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soweit man beide miteinander vergleichen kann, Schritt gehalten hat. Nicht um uns zu rühmen, sage ich das, sondern lediglich, um darauf hinzu weisen, daß wir im allgemeinen keineswegs rück ständig geblieben sind. Infolgedessen sind wir trotz der großen Bevölkerungszunahme und der größeren Ansprüche an die Lebenshaltung — entsprechende Preise vorausgesetzt — auch heute noch imstande, den heimischen Bedarf an Brot und Fleisch in der Hauptsache decken zu können. Aber in einer Beziehung schlägt uns das Ge wissen doch. Jetzt, im Monat April, wo ich dies schreibe, laufen die Liebhaber guter Marktäpfel und die, welche aus Gesundheitsrücksichten solche genießen müssen, von Geschäft zu Geschäft und versuchen, meist vergeblich, für teures Geld noch einige gute deutsche Äpfel zu erwerben. Zu der selben Zeit aber werfen sich die Jungen auf der Straße mit Apfelsinen. Ein halbes Dutzend davon kostet fast nicht mehr als eine gute normale Renette. Benötigt ein Ladeninhaber 100 Kisten Apfelsinen, so schreibt er eine Karte nach Ham burg und in wenigen Tagen sind sie in der ge wünschten Qualität zur Stelle. Will der Herr denselben Posten deutsche Äpfel beziehen, dann kann er hundert Karten umsonst schreiben, wenn er nicht mit einem Mischmasch verschiedener Sorten zufrieden sein will. Das sollte uns doch zu denken geben und zu dem reumütigen Geständnis veranlassen, daß wir Landwirte und Grundbesitzer in Beziehung auf den Obstbau bisher unsere Schuldigkeit nicht getan haben. Ich weiß wohl, vielen meiner Herren Berufsgenossen wird es durchaus nicht leicht, das so ohne weiteres zuzugestehen und sie werden eine ganze Menge Entschuldigungsgründe vorzubringen haben. Es hilft ihnen aber alles drehen und wenden nichts, denn soviel steht fest: Deutschland ist im wahren Sinne des Wortes vom Fels bis zum Meer zum Obstbau geeignet wie kaum ein anderes Land. Das zeigen uns die Tiroler Calvillen und die Gräfensteiner von der Ostseeküste, sowie die vielen anderen herr lichen Früchte, welche in den dazwischen liegenden gesegneten Gefilden gedeihen. Dazu kommt noch der Umstand, daß gleich wie unserem deutschen Wein an feinem Aroma und milder Säure kein Gewächs aus klimatisch bevorzugten Ländern gleichkommt, in Beziehung auf den Geschmack kein Apfel der Welt an die deutsche Renette heranreicht. Wir könnten alle Feinschmecker im Erdenrund mit erstklassigen Äpfeln versorgen und haben sür den eigenen Bedarf nicht genug! Unter solchen Umständen mögen wir nach Ent schuldigungen suchen so viel wir wollen, wir kommen doch um das Zugeständnis nicht herum, daß wir mit dem uns anvertrauten Pfunde schlecht gewuchert haben. Vorsorgliche Staatsregierungen sowie Korpo rationen und einsichtsvolle Männer haben das längst erkannt, das sehen wir an den getroffenen bezüglichen Anordnungen, an den veranstalteten Ausstellungen und nicht zum wenigsten an dem Ausschreiben der Leipziger ökonomischen Sozietät, in welchem sie frägt: „Von welchen Bedingungen ist die Rentabilität des Obstbaues im König reich Sachsen abhängig?" Der Inhalt der Frage und der Umstand, daß sie von einer Genossenschaft hervorragender Landwirte gestellt ist, läßt mich wohl nicht mit Unrecht vermuten, daß es sich bei der Beant wortung in der Hauptsache um den landwirt schaftlichen Obstbau, welcher ja auch nur allein imstande sein kann, den Bedarf des Marktes zu decken, handeln soll. Die Herren werden nicht ans dem Standpunkte des großen „Pomologen" stehen, der verächtlich von denen spricht, welche noch auf dem breiten Weg der Massenproduktion wandeln, welcher zur Überproduktion und zur Unrentabilität führen muß. Sie werden vielmehr mit mir die Über zeugung haben, daß der regelmäßige Obstgenuß immer mehr und mehr in die breiten Schichten der Bevölkerung eindringen soll, wo er, wie jetzt schon nachweisbar, die, leider oft genug auch den Kindern erreichbare, Schnapsflasche verdrängt. Mit den weit über ihren Wert bezahlten Tiroler Calvillen fördert man die Volkswohl fahrt nicht. Ob man diese aufgepäppelten Früchte mit 30, 40 oder 50 Pf. das Stück bezahlt, ist ganz gleich, ihr Wert ist ja doch nur ein ein gebildeter, durch Reklame künstlich hochgehaltener, in Beziehung aus Geschmack reichen sie längst nicht an unsere feinen Renetten heran. Für den Preis aber, den so eine Treibhaus frucht kostet, muß dem Volk ein Kilo gute Äpfel geboten werden, ohne daß die Obstbauer zu kurz dabei kommen. Wenn ich mir nun erlaube, die Frage mit meinen Herren Berufsgenossen zu besprechen, so bitte ich von vornherein darum, mir das nicht als Überhebung anzurechnen. Ich habe mich seit 40 Jahren mit dem landwirtschaftlichen Obstbau praktisch und theoretisch beschäftigt und bin dabei immer selbsttätiger Landwirt geblieben. In fremder und seit dreißig Jahren in der eigenen Wirtschaft habe ich die Wichtigkeit guter Obstpflanzungen kennen gelernt, manchen Berufs genossen bei der Anlage solcher unterstützt und glaube dabei die Grenze gefunden zu haben, bis zu welcher der Obstbau m den einzelnen Wirt schaften mit Vorteil betrieben werden kann. Sehr eng ist diese nicht zu ziehen, denn in der Zeit von dreißig Jahren ist der Preis für Brot getreide nm 60—70 °/g gefallen, der für gute