternräte" zusammen mit den: Leipziger Lehrerverein Kurz vor der Elternratsivahl in den „Reichshallen" in L.-Volkmarsdorf abhielte». Das; der Schul leiter H. die Neujahrsrede des Oberbürgermeisters kritisierte, nahm nicht weiter wunder. Schon verletzender mutzten auf manche der eingeladenen Eltern, unter denen sich — da alle ein geladen ivaren — auch christlich eingestellte befanden, die „hei teren Rezitationen" wirken, in denen Einrichtungen und An gestellte der Kirche lächerlich gemacht wurden. Mer die „stürmische Heiterkeit" der zumeist anwesenden „Weltlichen" erreichte ihren Höhepunkt, als der Lehrer W. sich — auf üb rigens schon schwach skizzierten Zeichenblättern — als Schnell maler produzierte, indem er „Fritzchens Werdegang von der Wiege bis zur Bahre" mit den entsprechenden Versen darstellte. So hieß es bei der Tarife: Schreit das Kind den ersten Ton — Naht sichauchder Pastor schon; — Die Taufe hat nur einen Zwech: — Sie flötzt ihm ein den ersten Schreck! — Schulanfang: Der Vater sagt zu seinem Sohn: — Ich schicke dich in Religion: — Denn ich iveitz es ja ganz genau: — Sonst wirst du mir zu schlau! — Konfirmation, wo bei der Herr Lehrer und Schnellmoler zu dem Geistlichen, der die Hände segnend dem Kinde aufs Haupt legt, die Bemerkung macht: „Nur immer feste drücken!" und fortführt: „Die Zeit der „Schlipse"! Und die Gesangbuchindustrie — Erfreut sich die ser Zeit wie noch nie!" — Beim Lehrherrn, der zu einem „kräf tigen Wink" ausholt: „Wenns auch »och so wehe tut, — Der liebe Gott meint's mit mir gut". Das ist die kulturpolitische Toleranz der Vertreter der weltlichen Schule, die auf dem Kieler Parteitage so grotzartig verkünde! worden ist. Wir glauben, daß die Theorie von Kiel die Praxis von Leipzig-Volkmarsdorf und anderen unberühmten Orten nicht ändern wird. Diese Praxis aber ist es, aus die es allem ankommt. Gegenüber solchem Üebermut der „Weltlichen" müssen sich die christlichen Eltern aller Bekenntnisse zu einer lückenlosen Abwehrsront zusammenschließen! Nenn! man das Sachlichkeit? Wir müssen leider immer wieder darauf zurückkominen. Tagtäglich laufen bei uns neue Beweise der „Sachlichkeit" des Evangelischen Bundes in der Konkordatsfrage ein. Man lese z. B. folgendes bezahlte Inserat in der „Zittauer Morgen- z,eitu»g": „Wir wollen kein Konkordat! Römische Herrschsucht will sich Vorteile sichern, ihre geistliche Schulaufsicht gesichert wissen, das staatliche E herecht abändern nach den Vorschriften ihres Römischen Kirchenrechts (Mischehepraxis!), unbeschränkte Freiheit haben für das Rom. Ordenswesen in Deutschland, das Werk ihrer Gegenreforma tion stärken, deutsches Geistesleben »ach Grundsätzen leiten, die der Reformation unseres Luther fremd sind. Wir dürfen nicht die evangelische Mehrheit unterdrücke,, lassen, nicht eine außerdeutsche, lutherfeindliche Macht hinetnreden lassen in deutsche Belange. Darum protestiert, evangelische und deut sche Christen, gegen das unserm deutschen und evangelischen Wesen fremde Konkordat! Listen zur Namensunterschrist lie gen aus beim Fest des Evangelischen Bundes heute Sonntag vormittag in der Sakristei der Weberkirche noch den Gottes diensten, in der Klosterkirche nach dem Festgottesdienst heute nachmittag und beim Familienabend im „Sächsischen Hof", so wie bis Ende Mai im Evangelischen Vereinshaus bei den Hauseltern Bau! Der Evangelische Bund. Zittau." ,Nicht eine autzerdeutsche, lutherfeindliche Macht hinein- ceoen lassen in deutsche Belange." So heißt cs, wenn die deut schen Katholiken ihre kirchlichen Beziehungen zum Staate rechtlich geordnet wissen wollen! Diese Auslassungen des Evan gelischen Bundes erinnern an die schlimmste Hetze gegen den „Ultramotonismus". Wenn dann Vertreter des Evangelischen Bundes noch glauben, datz man es hier mit einer sachlichen Aus einandersetzung über das Konkordat zu tun habe, so fasse das wer kann! Wir weisen derartige Methoden, wie sie obiges Inserat wiederum zum Ausdruck bringt, sehr entschieden zurück. Wir werden unser Recht und unsere Ziele offen und gerade wei ter verfolgen unbeschadet darum, ob von links oder rechts sehr erregte Leute mit „sachlichen" Steinen nach uns werfen. Fronleichnam Dieses Brot sollst du erheben, Welches lebt und gibt das Leben, Das man heut den Christen zeigt, Dieses Brot, das einst im Saale Christus selbst beim Abendmahl« Seinen Jüngern dargereicht. Was von Jesus dort geschehen. Sollen wir wie er begehen, Dankbar feiernd seinen Tod. Uns zum Heile, ihm zur Ehre Weihen wir nach heil'ger Lehre Hier zum Opfer Wein und Brot. Guter Hirte, nähr uns Arme, Gib uns Freude, fern vom Harme Dort im Land der Lebenden. Latz uns einst als Mitgenossen Deines Erbes unverschlossen Sekn das Land der Heiligen? Thomas von Aquin (s 1274) Oloria munctt Der vielseitige Literat und Politiker C. F. G. Mastermann yak kürzlich den Führern des öffentlichen Lebens in England das Horoskop des Nachruhms gestellt. Seine Frage ist: Was wird von all diesen Grützen üoria lein, liebria oder bun- Nach Wiederaufnahme -er Arbeit Der siichsische Landtag — Fragen -er Sozialversicherung — Um die Reniabllitüt -er Staatsgüter — Gegen die Posttariferhöhung Dresden, 1b. Juni. Der Sächsische Landtag hielt am gestrigen Dienstag, wie schon kurz gemeldet, seine erste Vollsitzung nach der Pfingjt- pause ab. Zu Beginn sohlen die Mitglieder der bürgerlichen Parteien, was der Linken Anlaß zu höhnischen Bemerkungen gibt. Zunächst verliest der Schriftführer ein Schreiben des Ministerpräsidenten an de» Landtagspräsidenten, durch das mit- geteilt wird, datz die bürgerlichen Minister um Enthebung von ihren Aemtern gebeten haben. Eine Entscheidung auf dieses Ersuchen habe der Ministerpräsident noch nicht treffen können. Er habe öle Herren gebeten, ihre Aemter bis auf Weiteres fort, zuführen. Dazu macht der Abg. Böttcher sKom.) üe Mitteilung, die kommunistische Fraktion habe einen Antrag auf Auf lösung des Landtags eingebracht. Den bürgerlichen Par. leien sei es nicht gelungen, eine Regierung zustande zu bringen. Mit dem „Kuhhandel" müsse es aufhören. Die Regierungs krise zeige sich in einer ekelhaften Rauferei um die Minister sessel. Seine Partei werde gegen diese Regierung den schärf sten Kampf führen. Er beantragte sofortige Beratung des Auf lösungsantrages. Slbg. Böttcher mutz sich aber vom Präsidenten belehren lassen, datz der Auflösungsantrag, der ja noch gar nicht gedruckt vorliege, erst die Tagesordnung vom nächsten T-onners- tag an zweiter Stelle zieren werde. Die Sozialdemokraten erklären sich durch Abg. Liebmann damit einverstanden, da dann der Auflösungsantrag sogleich mit dem sozialdemokra tischen Mitztrauensantrag gegen den Ministerpräsidenten Heldt und den Arbeitsminister Einer verbunden werden können. In solchen Fällen ist man immer für Vereinfachung. Nach diesem Vorspiel nahm man — so als wäre nichts ge- chehen, — die Arbeit dort wieder auf, wo mau sie vor Pflüg ten verlassen hatte: Etatberotungen, Kap. 35 Reichsver- > icherung und N e ichsv er so rg ung. Der Ausschuß (Berichterst.: Abg. Müller, Mittweid«, Soz.) beantragt, beim Reiche dahin zu wirken, datz den in der Krankenversicherung erfaßten Arbeitnehmerinnen im Freistaat Sachsen, die entbun den und 8 Wochen vor der Niederkunft die Arbeit aufgegeben haben, eine besondere Beihilfe von 2 RM. für jeden Kalender tag der Nichtarbeitszeit bis zur Niederkunft gewährt wird. Weiter beantragt der Ausschuß u. a.: Den Oberversicherungs- ümtern mit Versorgungsgerichten mehr Personal zur Verfügung zu stellen: darauf zu achten, datz den Versicherungsbehörden durchgebildetes im Sozialwesen erfahrenes Beamten- und Ange stelltenpersonal zur Verfügung gestellt wird: eine Erhöhung des festgesetzten durchschnittlichen Iahresarbeitsverdienstes ln der Landwirtschaft zu veranlassen. — Abg. Frau Thümmel (Soz.) fordert Gewährung ausreichender Beihilfe für schwangere Ar beitsfrauen und -Mädchen. Der Ansschutzantrag bedeute ei» Begräbnis erster Klasse. Ihre Partei verlange Einstellung von 1 Million !NM. für diese Zwecke. Abg. Müller. Chemnitz sA.-Soz.), erklärt die Zustimmung seiner Fraktion zu de» Mehr- heitsonträgen und beantragt Wiederherstellung des Antrages seiner Partei auf Einstellung von Mitteln in den Etat zur Ge währung von täglich 2 Mark istatt 1.5V Mk.) an schwangere Frauen und Mädchen. Von deutschnalioiialer Seite wurde erklärt, man iverde sich mit der Vermehrung der Bersicheruugsämter in dem von der Regierung geforderten Umfange abfiuden unter der Bedin gung, datz eine Ausstellung über die Tätigkeit der Versicheruiigs- ämter dem Landtag vorgelegt werde. Nicht einverstanden sei die Partei mit der Ausstellung einer B la n k o v o l l m a ch t an die Regierung zur eventuellen Einstellung von weiterem Perso nal bei den Oberversicherungsämtern. auch nicht danrit. daß zu Vorsitzenden der Spruchkammern auch solche Personen bestellt würden, die an Stelle der Befähigung zum höheren Verwal tung?- oder Richlerdienste eine besondere Vorbildung oder Er fahrung in der Reichsversicherung oufweisen. — Abg. Voigt sDVp.), verlangt vor allem, datz bei den Versicherungsbchörden nur besonders geschicktes, ausgewähltcs Beamtenmaterial ein gestellt werde. Weiter tritt er für die Mehrheitsanträge ein und erklärte, die Regierung habe ihre Vorlage im vollen Ein vernehmen mit den Leitern der Versicherungsämter ausgestellt. — Mg. Schmincke (K.) wendet sich gegen die Dezentrali sierung der Krankenversicherung und tritt für eine Vermehrung des Beamtenapparates bei den Versichernngsämtern ein. Finanzminister Weber erklärte, das Finanz ministerium sei nicht in der Lage, den Antrag auf Einstellung von Mitteln für Schwangeren-Beihilfen auszuführen. Es handle sich um eine reine Neichsangelegenheit, denn die Ent schädigungen seien in der Neichsversicherungsordnung geregelt. In der hierauf folgenden Abstimmung wird der vom Finanzminister abgelehnte Entfchlietzungsantrag der Altsozla« listen allgenommen. Im übrigen finden die Aus schuß an« träge mit wechselnden Mehrheiten Annahme. Es folgte die Beratuirg des Kapitels 3 Landwirtschaftsbetrieb«. Verbunden damit wurde ein oeulschnationaler Anlrag auf, Verpachtung der Staatsgüter. Abg. He nt sch et lWirtsch.) beantragt als Berichterstatter des Ausschusses, di« Regierung zu ersuchen, die landwirtschaftlichen Betriebe des Staates nicht zu verpachten, sie im Gegenteil weiter als Versuchs- und Beispielswirtschasten auszubauei« und in staatlicher Regie zu betreiben. Weiterhin die Regierung zu ersuchen, den volkswirtscl>astlicl)eii Ausschuß unverzüglich zu beauftragen, die Frage einer anderen Verwertung?- und Ver wendungsmöglichkeit der einzelnen Staatsgüter lVerpachtung. Pachtadministration, bäuerliche und Arbeitersiedlung, Verkauf usto.) eingehend zu prüfen und darüber Bericht zu erstatte», ferner die Staatsgüterbewirtschastung so zu gestalten, datz sie keine dauernde Belastung für die Staatsfinanzen bedeutet., Namens der Wirtschaftspakte! beantragt Redner' die dem Wir!srl>aslsministerium unterstehenden Güter oder! Gutsteile, die eine rentable Bewirtschaftung nicht gewährleisten,! für Siedlungszwecke oder zur Verstärkung angrenzenden klein«! bäuerlichen Besitzes zu verwenden oder aber zu verpachten. Abg. Schreiber lDnat.j vertritt den Antrag seiner Fraktion auf Verpachtung der Staatsgüter. Zwei oder drei der größten Güter könne man vielleicht vorläufig von Staats wegen weiter! bewirtschaften, ivenn sie keine Zuschüsse erfordern. Das Schwer-! gewichi müsse man auf die Ausbildung der Iungjbauern legen.s Die landwirtschaftlichen Schulen bedürften reichlicherer Unter-! stützung. Die Minderheitsanträge der Deutschnationalen und der Wirtschaftspakte; auf die Verpachtung der Staatsgüter werdens abgelehnt. Der Landtag stimmte einem kommunistischen Min-! derheitsantraq z», die Arbeitszeit für alle Arbeiter und Arbei-! terinnen durchschnittlich auf 48 Stunden pro Woche festzusetzen/ jedoch auf nicht mehr als 240V Stunden im Jahre. Abg. Dr. Voigt begründet einen volksparteiUcken An-! trag, zur Förderung der Bodenkultur und zum Zwecke der Beschäftigung Erwerbsloser, .-zuickiliie aus Mitteln der produktiven Erwerbslosenfürsorge zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus diese Kulturarbeiten aus Staats, Mitteln zu fördern. Hierzu verliest Wirtschaftsminister Dr. Wilhelm eine längere Erklärung, in der auf die bisherigen Bestrebungen des Wirtschaftsministeriums auf Förderung der Bodenkultur hingewiesen wird. Der Antrag geht an den Rechts ausschutz. Ihren Antrag auf Aufhebung des Rinderzucht- ge setz es haben die Deutschnationalen zurückgezogen, nachdem die Regierung ausreichende Erleichterungen zugesichcrt hat. Ein gleichtlauteuder kommunistischer Antrag wurde auf Bor schlag des Ausschusses abgelehnt. Die Einstellung zu Kapitel 34 Gewerbe- und Dampf kessel-Aufsicht werden nach der Vorlage genehmigt. Ebenso die Kapitel Gemerbeakademie Chemnitz und S t aa t s ba u sch u le n. Schließlich kam »och die Frage der Portoerhühung der Reichspost zur Erörterung. Die Wirtschastspartei beantragte eine Gegen aktion. Ebenso fragt Dr. Kästner (Dem.) an, ivas die Regie rung getan habe, um die angekündigte Tariferhöhung der Post zu verhindern. Wirrscimstsminister Dr. Wilhelm erklärt, daß die sächsische Regierung bei der Reichsregiernng Vorstel lungen erhoben habe und ihren Einfluß weiter geltend machen werde. Der Antrag der Wirtschaftspartei wurde angenommen. Nach 8>-stündiger Beratung wurde diese erste Sitzung nach den Pfingstferien geschlossen. Am Donnerstag um 11 Uhr kommt zunächst der Mitztrauensantrag gegen den Mi nisterpräsidenten und Arbeitsminister, sowie der Auslö sung sa nt rag gegen den Ministerpräsidenten und Arbeits minister, sowie'der Auslösungsantrag der Kommunisten zur Beratung. dert Jahre nach ihrem Tode? Sein Matzstab ist ein dreifacher. Die Nachwelt erinnert sich derjenigen, die zu Lebzeiten die un- definierbaren Eigentümlichkeiten einer großen ober auch nur einer undurchdringlichen Persönlichkeit entwickelten. Sie er innert sich derjenigen, die in einem folgenschweren Ereignis, einer Kriegserklärung, der glücklichen Beendigung eines Krie ges oder großen verfassungsmäßigen oder wirtschaftlichen Um wälzungen figurierten. Sie erinnert sich schließlich der Unglück lichen, der geköpften Monarchen, sowie der großen Unglück bringer, Lord Norths zum Beispiel, der den Abfall Nordameri kas von England zuwegebrachte. Es sind nicht viele, selbst bei einem so beiveglichen Ntaß- stab, der natürlich über die Ruhimvürdigkeit der Größen von heute nichts besagt, denen Masterman eine relative Unsterblich keit zumißt: Lloyd George sicher, auch Asquith. Lord Greys Ansprüche sind zweifelhaft, — wenn er nicht so gänzlich ohne Anspruch auf Nachricht» wäre. Macdonald wird immer der erst« sozialistische Premierminister Englands, viel leicht der erste und einzige gsivesen sein. Lord Birkenhead, die jüngeren Chainberlains. selbst Balfour sind hoffnungslose Fälle. Churchill? Engländer sind meist viel strenger in ihrem Ur teil über dieses glänzendes Talent als festländische Kritiker. In Mastermans Augen hat Churchill nichts aufzuweisen, ivas ihn überdauern könnte, keine unerschöpfliche Persönlichkeit, keinen großen Erfolg, nicht einmal einen katastrophalen Mißerfolg. „Ich erinnere mich," erzählt er, „daß ich eines Tages mit Chur chill in der Admiralität frühstückte, als er auf das Porträt eines betagten häßlichen Mannes wies, das an der Wand hing, und mich fragte, iver das wohl sei. Ich Halle nicht die geringste Vorstellung. „Barham", sagte er triumphierend. „Wer kann bloß Barham gewesen sein?" fragte ich. Vor Aerger über meine Unwissenheit brauste er auf. „Erster Lord der Admiralität," er klärte er, „als Nelson bei Trafalgar siegte." Wie ich im wei teren Verlaufe des Frühstücks sah, hatte meine Unwissenheit ihn traurig gemacht. Denn damals svor dem Kriege) dachte er daran, daß er Erster Lord -er Admiralität während eines grö ßeren und sensationelleren Trafalgar sein würde. Im Geiste sah er de» Sieger in diesem Kampfe aus einer Säule auf dem Tra falgar Square posierend, während der einigermaßen intelligente Besucher in der Admiralität ein Porträt anstarren und fragen würde: ..Wer kann bloß Churckill lein?' Müller und Kind Es ist etwas Eigenes um die Erlebnisse des inenlchlichcn Herzens. 'Nicht das <Änsationelle, nicht das äußerlich Auffällige packt am innerlichsten die Welt der Gefühle. In einem unauf fälligen Geschehen rührt oft die Gnade des Verstehens stärker in uns als in Stunden lauter Weltbeivegung. Nicht im Sturm wind ist der Herr, sondern im Säuseln des Windes. So geht mir ein Bild nicht aus dein Sinn, das ich als Kind schaute, so unauffällig im Rahmen des Alltags, daß wohl kein anderer Notiz davon nahm: ich sah ein kleines Mägdlein, drei Jahre mochte es zählen, an der Hand des Vaters zum Kran kenhaus gehen. Und ich wußte, daß dort die Mutter an einem unheilbaren Lungenleiden krank lag und man ihr baldiges Ab leben erivartete. Da ging mir beim Anblick des Mägdleins ein Stich durch das Herz, der in meinem Erinnern unverwischlich ist. Damals, selbst noch nicht wissend um des Lebens innerst« Zusammenhänge, spürte ich im Miterlebnis das ganze Leid eines Kindes um die Trennung von der Mutter. Seitdem sind zwei Jahrzehnte vergangen. Ich say Kin derelend in verwahrlosten Häusern, das tragische Geschick El ternloser in Fürsorgeanstalten, spürte die Sehnsucht der Kin- der in Waisenhäusern, aber bei allem empfand ich immer wieder denselben Schmerz wie damals, als ich das kleine Mägdlein zum letztenmal an Vaters Hand zur kranken Mutter gehen sah. und mehr und innerlicher hat mich nichts überwältigt an Kin derleid als das erste Erlebnis aus der Kindheit. Ich habe mich oft gefragt, ums iu diesem Erlebnis eigent lich das erschütternde Moment war, mir unbewußt wirksam. Heute weiß ich es. Es ist zwischen Mutter und Kind ein enge» Bond, das ist das Vertrauen. Jede Regung des kleinen Menschen, der von ihrem Leben sich nährt, von ihren Impulsen beivegt ist, spürt die Mutter unter ihrem Herzen. Sind nicht ans dieser innigen Verbundenheit heraus ihr die geistigen Re gungen des Kindes ebenso spürbar? Ja. die Mutter weiß um das innere Leben des Kindes wie um sein äußeres. Das eben ist das Wesen der Mütterlichkeit: sich dem andern Leben ganz cinsühlen zu können. Kein Mensch kann je oas Kind verstel)en, wie die Mutter es versteht. Keiner darum kann es so führen und beraten. Gerade darum liegt in der frühen Trennung von Mutter und Kind etnws Schmerzbafteres als in vielen änker.