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Worte! Du weißt, daß ich kein Millionär bin, aber ich werde Deine Schulden befahlen. Ich will nicht, daß mein Sohn auch nur einen Kreuzer Jemandem schulde. Von jetzt an bist Du aber einzig und allein auf Dich und Deine Besoldung als Offizier angewiesen. Geh' nach Indien, nach Kanada — wohin immer Du willst, mir ist nichts daran gelegen! Wir sind fertig mit einander!" Hugo war todtenbleich geworden — dann verneigte er sich tief un?> im nächsten Augenblick fiel die schwere, eichene Thür der Bibliothek hinter ihm in's Schloß Nachdem der junge Mann das Gemach verlaffen hatte, blieb er einen Moment in der Vorhalle stehen und warf noch einen letzten, wehmuthsvollen Blick um sich, als wolle er die Heimstätte, welche er so sehr geliebt, für ewig seinem Gedächtnisse einprägen; dann trat er hinaus und ließ sich die kühle Herbstluft um die Schläfe wehen. Es war zu Ende des Monats September und ein heiterer Kreis von Gästen, welcher, des Jagdvergnügens halber, nach Schloß Oliphant gekommen war, hatte dasselbe erst kürzlich verlassen; als Hugo auf die Straße trat, lag die herrliche Gegend, beschienen von den Strahlen der schei denden Sonne, vor seinen Blicken. Hastigen Schrittes eilte er vorwärts, dabei noch immer um sich blickend, als wolle er jedem Baum ein letztes Lebe wohl sagen. Im Hintergründe in etwas nebeliger Ferne erhoben sich mächtige Gebirge- während gegen das Thal ab wärts ein alter Föhrenwald sich ausdehnte. Es war that- sächlich ein einzig schönes Bild, das- in das purpurne Licht eines goldigen Sonnenunterganges getaucht, einen unwider stehlichen Eindruck hervorrief. Hugo Oliphant aber eilte immer weiter — achtlos, wohin er gelangte; er verließ den Park und schritt im Walde weiter dahin, bis er sich endlich auf die Erde, in den duftigen Thymian warf und mit leidenschaftlichem Schmerze sein Antlitz in den Händen verbarg. Er wußte nur zu gut, daß er nur sich selbst zu tadeln habe für alles Geschehene, daß wenige Menschen das Leben unter freudigeren Aussichten beginnen, daß das wilde Leben, in welches et sich gestürzt, ihn früher oder später hätte zu Grunde richten müssen; — der herbste Schmerz abet war derjenige, sich zugcstehen zu müssen, daß er durch seine eigene Thorheit das Glück seines Lebens verscherzt habe. Ungleich der Mehrzahl jener jungen Männer, welche der Damenwelt gegenüber ein Schmetterlingsdasein führen, hatte Hugo Oliphant mit rasender Leidenschaft ein schönes, hochgeborenes Mädchen geliebt, das seine Liebe, im Glauben an seinen Reichthum, anscheinend erwiderte; als aber Sibylle Armadale die Zerrüttung seiner Finanzen erfuhr, brach sie kurz mit ihm ab, um die Huldigungen eines emporgekom me nen Millionärs entgegenzunehmen. Es war nur die alte, traurige Geschichte, welche sich ewig erneut, von dem Glauben eines Jünglings an ein Weib, das seiner ganz unmerth ist - und daß sie ihn ve.- rathen, machte Hugo Oliphant bitter und hart in seinem Urtheil gegen ihr ganzes Geschlecht. Hugo war gefesselt und geblendet worden von der außerordentlichen Schönheit des Mädchens — und der Traum, aus welchem er so herb aufgerüttelt wurde, war gar so schön gewesen. Bis dahin war ihm das Leben so sonnig erschienen, nun war Alles farblos, in Verzweiflung gehüllt; sein Herz litt namenlos unter dem Bewußtsein betrogener Liebe, ge raubten Glaubens und Vertrauens. Er hatte Alles verloren — Geld — Freunde — Geliebte — und das Herz seines Vaters! Wie lange er so im duftenden Waldesgrün gelegen — S er wußte es nicht; als er aber endlich emporblickte, war die Sonne hinter der Hügelkette zur Neige gegangen, während ein kleines Windspiel, das ihm vom Schlöffe aus gefolgt sein mußte, in lustigen Sprüngen auf ihn zueilte und seine Hand in stummer Theilnahme beleckte. „Mignon, armer Hund!" sprach Hugo leise, in die treuen Augen des Thieres blickend und seine Hand langsam auf dessen Haupt legend. „Bist Du mir treu, wenn alle Andern sich von mir wenden? Soll ich Dich mit mir nehmen, Mignon?" In diesem Augenblick vernahm er ein silberhelles Lachen und eiit ganzer Blumenschauer fiel ihm auf's Haupt, als er sich hastig aus seiner liegenden Stellung emporrichtete. Ein sonniges, lächelndes Kinderantlitz blickte durch das grünende Astwerk zu ihm herüber, ein Antlitz mit rosigen Lippen und goldigen Locken, die auf Hals und Nacken herabfielen, ein Antlitz, das voll Frohsinn und Heiterkeit gewesen war, bis er sein eigenes, ernstes Gesicht hinüber wandte; da würden die lachenden Augen mit einem Male ernst, sie nahmen einen besorgt fragenden Ausdruck an und Bertie Greydon trat aus ihrem lauschigen Versteck hervor und stand mit bekümmerter Miene an seiner Seite. In seiner gegenwärtigen Stimmung war selbst sein kleiner Liebling dem jungen Manne nicht sehr willkommen, doch reichte er ihr mit trübem Lächeln die Hand und Bertie fragte sofort, was geschehen sei. „Weßhalb meinst Du, daß Etwas geschehen sein müsse, Bertie?" forschte Hugo. „Sic sehen so bleich und traurig aus!" entgegnete sie "einfach. „Bleicher und trauriger, als die Tante jemals aussieht, wenn ich auch noch so ungezogen bin." „Bist Du denn jemals unartig, Bertie?" „Manchmal! Ich Haffe die Zahlen, müssen Sie wissen; lieben Sie das Rechnen?" „Nein, Bertie." „Sind Sie jemals unartig- Herr Hugo?" „Sehr unartig, fürchte ich, Bertie." „Und doch sehen Sie so gutmüthig aus!" rief sie, ihn mit kindlicher Verwunderung anblickend. „Ich bin es aber nicht," entgegnete er lächelnd. „Ich war sehr unartig, Bertie, so unartig, daß man mich be straft, indem man mich von hier fortschickt." „Sie gehen fort?" fragte sie erschreckt. „Ja" „Sir sind zur Strafe fortgeschickt?" Ja." „O, Herr Hugo!" Bertie legte in plötzlicher Bewegung ihre beiden Arme um seinen Nacken uno zog sein Haupt liebkosend an sich heran. „Aber es thut Ihnen leid, daß Sie unartig waren?" fragte sie sanft. „Das ändert daran nichts," erwiderte er mit trübem Lächeln. „Wenn ich aber bereue, daß ich unartig war, dann verzeiht mir die Tante." „Deine kleinen Vergehen, mein Kind, sind sehr ver schieden von meinen Sünoen." „Was haben Sie denn gethan?" forschte sie ängstlich, ohne jedoch in ihrer festen Umschlingung nachzulaffen. „Gar Vieles, liebe Kleine, zum Beispiel all' mein Geld verspielt." „Dann sind Sie wohl sehr arm?" „Ja, Bertie."