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«L L » S 'G L In ihrem Heim zündete Frau Heinsius rasch die Gas lampe an. Mit einer nervösen Erregung holte sie alle Blumen zusammen, die in der Wohnung waren, und stellte sie aus den Tisch. Dann schloß sie ihre Töchter zärtlich in die Arme. „Kinder, Kinder, wer hätte das gedacht," sagte sie und küßte abwechselnd Renale und Gerta. Die Ältere lächelte still vor sich hin, während sie sich von den Mutterhänden kosen ließ. Gerta warf den Kopf auf, hob gegen Renale den Finger, drohte ihr scherzend und sagte: stark. „Meine Mutter nimmt jedenfalls Ihre Wünsche gern entgegen." Halmer sagte einige Worte und zog sich zurück. Er war wütend, Renate nicht gesehen zu haben, zornig, durch diese Verlobung in den Hintergrund gedrängt worden zu sein. Nachdem er eine vergebliche Wanderung unternommen in der Hoffnung, Renate zu erblicken, ging er wieder zu seiner Mutter. Er tat ihr den Gefallen und tanzte einige Male mit Edith Wendt, in der Erwartung, während des Tanzes Renate zu erspähen. Als alles vergeblich blieb, setzte er sich an den Tisch und goß einige Gläser Sekt hinunter; er wollte den Zorn wegspülen, der sich seiner bemächtigte. „Die Fräulein Heinsius sehen heute strahlend aus," meinte Frau Halmer, sie hatte mit ihren weitsichtigen Augen Renale entdeckt, die mit Storm an den Tisch der Mutter trat. „Die Kleine hat sich verlobt." Lukas sagte es ver- drossen. „Etwa mit Reintal? Nein, was die Mädels sür Glück haben." „Beide?" fragte Lukas höhnend. „Renate kann sich nicht beklagen, oder findest du, daß sie so viel Glück hat, weil ich sie nicht genommen?" Frau Halmer war ganz gekränkte Würde. „Aber du trauerst ihr nach, findest nicht, daß sie sich dem jungen Storm aufdrängt. Was dieses Mädchen für ein Benehmen hat — sie ist alt, wir wissen, daß sie die Dreißig überschritten. Ihm steht die Welt offen — wenn er heute hingerissen von ihr ist, weil sie geistreiche Sachen spricht und sich raffiniert anzieht, er wird sie eines Tages satt haben; mit dreißig Jahren beginnt ein Mädchen zu verblühen, wenn du es auch nicht einsehen willst." Lukas Halmer schaute mit weitgeösfneten Augen zu dem Tisch hin, an dem er eben gestanden, an dem jetzt Renate am Arm Storms sich befand. Er vernahm kein Wort mehr von dem, was seine Mutter sprach. Er sah nur, daß Reintal und Storm zu dem ersten Chargierten gingen — der streckte beiden die Hände entgegen und eilte auf das Podium des Saales. Er vernahm die laute Stimme gebietend „Silentiuml" rufen, sah, wie es im Saale plötzlich ruhig wurde, wie die Tanzenden aus der Reihe traten und hier Hereindrängien. „Meine Herrschaften, verehrte und liebenswürdige Gäste! Ich habe die Ehre, Ihnen die Verlobung von Fräulein Renale Heinsius mit Herrn Diplomingenieur Otto Storm und die Verlobung von Fräulein Gerta Heinsius mit Herrn Dr. jur. Walter Reintal zu verkünden." Und nun verlor sich alles andere in einem dumpfen Brausen vor seinen Ohren. Er sah seine Hoffnungen sin ken, jäh zerbrechen und ein böses Lächeln lag um seine Lippen. Zorn und Rachegedanken schüttelten ihn. Ohne die Mutter anzuschauen, stand er auf. „Ich habe keine Lust, da unten mitzumachen," sagte er, als sich alle um die beiden Brautpaare und die Mutter drängten. „Ich gehe," er schob heftig seinen Stuhl zurück. Frau Halmer erhob sich zugleich. Sie fürchtete heute zmn ersten Male ihren Sohn. Sie sah mit Schrecken, daß er ihr Erb teil, die grenzenlose, ohnmächtige Wut, wenn sein Wille ihm durchkreuzt wurde, angetreten hatte. An der Tür stand eine hohe Männergestalt. Der kluge Cäsarenkops neigte sich vor, als der erste Chargierte mit Stolz und Freude seine Mission erfüllte. Als er aber den Namen bürte, ging ein Erblassen über das geistsprühende Gesicht. Rasch, als gelte es einer Gefahr zu entgehen, ver- ließ Professor von Lohe den Saal. „Du, Renate, ich war ja mehr als überrascht, so ganz > hinter unserm Rücken. Warte nur, das war treulos und ; verräterisch von dir." Renate begann sich auszukleiden. Sie hatte das Kleid I abgestreift, löste die Nadeln aus dem Haar, die blonde s Flut fiel über das Gesicht. Bei Gertas Worten schüttelte » sie den Kopf: „Ich selbst wußte nicht, daß es heute soweit kommen i würde," beteuerte sie. Und Gerta ihrerseits stellte nun an z die Schwester Lie Frage, die Renate einst an sie gerichtet: » „Liebst du ihn denn, Schwesterchen?" Die breiten Lider senkten sich über die Augen, die > Wangen des Mädchens waren tief erblaßt. Dann hob > Renate plötzlich die Arme, warf den Kopf zurück, daß das » Haar in einer gleißenden Flut ihr über den Rücken wallte, , und Tränen standen in ihren Augen: „Kann man so etwas sagen?" fragte sie. Gerta aber zuckte, peinlich berührt, Lie Schultern. Re- » nahte benahm sich wirklich oft wie ein Backfisch. Renate hing ihr Kleid über den Arm und nahm die i Nadeln, mit denen sie ihr Haar befestigt hatte, in die Hand. I Sie küßte Mutter und Schwester. „Ich bin jetzt müde, ich gehe schlafen." Aber in ihrem Zimmer hörte man sie noch lange un- I ruhig hin- und hergehen. Als die Tür sich hinter Renate geschlossen, die Mutter » und Gerta allein blieben, ballte Las junge Mädchen die ! Hände: „Solch ein Pech, solch ein verwünschtes Pech," sagte j sie leise. Frau Heinsius wußte nicht, worauf Gerta anspielte ! „Was ist denn, Gerta, mein Herzenskind?" „Solch ein Pech! Konnte sie mit ihrer Verlobung j nicht warten, bis ich verheiratet bin? überhaupt lächerlich » von Renate, in ihrem Alter einen so jungen Menschen zu I nehmen. Nun, es wird sich noch bitter genug rächen. > Später wird sie die Torheit erst einsehen. Sie hätte einen j reichen, vernünftigen Mann heiraten müssen, der in guten » Verhältnissen lebt, jetzt kann sie doppelt arbeiten, denn so ! ein Assistent in einer Eisenhütte bekommt vielleicht drei- I hundert Mark monatlich, das hat mir Walter gesagt, und j ehe er es bis zum Betriebsingenieur gebracht hat, vergeht > eine ordentliche Zeit. Renale wird es bedauern!" „Ja, Kind, aber was konnte ich tun?" flüsterte die I Mutter angstvoll. „Ich ahnte so etwas nicht, ich fürchtete f mehr für Halmer, es wäre das beste, wenn wir nicht ge- ; gangen wären." Sie seufzte schwer auf. Gerta flammte sie » an: „Ach, das Lamentieren hat wenig Zweck, es ist ge- I schchen, ich muß sehen, was für mich übrigbleibt. Aber j Renate soll man eigentlich warnen. So etwas Törichtes, ; und sie meint, daß sie klug ist." Gerta lachte auf und be- » gann nun, auch sich zu entkleiden. Sie schlief bald fest und i lies. Frau Heinsius aber lag lange wach und versuchte, dem > Leben in das unergründliche Antlitz zu schauen. * * * Woher Renate die Kraft nahm, alles leisten zu können, I das fragte sich die Mutter ost. Wenn sie aber an Gerta die . gleiche Frage richtete, dann brauste sie auf: „Tue mir den ! einzigen Gefallen, Mama, und erinnere Renate nicht dar- I an, daß sie zuviel arbeitet. Kein Mensch schafft mehr, i als seine Kräfte erlauben. Ich muß doch schließlich etwas . haben, wenn ich mich verheiraten soll." ! Und die Mutter sagte nichts, wenn Renate sich auf I einige Minuten zeigte. Frau Heinsius fürchtete zunächst, I daß sie ihre Ersparnisse würde hergeben müssen. Renate . hatte fröhlich erklärt, sie wolle sür alles aufkommen. Ihren ! Roman hatte sie mit Erfolg verkauft, und von der Minute I an durfte sie sich den Vorbereitungen sür ihr eigenes Lebn I widmen. Sie war keine Braut, wie der Alltag sie bringt. Sie ! sehnte sich scheinbar nicht nach dem Zusammensein mit dem I Verlobten. Reintal kam jeden Sonntag aus Breslau, um i Gerta zu besuchen, Renate aber erwartete den Geliebten ! erst zur Hochzeit, die sie sür immer vereinen sollte. Sie hatte I ihr Herz in seine Hand gelegt, und sie hütete ihr tief- i empfundenes Glück, umgab es mit einem dichten Schleier I vor der Außenwelt. Sie herrschte über die Gluten, an ' deren Flammen kein anderer Mensch rühren durfte. ! (Fortsetzung folgt.)