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Mittwoch, de» 4. September 1-07. gegenwärtig 10 Lager in der Umgebung von Ben Ali be- jetzt. — Aus Oran wird gemeldet: General Liautey über wachte persönlich die Einschiffung eines Bataillons der Fremdenlegion und einer Schwadron Spahis, di« an Bord des „Shamrock" nach Casablanca abgehen. Ein Bataillon Schützen und eine Spitalabteilung werden heute nach Casa blanca befördert werden. Ueberfall aus Kaufleute in Algier. Bei ihrer Rückkehr vom Markt Msila sind, wie aus Con stantine berichtet wird, acht Kaufleute in der Nähe des Stammes der Beni Mansur von Räubern überfallen und töölich verletzt zurückgelassen worden. Die Räuber bemäch tigten sich der mit Waren reich beladenen Lasttiere und er heblicher Geldbeträge. Km m» Llkttk. -s- Photographie - Verbot bei Kaiserpara- öen und in Manövern. Seitens des Kaisers ist ein Berlin, Potsdam und Breslau betreffendes Verbot ergan gen, bei Kaiserparaden von den Tribünen aus photographi sche Aufnahmen zu machen, und zwar gleicherweise für Be rufs- wie Amateurphotographen. Nach dem hier in Frage kommenden Urheberrecht, so bemerkt das Fachblatt „Die photographische Industrie", ist die photographische Auf nahme und Reproduktion aller öffentlichen Vorgänge aus drücklich gestattet. Eine diese gesetzliche Bestimmung auf hebende bezw. einschränkende Verfügung ist sonach nicht rechtsgültig. -s-Manöverunfall. Der Kommandeur des 9. bayerischen Infanterie-Regiments, Oberst Frhr. v. Reich- lin-Meldegg, ein Vetter des kommandierenden Generals uns früheren bayerischen Militärbevollmächtigten in Ber lin, stürzte im Manövergelände. Er trug eine Schulter verrenkung davon. ^See- undLand-Manöver. Vom heutigen Dienstag bis zum Donnerstag wohnt der Kaiser d«n gro ßen Manövern in der Nordsee vor Wilhelmshaven bei, zu denen 100 Kriegsschiffe und Fahrzeuge unserer Marine vereinigt sein werden, deren Schluß ein allgemeiner An griff auf unseren Nordsee-Kriegshafen bildet. Der Kaiser geht am 8. September nach Höxter, Westfalen, und nach Corvey, am 9., 10., 11. September werden dann das west fälische und hannoversche Armeekorps gegeneinander unter den Augen des obersten Kriegsherrn die großen Manöver im Berlin vieler Fürstlichkeiten und fremdherrlichen Offi ziere abhalten. In dem Gelände zwischen Weser und Teuto burger Wald, etwa an der Bahnlinie Paderborn-Alten- beken-Holzminden dürften die beiden Parteien einander treffen. Jedes der beiden Armeekorps ist durch eine Ka vallerie-Division verstärkt worden. Die Oberleitung des Manöver liegt in den Händen des Generalstabs-Chefs Gra fen Moltke, .der in Höxter Quartier nimmt. Klkiie Chttiit. KeineBegnadigungdes „Hauptmanns von Köpenick". Der Generalsekretär der „Church Army" in London, einer Organisation, die analog der Heilsarmee sich mit praktischer Sozialreform und mit der WoblLätigkeitspflege befaßt, hatte sich vor einiger Zeit an Kaiser Wilhelm mit einer Immediateingabe des Inhalts gewandt, den wegen des bekannten Köpenicker Kassenrau bes zu vier Jahren Gefängnis verurteilten Schuhmacher Voigt zu begnadigen. Zur Begründung dieses Bittgesuches war ausgeführt, daß der Generalsekretär sich persönlich für das künftige Schicksal Voigts interessiere und diesem sofort nach feiner Freilassung eine paffende Arbeitsstelle verschaf fen werde. Das Gesuch wurde auf dem Instanzenwege sei- Kraft schien ihn plötzlich zu verlassen; er fühlte sich schwach zum Umsinken. „Sind Sie deswegen — bestraft worden?" Der Zeuge war jäh erblaßt, die Zähne schlugen ihm im Schüttelfröste zusammen. Er schloß die Augen und mußte an der Schranke, die ihn vom Gerichtshöfe trennte, einen Halt suchen. Die Wirkung der Fragen war so «furcht bar, daß auch der Verteidiger überrascht und einem mensch lichen Rühren zugänglich schien, was wenigstens ein Kopf schütteln als Zeichen des Bedauerns annehmen ließ. Ein zufällig im Zuschauerraum anwesender älterer Student der Medizin wollte hilfsbereit seine Dienste an bieten; aber ehe er sich aus den Sitzreihen herauswinden und dem einer Ohnmacht Nahen beispringen konnte, ge wann Herbrincks stählerne Natur von selber wieder die Oberhand. Er richtete den schlanken, schnigen Körper aus, sah voll Pein auf seinen Angreifer und erklärte stockend und keuchend: „Ja, mit vierzehn Tagen Gefängnis — mit lebens langer Reue." Sein Auge suchte den Vorsitzenden: „Herr — Präsident, ich — hatte den Mann — beim Diebstahl ab- gefaßt. In seinem Bündel, das halboffen auf der Erde lag, fand ich — seine Beute, sechs Kreuztauben, die er auf dem Hose gefangen und getötet hatte. Ich — will nicht beschönigen. Ich war außer mir, ich griff den Dieb an. Er entriß mir Uhr und Kette und suchte das Weite. Ich folgte ihm, zog den Hirschfänger und verwundete ihn schwer. Ich schlug scharf — er verlor das Gehör. . . . Und jetzt ich bitte Sie: machen Sie der Pein ein Ende. Die erste Buße hat mich hart getroffen — die zweite — vernichtet mich. Mein Gott — und das nach zwanzig Jahren —!" Seine Erregung steigerte sich von neuem hochgradig. Sächsische Dorfzeitung und -lbgaupresse. tenS des kaiserlichen Zivilkabinetts an daS Justizministe rium zur Begutachtung abgegeben. Der Justizminister hat jetzt dem Petenten mitteilen lassen, daß er keinen An laß finde, die Haftentlassung Voigts zu verfügen und seine Begnadigung beim Kaiser zu befürworten. — Prinzen inAmerika. Seit seiner Ankunst auf amerikanischem Boden ist Prinz Wilhelm von Schweden der Gegenstand der fortwährenden Neugier und — Bewunderung der Bür ger der großen überseeischen Republik. Als er gestern die m.weit Newyork gelegene, als Badeplatz und Vergnügungs- ort bekannte Insel Coney Island besuchte, wurde er von einer wenigstens 25 000 Menschen starken Menge umringt. Sonderbare Schwärmer, diese Republikaner, die sich zu Tote quetschen, um einen Prinzen zu sehen! — Reiche Ernte hielten die 23 Berliner Kriminalbeamten, die mit einem Wachtmeister zu den Kaisertagen kommandiert wa- ren, in Hannover unter den Taschendieben. Während die Beamten der politischen Polizei ihren besonderen Aufgaben oblagen, ergriffen die eigentlichen Kriminalbeamten nicht weniger als 15 Langfinger, die zum Teil schon wertvolle Uhren und Geld erbeutet hatten. Der älteste zählt 50, der jüngste erst 15 Jahre. Zwei waren aus Hannover, die an deren sind internationale gewerbsmäßige Taschendiebe, Russen, Galizier, Ungarn und Deutsche. Zwei Ausländer, die man nicht mit Bestimmtheit überführen konnte, wurden über die Grenze abgeschoben, elf Diebe hinter Schloß und Riegel gebracht. Einer der Langfinger hatte schon eine Adresse für Münster in der Tasche. "Der 19 Jähre alte Russe Agranow, ein Tischler, versuchte bei seiner Festnahme einen Gepäckschein zu beseitigen. Man nahm ihm jedoch den Schein ab und erhielt darauf auf dem Bahnhof seinen Kaffer, in dem sich noch ein gestohlenes Frauenportemon naie mit 130 Mark fand. — Der Stadtkomman- danivonWien. In Wien erregt die plötzliche Ent hebung des Stadtkommandanten, Generals der Kavallerie Freund, peinlichstes Aufsehen. Als Ursache dieser Maß regel wird folgendes bekannt: Vor einiger Zeit wurden zwei Unteroffiziere der Wiener Garnison wegen Mißhand lung ihrer Unteraebenen in militärgerichtliche Untersuch ung gezogen und nach durchgeführiem Verfahren zu Frei heitsstrafen verurteilt. Der Landesverteidigungsminister Latscher hatte eine Interpellation im Parlament durch An kündigung dieses Urteils beantwortet. Am nämlichen Tage wurden die verurteilten Unteroffiziere vom Stadtkomman danten begnadigt und in Freiheit gesetzt. Latscher war nun desavouiert. K» 204. 7. Markte Kalkeier mit so und so viel Pr^ent faule Eier kaufen zu müssen. Bedauerlich ist es daher, daß trotz so mancher Warnung noch so viele Hausfrauen sich nicht da ran gewöhnen können, gerade jetzt den Futtersack tüchtig in Anspruch zu nehmen, weil sie der unrichtigen Ansicht hul digen, daß, wenn ihre Hennen keine Eier legen, sie auch weniger Futter verdienen. Empfehlenswerte, gesurrte Futtermittel sind besonders Hafer, Gerste und Mais, auch besonders Sprattsches Fleischfaser-Geslügelfutter. Wenn die Hühner keinen freien Auslauf haben, darf die Verab reichung von hinreichend Grünzeug nicht unterlassen wer den. Auch ist cs jetzt an der Zeit, genaue Musterung im Hühnerstall zu halten; über 5 Jahre alte Hennen sind da rin auf keinen Fall zu dulden. Sobald die Hennen das 4. ? Lebensjahr überschritten, lassen sie im Legen merklich nach, und über das 5. Jahr hinaus lohnen sie die Winterfütter- ung überhaupt nicht mehr. Wenn der Hühnerhof apo rentabel bleiben soll, weg mit diesen Veteranen, jetzt kurz vor oder nach der Mauser, entweder in die eigene Küche, wo sie nach Geschmack noch eine gute Suppe, sowie auch " einen guten Braten abgeben, oder auf den Markt, wo der artiges Geflügel zu besagten Zwecken ebenfalls gesucht und. gut bezahlt wird. Zugleich sind auch die mit Untugenden behafteten, sowie die schlechten Leger aus jüngeren Jahr gängen zu entfernen. Für all diesen Abgang ist eine ent sprechende Anzahl der ausgesuchtesten Exemplare der diesjährigen Brut einzustellen und zwar in einer Stärke, daß nach etwaigen oft unvermeidlichen Verlusten immer noch der normale Stand verbleibt und man somit nicht in die Verlegenheit kommt, im Frühjahr kaufen zu müssen, was bei den anzulegenden höheren Preisen noch dazu un sicher ist. .... t«»»friieinte KLchemzettek für Mittwoch, de« 4. September. Goulasch mit Raff-Klößen. Birnenkompott. Vegetarischer Küchenzettel von Vumri Spinatpudding mit Butterbeiguß. Kohlrüben. Salz- - kartoffeln. Preißelbeeren. -ii»«lrtschistllchtr. — Unsere Hühner. Die Eierproduktion hat nachgelassen. Die Mehrzahl der Hühner befindet sich in der Mauser. Jetzt mit dem Futter knausern zu wollen, ist falsche Sparsamkeit, die sich stets rächt. Die Mauser stellt große Anforderungen.au die Tiere, denn erstens müssen sie ihre Federkleider erneuern und weiter auch neue 'Kraft für die nächste Legperiode sammeln. Es muß daher wäh rend derselben nicht allein reichlich, sondern auch kräftig gefüttert werden. Für die sorgsame Pflege und die dop pelten Futterralionen werden sie sich dankbar zeigen, in dem sie uns sicher noch im alten Jahre mit frischen Eiern erfreuen, während sie in dieser Zeit vernachlässigt, oder nur in gewohnter Weise behandelt und gefüttert, nicht vor Februar und März mit dem Legen beginnen. Es ist dies die beste Methode, Winterleger zu erziehen. Der Mehr aufwand an Futter und Pflege bezahlt sich schon reichlich durch die hohen Eierpreise in der Wintersaison, Wo diesel ben überall mindestens doppelt so hoch sind wie im Früh jahr und Sommer. Außerdem fällt auch die Annehmlich keit mit ins Gewicht, für den eigenen Haushalt stets frische Eier zu haben und nicht alte eingelegte, oder gar auf dem Vofgvrsiodnvts u. smgsfangvnv ttünÄLfdvilpn gltt» (luülttütsn ru cksnkdv bMigrt-n tzmttngk öurvtz g«»^metz»fMetz«r Uvsa -Vnluuif M atz» rav glviotzvtlGsn SeaetzLkwn. (2970 / VIüüvWttr, lollcvtzvttrvf An«« 42. Der Vorsitzende ließ einen Stühl bringen; aber Herbrinck wies ihn zurück und ermannte Zch. „Herr Zeuge," ^agte der Präsident teilnehmend, „die rasche Tat der Jugend rächt sich bitter an Ihnen. Aber es war das Recht der Verteidigung, den Tatbestand zurSprache zu bringen, wenn er auch an dem Ausgange dieses Pro zesses kaum etwas ändern mag." Auch der Staatsanwalt nahm das Wort. „Durch diese Vorstrafe des Zeugen wird seine Glaub würdigkeit in meinen Augen umwichts gemindert," äußerte er sich mit einem SeiterÄblick seiner kalten grauen Augen nach dem Verteidiger hinüber. „Ich möchte erführen, wer den Brief geschrieben und also die Nachforschungen nach dem Leumunde des Hauptbelaskungszeugen angestellt hat." Der Verteidiger gab Auskunft. „Der Brief ist unterzeichnet von Detlev Kruse, Schau spieler. . . . Auf die Erklärung der Staatsanwaltschaft zu erwidern, behalte ich mir vor." . Der Artist hatte mit Spannung auf den Effekt ge wartet, den seine Enthüllung Hervorrufen würde. Sein funkelnder Blick hing an dem Zeugen, und ein gemeiner Triumph malte sich in seinen verlebten Zügen. „Ist der Briefschreiber etwa zugegen?" fragte der Vorsitzende in die schwüle Stimmung. . „Jawoll!" kam aus dem Zuhörerraum eine fette Stimme, und Detlev Kruse richtete sich stolz auf. Er sah schnell auf den Angeklagten und nickte mit hochgezogenen Brauen, als ob er sagen wollte: „Nur still, ich bin ja auch noch da, und ich werde es schon machen." „Treten Sie vor," forderte der Präsident. Detlev Kruse drängelte sich an den Knieen der neben ihm Sitzenden vorüber, bis dicht an die Schranke und ver beugte sich tief. „Herr Gerichtshof —" begann er. „Antworten Sie auf meine Fragen," ersuchte ver Vorsitzende abweisend. „Sind Sie mit dem Angeklagten verwandt?" > „Jawoll, ich bin sein Onkel." „Haben Sie der Vergangenheit des Herrn Zeugen nachgespürt?" „Jawoll, mir streut keiner Sand in die Augen. Da- für bin ich Menschenkenner —" „Wer hat Ihnen den Auftrag gegeben?" „Wer? Mein Herz. Mein Rechtsgefühl. Soll^ich meinen Neffen erst mißhandeln und dann auch noch ver- urteilen lassen?" „Das Verurteilen besorgt das Gericht." ' „Herr Gerichtshof, mein Nsffe ist unschuldig. QMr kann was auf die Aussage eines Menschen gegeben weEn,^ der selbst schon " „Darüber haben Sie nicht zu befinden," verwieset Präsident mit Schärfe. „Sie können abtreten." „Herr Gerichtshof —" „Ich ersuche Sie, abzutreten!" forderte der PräsiWU^ nachdrücklich. „Detlev Kruse zog die Schultern hoch, schnitt G^i- massen und zog sich ungewiß zurück. „Der Zeuge Löhr ist vorzurufen. Den Zeugen von Herbrinck bitte ich, Platz zu nehmen." Lohr belastete den Angeklagten ebenfalls, warn-er auch nichts Neues mehr zu bekunden vermochte. Jn^L seiner Befangenheit empfand er eine drückende Sorge-IM den Schwager, dessen Bloßstellung ihm noch unbÄarmt war, dessen Aussehen ihn aber erschreckte. - (Fortsetzung folgt.). !