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Nr. 245. Pulsnitzer Tageblatt. — Sonnabend, den 19. Oktober 1929. Sette 6. Dresdner Brief Unser Zwinger Wohl selten haben die Dresdner so regen Anteil an der Voll endung eines Bauwerkes genommen, wie jetzt, wo die Erneuerung un seres Zwingers sich dem Ende zuneigt. Unser Zwinger! Ja, so sagen sie, und nicht mit Unrecht. Der alte Rentner, der humpelnd jeden Tag einen kleinen Spaziergang durch sein liebes, alte« Dresden unter nimmt und murrend ob der vielen Autos und gefährlichen Straßen» Übergänge den Postplatz und seine Umgebung möglichst meidet, kann eS sich doch nicht versagen, den Fortschritt der Bau« und Bildhauerarbeit im Zwingerhof zu beobachten. Und obgleich er sehr dürftig lebt, dieweil er sein Erspartes hat darangeben müssen, so hat er sich doch einige Mark abgespart, um Lose zur Zwingerlotterie zu kaufen, weniger weil er zu gewinnen denkt, als um sein Scherflein zur Erhaltung des sel tensten und schönsten Bauwerks unserer Heimatstadt beizutragen. Und so redet er ganz mit Berechtigung von unserem Zwinger. Durch alle Schichten der Bevölkerung geht das Interesse an dem Werk, das mehr Schwierigkeiten gezeitigt hat, als man erst er wartete. August der Starke, der kunst« und prunkliebende Fürst, der nächst dem Erbauer Matthäus Daniel Pöppelmann als Urheber deS genialen Planes genannt wird, war wohl recht eilig, die Vollendung seines Werkes zu erleben und zu genießen und hatte auf raschen Bau gedrängt. Vielleicht aus diesem Grunde fanden die Erneuerer nicht die solide Bauweise früherer Jahrhunderte vor und mußten bis auf den Grund gehen, um die Schäden zu beseitigen. Aber schon jetzt erfreuen sich Dresdner wie Fremde an dem neuerstandenen Werk. Stattlich steht es da in seinem reichen Schmuck kleide, das seltsam absticht gegen die Zweckbauten unserer praktisch und sparsam gewordenen Zeit. Die Front mit dem kleinen Pavillon nach dem Schauspielhaus zu ist fertig geworden. Auf der Plattform kann man herumspazieren und gewinnt dadurch einen prächtigen Ueber- blick über die ganze geniale Anlage. Der große Pavillon, die Eckbauten, alles ist neu erstanden. Der Blick in das architektonisch wie malerisch unvergleichliche Nymphenbad entzückt nun doppelt, seit die deutlich sicht baren Spuren des Verfalls beseitigt sind. Und auf der Ostraallce sind durch die Arbeit einer großen Maschine die Vertiefungen für die Fortsetzung des Zwingerteiches entstanden, wodurch die ganze Anlage verändert, den ursprünglichen Plänen gerecht gestaltet wird. Ein neues Bild entsteht so für die Stadt, ein Bauwerk von seltener Schönheit, von malerischer Wirkung mitten im brausenden Leben moderner Berkehrstechnik. Ein Prachtbau unter nüchternen Zweckbauten. Jahrelang arbeiten unsere Bildhauer an den Kopien der verwitterten, von häßlichem Oelanstrich verdorbenen Figuren, die nun wieder in neuem Sandstein erstanden sind, Faune, die Flöte spielen, Putten, Nymphen sowie der reiche Schmuck an Blumenguir« landen, Muscheln und den dekorativen Schwingungen der üppigen Ba rock. Und sonst noch vielen Arbeitsleuten hat der Neubau lohnenden Verdienst gebracht. So sehr haben die Dresdner an dem Werk teil ¬ genommen, daß sogar ein Murien entstand, als die große Ausschach, tungsmaschine in Gang gebracht wurde, weil dadurch manche Menschen hand erspart und außer Brot gesetzt wurde. Der Fortschritt in all seiner Nützlichkeit und seiner furchtbaren Tragik: Stockt der Weiterbau? Man redet dies und das, ein banges Fragen, ein Vermuten und Hoffen. Ganz Dresden nimmt Anteil auch hieran. Unser Zwinger! Sie freuen sich alle auf dessen Voll endung und sind gewiß bereit, noch weitere Gaben dafür aufzubringen. Auch die Jugend ist opferbereit. „Das ist meine Figur, die habe ich gewiß mir meinen drei Nieten bezahlt," so hörte ich einen kleinen Jungen sagen. Wie schön wird cs sein, wenn die starken, neu erstan denen Mauern von Wasser umspült sein werden, wenn die hart hervor- springende Bastton an die P'Sne früherer Zeit erinnert und der Hof im Sommer im gärtnerischen Kleide prangt! Wenn man rings auf den Galerien spazierengehen, die schönen Freitreppen hinabsteigen kann. Unser Zwinger! Wir waren stolz darauf als auf ein Kunst werk längst vergangener Tage, das arg mitgenommen war vom nagen den Zahn der Zeit. Wir werden stolzer darauf sein, wenn es neu erstanden ist, aus schwieriger Zett, ein Beweis des kunstsinnigen Ber- I stehens derer, die den Bau unternommen und der Opserwilligkeit der Dresdner Bevölkerung. Rexina Sertkolä. Ohne Vitamine im Falter ist keine ««gestörte E«twickel«ng des tierische« Körpers möglich Mangel an Vitaminen erzeugt Knochenerkrankungen, Wachstums stillstand, AnMtgkeit für Krankheiten, Produktionsrückgänge u. dergl. Bon allen Vitamin-Präparaten hat sich nach den Ergebnissen der Fütterungspraxis nur ein einziges wirklich voll bewährt: Der Dorsche lebertran. Ueberraschende Vorteile kann er aber nur bringen, wenn er biologisch kontrolliert ist und als Emulsion verabreicht wird. Eine erfolgreiche, an Nährwerten höchstkonzentrierte Viehlebertran- Emulsion ist M. Brockmanns „Osteosan", das aus kontrolliertem Dorfchiebertran hergestellt wird und eine LOO mal größere Vitamin- Wirkung äußert als beste Vollmilch. Genaueres hierüber kann jeder Interessent aus der soeben erschienenen 3. Ausgabe von „M. Brock manns Ratgeber für Tierhalter und Züchter" erfahren. Das Buch wird in allen einschlägigen Geschäften odet direkt von M. Brockmann Chcm. Fabr. m. b. H, Leipzig-Eutritzsch, kostenlos abgegeben. Kunstleben inDresden DreimSderlha«s i« Dresden Am DienStag wurde im Central-Theater das Singspiel „Drei» mäderlhaus" von Dr. Willner und Heinz Reichert, Musik nach Franz Schubert, in neuer Einstudierung zum 1. Male gegeben. Der Reiz und die Schönheit des Singspiels liegt im musikalischen Teil; denn Schubert'sche Musik aus dessen besten Werken erklingen im Orchester und auf der Bühne. Die kritischen Akten über dieses Stück sind längst geschloffen, man wird sich heute kaum noch über die Verwendung Schu» bcrt'scher Musik, die aus Zusammenhängen herauSgeriffen wurde, auf regen. Sie zu hören, wird immer ein Genuß bleiben, eb-n weil sie zu Schuberts Schönstem gehört, daß er geschrieben hat. Die Aufführung war vom Spielleiter Suckfüll sorgfältig und gewissenhaft vorbereitet worden. Für die wichtigsten Rollen hatte man Kammersänger Lußmann für die Rolle deS Franz Schubert und Ilse Muib für das Hannerl als Gaste verpflichtet. Lußmaun hatte eine gute Mask« gemacht und spielte den Schubert mit feinem Empfn den für diese G statt; der wohllautende Tenor und der geschmackvolle Vortrag verdienen volle Anerkennung. Ilse Muth war ein entzückendes Hannerl, in Spiel und Gesang und wie sie das Weaner Madl zu charakierffieicn verstand, dazu der Liebreiz ihres Wesens, das alles vereinigte sich zu einem barmonischen Ganzen. Recht gute Eindrücke gewann man auch von Jeß (Baron Schober), Suckfüll (Tschäll), Senta Rappoldi und Bella Erdoe» (die beiden an deren Mädchen). Der Beifall war wieder stünnisch. An Blumenspenden war kein Mangel. —x. Aus dem Gerichtssaal Ei« komum«alpotttischer Beleidiguugsprozetz Freiberg. Vor dem Schöffengericht Freiberg wurde am Mitt woch ein interessanter kommunalpolitischer Bcleidigungsprozeß erledigt. In der Frege der Verschmelzung der beiden Gymnasien war es im Frühjahr ds IS. im Stadlverordnetenkollegium zu heftigen Meinung», kämpfen gekommen. Einer der schärfsten Gegner der Verschmelzung war der deutschnationale Stadtrat Rechtsanwalt Dr. Raufst. Er griff auch nach der Verschmelzung den die Ralsvorlage vertretenden Ober bürgermeister Dr. Hartenstein scharf an. Wegen eines beleidigenden Artikels in dem deutschnationalen Mitteilungsblatt „Wille zum Sieg» wurde gegen diesen Strafantrag wegen Beleidigung gestellt. Die Ver handlung fand am Mittwoch statt. Da» Gericht verurteilte Dr. Ranfft wegen Beleidigung des Oberbürgermeister« zu 500 Mark Geidstrase sowie Tragung der Kosten und Ersetzung der dem Nebenkläger erwach senen notwendigen Auslagen Dem Nebenkläger wurde weiter die Be fugnis zuerkannt, da« Urteil im „Wille zum Sieg" und im „Freiberger Anzeiger" zu veröffentlichen. Da blinken und funkeln nuk Lldlnee^el6erfrlLf>clullcndei^rZlI'iV35cbe die IvlWer, Onkeln und I^ölfel, die durcb A.O, ldenkelsd'M^ und 5dleuerpulver so rnsd» ru pulsen sind. AbtMen OeZLNSlLndca LUS bdolr, Llein, ÜVlLrrrror.kor-eLrn. Olss und ^dekLll spiegelnden Okur?, Ueinberk und f"ns<dre. ZKks ist spsrsLin und billig. Vie prnLLdle .-Lreu^nLcbe kostet nur- 20 Pfennig. pukkunäsckeue^sUes. OopMsdt 1929 d? Kart Köhler L To., Berlin-Zehlendorf. 33) (Nachdruck verboten.: Nachdem die Gesprächspause sich schon so gedehnt hatte, daß sie ein neues Thema brauchte, sagte Lutz plötzlich: „Wenn Sie Hochheim verlassen — wann sehe ich Sie dann einmal wieder?" Rose-Maria schrak ein wenig bei seiner abrupten Frage zu sammen, aber sie antwortete ihm ruhig und liebenswürdig: „Das läßt sich wohl heute noch nicht sagen. Wenn uns nicht der Zufall wieder einmal zusammenführt, dürfte es wohl schwerlich dazu kommen. Sie dürfen nicht vergessen, daß ich nicht Herr über meine Entschließungen bin, sondern in abhängiger Stellung. Ich muß mich nach meiner Brotgeberin richten." „Wie kann eine Frau wie Sie überhaupt in solch eine Stel lung gehen. Dazu sind Sie doch viel zu klug und wertvoll." „Das Muß ist ein guter Lehrer, Herr Fall. Wenn man mittellos ist und den Verwandten nicht zur Last fallen will, muß man eben sehen, wie man am schnellsten Geld verdienen kann." „Na — was werden Sie schon groß verdienen in solcher Gesellschafterinnenstellung." „So viel, daß ich mich gut kleiden kann, niemand zur Last falle und auch noch kleine Geschenke machen kann." „Und sind aber immer um solchen alten Drachen herum und müssen tun, was er will." Rose-Maria lachte herzlich auf. — „Was denken Sie — so schlimm ist es ,a nun nicht. In meiner letzten Stellung hatte ich viel freie Zeit, habe unendlich viel von der Welt gesehen und viel gelernt." „Und die neue Stellung?" „Ist bei einer sehr netten, alten Dame, die noch sehr ver gnügt und lustig lebt, wenn sie nicht gerade das Rheuma plagt. Also es ist halb so schlimm, wie Sie sich das denken." „Also mit einem Rendezvous — auf deutsch Verabredung, ist es nichts? — Dem Zufall soll ich das überlassen? Ich glaube, daraus wird nichts. Mein ganzes Leben habe ich mich noch nicht auf Zufälle verlassen — da werde ich es doch bei einer An gelegenheit, die mir so wichtig, nicht tun." „Ist das dahin zu verstehen, daß es für Sie so wichtig ist, mich wiederzusehcn?" versuchte Rose-Maria dieses Thema ins Scherzhafte zu ziehen. zwischen alten Lumpen und Trödelkram lag. Eifrig suchte sie weiter und fand auch noch die reizend modellierten Arme und Beine dieser Puppe. Und schon arbeitete ihr künstlerisches Gehirn und zeigte ihr diese Puppe m irgend einem historischen Gewand. „Da müssen Sie nicht lachen, gnädiges Fräulein, das ist ernst. Ich muß Sie Wiedersehen!" „So mit dem kategorischen Imperativ?" „Zugeständnisse gibt es bei mir nicht, nur ja und nein. Das schone Wort „vielleicht" steht nicht in meinem Wörterbuch. Also — gnädiges Fräulein, wir sehen uns wieder." „Aber warum nicht, wenn es sich so gibt." Rose-Maria war rot geworden, fühlte sie doch sehr wohl, wie es um den Mann stand, der neben ihr war. Fast war es ein Bedauern in ihr, daß sie solch einen prachtvollen Menschen nicht lieben konnte, einen Mann, der etwas vorstellte im Leben, seine gute Existenz hatte, eine gute Erscheinung war und ein angenehmes Wesen hatte. Aber sie liebte ihn nicht, würde ihn nie lieben lernen, und wollte deshalb auch keine Hoffnungen in ihm wecken, die sich nicht erfüllen konnten. — „Es wird sich nicht geben, — sondern ich werde geben, näm lich die Gelegenheit." Fast war es ein triumphierendes Lachen bei ihm, und er er griff ihre Hand und küßte sie mit viel Wärme, um dann gleich zu einem fernliegenden Thema abzuschweifen und ihr Gelegen heit gebend, noch etwas über diesen Fall zu sagen. In den kommenden Tagen, die für Lutz mit viel Arbeit an gefüllt waren, aber auch mit vielen schönen Stunden, die er in Gesellschaft von Rose-Maria verleben konnte, wurde nie wieder von der Sache gesprochen, und sie waren vergnügt, wie die an deren. Oft ließ Lutz Rose-Maria hinauf in die neuen Zimmer für die kleine Prinzessin rufen und fragte sie um Bescheid wegen verschiedener Dinge, denn es war eigentlich nicht sein Fach, sich mit Iungmädchenzimmern zu befassen, und es hätte ihm vielleicht an der nötigen weichen Hand gefehlt. Aber Rose-Maria rich tete alles mit unerhörtem Geschmack und Grazie ein, so daß schon nach einigen Tagen ein kleines Appartement fertiggestellt war, welches sich sehen lassen konnte und sicher das Herz eines jeden jungen Mädchens höher schlagen ließ. Rose-Maria hatte es sich auserbeten, die Kissen für die Zimmer der kleinen Prinzessin selber zu arbeiten und zu ent werfen, und Lutz ließ ihr Stoffe und Spitzen bringen, in denen sie wühlen konnte und dichten. Dann fand sie auf ihren Wanderungen durch das weite Schloß eines Tages in einer großen Truhe, welche zwecks gründ lichen Reinemachens geöffnet worden war, den Kopf und den Rumps einer wohl sicher antiken Puppe, die da nackt und bloß „Warten Sie bis die junge Dame wieder angezogcn ist, dann werden Sie galanter sein. Also, ich brauche den Stoff, denn ich will für diese Zimmer hier noch schnell die Puppe an ziehen, möglichst genau wie sie auf dem Bilde angezogen ist." „Lassen Sie mich mal nachdenken. — Weißen Damast? Hm, da muß noch ein Stück da sein, denn wir müssen eine Wandfüllung noch ausspannen." „Oh, hängen Sie ein Bild dahin und geben Sie mir den Stoff." Von Tante Schlicht ließ sie sich den Schlüssel zur großen Ahnengalerie geben und ging dort von Bild zu Bild, die arme nackte Puppe liebevoll im Arm, und verglich und suchte. Das Lockenhaupt der Puppe hatte entschieden kein Puppengesicht, sondern war fein und zart herausgearbeitet, so daß Rose-Maria auf den Gedanken kam, daß diese Puppe vielleicht ein Porträt gewesen war. Weiter ging sie von Bild zu Bild und betrachtete die Hoch heims der verschiedenen Jahrhunderte, nicht ahnend, daß sie unter den schönen Frauen allen wohl die Schönste und Verfüh rerischste war, denn in ihr war Leben und pulsierendes Blut. Jetzt kam sie zu den Bildern des Fürsten Egon Hochheims und seiner Gattin, der schönen Aurora. Und im selben Moment zuckte sie zusammen. Das war doch das Puppenköpfchen! Zug für Zug das Ge sicht der Fürstin Aurora! Rose-Maria trat näher an das Bild heran und sah schärfer zu. Und da entdeckte sie auch auf dem Bilde, welches die schöne, spukende Ahnenfrau an eine Saute gelehnt darstellte, und neben ihr auf einem tiefen Sessel saß die ihr in Kleidung und Gesicht treulich nachgebildete Puppe- Eine Modelaune der damaligen Zeit. Und schon stand es bei Rose-Maria fest, daß sie die Puppe wieder so kleiden würde, wie sie auf dem Bilde zu sehen war. Schnell eilte sie hinauf in die zweite Etage, wo Lutz Fall in den Zimmern der Prinzessin mit seinen Leuten arbeitete. „Hallo, hoher Besuch! Was verschafft uns die Ehre? „Ich suche etwas." . _, , , „ , . „Was ist denn das für ein kleines Scheusal, was sie da so liebevoll im Arm halten?" , Das ist die Puppe der Fürstin Aurora, die ich unten m einer"alten Truhe gefunden habe. Ist sie nicht reizend?" „Nee, beim besten Willen, das kann ich nicht finden. — Aber was suchten <Ae hier. _ „Haben Sie nicht noch irgendwo ein Stück weißen Damast? Vielleicht ist noch ein Rest da von dem Silberdamast, der auf dem Flügel liegt? „Für dieses kleine Scheusal da?"