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Ihre Arme lösten sich von seinem Halse und zogen sich hastig zurück. Sollte das Kind schon die Schule der berechnenden Weltweisheit durchgemacht haben — sollte es bereits wissen, daß Reichthum der große Magnet ist, welcher unwidersteh lich anzieht? Wat es denkt'ar, daß, weil er sein Geld ver loren, auch seine kleine Freundin sich von ihm lossagte? Bertie aber wühlte inzwischen in den Taschen ihres Kleides umher und brachte endlich eine hübsche, kleine Geld börse zum Vorschein. „Hier, dies Alles sollen Sie haben, Herr Oliphant!" rief sie dann triumphirend. „Mein eigenes Geld, sehen Sie, es ist eine ganze Menge und ein Goldstück dabei; es gehört Ihnen." Und mit kindlicher Hast griff sie nach seiner Hand und leerte den Inhalt ihrer kleinen Börse in dieselbe aus. „Es ist mein, ganz allein," wiederholte sie hastig, „und nun gehört Alles Ihnen. O bitte, bitte, Herr Oliphant, nehmen Sie es!" Hugo beugte eine Sekunde lang das Haupt, war doch sein Auge von Thränen umflort, so daß er nur undeutlich die Umrisse der kleinen, kindlichen Gestalt vor sich und die Anzahl von Münzen, welche er in der Hand hielt, sehen tonnte. „Es ist mein Geld," wiederholte sie, den Grund seines Zögerns mißverstehend, „Sie werden es nehmen, nicht waht, Herr Oliphant? Ich brauche es wirklich nicht, Sie werden es nehmen, nicht wahr?" Hugo griff nach den beiden großmüthigen kleinen Hän den und preßte sie mit solcher Ehrfurcht an seine Lippen, als gehörten sie einer Königin. „Nein, Bertie, nein, mein großmüthiger, kleiner Lieb ling, ich kann Dein Geld nicht nehmen, werde aber nie mals aufhören, Dich zu lieben wegen des großmüthigen Gefühls, welches Deine Handlungsweise veranlaßt hat. Nein, weine nicht, Bertie! Du wirst mich doch nicht noch un glücklicher machen wollen, als ich es ohnedies schon bin?" Gewaltsam preßte sie die Thränen zurück und blickte bei dem Lichte des scheidenden Tages flehend zu ihm auf. „Nein, ich kann es nicht nehmen, Kind!" wiederholte er, „wenn Du es aber erlaubst, werde ich Vie Börse nehmen Ich werde sie stets aufbewahren, Bertie, und Dich vielleicht eines Tages an Deine Großmuth erinnern. Weißt Du denn, Kind — doch nein, Du kannst es nicht wissen — wie sehr Du mich getröstet hast! Die einzige freundliche Stimme, welche ich für lange Zeit vernehmen werde, war die Deine — die einzige, freundliche Hand, welche meine Rechte berühren wird, waren diese kleinen, zarten Finger, di« freundlichste Erinnerung an diesen bittern Abschied wird diese Stunde sein — wie, Du schluchzest, mein Kind; ich wollte Dich nicht traurig machen, Bertie!" Das Kind hatte sich auf den moosigen Erdboden ge worfen und schluchzte leidenschaftlich; nun erhob sie sich und preßte ihre unschuldsvollen Küsse auf Hugo's Wangen und Lippen, während dieser, auf das Tiefste bewegt von so vieler Theilnahme und Zärtlichkeit, in dieser Stunde der Ver zweiflung Mühe hatte, seine Thränen zurückzuhalten. „Liebe Bertie!" flüsterte er zärtlich, „liebes, weich- müthigcs, kleines Herz." „Ich möchte wohl wissen," dachte er im nächsten Augen blick, „ob in zehn Jahren aus diesem Kinde ein kaltblütiges, berechnendes Weib werden kann, gleich den Anderen ihres Geschlechtes, oder ob sie ihr Herz rein und unverdorben erhalten wird?" „Was werden Sie denn thuü, Herr Hugo?'* forschte Bertie, als ihre Thränen endlich Nachgelassen hatten und sie, an ihn gelehnt, seinen Nacken noch immer umschlungen hielt, während die Thränen gleich Thautropfen an ihren Wimpern hingen. „Gehen Sie weit weg?" „So weit ich kann- Bertie- — Nieniand wünscht hier meine Gegenwart." „Wollest Sie nicht kommen und bei mir und der Tante leben?" rief sie plötzlich- freudig in die Hände klatschend. „O, thun Sie es, es wäre so hübsch und wir würden UNS so gut unterhalten!" „Ich fürchte, dks geht nicht, Bertie/' erwiderte er leise. „Unser Haus ist Ihnen wühl nicht groß genug; Sie sind von jeher an das große Schloß gewöhnt!" seufzte daS Kind. „Das ist es nicht- Kleine!" rief er mit traurigem Lächeln. „Ich will fortgehen und Alles vergössen, was mit Oliphant zusammentzängt." „Alles, was mit Oliphant zusammenhängt? Wohl auch Ihren Vater und Ihrs Schwester — und nm Ende gar auch mich?" „Nein — Dich nicht!" rief Hugo lächelnd. -,Dich v.r- gesse ich sicherlich nicht, Bertie, — überdies habe ich ja sie Geldbörse, welche mich an Dich erinnert. Doch nun ist es Zeit, daß Du mir erzählst, wie Du eigentlich hierher kommst; was wolltest Du hier zu so später Stunde?" „Ich versteckte mich," entgegnete das Kind geheimnißvoll, „bis Fräulein Hall fort ist." „Wer ist denn Fräulein Hall?" „Eine Dame, welche Musikunterricht erthcilt. Sie ist sehr streng und ich begreife schwer, da schlägt sie denn er barmungslos aUf meine Finger los." „Ich wollte, Fräulein Hall wäre hier," sagte Hugo ernst. „Ich hätte wohl ein Wort mit ihr zu sprechen." „Wirklich! O, sie ist so streng und trägt eine Brille!" „Die wollte ich ihr schon entzwei brechen," meinte Hugo ernst, worauf das Kind hell auflachte. „Wann geht denn Fräulein Hall fort, Bertie?" fragte er weiter, sich langsam emporrichtend. „Um sieben Uhr." „Es ist aber längst sieben Uhr vorbei und ich fürchte, es wird zu kalt für Dich. Hast Du keinen Shawl- keinen Hut mitgenommen?" „Nein, ich konnte Beides nicht unbemerkt holen; ich finde es auch gar nicht kalt, nur verspüre ich einigen Hunger." „Du mußt erlauben, daß ich Dich nach Hause begleite- Bertiö. Es ist sicherlich nicht gut für Dich, mit bloßem Halse und bloßen Armen der Nachtluft ausgesetzt zu sein. Gewöhnlich gehst Du so nicht ins Freie, nicht wahr?" Bertie lachte hell auf. „Natürlich nicht, meine Tante wird entsetzt sein. Sie wird sagen —" und das kleine Mädchen ahmte den vor wurfsvollen Ton ihrer Tante treffend nach, „daß das ein sehr, sehr unpassendes Benehmen sei." „Ob Du mir wohl einen Gefallen erweisen würdest- Bertie?" sprach Hugo, fragend zu der kleinen Gestalt an seiner Seite niederblickend. „Wenn ich es kann, gewiß!" war die rasche Entgegnung. „Siehst Du diesen kleinen Hund? Wolltest Du für ihn Sorge tragen anstatt meiner? Glaubst Du, daß Deine Tante Dir gestatten würde, ihn als Eigcnthum zu behalten? Er ist sehr gutartig," fuhr er fort, das Thier streichelnd, „und er wird rasch lernen, Dich zu lieben, wenn Du ihn gut bvhaudclst."