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Nichtamtlicher Teil. 213, 14. September 1910. allerlei Angstvorstellungen gestanden. Sie hatten ihn veranlaßt, für die Ablieferung des Manuskriptes einen möglichst späten und für die Fertigstellung des Werkes einen möglichst frühen Termin zu vereinbaren, inn das Manuskript nur nicht länger als imbedingt notwendig in fremden Händen zu lassen; dann waren seine jedenfalls wohl grundlosen Zensur befürchtungen gekommen, und, als nun lediglich mit Rücksicht hierauf als Druckort Altenburg gewählt wurde und es hier nicht so schnell ging, wie er erwartet hatte, argwöhnte er gleich das Schlimmste und fürchtete sogar für seine Honoraransprüche. So erklärt sich denn sein vehementes Vorgehen gegen Brockhaus. Freilich müssen wir Schopenhauer zugestehen, daß diese seine Taktik brutaler Rücksichtslosigkeit in einem anderen, allerdings späteren und auch ganz andersartigen Falle sich glänzend bewährt hat. Es sei ge stattet, auf diesen Fall, da er Schopenhauers taktisches Verhalten in geschäftlichen Dingen illustriert, mit einigen Worten einzugehen: Etwa den dritten Teil seines Vermögens hatte Schopenhauer auf kündbare Wechsel bei einem Danziger Handelshause stehen, das früher groß da gestanden hatte, in der für Danzigs Handel verhängnisvollen Napoleo- nischen Ara aber stark zurückgegangen war und nun schließlich in Zah lungsschwierigkeiten geriet und seinen Gläubigern einen Akkord zu dreißig Prozent anbot. Nur wenn alle Gläubiger einwilligen würden, erklärte die Firma, würden sich ein vollständiger Zusammenbruch und damit noch größere Verluste der Gläubiger, zu denen mit nahezu ihrem ganzen Besitz auch Schopenhauers Mutter und Schwester gehörten, vermeiden lassen. Schopenhauer allein schloß sich aus, ohne jedoch den Akkord irgendwie zu stören, und blieb, so sehr ihm zugesetzt wurde, un beugsam. In seinen Briefen an die Danziger Herren tritt er uns als sorgfältig und richtig vorausberechnender Geschäftsmann, als scharf blickender und geschickter Advokat entgegen. »Ich weiß sehr wohl,« schreibt er u.a., »daß, da es Ihnen gelungen ist, mit fast allen Ihren Gläubigern einen so vortheilhaften Contrakt zu schließen, Sie nicht der Staatskunst mühevolles Werk zernichten werden, bloß um mir einen Possen zu spielen, bei dem Sie sich selbst sehr viel mehr schaden. ... Zum Ganzen Ihrer Schuldenmasse ver hält sich ja meine Forderung wie 8 zu 395! Solche Kleinigkeit kann jenes Gebäude nicht umstoßen. ... Meine Wechsel auf Sie betrachte ich I wie Staatspapiere, deren Cours vor der Hand auf dreißig Prozent gefallen ist, daher ich solche nicht verkaufe, sondern erwarte, daß sie sich wieder heben. ... Sie sagen vielleicht, daß wenn alle Ihre Gläubiger so dächten, ich auch schlimm dran wäre. Aber wenn alle Menschen dächten wie ich, so würde überhaupt mehr gedacht, und es gäbe dann wahrscheinlich weder Bankrotte noch Kriege noch Faro- Tische.« Die Firma machte ihm weitere Avancen und ließ durchblicken, daß sie i h m allein auch siebzig Prozent zugestehen würde. Er lehnte auch dies ab und ließ ein weiteres Schreiben ganz unbeantwortet. Als aber dann der Akkord ohne ihn durchgeführt war, kündigte er sofort den einen seiner drei Wechsel und schrieb, auf das verschleierte Anerbieten der siebzig Prozent habe er nicht zugegriffen, »da hundert besser sind als siebenzig, und Sie durch jenen Brief sich bei mir in besseren Credit setzten als Ihre Absicht wohl seyn mochte. Seit jenem Briefe, den ich in Nahm und Glas möchte fassen lassen, sind Sie mir wieder ein gutes sicheres Haus.« »Sollten Sie doch noch,« heißt es weiterhin u. a., »Zahlungsunfähigkeit vorschützen wollen, so werde ich Ihnen das Gegentheil beweisen durch die famöse Schlußart, welche der große Kant in die Philosophie eingeführt, um damit die moralische Freiheit des Menschen zu beweisen, nehmlich den Schluß vom Sollen aufs Können. Das heißt: zahlen Sie nicht gutwillig, so wird der Wechsel eingeklagt. Sie sehn, daß man wohl ein Philosoph seyn kann, ohne deshalb ein Narr zu seyn. — Also in summa: daß Sie mich bezahlen werden, ist außer Zweifel, die Frage ist bloß, ob Sie sich gutwillig dazu verstehn werden oder ob gezwungen«... Auch hier also dieser überlegene, kalte, höhnische Ton! Als dann der Danziger Kaufherr wenigstens um Stundung bat mit dem Hinzu fügen, daß doch schon die in den nächsten Jahren zu erwartenden Er träge der auf seinen zwei Gütern betriebenen Merinoschafzucht Schopen hauer eine spätere Befriedigung sichere, antwortete dieser: »Ich finde, daß wenn ich mich dazu verstände, ich selbst ein Merino- Schaaf seyn müßte, würdig unter Ihren Heerden zu weiden.« So blieb der Firma nichts übrig als Geld zu beschaffen und den Wechsel nebst Zinsen einzulösen. Sofort kündigte Schopenhauer nun den zweiten Wechsel und ebenso ging es dann auch mit dem dritten: in Zeit von zehn Monaten rettete er sein ganzes Guthaben. Schopenhauers Verhalten in dieser Affäre ist recht charakteristisch für seine Grundsätze für Behandlung geschäftlicher Angelegenheiten. In diesem Falle hat Schopenhauer freilich den prompten und vollen Erfolg für sich, aber eines schickt sich denn doch nicht für alle und ein Ver halten, das gegenüber dein bankerotten Danziger Handelshause wohl angebracht war, war gegenüber einer nicht nur soliden, sondern groß dastehenden Firma, die zu Mißtrauen keinerlei ernstlichen Anlaß ge- geben hatte, höchst deplaziert. (Schluß folgt.) Kleine Mitteilungen. I« Österreich verboten. — Das k. k. Landgericht in Wien als Preßgericht hat mit dem Er- lenntmsse vom 5. September 1910. Pr. XXXV 240/15/2, auf An- irag der k. k. Staatsanwaltschaft erkannt, daß der Inhalt des Druckwerkes: »Illustrierte Geschichte der erotischen Literatur aller Zeiten 1908, Privatdruck des Verlages C. W. Stern, 2 Bände: X durch folgende Stellen des Textes: I. Band I, Seite 140 und 141 von »Eh' ihm der« bis »Gnack« am Ende der Seite; II. Band I, Seite 186 und 189 von »Nach voll brachten« bis »Bösen gekostet«; III. Band I, Seite 200 von »Auf der Brust« bis »wohin sie gehen«; IV. Band II, Seite 69 bis 68 von »— Leonore, o Göttin« bis »Lohn der Liebe bot«; V. Band II, Seite 134 bis 143 von »Nun ratet, ihr« bis »Rätsel gar (Die Scham)«; VI. Band II, Seite 184 von »Zwei Mädchen gingen« bis »mußte« (vor »Wie die großen französischen«); VII. Band II, Seite 186 nach »handschriftlich verbreitet worden ist« beginnend mit »Es« bis Seite 263 »Spitze verbrannte«; 6. durch folgende bildliche Darstellungen: I. Band I, Seite 192, Bild VI; II. Band I, Seite 224, Bild IX; III. Band II, Titelbild; IV. Band II, Seite 68, Bild VII; V. Band II, Seite 94, Bild XX; VI Band II, Seite 98, Bild XXIII; VII Band II, Seite 98, Bild XXIV; VIII. Band II, Seite 102, Bild XXVI; IX. Band II, Seite 102, Bild XXVII; X. Band II, Seite 106, Bild XXXII; XI. Band II, Seite 106, Bild XXXIII; XII. Band II, Seite 106, Bild XXXV; XIII. Band II, Seite 106, Bild XXXVI; XiV. Band II, Seite 108, Bild XXXVII; XV. Band II. Seite 240, Bild X1.VII; XVI. Band II, Seite 240, Bild XI.VIII; XVII. Band II, Seite 248, Bild XI.IX, das Vergehen nach § 616 St.-G-, in den sud ^ II und III ge nannten Stellen überdies das Vergehen nach § 303 St.-G. be gründe, und es wird nach § 493 St -P.-O. das Verbot der Weiter verbreitung dieser Druckschrift ausgesprochen und nach § 37 Pr.-G. auf die Vernichtung der säuerten Exemplare erkannt. Wien, am 5. September 1910. Das k. k. Landesgericht Wien als Preßgericht hat mit dem Erkenntnisse vom 6. September 1910, Pr. XXXV 246/10 2, auf Antrag der k. k. Staatsanwaltschaft erkannt, daß der ganze Inhalt des Druckwerkes: »vr. L. van der Weck-Erlen, Das goldene Buch der Liebe oder die Renaissance im Geschlechtsleben. Ein Eros-Kodex für beide Geschlechter. Privatdruck des Verlegers C. W. Stern, Wien 1907. Zwei Bände mit 12 dem Texte nicht bei gehefteten Illustrationen« das Vergehen nach § 616 St.-G-, die Ausführungen von Seite 73 bis 78 überdies das Vergehen nach § 305 St.-G. begründen, und es wird nach § 493 St.-P. O. das Verbot der Weiterverbreitung dieser Druckschrift ausgesprochen, die von der k. k. Staatsanwalt schaft verfügte Beschlagnahme nach § 489 St.-P.-O. bestätigt und nach § 37 Pr.-G. auf die Vernichtung der säsierten Exemplare erkannt. Wien, am 6. September 1910. (Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 206 vom 10. September 1910.) Weltausstellung in Brüssel. — Der Vossischen Zeitung wird aus Brüssel vom 9. September gemeldet: Die oberste Jury ist zusammengetreten. Bei dieser Gelegenheit wurden Mit- teilungen über die Anzahl der zur Verteilung kommenden Aus zeichnungen gemacht. Von 26 000 Ausstellern werden 20193 mit Auszeichnungen bedacht; davon erhalten 3700 Große Preise und