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Ontertialtuns und V(^i88en 8sctr»isel»e Vollcsreitunx ^skZrxsn^ 1927 Aus dem Inhalt. F. Reut« r: „Juin goldenen Geniigei»!'* Hoiz» Blunck: Unttchr. Heinrich L»«»: Wegweiiser. Georg No wott nick: Der klastisch« Berliner. K. F-Gritn: Erster Schnitt. Hans Gäfgen: Funiabend. Z oh. v. Ku n o w ski: Heldentum. - Amkehr / Von Hans Vlunrr W»WW „Zum soldeue« Genügen!" Bon s. Reuter. Lin warmer Sonirentag war es und Trinitatisfest, das ketzre, feiernde Anschlägen und Aushalten der großxn Festtage des Kirchenjahre», zu denen man wieder emporgestiegen war, Stufe um Stufe, wie zu einen» Teinpel, von dessen Höh« man klare Ausschau halten kann auf di« niorgenkühlen und mittag« heiße» Lebenswege. Aus den freien Plätzen der Stadt feiert« der Sonnenschein und eine ungewohnte Ruhe. Zu Hunderten waren die Menschen aus den Toren ««strömt, und nur was wirk lich nicht hinaus konnte, war unter den hochgiebeligen, alten Dächern geblieben. Zu dieser Schar Gebundener gehörte das klein« verwachsene Fräulein Schulz. Sie wohnte in einem der uralten Häuser iin Paradiesgäßlein und saß auf der Holzgalerie, auf die ihr bescheidenes Stiiblei» ging. Di« Tauben girrten auf dem Dach, sie schaute in den sonnenbeschienenen Hof hin unter, und hierauf nach den schlanken Türmen von St. Sebald. Man konnte die so schön von der Galeri« aus sehen, und das Himmelsblau floß wundervoll um das feine, gotisch« Zierwerk. — Manchmal sah sie auch auf ihr« viel zu weißen, verkrüppelten Hände. Dann ward ihr stilles Gesicht jedesmal traurig. Fräuloin Therese Schulz war ein« Weißnäherin. Sie näht« schon lang« für die Leute — früher lauter Neues — jetzt, wo man alles Zusammenhalten mußte, flickte sie Altes wieder zu sammen, erfinderisch, geduldig und wunderschön. Sie war ein wahrer Schatz für die Hausfrauen in einer Zeit wie der jetzigen, solch« Hilf« nottat, und sie war viel gesucht. Aber nun wollte es nimmer recht gehen. Immer weniger brachten di« müden, gichtigen Finger fertig. Entweder trugen sie der kleinen Näherin ein« in Schinerz«» durchwacht« Nacht ein, oder sie versagten einfach den Gehorsam und taten nimmer mit. Man konnte gar keinen zuverlässigen Arbeitsplan mehr mit den Rebellen machen. Und doch verdiente Fräulein Schulz ihr Stücklein täglich Brot mit diesen armen, kranke» Hände«. Sie mar so dankbar gewesen, daß der liebe Gott ihr immer wieder Arbeit zuschickte, so glücklich, daß sie niemandem zur Last fiel — und nun rückte die Zeit unerbittlich näher, wo sie mit dem Nähen nimmer genügend weiterkam. Das klein« Fräulein hörte in ihrer Sonntagsnachmittagsstill« die Hand dieser Zeit hart an ihre Tür« pochen. Womit sollte sie dann ihr Stückle!»» Brot verdienen? Sie'ißt freilich so wenig wie ein Kanarien vogel, aber das N^enige muß eben doch da seinl „Was meinst denn du, lieber Vater iin Himmel, was ich dann noch tun könnte und für was ich dann noch da bin?" fragten ihre brau nen Augen nach jedem Blick auf die Hände über die Kirchtürme hinweg in das Himmelsblau hinein. Aber es blieb ganz still auf diese Frage. Auf einmal rutscht und kracht und kratzt es oben in der Dachrinne. Erstaunt hebt die Näherin den Kopf. Gin weiß und schwarz geflecktes Kätzchen war auf dein Spaziergang ausge glitten — eben hielt es sich noch mit den Borderpfötchen hoch oben an der Dachrinne. Gin Angstschrei — und nun schlug es auch schon neben der erschrockenen Zuschauerin nieder. — ein herziges Tierchen; aber es muß sich weh getan haben. Gs miaut kläglich und rührt sich nicht vom Fleck. Fräulein Schulz hebt den Patienteil von« Boden und steht nach dem Schaden — ein Beinchen ist gebrochen. Sie eilt in ihre Stube, bringt ein Stück Pappendeckel und Watt« und fatscht Beinchen und Pfote regel, «echt mit einer Bind«: nun kann es still liegen. Offenbar ist auch der Schmerz vorbei: der kleine Gast schreit nimm«, und trinkt in gierigen Zügen von der Vorgesetzten Milch. Eigentlich war di« für ein Täßchen Kakao zum Sonntagabondessen be stimmt, aber es stehen ja auch noch Hagebullenkörner im Schränk chen! — Der klein« Gast darf sich auf dem Schoß der freundlichen Pflegerin ausruhen und vergilt das Streicheln bereits mit be haglichen» Schnurren. Da« spitzige Gefichtchen der kleinen Näherin steht sehr glücklich aus. Sie hat einen Gast in ihrer Einsamkeit bekommen, dem Gast gefällt es, und sie will mit ihm teilen, was sie hat. — Daß das auch richtige Sorgen sind, tzrran denkt ste in ihrer Freud« gar nimmer. Am allerwenig sten aber denkt ste, daß ihr kletnes Erleben bereits eine schöne, große Antwort besten war, an den ste ihr« Fragen über Sankt Sebald in das Himmelsblau geschickt hat. Auf der anderen Seit« des Hofes, im erste» Stock, hatte «ine 4tt» Dame dem ganzen Verlauf der Katzenangelegen-ett mit gespanntester Aufmerksamkeit zugesehen. Fetzt nahm st« dt« Drille von der Nase, erhob sich von ihrem Nähtischplatz, ging «Mg in di« Küche und sagte zu ihrem Dienstmädchen: „Mathilde, t»un weih ich, wohin wir Puß und Mädi in Pension geben. Der Abend sank über das Land. Im Westen stand ein« schmale rote Prück« von Wolke zu Wolke: blaßbunt spannte sich der Himmel Über den späteil Frühlingstag. Der Bauer am Anhang halfterte di« Pferd« ab, ließ die Walze, mit der er Uber di« spät eingeworf«re Saat gefahren .war, auf dem Feld und trieb die Tiere müde vor sich her zum Hof zurück. Der Maun war »licht jung, nicht alt, das erste graue Haar staild um di« Schläfen, mehr »licht. Wie er durch das Knickgatter bog, sah er sei» Weib drüben über eine Bodenwelle schreiten. Sie wartet« nicht auf ihn; es war eher, als beeilte ste sich in Furcht, der Bauer sollte wohl nicht wissen, daß sie nach ihn» ausgeblickt hatte, oder an setnem Feld vorbetgegangen war. Sie hatte wohl Grund dazu. Seit jenem Tage, wo man ihren Knaben heimgetragen hatte, liehen seine drohenden Blicke nicht mehr von ihr ab. Schuld hast du, sagten sie. Hättest du das Kind nicht aus de» Augen gelassen, hätte es nicht bis zum Schleusengraben gespielt. — „Schuld hast du", hatte ec ihr zu- gefchrien, als ste vor den» toten Kindlein standen. „Schuld hast du," drohten sei»»« Auge» ohne Unterlaß. Hart rvar der Mann seitdem. Wo junge Tiere »varen, tat er, als durfte er allein ste besorgen. Ohne Erbarmen, mit einem kurze» Wort, einer Gebäude, wies er das Weib zur Seite. So unbändig und stark die Liebe zu seinem Knaben gewesen war, so hart war er gegen alle, di« den» Kind einst mchegekoinmen ivare», voll seltsamer Eifersucht fast gegen den Tod. Der Mann schritt gesenkten Hauptes hinter den Pferden. Der Westen stand noch einmal in fahlgelben Flammen, ihr Widerschein ließ die Leiber der Tier« aufleuchte» und krönte alle Gräser und Büsche mit feinen Staubtropfen. Er sah nichts davon. Dunkel kroch in den Spuren der Räder vor ihm her. Dunkel war auch sei» Auge, hart und herb sein Gesicht. Als der Bauer eininal zwischen den Tieren aufsah, sah er wieder di« Frau von fern und ihre scheue Flucht. Ein Tag stieg chm vor de» Augen auf. der Tag, als er. der Großbauer, die Magd als Weib nahm. Sohne, die er gehabt hatte, waren jung gestorben und auf See geblieben: allzu hart war es für ihn, ohne Erbe zu sei»». Als ste ihn» das Knäblein schenkte, war er eins mit ihr geworden: Es ist du und ich, hüt es. daß das Band nicht zerspringt! Der Abend war blaßbrau», ei» roter Fleck stand »roch über der Kimmung. — Das ^Land rvar zersprungen. Der Monn tat dem Weib, dem er di« Schuld daran gab, weh, wo er nur konnte. Gr verbarg sich, wenn einmal ein Mitleid oder eine herbe Fröhlichkeit aufstieg. Er wies seine Härte doppelt und hielt sie wie Im Gleichnis von jedem jungen Tiere fern, als sei sie nicht wert, sie zu hüten u»rd brächte ihnen den Tod. Und sie ließ es geschehen, schluchzend in der Nacht, aber demütig gehorsam am Tag. Hatte er nicht Recht, hatte sie nicht Schuld? Der Bauer hielt feine Pferde an, die Zügel strafften sich ihn» in den Fäusten. Er mochte -den Weg nicht, er rvar chm verleidet durch die Eilende, die er vor sich sah. Me Tiere waren »vüde, aber er zwang sie zur Mose hinab. Vorsichtig, die Hufe voll Erde, stiegen sie den schrägen Hang abwärts. „Will noch mal noch den Jungtierne sehen," dachte der Man»». „Wer sollte auch sonst danach sehen", sagte er voll Zorn, als habe «in anderer in ihm zur Frau gewiesen. So hart zu sein er sich antrieb, er mußte heute zun» Hof hinüber schauen und fühlte das Leid der vor ihm Flüchtenden, als täte er sich's selbst an. Die Jungtiere lagen drüben im Dunkel des übechängenden Buchenwaldes. Master leuchtete aus mattem» Glanz herüber. Die weißen Kelche der Nachtnelke»» hatten sich offen getan und dufteten stark. Die Pferde waren stehe» geblieben, die Feucht« der Wiese beunruhigte sie, sie bogen ihre Köpfe dem Querweg zu, der langsam steigend im Bogen zum Hof führt». Da gab der Mann sein Vorhaben auf und ließ die Tiere heiinschreiten. Erst als die Frau den Mall erreicht hatte, »sagte sie s,ch um- zusehen. Sie hatte sich sehr geeilt, ste hörte immer noch das Geschirr der Pferde in den Ohren klingen. Aber wie n« slln umblickt«, war sie allein. Sie blieb ein« Weil« unler den Ulmen t)>« Knospen wa ren schnell a'ujgebrochen in diesen» Fahr. Es war ein rascher warmer Frühling gewesen, alles war vor der Zeit gekommen Spät war nur der Bauer mit seiner Saat. Aber er ivar einer von denen, die alles selbst mache»» wollen. Seinen Söhne»» hätte er die Arbeit anvertraut: Knechtsarbeit ließ er sich ungern gefallen. Als di« Frau an die Söhne dachte, war es, a»s wurde ver Abend sprunghaft dunkler. Das Unglück mit ihrem Kind stanv vor ihr, ihre Furcht und noch großer das Leid, das st« umgab. Kälte war um sie her. Kälte auch in diesem warmen Frühlingstag. Drüben trieb der Knecht ein Füllen heim. Es »vieherte »aai der Mutter und die antwortete vom Stall. Die Frau hätte Lust gehabt, das junge Tier zu streicheln siir seinen Ruf und wagte es nicht, Ein böses Wort über das Kind hätte falle», könne», eines jener Worte, di« bis in di« Seele verletzen und de», Menschen eine lange Nacht weinen lasten. Wie sie so stand, war im Beifußkraut, das de», rvan ,a,i überwuchert«, ei» leises Rucke» und Ziepen. Die Einsame fud- sich über die Augen. Ob sich ein krankes Tier verkröche»» Hai:«. Sie hatte Sehnsucht, etwas Verlassenes zu finden oder ein Un- glück zu heilen. Aber wie ste im Halbdunkel die Stauden auseinander bog huschte und raschelte es von kleinen gelben und grauen Küchlein Die Henne, die vor Wochen verschwunden war. stand glucksend mit gesträubten Flügeln davor. Ein wunderliches Lächeln ging über das vergrämte GeMi der Frau. Da hatte das Tier draußen gebrütet und brachte jetzt' fünf, sechs Kindlein zuin Hof heim. Glücklich rvar sie Uber die gespreizte Mutterschaft, sie mußte sich Uberneige», fast ge schwisterlich sorgend. Die lockte di« Henne wieder uird die kam, halb zulrauUch, halb kampfbereit näher, Schritt um Schritt, immer wieder von den eilenden., piepeirden Dierlein gefolgt. Sorgsam, mit unend licher Geduld, lockte die Frau ste aus dem Pusch zum Weg „Bist bang vor diesem Hof?" fragte ste. Sie hockte vor den Tieren und sah scheu zur Seite, als müsse ein Schritt vau fern kommen. „Fa, man kann hier bange werden! Wo keine Liebe ist, ist kein Segen." Sie haschte die Henne, hob sie »n die Schürz und hatte in» Nu die kleinen Tiere dazu. „Komm nur, ich will zeigen, wie ich sorgen kann." Die Worte kamen fast wie ein neues Schluchze», glückselig war di« Frau und furchtsam, der Bauer »nächte ihr die Tiere nehmen. „Der Zung" würde er fragen, „hast du denn für den Fung sorgen können?" Der Man»», der heimgekomine» war. stand an eine»» Pfost.'i» und sah ihr zu. Und er sah ihre Zärtlichkeit und ihre mütterliche Hand und die tiefe Liebe ihrer Stimme, wie wenn sie eu» Kind rief. Und obschon er ihre Worte nicht verstand, wußte er was ste zu den Tieren sagte. Er fuhr »nt der Hand über die Stirn. Zorn oder Kram war es, den er darüber Hintrieb. Aber plötzlich rief er di« Frau bei Name», sa daß sie »nit einem Schrei zusamineiisuhr. Er rief ihn noch einmal: es »vor, als habe er Mühe, das Wort zu halten, das er fast vergessen hatte. Es lag etwas in dem Ton und in dem Rainen, anders als sonst. Das Weib barg die Tier«, hob sich und sah voll steigender Verwirrung ans den Mann, der ihren Namen wicderfand. „Komm, Magda", sagte er und fein Blick suchte am Boden, ,das ist wohl wie'»» Wunder mit den Tiere», was?" «ein» »I» »Lik DLÜriuaei, »eil»»"« dam» «rräblte 8e das Erlebt« u. »b. da» btbcken bis in jede Einzelheit hinein. „So nah haben wir also alles Gute", schloß sie tiefüesriedigt den Bericht. Am andern Tag sucht« Frau Rat Bechstetn die Nähern» in ihrer Nachbarschaft auf. Es klopfte drüben bei Fräulein Schulz an der Zimmertüre, die erhebt sich von der Arbeit am» Fenster, sieht sich einer großem, alten Dame gegenüber, bietet bescheiden einen Stuhl an und denkt bedrängt: „Eine ganz neue Kundin, und ich kann mit der alten Arbeit nicht mehr fertig werden!" Zu ihrer unsäglichen Verwunderung fängt aber ihr Besuch gar nicht an von schadhaften Kisten, Nachthemden oder Kragen zu reden, sondern von Katzen, richtig und ernsthaft von Katzen. Sie habe den Uiffall gestern nachmittag beobachtet, sie habe gesehen, was für «in gutes Herz und welch geschickt« Hände die Nach barin besitze, st« sei genötigt, aus Woche»» zu verreisen und ihr« zwei Katzen — wunderschöne Tier« — zurückzulassen — sie habe sich de» Kopf schier zerbrochen, wem ste diese lieben Haus freunde anvertrauen könne, und nun gestern ungeahnt befrie digende Antwort und alles Gut« so nah gefunden. Uiü> nun sei, ste, Frau Leonor« Sechstem, da, um die Nachbarin zu bitten, Puß und Mädt auf zwei Wochen in Pflege zu nehmen. Sie seien durchaus arti» peinlich sauber und machten weiter keine Mühe. ,L»ch würde A»«» sechs Mark in der Woche geben für die Kost meiner lieben Tier«, und noch zwei für Are Mühe, liebes Fräulein Schul»" „Aber, das ist ja viel zgi vj«t". «ehrte die klein« Näherin Die alt« Dame lachte munter: „Warten Sie nur erzr av. Mädi und Puß sind bei vorzüglichem Appetit, sie möge,» sehr gern ein bißchen Weißbrot zu ihrer Milch — auch hier und da ein Schnipfelchen Rindfleisch, wenn Sie sich eine gute Supp« kochen, und di« können Sie auch nötig brauchen!" Freundlich sah sie in das blasse Gefichtchen vor sich und hielt dem Fräulein die Hand hin. „Also abgemacht?" Fräulein Schulz legte di« ihre hinein und lächelte. Und Puß und Mädi kamen — zwei wirklich prachtvolle, schneeweiße Angorakatzen. Sie gewöhnten sich sehr gut ein. schnurrten bald mit dem hinkenden Scheckch«,, — Fräulein Schulz hat es später den „Quartiermacher" genannt — uin di« Wette. Sie waren in mustergültigem Zusta»»d, als sie nach sechs Wochen in der Wohnung der Frau Bechstetn wieder ein trafen. erregten deshalb allgemeines Aufsehen bei deren Freun dinnen, die Sach« sprach sich herum, und nun war es ganz er staunlich, wieviel Katzen es in der großen Stadt gab —die bei einer Reise der Herrin versorgt werden mußten. In dem Maße, als Fräulein Schulzens Nähkundschaft abnahm und abnehm«»» mußte, nahm di« der Katzenmutter zu. Sie saß nie mehr ohne «ine mehrfach schnurrend« Gesellschaft auf ihrer Galerie- Ar Leben war noch stiller geworden: aber eben da zog es noch einen lichten Kreis in die Nachbarschaft, als des lieben Gottes Antwort auf ihre zweite Frag«. Es mündeten um den viereckigen Hof herum noch allerlei Türen auk di« Lolmaleri« oben unten — in drei Stockwerke,».