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Vollslän-iger Wirrwarr in Mag-eburg. Sr weltz, was sie von ihm hören wollen. Di« wertlose« Geständnisse »«» «iderrnfe «chrSder». Berlin. 8. August. Zu dem Durcheinander, da» sich in der Aufdeckun« der Magdeburger Morbaffäre ergeben hat. schreibt heute der ,berliner Lokal-Anzetgrr": Die zwei ober drei Untersuchungen, die in Magdeburg tn der Mordsache Helling neben- und gegeneinander geführt worben sind, haben da» Ergebnis gehabt, das vorauszusehen war: Sine» der» artige« Wirrwarr, wie er in der beschichte sensationeller Otrasprozesse ohne Beispiel sei« dürste. Wir haben eS von vornherein und immer wieder mit gutem Grunde abgelehnt, sür die Schuld ober Unschuld irgendeines Beteiligten zu plädieren. Feststellungen in Kriminalsachen zu machen, kann Mt Aufgabe einer gewissenhaften Presse sein. DaS, was das Erstaunliche an dem gegenwärtigen Stadium des Magde burger Wirrwarrs ist und was zur Kritik gegenüber allen an der Untersuchung Beteiligten Anlatz gibt, ist der Umstand, datz die Aussagen eines offensichtlichen Mörder» — denn von der Mordschuld Schröders sind alle Untersuchenden über zeugt, — als Grundlagen zu einem Urteil genommen werden. Ein Mörder aus Eigennutz ist an sich alles andere als ein klassischer Zeuge. Pathologische Züge trägt zudem Schröder, der sich als Student ausgegeben, sich selbst Schmisse mit dem Rasiermesser beigebracht, der ohne weiteren er kennbaren Zweck als aus GrotzmannSsucht den gebildeten Mann markiert, in reichem Matze. Selbst angenommen, er wäre nicht »»mittelbar über die Gegensätze unterrichtet, die zwilchen den verschiedenen Untersuchenden bestehen, das hat er unzweifelhaft bald wcggehabt. was die eine und die andere Partei von ihm am liebste« hören möchte. Und so hat er dem, dem Berliner Kriminalkommissar gegen- über das Geständnis abgelegt, ohne Anstiftung, lediglich um des Raubes willen, den Helling ermordet zu haben, um dieses Geständnis tags darauf dem Untersuchungsrichter gegen über aus freien Stücken zu widerrufen. Sieht man denn nicht, das, sich mit den Aussagen eines solchen Mannes weder nach der einen noch nach der anderen Richtung hin irgend etwas beweisen lässt? Es steht zu vermuten, datz erst die Sauptverhandlung vor dem Strafrichter wirkliche Aufklärung bringen wird. Eines aber dürfte klar sein: So wie eS setzt in Magdeburg zngeht, kann es unter keinen Umständen wcitergchcn. In der „Deutschen Tageszeitung" wird heute noch einmal ans die politische Seite der ganzen Angelegenheit hingcwiesen. Es ist. so stellt dieses Blatt fest, icdcnsallö bisher noch nicht dagewvscn. -atz sich BerivalbuilgSbehörden, wie der Oberpräsident von Magde burg uwd Vi» zu einem gewisse« Grade auch da» Minist«, rtum de» Innern selber, für ein Ermittlungsverfahren zu- gunsten eine» ganz bestimmten Ergebnisse» der Ermittlungen, zugunsten nämlich de» Nachweise» der Schuldlosigkeit eines Verdächtigten, derart praktisch interessiert haben, wie e» btS- her geschah. Dieser Eifer, dem man tn der Linkspresse be- gegnet, ist um so seltsamer, al» man sonst weniger beflissen ist, sich unschuldig Verdächtigter anzunehmen. Ss braucht »um Beweise dessen ja nur au die Ersahrnnge« der »rotzen Hoch» verratSaktion des prentzischen Ministerpräsidenten erinnert »« «erden, bei der gleich Dutzende der einwandsreieften und an» gesehensten Persönlichkeiten mit voli^iliche« Hanssnchnngen und Bernchmungc« beglückt wnroe» and tagelang durch dte linksstehende Presse als üderstihrte politische Schwerverbrecher behandelt worden sind. Im Magdeburger Fall« lagen di« Ding« für die Links presse umgekehrt, und sie hat dte politischest Moment« dem Untersuchungsrichter, -cm Kriminalkommissar ten Holt uns den Verteidigern des Mörders untergeschoben. Dabei ist ihr jedes Mittel recht gewesen. Es kommt auf solche Art dahin, datz schlictzlich bei jeglichem Kriminalfall alSdal- in aller Oeffentlichkeit der Stab gebrochen wird, entweder über di« Beschuldigten oder, je nachdem wie dte Dinge passen, über das Gericht. Man braucht sich ja nur daran zu erinnern, wie d,e Dinge in der Hochkonjunktur des Fememovdgeschreis standen. Wenn das zur stehenden Uebnng werden sollte, dann würde sich die Presse geradezu zu einer gemeinen Gefahr sür jeden einzelnen auSwachscn, da schließlich kein Mensch wisse« kann, ob er nicht im ersten Stadium der Ermittlungen vorüber gehend einmal in einen Kriminalsall hineingezogen wird. Es wäre zu wünschen, datz man sich tn allseitigem Interesse der Oesfentlichkeit als Abschluß des Magdeburger Falles über diese Gefahren klar würde und aus ihnen für die weitere Zukunft entsprechende Folgerungen zöge. Kattenllassuna der SeNeblen Schröders. Magdeburg. 6. August. Nachdem der Untersuchungs richter die Geliebte Schröders. Hildegard Götze, nicht als An- geschuldigte, sondern nur als Zeugin vernommen hatte, wurde sie von der Kriminalpolizei wieder aus freien Fuß gesetzt. Hildegard Götze hatte bekanntlich am Mitt woch ein umfassendes Geständnis abgelegt, aus dem hervor ging, datz sie mindestens der Mitwisserschaft verdächtig war. Wie von zuständiger Stelle verlautet, ist Fabrikdirektor Haas bis jetzt »och nicht aus der Haft entlassen worden. Es steht auch noch nicht fest, wann die über die Haftentlassung ent scheidende Bcschivcrdckammcr zusammcntritt. Die Meldung, datz der Untersnchuugsrichtcr Dr. Kölling erkrankt und heute nicht zum Dienst erschienen sei, trifft nicht zu. Dr. Kölling befindet sich im Dienst und setzt die Ermittlungen for» Der Internationale Richter-Konareb. Wie«. 8. «ua. Die heutig« zweite Sitzung der Inter national Law Association brachte bereit» einige Ergebnisse von allgemeiner juristischer und Politischer Bedeutung. In der unter dem Vorsitz de» ReichSgerichtSpräsidentcn Simons »usammengetretenen Sonrmissto« sür Nentralitätsrecht wurde der Borentwurs in seinem ersten, dem Recht« in Frie- denSzetten gewidmeten Teile mit einigen Acnderunge» angenommen. Damit hat sich der Kongreß sür das allgemeine Prinzip der sogen. Dreimeilenzone, d. h. der grund sätzlichen Beschränkung der HoheitSbefugnisse des Userstaates aus eine Entfernung von drei Meilen von der Ntedrtg-Wasser- ltnte lArt. v de- Entwurfes) in seiner Mehrheit ausgesprochen. Der zweit« Teil des Entwurfes, der von der Neutralität zur See handelt, wurde aus deutschen Antrag hin zwecks Neubearbeitung unter weitgehender Berücksichtigung der Er fahrungen deS letzten Krieges an das RedaktionSkomitcc zurückverwiesen. Besonderes Interesse beanspruchte tn der Nachmittags- sihung die Beratung des Gesetzentwurfes zur Schaffung eines Internationalen Gcrichtshoscs zwecks Ahndung von Vergehen gegen das Völkerrecht. Die bisher umstrittene Frage hat die Vereinigung bereits mehrfach auf ihren Nachkriegstagungeu beschäftigt. Der sür die jetzige Konferenz ausgearbeitete Ent wurf weist «ine erhebliche Fortentwicklung gegenüber den ersten Vorschlägen aus und begegnet, nachdem insbesondere die rückwirkende Kraft ausgeschlossen wurde, nicht mehr so weit gehendem Widerspruch, wie früher. lW. T. B.) Die Aokjlan-sarbeilen -er Stadt Berlin. Der StadtparlamentsauSschutz bewilligt Millionen Mark. Berlin, 6. August. Der HauShaltSausschutz der Berliner Stadtverordnetenversammlung hat heute alle vom Berliner Magistrat vorgcschlagenen Mittel zur Errichtung von Not standsarbeiten bewilligt, bis auf einen Betrag von 1120 000 Mk. Jedoch soll auch diese für Stratzenbauten be stimmte Summe bewilligt werden, wenn der Magistrat sie anderen alS den vorgesehenen Stratzcnbauarbetten zusühren will. Die bewilligten Mittel umfassen 13 Millionen Mark für den Tiefbau, 10 Millionen Mark für Kanalbauten. 1 Million Mark für landwirtschaftliche Meliorationen. Außerdem soll auf die Straßenbahn (deren einziger Aktionär ja die Stadt selbst ist) dahin eingewirkt werden, datz sie durch Einrichtung neuer Linien weitere Arbeitsmöglichkeiten schasst. Die hier bewilligten Mittel sind natürlich nicht die ein zigen, welche für die Berliner Notstandsarbeiten eingesetzt werden. Zu ihnen treten noch die weit höheren Staats mittel der produktiven Erwerbslosenfürsorge, welche als Zuschüsse zu den von der Stadt in Angriff zu nehmenden Not standsarbeiten Verwendung finden. Der Strafantrag im Ftefsa-Prozeh. Frankfurt a. M^ 8. Aug. Der Staatsanwalt bean tragte. die Angeklagte Wllhelminc Flessa wegen Tot- schages zu IS Jahren Zuchthaus nnd 1ü Jahren Ehr verlust zn verurteilen, sowie die bei der Tat benützte Waffe einzuzichcn. Im ersten Prozetz war die Flessa bekanntlich zum Tode verurteilt worden. » In der NachmittagSvcrhandlung begannen in Abwesenheit der Angeklagten die Plädoyers. Der Vertreter der An klage, Staatsanwalt Floret, führte u. a. aus: Ich begrüße es, das, dieses Mal eine Frau unter den Richtern ist. Eine Frau ist in erster Linie berufen, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob dte Tat durch einen in der Natur des WcibeS begründeten Affekt geschah oder ob eS andere Motive nxrrcn. Ich glaube nicht, das, ein menschliches Verhältnis zwischen Dr. Scitz und der Angeklagten bestanden hat. Es handelt sich nur um seelische Begehrlichkeit der alternden Jungfer, die bisher noch kein sexuelles Erlebnis hatte. ES kam die Entiäe,'schung. Alle bösen Dämonen, Wut und Rachsucht wur den in ibr wach, und dte Tat geschah. Mit ihren Angaben will die Angeklagte erklären, datz ihr die Schüsse versehent lich losgegangen seien, so datz Fahrlässigkeit in Frage komme. Sein vernünftiger Mensch kan« solche Aussagen ernst nehmen. Es kann nur so sein, datz ein ausgesprochener Ncrnichtnngs- wille bei der Angeklagten vorlag. Selbst wenn man den An gaben der Angeklagten folgen will, daß sich die Vorgänge so abgespielt hätten, wie sie angab, so handelt es sich doch um einvolleS Verbrechen. Alles, was die Angeklagte jetzt vorbringt, sind angelernte Finessen. Es folgte der oben mitgelcilte Strafantrag. Daraus sprach die Verteidigerin Fräulein Dr. Schulz. Sic wies darauf hin, datz für Frau und Mann gleickxs Recht gelte. Aber das Seelenleben einer Frau sei wesentlich anders als das eines Mannes. Das Höchste im Loben der Frau sei die Liebe. Die Angeklagte habe eine freudlose Jugend ge habt. In den Lazaretten verwandte sie ihre ganze Sorge cnvf die Pflege der Schwerverwundeten. Sie sei ein« un berührte Frau gewesen, bis eines Tages der Mann ihren Lebensweg kreuzte, dom sie sich htngab und der ihr alles mar. Sehr ausführlich ging der Verteidiger Professor Dr. Sins- heimcr auf das Ergebnis der Bewcisausnahm« ein. Dte Angeklagte habe auf dom Standpunkte dos alten kanonischen Rechtes gestanden, datz, wenn ein Mann eine Frau besessen habe, er sie auch heiraten müsse. Die Tat müsse aus diesem Erlebnis heraus entstanden sein. Zwei Dinge hätten sich mit absoluter Klarheit in den Verhandlungen herausgestcllt, einmal, das, es keinem Zweifel mehr unterliegen kann, -aß die Tat im Affekt begangen morden sei, und zum andern, datz von den Sachverständigen zugegeben würde, datz die Möglichkeit einer Fahrlässigkeit besteht. Die Schuld der Flessa liege lediglich darin, datz sie sich nicht be herrschen konnte. Die Angeklagte mutz nach dem Gesetz be straft werden, aber cs kommt darauf an, di« Flessa gerecht z» behandeln. — Darauf nmrden die Verhau-Hungen auf Sonnabend vertagt. (Der Bericht über die den Plädoyers vorausgegangcnen Verhandlungen befindet sich unter den vermischten Nachrichten.) Furchtbare Cholera-Epidemie in China. Täglich tausend Opfer der Cholera und der Hitze? Schanghai. 8. August. Lant nichtamtliche« Schätzungen sollen täglich tausend Chinesen infolge Cholera» crkranknngcn und infolge der sehr großen Hitze sterben. Heute wurde mit INS Grad Fahrenheit jetwa 3!) Grad CclsiuS) die höchste Temperatur seit 30 Jahren ge messen. Auch einige Ausländer sin- von den Erkrankungen de» troffen. lW. T. B.» Grohfeuer auf den Docks in Liull. In Hüll brach infolge Durchbrenncns einer Sicherung ein Grotzsencr in de« dortigen Docks aus. Schuppe« in der Anödchnnng von mehreren hundert Harbs brannten nieder. Es ist das größte Feuer, bas mau in Hüll seit viele« Jahre» gesehen hat. Zunehmen-e Erregung in Mexiko. Nenyork, 8. August. In Mexiko werden für Len kom menden Sonntag neue Nicsendcmonstrationen der Arbeiterschaft erwartet. Der Vermittlungsvorschlag der Kirche Perus wurde vom Präsidenten Calles abgelehnt. Er war aber bereit, die Entscheidung dem Parlament zu über lassen. Die Meldungen aus Mexiko lanten durchweg wieder ernster. Die Presse Neuyorks fährt mit dem Abdruck mexiko- scindhicher Meldungen fort. Loolldge und die KolumbusrMer. Washington. 6. August. DaS Staatsdepartement hat ans die Entschließung der K o l u m b u s r i t t e r, der führenden katholischen Gesellschaft in Amerika, dte daS Staatsdeparte ment mit einem Eingreifen zum Schutze der Rechte amerikanischer Bürger in Mexiko ersuchte, erklärt, datz die Regierung für persönliche oder Eigentumsrechte amerikanischer Bürger in Mexiko eingegriffcii habe und dies auch ferner tun werde, datz die Vereinigte» Staaten todoch nicht in Fragen lokalen oder politischen Inter esses tu Mexiko eingreifen könnten. lW. T. B.) Zugsunglück in Polen. In der Freitagnacht ereignete sich bei RzeSzow auf der Strecke Krakau —Lemberg eine schwere Eisenbahnkata strophe. Ein Personenzug fuhr in einen anderen Zug hinein. övPersonenwurdenverletzt. Saison -Ausverkauf 0«m! deSeiilenae prelr-LrmSMxunxea in »Ilen zdtellunxen. «k»II»1r»0» 0 6rünsun8»I»Iir >830 l.smsniisus kr. Neokl Ik Das kündige Vom. Von Dr. Emil Waldmann, Direktor der Bremer Kunslhalle. Wenn man die Pläne und Projekte, dte Entwürfe und Jdcenskizzcn durchsieht, nach denen das ewige Nom in eine unbestimmte Zukunft hinein baulich weiter verewigt werden svll, und zwingt dann seine Phantasie, sich vorzustcllen, wie die Stadt, wenn sie io wird, in Wirklichkeit greifbar auSsehcn soll, dann bekommt man doch einen gelinden Schrecken und etwas wie Angst um ihr Schicksal und um ihre Schönheit. Zwar hat sic schon einiges im Lauf der Jahrhunderte erlebt: Rilderscindlichcs Christentum und Robert Guiscard, den Normannen, der hundert Kirchen zerstörte: spanische und deutsche Söldner Karls V., die nach Herzenslust sengten und brandschatzten: bauwütlge Kardinale, die ganze Häuscrviertel niedcrlcgtcn, »m grosse Stratzenzttge anznlcgen: die archäolo- gische Wissenschaft, die seit einem Jahrhundert die Eingeweide dieses schönen Körpers dnrchwühlte: das neue Italien nach 1870 und ein bisschen Gründerschwindcl: und noch das neueste Italien, das des 20. Jahrhunderts, das den Justizpalast zu verantworten hat »nd das marmorne, gipSwcise Niesen- denkmals Vittorio Emanucles am Fusse des Kapitols: und ionst auch noch allerhand Jugendstil in schlimmsten Aus schweifungen. Und so könnte man, da Nom dies alles über standen hat und immer noch Rom ist. meinen, die Stadt sei nun einmal nicht umzubringen. Aber solcher Optimismus könnte täuschen, die Repräsentation des neuesten Italien könnte doch tödlich wirken, und die einzige Hoffnung, die der Nomsabrcr dann noch hegen kann, ist der Gcldpunkt. Viel leicht wird, was hier geplant wird, doch zu teuer, und die Finanzen des Landes sind sa nicht sehr glänzend. Aber sonst kann man nur über der Porta del Popolo, durch die schon Winckelmann »nd Goethe t» Nom eirrzogen, die Inschrift ein- meistcl», die Dante über das Tor seiner Hölle setzte, die bittere Inschrift von der verlorenen Hoffnung. Das Kapitol, dieser herrlich gewachsene Felsen, von dem ans Nom damals, als es noch das Herz der Welt war, beherrscht wurde, soll freigelegt werden, frei von allen Seilen. Das Gewirr der Häuser zu Füssen der Burg wird rasiert, Plätze und Anssahrtstratzcn in dekorativer Prunk- architektiir sollen entstehen, und nur das Riesendcnkmal, diese fürchterliche Kulisse, von der man nicht weitz, ob eS eine Halle, eine Vühnenwand oder eine Fricdhofsanlage ist, soll lüheiibleibcn und noch mehr von allen Seiten sichtbar werden! Tos moderne Rom ist zu stolz auf dieses Ding, viel stolzer °l» iemalS der echteste wilhelminische Berliner auf den «ttliner Dom. ES steht ja an sich schon so, daß man e» von überall sehen muß, und wenn man eS von irgendwo nicht sehen konnte, wurden Häuser schockweise niedergelegt, um noch eine große Perspektive zu schaffen. Ganz hat es den Eindruck des Kapitols ja nicht ruinieren können. Wenn man herauskommt aus den kleinen Straßen, dann steht doch plötz lich dieser von Michelangelo ans einer Treppe, einen» antiken Bronzereiter und drei Palastsronten geschaffene Platz in all seiner Herrlichkeit vor einem, und wenn man Glück hat. braucht man bas Denkmal gar nicht gesehen zu haben. Und gerade dieses Glück soll einem künftig durch die Rcpräsen- tationssreude des modernen Italien genommen werden, das Kapitol, der ragende, heilige Felsen, soll wieder der weithin sichtbare Mittelpunkt der Stadt sein. Ob es möglich sein wird, den Verkehr der modernen Stadt so zu zwingen, datz diese Stelle auch das Herz deS heutigen öffentlichen politischen Lebens wird, läßt sich natür- lieh auch beim besten Willen, an dessen Vorhandensein man gar nicht zu zweifeln braucht, nicht sagen. Glückt eS nicht, sondern bleibt das Herz dieses Nom an der jetzigen Stelle, an der Piazza Colonna, so ist auch dafür gesorgt, daß es hier dann so imperialistisch wie nur irgend möglich aussieht: Von der Piazza Colonna wird durchgebrochen nach -cm Pantheon! Barockpalästc fallen, ganze Quartiere fallen, die Piazza Colonna wirb an allen Seiten mit Säulenhallen, halbrunden Nednerbühnen und dergleichen dekorativer Architektur umgeben, ein Triumphtor und eine Triumphallee. natürlich von Säulenhallen flankiert, werden in gerader Linie ans das Pantheon zu angelegt. Um das Pantheon wird herumgebrochen, maS irgend wegzuschaffen ist, Pintenhaine ,»erden gepflanzt, und dieses einzige, völlig erhaltene antike Bauwerk Roms wird zu einem Blickpunkt für modern, antiktschc Architektur degradiert, als Schluß einer Perspektive, »nd die Pinien werden schon dafür sorgen» datz es recht romantisch wirkt, recht sentimental, und man wird gar nicht mehr glauben, datz eS wirklich noch heil ist und eS besten falls für eine künstliche »nd restaurierte Ruine halten. Jetzt, wenn man durch die engen Gassen ans den verhältnismäßig kleinen Platz kommt, reckt sich das Pantheon gewaltig und mit wahrhaft antiker Wucht aus, eS wirkt riesig, trotzdem die Häuser da an dem Platz auch nicht klein sind, fünfstöckig, sechs- stückig. Legen sie eS frei, so mutz eS klein und hübsch wirken, außerhalb seines ihm angeborenen MatzstabcS und bei weitem nicht so prächtig wie alles, was drum herum und drauf zu gebaut wird, nnd wobei natürlich an schlechter Plastik ebenso wenig gespart wird wie an dem Riesendcnkmal am Fuße deS Kapitols, ^ . . Was hier heraufbeschworen wird, ist nicht die Ausgeburt eine» Angsttranme» oder eine» müßige» Spieltriedek E» soll bitterer Ernst werden, wenn die Mittel irgend reichen. In allen Zetten von Gewaltherrschaft ist immer riesig ge baut worden. Gewaltherrschaft, ganz gleich, ob fürstlich oder durch Volksauftrag, muß bauen, wenn sic sich nach außen hin sichtbar zur Geltung bringen will. Ohne Baukunst großen Stiles kann man nicht repräsentieren, Malerei und Plastik allein reichen nicht aus, die Architektur mutz heran und die Führung übernehmen. Das war so, als ums Jahr 600 v. Ehr. die landfremden Pisistratiden als Tyrannen über Athen ans der Akropolis herrschten: und es wurde herrlich. Und ebenso war es, als die Nachfolger Alexanders des Großen den Orient in die Hand nahmen. Der pcrgamenische Altar, den Cumence errichtete, war ja nur eine kleine, durchaus nicht einzigartige Perle aus diesem Schmuckreichtum, mit dem die Griechen di« Städte und Residenzen am Rande des östlichen Mittclmccrc» überzogen. Und als bas republikanische Nom vom kaiser lichen Rom abgelöst warb, als das republikanische kor,,», Nomanum zu klein wurde, bauten die Kaiser nebenan die nach sehr großen städtebaulichen Gesichtspunkten angelegte» Kaiserfora, die zwar nie fertig wurden, aber doch sicher sehr schön waren. Und dann bebauten sie den Palatin mit ihren Palästen. Herrlichl So ging es weiter durch die Jahr hunderte, und wenn das Kolosseum im 15. und IN. Jahr hundert, zur Zeit der Renaissance, auch zum Stctnbruch wurde, aus dem die Kardinale und Päpste ihre Bau materialien bezogen, so war doch, maS sie schufen, in seiner Art wieder sehr großartig. Sie hatten Bramante und Raffael und Michelangelo, und dann hatten sie Vignola und Bcrnini und Borromint. Das moderne Italien mutz bauen, schon wegen der Wohnungsnot. Aber a»ch andere Nutzbauten von vielerlei Art sind nötig. Doch fehlen die VramanteS. Die italienische Architektur ist. an übriger europäischer und an amerikanischer gemessen, unzeitgemäß, und aus den aus der Antike licgen- gebliebenen großen Baugedanken, wie -um Beispiel den riesigen Thermen, ist eine Weiterentwicklung noch nicht ein mal versucht worden. Die ungchenre monumentale Einfach heit dieser Nutzbauten, tn denen sich die alten Römer, wie etwa auch an den Wasserleitungen und Brücken, als geniale Ingenieur« erwiesen, scheint für die Enkel nnd Epigonen stumm geworben zu sein. Was sie sich aus der Antike nahmen, ist ihr dekoratives und theatralisches Teil. Wenn man die Entwicklung der Baukunst in den ver schiedenen Ländern vor einem halben Jahrhundert mit einander verglich, schnitt Italien sehr günstig ab. Während in Berlin und Paris, in Madrid und Brüssel um Sie Zeit nach 1870 ein falsch verstandener Historismus seine wildesten Orgie» feierte, baute Italien i» einem schlichten «nd ver-