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Beilage zn Nr. 38 der „Sächsischen Volkszeitnng" vom 13. Februar INOV Sozial venrokratifche Klownspäße über die Arbeiter-Eneyclika. Anläßlich der Karnevalszeit kann man allerorten klagen hören, daß der echte feine Humor mehr und mehr im Aussterben sei und dafür alberne Plattheiten, geistlos' Clownsspäße, wo nicht Roheiten und Schlimmeres mehr und mehr sich breit machen. Eine Bestätigung dieser Diagnose liefert die eben jetzt erschienene, in richtiger Karnevals-Geistesverwirrung ge schriebene Broschüre des Genossen Dr. Laufenberg-Düssel dorf: „Die Legende vom Arbeiterpapst." Man kann da am besten die geistige Verödung und Verblödung, die in der Sozialdemokratie mehr und mehr um sich greift und mit der zugleich ein geistloses Clownstun: rt In Mehring seinen Einzug hält, beobachten. Während noch der alte Liebknecht als Chefredakteur des „Vorwärts" im Jahre 1801 so viel Ehrlichkeit und Mut der Ueber- zeugung hatte, dem Papste Leo XIII. das Zeugnis auszu stellen, daß er durch die Enzyklika den Weg zur Lösung der Arbeiterfrage gezeigt habe, so weit dies unter den heutigen Umständen eben möglich sei, will der Düsseldorfer Clown bei seinen Lesern den Kalauer anbringen, daß der Papst nicht nur nichts vom Sozialismus verstehe, vielmehr als Freund des Kapitals ein Arbeiterseind wie nur einer sei! Recht verschnupft ist man natürlich über das, was der Papst über den Sozialismus sagt. Weil Leo XIII. den Sozialismus dahin charakterisiert, das; er das Eigentums recht bekämpfe, da er „eine Uebertragnng alles Besitzes ton den Individuen an die Gesamtheit" erstrebe, so ist das eine gröbliche Fälschung des Tatbestandes nach dem Ge nossen Lausenberg. Tenn 1. wolle die Sozialdemokratie gar nicht alles Eigentumsrecht abschafsen, unangetastet bleibe das Eigentumsrecht hinsichtlich der Konsumlions- mittel (S. 10), und 2. stehe die Sozialdemokratie aus den: Boden des Eigentumsrechtes, denn sie betone das „Eigen tumsrecht der breiten Massen" (S. 11). Man greift sich an den Kopf ob solcher Ausreden: Ja, wer in aller Welt hat denn je behauptet, daß die Sozial demokratie auch die Konsnmtionsmittel, d. h. die zur Be friedigung der Lebensbedürfnisse erforderlichen Tinge „ver- gesellscl)asten" wolle. Das will sie nicht, weil sie eben nicht kann, und sie könnte es gar nicht, selbst wenn sie wollte! Oder soll vielleicht Nock und Hose im Zukunslsstaat allen Leuten mit den gleichen Körpermaßen gehören? Indem Genosse Laufenberg solche Mätzchen vorbringt, gesteht er, daß er Stichhaltiges nicht vorznbringen hat, sondern über den eigentlichen Punkt hinwegtäuschen will. Das zeigt sich in großartiger Weise bei dem zweiten Punkte: das Eigentumsrecht wolle die Sozialdemokratie gar nicht absckxifsen, was sie wolle, sei Eigentumsrecht der breiten Massen. Aber loarum sagt denn dieser subtile Ge- nosse nicht, welcher Unterschied zwischen Abschaffung des Eigentumes und einem Eigentumsrecht der breiten Massen ist. Man kann ja elftere Eigentunisrecht der breiten Massen heißen; aber deshalb bleibt sie doch, was sie ist. So wenig die Armut etwas anderes wird, wenn man sie Pauvretä heißt, so tvenig Eis etwas anderes wird, wenn man eS ge- frorcnes Wasser nennt, so wenig ein Schimmel etwas anderes wird, wenn man weißes Pferd dafür sagt, ebenso wenig wird aus Abschaffung des Eigentums etwas anderes, wenn man dafür Eigentumsrecht der breiten Massen sagt Der Name allein ändert nichts. Oder meint der Genosse Laufenberg vielleicht, Katzengold fei wirkliches Gold, weil es so genannt wird? Er macht cs wie der Wundermann von Mußbach, der auf sein Fabrikat die feinsten Etiketten klebte; aber sein Mußbachtvasscr blieb eben Mußbachtvasser trotz der Namengebung. So heißt der Genosse die sozialdemokratische Beseitigung des Eigentumsrechtes einfachhin Eigentums recht der breiten Massen; aber sie bleibt trotz dieser Namen gebung was sie ist — Abschaffung und Aufhebung des Eigentumes. Anscheinend scltzimt sich der biedere Genosse der eigent lichen Ziele der Sozialdemokratie, daß er sie durch seine Umtausungcn zu verschleiern sucht. Mit großem Vergnügen und noch größerem Fettdruck zitiert unser Genosse jene Stellen aus der Enzyklika, welche gegen die Mißstände der kapitalistischen Produktionsweise sich wenden. Aber auch da macht der Papst nach der Phantasie des Oienossen Lausenberg haarsträubende Fehler! Gerät er doch „mit sich selbst in einen unlöslichen Widerspruch. Tenn wer zugibt, daß das Nebel (diese Mißstände der kapitalistischen Produktionsweise) ein organisches ist, weil ihr Grund die kapitalistische Produktionsweise selber ist, der muß dafür sein, daß die heutige Produktionsnwise in eine andere, die Monopol und Sklave:ei aufhebt, sortentwickelt werde." (S. 11) Was ist das wieder für ein Clownsspruug? Tie Worte des PapsteS, meint Lausenberg, „entbalten »»verhüllt eine Absage an das kapitalistische System" — nein .Herr Genosse! Tie Worte enthalten eine Absage eben an die Mißbräuche dieses Systems. Zitiert doch der Bieder mann selbst die Worte Leos: „daß baldige ernste -Hilfe not lut. weil infolge der Mißstände unzählige ein wahrhaft ge- - drücktes und unwürdiges Tasein führen". Als Gründe > werden genannt „die .Herzlosigkeit reicher Besitzer, unge- , zügelte .Habgier der Konkurrenz, Geldlichste des modernen ! Wuchers" (Laufenberg, S. 1!)). Sind das vielleicht Dinge, die organisch mit der kapita- > lisli'chen Produktionsweise verbunden und und sich nicht von ! ihr trennen ließen, oder sind das Mißbräuche, die abbestellt und beseitigt werden können? Taß sie das letztere sind, ist selbstverständlich. Was ergeben sich daraus für Konsequenzen? Nach dem hitzigen Genossen ist daS ganze kapitalistische System »icbr ! mehr wert, als daß es schleunigst in Trümmer geschlagen ! wird. Das ist die Logik deS wilden Mannes, der, weil ein? ^ Tasse zerbrochen, das ganze Service zusammenschlägt, der ! zur Vertilgung des Ungeziefers im .Hanse gleich das ganze i Hans anbrennt. Solche Verrücktheiten mögen einen: sozialdemokratischen ! Gehirn Passend erscheinen, ein vernünftiger Mensch hande.t § anders. Ter sucht die Mißstände zu heben und sucht Mittel ^ und Wege, »in ihre Wiederkehr zu verhindern. Das sind die Konsequenzen, die ein vernünftiger Mensck) aus seinen Betrachtungen zieht, und darum ruft Leo Xlll. in seiner Enzyklika den Staat als Kulturstaat auf, durch gesetzgeberische Maßnahmen die Mißbräuche, die wir unter dem Namen soziale Frage zusammenfassen., zu beseitigen. Wenn der wilde Main: von Düsseldorf, den sein Wild- bcitsanfall um alle Vernunft gebracht hat, zuletzt noch fabelt von einer Prodnktionsform, die Monopol und Sklaverei anshebt, und dabei an die Sozialdemokratie denkt, so be weist das wieder seine heillose .Konfusion, als ob nicht gerade bei der Sozialdemokratie Monopol und Sklaverei in der höchsten Potenz sich fänden! Stutzt «ntz Lkand. - " In einer Zuschrift über Berufswahl äußert sich der Obermeister der hiesigen K ürschneri n n u n g wie folgt: „Mehr und mehr wird in den Tageszeitungen vor dem und jenem Beruf als „überfüllt" gewarnt. Das öffentliche Leben zeigt täglich, wie der Kampf ums Dasein immer schwerer wird. Besonders sind cs die Angehörigen der sogenannten höheren Bernfsarlen, vom Kanfinanns- stande bis zn den akademisch Gebildeten, welche oft bis ins Mannesalter hinein die Unterstützung ihrer Familie in An spruch nehmen müssen und selbst in ihren besten Jahren nur ein unzulängliches Einkommen haben. Ta ist es wohl eine dankenswerte Aufgabe, besonders solche Eltern, die ein tleines Kapital ansznwendei: haben, ans einen geachteten Berns hinznweisen, bei welchem die Verhältnisse eher um gekehrt liegen; wir meinen das Kürschnerhandwerk. Wohl hat ein kalter Winter bemerkbaren Einfluß auf den Ge- sck)ästsgang. aber seit Pelz mehr Linus- und Modeartikel geworden ist, ist der Verbrauch von Pelzwerk in der ganzen Welt gestiegen. So sind tüchtige Gehilfen, die etn>as Gründ liches gelernt haben, sehr rar in der Branche geworden und werden überall gesucht, haben das ganze Jahr über gleich mäßige, ruhige Arbeit bei einem Einkommen, welckws den: eines kleinen Beamten entspricht. Eii: junger .Mirschner steht mit dem 18. Jahre ans eigenen Füßen, ihn: steht die ganze Welt offen. .Kommt womöglich später eine Pekuniäre Unterstützung des Vaters hinzu, welche nicht sehr groß zu sein braucht, so sind die Bedingungen vorhanden, »in ihm mit !i<> Jabren eine eigene Selbständigkeit als Meister und geachteter Bürger zu sicher». Interessenten erteilt gern nähere Auskunft der Obermeister der hiesigen Künschncr- innniig." - * Tie in einer Anzahl von Personenwagen vierter Klasse angebrachte Einrichtung von Aborten und Scheidewänden soll in weiteren Olt Magen dnrchgc- sührt werden. In allen Personenwagen vierter Klasse wer den übrigens einige Haken zrun Aushängen von Kleidungs stücken angebracht werden. In einigen Wagen vierter Klasse befanden sich seither schon .Handhaben, an denen sich Reisende, die auf den Bänken keinen Platz finden, sondern in der Mitte des Magens stehen, anbalten können, wenn in ver einzelten Fällen die Wagen im Betriebe stärkeren Erschütte rungen ansgesetzt sind. Mit derartigen -Handhaben sollen auch die übrigen Wagen vierter Klasse versehen tverdcn. — 8 — dritten Teil des Weges zn seinen: Ziele znrückgelegt, und da ihn eine große Sehnsucht nach seiner Familie trieb, entschloß er sich schweren Herzens zum Uebernachten. AuS einen: an der Landstraße gelegenen Wirtshanse klangen die Töiw einer Flöte. Von den: weichen, melodischen Spiele angezogen und in der festen Hoffnung, hier keinen: Bekannten zu begegnen, betrat er die große, niedere Wirtsstube. Diese war für ländliche Verhältnisse gut besetzt. Die Leute saßen rauchend und den Brand, ihrer Tabakspfeifen mit Zunder oder Kienspan unterhaltend, um die großen, eichenen Tische, auf welchen Talglichter und kleine Oellänipchen brannten. Ein starker Tabaksgualn: war gleichmäßig :n dein matt erleuchteten Raume verteilt. Die anwesenden Gäste unterhielten sich lebhaft und blickten dabei immer wieder auf eine seltsame Menschengriippe, die auf einer mäßigen Erhöhung im vorderen Teile der Stube ihren Sitz hatte. Es waren zwei Greise nut schneeweißen wallenden Bärten und mit ernsten sympathischen Zügen, die unter der Bezeichnung „Die weißen Sänger" in: Lande umherzogen. Das meiste Interesse erweckte jedoch ein weißgekleidetes Mädchen, das mit künstlerischer Vollendung die Flöte blies. Ueppiges, ticssclnoarzes .Haar, das ansgelöst über die Schultern fiel, ließ die Farbe ihres leidend blassen Gesichtes weiß wie Marmor erscheinen, und der Glanz ihrer großen, träume rischen Augen schien in eine andere Welt hinüberzustrahlen. Hartseld erhielt in der Wirtschaft Nachtquartier und nahm an einem freien Tische, der Sangergruppe gegenüber, Platz. Die einfack>en, gemütvollen Volkslieder der beiden Greise und die Flötenvorträge des schönen Mädchens fanden ein dankbares Publikum. In .Hartfeld erweckte das einschmeichelnde Spiel eine Flut von Erinnerungen. Mit halbgeschlosscncn Augen saß er in die Bank zurückgelehnt, die Gegeiuvart ver- gessend, und träumte. Der trauliche Raun:, in den: er seine Kindheit verlebt hatte, tauchte vor seinen: Geiste auf. Tie Mutter saß neben ihm. Er glaubte ihre Hand zu spüren, wie sie leise über seine Haare strich, und den kosenden .Hauch ihres Mundes auf der Stirne zu fühlen. Der Klang ihrer Stimme hallte in seinen: Innern nach. Der Mutter gegenüber saß der Vater und blies die Flöte. Deutlich sah er ihn vor sich in der blauen Uniform mit den funkelnden Etxullettcs, seiner hohen Stirn und dem mächtigen, wcitabstchcndcn Schnurrbart. Auf dem Tische flackerte das Kerzenlicht und der Docht trieb glühende Rosen. Eines Tages aber hörte das Flötenspiel auf — für immer. Jahrelang lag das Instrument auf den: hohen Schrank in der dunkeln Kammer. Die Mutter »rar schon lange krank gewesen, als er in einer Nacht, von: Vater aus dem Bettchcn gehoben und zu ihr hingetragcn wurde. Sie war sehr blaß und eingefallen, als sie die mageren, zitternden Hände auf seinen Kopf legte. Und dann trug sich etwas Ungewöhnliches zu — der Vater weinte! Heftig weinte er, sein ganzes Körper bebte und zitierte . . . „Lang, lang ist's her . . hauchte cs in sanftem Flötcntone. Erregt fuhr Hartseld empor. Seit seiner Kindheit hatte er die schwer- mittigen Töne nicht mehr gehört. Er griff sich an die Stirne und sah hinüber zu der Flötenspielerin, und der rätselhafte Blick des blassen Mädchens bc- f>-c»nete ernst und voll dem seinen. Ihr stark ausgeprägtes Standesgefühl imponierte ihm. Oberst v. Seeberg machte anfangs seiner Tochter gegenüber Einwendungen, schließlich aber flößte ihn: der solid gewordene Sohn des Jugendsremides selbst Interesse ein, und so wurde Marie binnen Jahresfrist .Hartfelds Frau. Das junge Paar gründete sein Heim in der geräumigen Wohnung des Obersten und es gestaltete sich ein srenndliches Familienleben, das ein glückliches genannt wer- . den konnte, als ein Söhnchen ins HanS kam, dem ein Jahr fester ein Mädchen folgte. Ta hielt plötzlich das Unglück in der furchtbarsten Gestalt seinen Einzug. Hartfeld kam eines Tages ins Gesellst und machte die Entdeckung, da;: in der vorübergehend unter seiner Verwaltung befindliche» Kasse zehntausend Gulden fehlten. Das.Kassenlokal und die.Kasse selbst fand er regelrecht ver schlossen. Ter Gesclfästshcrr U^r ans einige Tage verreist, und da in nächster Zeit ein größerer Geldverkehr zu crwxn'ten stand, so übergab er die Schlüssel an Hartseld, der sein unbegrenztes Vertrauen besaß. Letzterer hatte nach einer größeren Einzahlung am Abend zuvor den Kassenbestand gestürzt und in Ordnung gefunden, und nun fehlten zwei Pakete bayrischer Zehnguldennoten zu je fünftausend Gulden, während die Wert- - Papiere und das Silber vollzählig vorhanden wviren. .Hartfeld, der wöchentlich einmal in Gesellsckxstt zn gehen pflegte, war in fraglicher Nacht zu .Hanse ge wesen und trug die zum Kassenlokal und zur Kaste gehörigen Schlüssel, in einer Ledertasche verwahrt, bei sich. Tie Möglichkeit einer Entwendung und unbemerkten Wiederznslellnng der Schlüssel schien biernach ausgeschlossen. Tie Ausführung des Tiebstahls war nur einem in: GesckM bediensteten, mit der Oertlicbkeit vollkommen vertrauten Individuum möglich gewesen. .Hart feld kannte jedock: niemanden, den: er diese Tat zntrante. Das Personal be stand durchweg aus Leuten, welche seit vielen Jahren treu in: Gesclmfte ge dient, und ihr gutes Auskommen hatten und die ihren Prinzipal liebten und verehrten. Und doch »xir das Geld entwendet! .Hartfeld stand vor einen: unlösharen Rätsel. Er erstattete sofort bei der städtischen Polizei und beim Untersuchungsrichter Anzeige, und als zwei Tage später der Geschästsherr von seiner Reise znrückkehrte, war die Untersuchung bereits im vollsten Oßinge. Kaufmann Lorenz vernäh::: die unangenehme Nachricht mit großem Schrecken. Die Untersnckmng hatte bis dahin zu keinen: Ergebnis geführt und schien aussichtslos zu bleiben. Ans dem gesamten Gesckxiftspersonal lastete eine beengende Schwüle. Lorenz würde zu dein empsindliciwn Verlust noch ein großes Opfer gebracht lieben, wenn der Diebstahl dadurch ansgeklärr worden wxire. Er mußte unter den gegebenen Umständen gleich .Hartfeld annelunen, daß der Dieb unter seinem Personal stecke. verN'arf jedoch, als er jede einzelne Person desselben sich vergegenwärtigte, diesen Gedanken eben falls wieder. Da tauchte plötzlich ein Gerücht ans, das unter dem Siegel der Ver schwiegenheit die Stadt durchflog: .Hartfeld sei ein Spieler, der in der jüngsten Zeit wieder ziemlich hohe Sninnicn verloren liabe. WeHdie unselige Er findung zuerst in die Welt gesetzt lxstte, wußte niemand. Unter dem unan greifbaren „man sagt" ging sic von Mund zu Mund, und in allen Köpfen begann cs zu tagen. ES war ja sonnenklar: der ehemalige leichtsinnige Junker — seine tollen Streiche — Natur bleibt Natur und kommt immer wieder zun: