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10 seiner eigensten Anlagen ausbilden. Da kommt für uns — weit mehr als das nach festen Regeln ausgeführte Spiel — die praktische Tätigkeit an den Gebilden der Natur in Frage. Schaffen in Wald und Feld, vor allein aber Gärtnerei ist für 90 vom 100 unserer Kinder die liebste und schon darum die wirkungsvollste Beschäftigung, zn der sie angehalten werden könnten. Man hat in Fürsorgeanstalten, insbesondere Irrenhäusern und Kinderbewahranstalten, die besten Erfahrungen an denen, die man beim Feldbau beschäftigte, gemacht. Eine große An zahl von Privaterziehungsstätten berücksichtigt die Gartenfreude ihrer Zöglinge. Aber wieweit kann der Bolksschüler, der Sohn namentlich des Kleinbürgers, dem Trieb zur gärtnerischen Be tätigung nachgehen? Gerade für die Knaben und Mädchen der Mittel- und Kleinstädte ist schlecht gesorgt. Wo keine Hausindustrie herrscht, lungern die Kinder, seitdem sie in den Fabriken nicht mehr beschäftigt und ausgenutzt werden dürfen, vielfach aufsichts los umher. Auf brachliegenden Feldern aber gedeiht gern das Unkraut. Wo niemand die Kinder zu kluger Verwendung freier Stunden leitet, da darf man sich nicht über Mißbrauch der Zeit wundern. Lesehallen, Kinderhorte mit Handfertigkeit, Turnnachmittage reichen nicht aus, die freie Zeit zn füllen. Sie haben auch alle etwas Eintöniges. Mit der Gartenarbeit ist's anders. Wenn etwas tägliche Abwechselung und täglichen Erfolg bietet, so ist es das Pflanzen, Pflegen und Warten der Kulturgewächse. Selbst die Winter zeit, da sich wenig im Freien tun läßt, ist durch allerhand Vorarbeiten leicht auszufüllen für alle diejenigen, die einmal ergriffen sind von der ge mütvollen Leidenschaft zum Gartenbau. Was es aber heißt, Kinder zu einer Arbeit leiten, die, greifbaren Nutzen gewährend, doch auch die Hand bildet, dem sinnigen Gemüt Beschäftigung und Vertiefung gibt, den Geist nährt und be fruchtet: das weiß der Lehrer, der denkende Vater, zu schätzen. Es gibt Gegenden in Deutsch land, deren blühender Obstbau sich an die Namen einzelner Geistlicher oder Lehrer knüpft. Noch viel mehr als einzelne Männer durch Weiter pflanzung der eigenen Liebhaberei gewirkt haben, läßt sich schaffen, wenn ganze Gemeinden plan mäßig ihren Kindern Gelegenheit zum Einleben in Obst-, Gemüse-, Blumenzucht gewähren. Hier ist es einmal unnötig, auf die Kosten hinzuweisen. Beschaffung von Schulgärten an allen Enden der Stadt ist vielmehr eine wirt schaftlich kluge Maßregel. Jede Schulgemeinde und jede Stadtvertretung bedarf in absehbarer Zeit Bauplätze. Hat sie in den Gärten, wenn nicht Bauterritorien, so doch wertvoll gewordene Tauschgegenstände, so macht sich der Ankaufspreis in den meisten Fällen mehr als bezahlt. Aber auch wenn man nicht mit der Werterhöhung der Grundstücke durch das meist schnell erfolgende Städtewachstum rechnen will, so kann man doch annehmen, daß sich das Ackerland, das durch Lehrer und Schüler in gärtnerische Kultur ge nommen wird, bald reicher, fruchtbarer, ergiebiger gestalten dürfte. Und sobald man nicht Arbeits löhne zu zahlen hat, verzinst sich selbst dürftiger Boden leidlich. Alle Bearbeitung soll aber — abgesehen von dem ersten Hauptplan und etwaiger Umfriedigung des Grundstückes — von Kindern und Lehrern geleistet werden. Gerade dadurch wird die Schaffenslust immer neu erweckt und befriedigt. Man kann ziemlich sicher rechnen, daß unter 10 Lehrern 8 mit Freuden die Gelegenheit zum Gartenbau wahrnehmen. Ihnen überläßt man -ein angemessenes Stück städtischen Grundes unter der Bedingung, daß sie einer bestimmten Schüler zahl gewissen Ertragsanteil und entsprechende Mitarbeiterschaft gewähren. Die Arbeitszeiten und Arbeitsweise regelt der Lehrer. Irgend einen Zwang und Druck übt er aber nicht dabei aus. Solcher würde bloß die ideale Seite des ganzen Unternehmens beeinträchtigen. Ter Garten erzieht aber selbst. Er läßt Unkraut hervorgehen, gegen das ordnungsliebende Kinder von selber ankämpfen. Ihm entsprießen Keime, denen allerhand Hilfe und Stütze gegeben werden muß, die kein freundliches Mädchen, kein gut mütiger Knabe versagt. Die Blüten in ihrer Zartheit erfreuen den Schönheitssinn, und die Wechselwirkung von Bodendüngung und Boden ertrag lehrt berechnen und haushalten. Die Langsamkeit der Naturentwickelung macht ge duldig, besondere Witterungsereignisse schärfen die Beobachtungsgabe, stählen den Leib, der sich in Wind und Regen den Elementen darbieten muß. Und dann „strömet herbei die unendliche Gabe". Dem Kinde erscheint auch der einfachere Gartenertrag ein Reichtum! Wieviel Naturkunde, die auch schulmäßig wertvoll ist, ganz nebenbei erworben wird; wie topographische Grundbegriffe tätig verarbeitet und tiefer erfaßt werden; welch vielseitige Übung auch die instinktive Begabung bei freier Schüler beschäftigung im Gartenbau erfährt, läßt sich nicht beschreiben, ohne daß der Fernstehende an Schönfärberei glaubt. Nur soviel sei gesagt, daß eine Menge kostspieliger Veranstaltungen, die alle bloß beschäftigen ohne zu bilden, über flüssig werden, sobald man die Kinder zu Garten freunden tätiger Art gemacht hat. Das Leben in der freien Natur ist der erste Schritt zu naturgemäßer Lebensweise; in Luft und Sonne verkümmern auch jene Bazillen sittlicher An steckung, deren liebste Herde in dumpfen Ge mächern, zwischen Giebeln und Dächern, in quetschender Enge stehen.