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213. 14. September 1910. Nichtamtlicher Teil. vörlenblatt f. d. Dt,chn. Buchhandel. 10447 dem vereinbarten Termin, lieferte der Autor den ersten Teil des Manu skripts ab, und am 14. August ging an ihn der erste fertig gedruckte Bogen ab, dem am 21. August drei weitere folgten. Aber schon vor Eingang der ersten Sendung schrieb Schopenhauer einen höchst ungeduldigen Brief an Brockhaus und schlug darin seinem eigenen Ausdruck gemäß, »einen rechtenden und zurechtweisenden Ton« an. »Sie haben«, sagt er u. a., mich nicht etwa anzusehen und zu behandeln, wie Ihre Konver- sations-Lexikon-Autoren« — daß er die Mitarbeit hieran als unter seiner Würde empfand, sahen wir schon oben — »und ähnliche schlechte Skribler, mit denen ich gar nichts gemein habe, als den zufälligen Ge brauch von Tinte und Feder«. Nicht Gunst noch Gefallen verlange er, sondern Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen. — Es war wohl ein Fehler des Verlegers, daß er auf diesen Brief nicht sofort gebührend antwortete, ihn vielmehr nur als ein Symptom der ihm sattsam bekannten Ungeduld junger Autoren ansah. Denn, wenn nun Schopenhauer auf den Empfang der ersten Aushängebogen hin auch zunächst viel höflicher schrieb, so schlug doch bei der nächsten wirklichen oder vermeint lichen Stockung im Druckleguugsgeschäft die Stimmung sofort wieder um, und der Schamade folgte nunmehr sogleich die Fanfare. Der Druck erfolgte, wie wir wissen, in Altenburg, in einer, wie Brockhaus später zu seiner Rechtfertigung sagte, »ansehnlichen und wohladministrierten Druckerei«. Auch wenn deren Leistungen im vorliegenden Falle diesem günstigen Zeugnis nicht ganz entsprochen haben sollten, so hätte Schopenhauer immerhin bedenken sollen, daß! seine Zensurbesorgnisse die Veranlassung dazu gegeben hatten, nach dort zu gehen. Andererseits mag für ihn, der auf dem Sprunge stand, die lange aufgeschobeuc Reise auszuführen, und der jedenfalls nicht eher abreisen wollte, als bis er das Erscheinen des Werkes bis zur Michaelismesse gesichert sah, das anfängliche Tempo der Drucklegung eine harte Geduldsprobe gewesen sein. Offenbar wollte er auch, bevor er abreiste, die Honorarzahlung abwarten. Auf diesen Punkt war der Verleger, obwohl Schopenhauer dies mehrfach erwähnt haben will, neuerdings gar nicht mehr eingegangen. Freilich hatte der Ver fasser bisher ja auch erst zwei Drittel des Manuskripts abgeliefert, doch hatte Brockhaus in dem Briefe vom 31. März gesagt: »Sobald ich die bestimmten zwei Drittel des Manuskripts in Händen habe, soll das festgesetzte Honorar gleich erfolgen.« Dagegen war in dem — hinterher (8. April) abgeschlossenen — Vertrage offenbar die Honorarzahlung nach Ablieferung desgesamten Manuskripts festgesetzt. Bei dem überaus argwöhnischen Charakter Schopenhauers waren diese ihm unerklärlichen Momente — Ver zögerung des Druckes, Schweigen des Verlegers zu dem Honorarpunkt — genügend, um ihn bereits das Schlimmste befürchten zu lassen. Sv war denn, als der August zu Ende war und er nichts weiter als die erwähnten vier ersten Druckbogen erhalten hatte, auch seine »Geduld zu Ende«, wie er sagt (31. August): er wirft dem Verleger Kontrakt bruch vor, und daß dieser ihn mit Versprechungen und Versicherungen hingehalten habe. »Mit welcher Zuversicht, daß mein Werk erscheint, soll ich jetzt nach Italien gehen? Alles ist zu meiner Abreise bereit und nichts hält mich, als Sie: weil mir mein Werk meiner Person weit vorgeht.« Von allerhand Angstvorstellungen war Schopenhauer immer erfüllt; ihn mochte die Furcht beherrschen, das ihm teure Manuskript, die Frucht jahrelanger Geistesarbeit, könnte der Gefahr des Verlustes oder einer anderen Fährlichkeit ausgesetzt sein, und er mochte annehmen, daß, wenn der Verleger es erst honoriert hätte, er es auch entsprechend sorgsamer hüten und zugleich den Druck beschleunigen würde. »Ich will«, sagt er jedenfalls, »jetzt das Honorar haben: haupt sächlich zum Beweise daß es Ihnen Ernst ist zu drucken: sodann weil ich zur Reise alle Gelder einziehen muß, die mir zukommen.« Bis hierhin mag man alles seiner Ungeduld, seinen Angstvor stellungen zugute halten, doch weiterhin geht er nun entschieden über jedes entschuldbare Maß hinaus und fügt Brockhaus die ehrenrührigsten Kränkungen zu, die überhaupt ein Autor seinem Verleger antun kann. Auf die Sache näher einzugehen, erübrigt sich wohl um so mehr, als Schopenhauer seine beleidigende Äußerung weder jetzt noch späterhin — auf die energische Erwiderung Brockhaus' und dessen fast unaus weichliche Aufforderung dazu — irgendwie begründet oder substantiiert hat. Abgesehen von dieser entschiedenen Abwehr gegen die schwere Beleidigung ist die Antwort von Brockhaus (1. September) maßvoll und besonnen: zur Begründung der Druckverzögerung bringt er das vor, was er zu seiner Rechtfertigung zu sagen hat, und verläßt dann diesen Punkt mit den Worten: »So trifft mich, wenn man d i e W e l^t nimmt, wie sie ist, und sie sich nicht nach Vorstellung abstrahirt, kein Vorwurf«, wobei er mit den (nur hier) gesperrten Worten in recht hübscher Weise auf das Werk, um das der Kampf tobte, anspielt. Da Brockhaus erklärt hatte, das Honorar werde dem Vertrage gemäß sofort nach Ablieferung des restiercnden Manuskripts gezahlt werden, ließ Schopenhauer am 18. September den Rest des Manuskripts durch den von ihm bevollmächtigten Dr. Wiesand in Leipzig überreichen, der dafür sofort das Gesamthonorar von vierzig Dukaten vom Verleger ausgezahlt erhielt. Im übrigen brach aber Brockhaus, da Schopenhauer auch in einem Briefe vom 22. September keinerlei Miene gemacht hatte, seine injuriöse Äußerung zu widerrufen oder auch nur zu be gründen, alle Beziehungen zu diesem ab und erklärte ihm am 24. Sep tember, daß nach dem Vorgefallencn ein Briefwechsel zwischen ihnen hinfort nicht stattfinden könne, und er Schopenhauers Briefe, sobald er die Handschrift auf der Adresse erkenne, nicht annehmcn und jeden falls den Inhalt nicht beachten werde. »Was ich zu thun habe, weiß ich selbst und bedarf ich dazu keiner Erinnerung, die in den sackgroben Formen, worin Sie solche kleiden, ohnehin immer entgegengesetzte Wirkungen Hervorbringen. Ich hoffe nur, daß meine Befürchtung, an Ihrem Werke blos Makulatur zu drucken, nicht in Erfüllung gehen werde.« Weitere Briefe zwischen Friedrich Arnold Brockhaus (f 1823) und Schopenhauer sind nicht erhalten, wohl auch nicht gewechselt. Ter Druck des Werkes wurde beendet, jedoch erschien es, wenn auch noch im Kalenderjahre 1818 (November), nicht mehr rechtzeitig zur Michaelis messe. Schopenhauers anfängliche Befürchtung, die den Ausgang des ganzen Kampfes gebildet hatte, war also, wie sich jetzt zeigte, nicht unbegründet gewesen: der vereinbarte Ausgabetermin konnte, obwohl der Verfasser die Manuskripte in den festgesetzten Terminen abgeliefert hatte, nicht eingehalten werden, gewiß nicht durch Schuld des Verlegers, sondern aus anderen Gründen. Wenn sonach also Schopenhauers Erinnerungen anfänglich nicht überflüssig gewesen waren, so war doch erstlich der Ausgabetermin wohl von so entscheidender Bedeutung überhaupt nicht, und vor allem war Schopenhauer sofort weit übers Ziel hinausgeschossen. Darüber, daß er sich durch diese Korrespondenz eine schwere moralische Niederlage geholt hatte, kann eine Meinungs verschiedenheit wohl nicht bestehen: er hatte Brockhaus ohne Grund schwer gekränkt und hat nicht einmal den Versuch gemacht, sein Verhalten zu rechtfertigen, geschweige denn das begangene Unrecht zu sühnen. Wenn der Verleger in dem letzten Briefe sagt, daß Erinnerungen »in bringen«, so ist diese Bemerkung in gewissem Sinne wohl als eine tak tische anzusehen; denn tatsächlich wird Brockhaus, wenn er schon vorher seinen Vertragspflichten gewissenhaft nachgekommen war, sich nach dieser unerquicklichen Korrespondenz gegenüber Schopenhauer gewiß besonders vorgesehen haben, wie er denn auch die Altenburger Druckerei weiterhin beständig zur Eile drängte und ihr dabei u. a. einmal schrieb: »Ich muß mich mit diesem Menschen sehr zusammennehmen, weil er ein wahrer Kettenhund ist.« — Die letzten Aushängebogen sandte Brockhaus an Herrn von Quandt, einen Freund Schopenhauers, und er hatte die Genugtuung, daß Schopenhauer von Rom aus an diesen Freund schrieb, er habe sich über den gelungenen Druck sehr gefreut. Den Sonnenaufgang der Schopenhauerschen Philosophie hat Friedrich Arnold Brockhaus jedoch nicht mehr erlebt. Unter den liegenden Eisberge der gegenseitigen Verbitterung geschmolzen, und der Verleger würde dem bissigen »Kettenhund« die Hand der Ver söhnung gereicht haben. Anfänglich hatte sich Schopenhauer, wie wir sahen, gerade einen »großen Buchhändler« zum Verleger seines Hauptwerkes gewünscht; als er ihn gefunden, war er dann froh gewesen und hätte also, sollt«» man meinen, das größte Interesse gehabt, in dauernden angenehmen Beziehungen zu Brockhaus zu bleiben. So versteht man denn sein Ver halten überhaupt nicht, wenn man nicht zugleich an sein fast krankhaftes und jedenfalls hochgradiges Mißtrauen und feine beständigen Angst vorstellungen aller Art denkt. Wie er in der Nacht, sobald er irgendwo Lärm hörte, aufsprang und nach Degen und den gleichfalls stets bereit liegenden, geladenen Pistolen griff; wie er aus Furcht vor Dieben seine Wertsachen derartig versteckte, daß sie zum Teil auch nach den Angaben des — wohlweislich lateinisch abgefaßten — Testaments nur mit Mühe wiederzufinden waren; wie er stets einen ledernen Becher mit sich führte, um nicht aus fremden Gläsern trinken zu müssen; wie er die Köpfe seiner Tabakspfeifen nach jedesmaligem Gebrauch unter Ver schluß nahm, und was dergleichen mehr war, — so war er auch, und zwar in späteren Jahren noch mehr, in Vertragsverhältnissen aller Art stets zu der Annahme geneigt, betrogen zu werden. Auch in dieser Angelegenheit hat er offenbar fortwährend unter der Einwirkung von 1368'