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" ' Sonntagsblatt ZUM Pulsnitzer Amts- und Wochenblatt. LonntaA 18. Närr: 1883. Grste Ließe. Roman aus dem Englischen. Autorisirte Bearbeitung von War von Weißenthurn. (1. Fortsetzung.) Als aber Bertie ihr siebenzehntes Jahr erreicht hatte, nahte sich ein anderer Freier, der so sehr vom Glücke be günstigt war, daß er schon nach wenigen Besuchen nicht nur das Herz des Mädchens erobert hatte, sondern auch bei der Tante keinen Widerstand fand, denn Frau Greydon vermochte nicht, sich zu verhehlen, wie überaus glänzend und jede Erwartung übertreffend die Verbindung war, welche sich für Bertie bot — so glänzend, daß Frau Greydon so gar über die Jugend ihrer Nichte hinwegsah Dieser Bewerber war kein Anderer als Major Hugo Oliphant, Sir Nugent's Sohn und Erbe, ein eigenthümlich anziehender, schöner Mann von circa neunundzwanzig Jahren, ein verdienstvoller Soldat, ein Edelmann in des Wortes bester Deutung. Er war ein Mann, der vermöge seiner Stellung, seines Vermögens und seiner persönlichen Vorzüge um die vornehmste Dame, die reichste Erbin, hätte werben können; als er aber nach jahrelanger Abwesenheit in seine Heimath zurückkehrte, war der erste Besuch, den er abstattete, derjenige im Epheuhause, ja, es folgten nur sehr wenig weitere Besuche und schon wußte er Bertie das Ge- ständniß zu entlocken, daß seine Liebe erwidert werde. Er drückte dann bald beseligt seine Lippen auf die Stirn des Mädchens — als dessen erklärter Bräutigam. Die Leute wunderten sich vielfach über die Verlobung, welche einige Tage vor dem Beginn dieser Erzählung all gemein bekannt geworden war; ja, einige der jungen Leute in der Nachbarschaft machten recht lange Gesichter, mußten aber selbst zugestehen, daß Hugo Oliphant — auch ohne Stellung und Vermögen — ganz der Mann sei, um das Herz eines jungen Mädchens zu gewinnen, und daß, wenn er Bertie nur glücklich mache, sie weiter nichts zu thun hätten, als sich geduldig in das Unvermeidliche zu fügen. Da Bertis's Verhältnisse durchaus nicht glänzend waren und sie selbst auch keine vollendete Schönheit, keine imposante, königliche Erscheinung war, wie man sie in der künftigen Herrin von Burg Oliphant erwartet hatte, so staunte man, daß Sir Nugent die Braut seines Sohnes so freudig willkommen hieß, wie dieses offenbar der Fall war, denn obschon er Bertie stets sehr liebevoll behandelt hatte, war der Glaube doch ein allgemeiner gewesen, daß er weit höher noch aufwärts geblickt habe, um eine Frau i für Hugo zu finden. Doch sowohl Sir Nugent als auch Major Oliphant hatten eine ganz besondere Ursache, meß-l halb sie mit fas! schwärmerischer Zuneigung und Liebe an Bertie hingen — eine Ursache, ohne welche es Hugo kaum? jemals eingefallen wäre, sich in Bertie zu verlieben — und! weil daran eine Geschichte hängt, wollen wir derselben ein l neues Kapital widmen. t 2. Kapitel. Warum Mignon eine neue Kcrrin bekommt. Es waren vor Jahren einmal zwischen Vater und Sohn heftige Worte gewechselt worden auf Burg Oliphant; bittere Worte hinsichtlich eines verschwenderischen, leichtsinn igen Lebens waren von des Vaters Lippen geflossen und der Sohn hatte sie nicht ganz schweigend hingenommen, ob gleich er wußte, daß sie ihre Richtigkeit hatten. Wenige Jahre nämlich vor dieser Scene war Hugo Oliphant in die englische Armee eingetreten; als er zum Regiment gekommen war, stand ihm der Weg offen zu Glück, Ehren und Würden — nun war er heimgekommen, um seinem Vater zu bekennen, daß er zu Grunde gerichtet sei — daß er das bedeutende Vermögen seiner Mutter ver schwendet, daß er gespielt und gewettet — ja, mit Mühe nur seinen Namen vor positiver Schande bewahrt habe. — Es blieb ihm nichts Anderes übrig, so meinte Hugo, als sich in ein Regiment versetzen zu lassen, welches Marschbe fehl nach Indien habe — seine Zulage wollte er dazu ver wenden, nach und nach den Rest seiner Schulden zu tilgen — von nun an aber einzig und allein von seiner Lieute nantsgage leben. Sir Nugents Enttäuschung war bitter, sein Stolz auf das Empfindlichste verletzt und seine Heftigkeit im höchsten Grade gereizt. Mit einem Strom bitterer Worte und lei denschaftlicher Vorwürfe nahm er die Erklärungen seines Sohnes entgegen — ja, so strenge waren seine Worte ge wesen, daß das Herz des Sohnes auf das Schmerzlichste von denselben betroffen wurde. Vater und Sohn sahen sich wunderbar ähnlich, nur daß Hugo statt der schneeweißen Locken, welche das Haupt seines Vaters bedeckten, blonde Haare hatte, daß die Augen des Vaters lebhaft und frisch blickten wie in seiner Jugend, während man in denjenigen des Sohnes einen müden, schlaffen Ausdruck gewahrte, welcher offenbar von seinem allzu tollen Leben herrühren inußte. Das Bekenntniß, welches der junge Mann abgelegt hatte, war kein angenehmes gewesen — weder angenehm, abzulegen, noch angenehm zu vernehmen, denn Sir Nugent war sehr stolz gewesen auf seinen Sohn. Er hatte sich ge freut, ihn während seiner früheren Jugend und auch bei dessen nicht seltenen Besuchen zu Hause heranwachsen zu sehen, freimüthig und edel, großmüthig und reinen Herzens. Darum kannte nun auch des Vaters Zorn keine Grenzen und während Hugo die erbarmungslosen Vorwürfe entgegen nahm, fühlte er, daß er solche Strenge kaum ertragen könne. In seinen Augen war das Unrecht, welches er begangen, kein gar so entsetzliches gewesen, er hatte eben gelebt wie die meisten jungen Leute seines Regiments, nur den Augen blick genießend, nur an diesen denkend und es war ihm bei'm fortwährenden Genüsse keine Zeit geblieben, über sein Treiben auch einmal ruhig nachzudenken. Trotzig den leidenschaftlichen Redestrom von den Lippen des Vaters entgegennehmend, erwiderte Hugo auf die Schelt worte: Spieler und Verschwender, gereizt: „Vater, Du sprichst harte Worte aus — glaubst Du wirklich, daß es von Dir nicht übertrieben ist, meinen ge dankenlosen Leichtsinn so ernst zu nehmen?" „Nein — Du hast Recht, wo kein Schamgefühl besteht, da ist jeder Vorwurf überflüssig. Und nun höre meine