Volltext Seite (XML)
84. bzw. 2. Jahrgang, Nr. 242, Seite 6 Brockmayer L Sohn Urheber-Rechtsschuh: Mitteldeutsche Roman-Korrespondenz Leipzig L1 Mutter Molchen trocknete sich schnell die Hände am Handtuch ab und gab Edith verlegen die Hand. Dann wurden sie in die Stube komplimentiert. „Herr Puppke", sagte Edith, „ich bringe Ihnen eine gute Nachricht! Denken Sie nur, der junge Herr Brock- mayer ... der hat sich von seinem Vater getrennt Und hat das Messerschmidtsche Konfektionshaus gekauft. Fräulein Brockmayer war bei mir. Ich werde dort Kassiererin^und... Sie sollen sich morgen früh dort auch vorstellen!" Maxe strahlte über das ganze Gesicht, das jetzt gar nicht mehr frech wirkte. Mutter Matchen klatschte in tE Hände vor Freude und Lenchen krähte vergnügt: „Siehste, Mutta, der Maxe hat Glück! Ick Habs ja immer jewußtl" z Am nächsten Morgen trat Edith Hoffmann ihren Dienst an. Die Geschwister hießen sie herzlich willkommen und Willi, der sich Mühe geben mußte, seine Verlegenheit zu meistern, führte sie in ihre Obliegenheiten ein. Edith begriff leicht und nahm sofort die Arbeit auf. Es ging ihr wundervoll von der Hand. Ihre Art, mit dem Publikum umzugehen, hatte etwas Vornehmes und doch Herzliches. Auch die kleine Kaufmann war gekommen und erhielt ihre Arbeit zugeteilt. Dann nahm sich Willi Maxe vor. „Nun zu Ihnen, Herr Puppke!" „Jawoll!" „Was machen wir mit Ihnen? Was wäre Ihnen denn am liebsten?" „Nu ... wenn Sie mir det Vatrauen schenken wollten, denn jeden Sie mir eine Position als Verkäufer." „Waren Sie schon einmal Verkäufer?" „Nee! Aba ... probieren Sie et doch einmal! Ick denke, det ick da wat leisten könnte!" „Hm ... man könnte es probieren!" „Sehen Sie, Herr Chef ... Sie haben doch nu det Ieschäft übanommen. Ick meene, da is doch eene janze Menge alter Bovel da, der balde raus muß, sonst is er am Ende jar nichts mehr wert!" „Stimmt!" „Den möcht' ick vakoofen! Wissen Sie, ick vastehe mir mit det Publikum, reden kann ick ooch und ick weeß, wie ick die Leute nehmen mußl Jawoll!" „Also gut ... wir versuchen es!" * So wurde Maxe mit dem Hellen Kopp Verkäufer. Er ging adrett angezogen und gab sich auch Mühe, sein Gesicht in würdige Falten zu legen. Ein alter Herr, der schon 40 Jahre als Verkäufer tätig war, führte ihn ein. Zwischen beiden war bald der Kontakt , gefunden, als er erfuhr, daß es sich um den Maxe von drüben handele. Daß er dem Kommerzienrat so Bescheid gesagt hatte imponierte dem alten Mann, der sein Leben lang den Rücken devot gekrümmt hatte, außerordentlich. Maxe begriff leicht. Und schon am ersten Tage begann er seine Verkaufs talente zu entwickeln. Er nahm die Kundschaft von der gemütlichen Seite, hatte immer einen Scherz bei der Hand und seine Stim mung steckte an. Er verkaufte einen Jungenanzug, ein paar Hosen und dann noch vier weitere Anzüge. Der alte Baumann — so hieß der Verkäufer — klopfte Maxe auf die Schulter: „Es geht ja famos, Herr Puppke! sie Habens in sich! Kontakt mit dem Publikum ... haben sie gleich gehabt! Also keene Sorge mehr!" „Nie jehabt, Herr Kollege! Ick kann, wat ick will, bloß die andern, die jlooben es meistens nich!" Willi war den ganzen Tag auf den Beinen. Zusammen mit Mariela, der es ausgezeichnet gefiel, empfing er die Kundschaft. Er war bemüht, von vorn herein ein persönliches Band zu knüpfen. Die Kinder er hielten Luftballons und Bilderbücher auf den Heimweg mit. Edith an der Kasse gab sie aus, und das schöne Mäd chen fand sogleich die richtige Fühlung mit den Kindern, sie liebte Kinder und war herzlich gut zu ihnen. Das freute wieder die Mütter. * Der Abend kam. Das Geschäft wurde geschlossen. Willi sagte lächelnd zu Mi: „Nun, Schwesterchen, wie gefällt dir deine Tätigkeit? Schmeckt dir die Arbeit?" Sie nickte ihm zu. „Ja, es macht mir wirklich Vergnügen, der Tag ist herumgegangen, so rasch wie selten einer. Aber ... die Füße tun mir weh! Den ganzen Tag stehen und laufen, daran muß ich mich erst gewöhnen!" „Das wirst du! Ich glaube, Mi, wir stehen beide jetzt am richtigen Platze. Ich will von vornherein das Publi kum mehr von der persönlichen Seite nehmen, das macht ungeheuer viel aus, ist natürlich entsprechend strapaziöser. Das geht nicht anders. Jedenfalls ...!" Er drehte sich um und sah den alten Messerschmidt hinter sich stehen. „Jedenfalls..." sagte Messerschmidt lächelnd, „...sehe ich, daß ich mein Geschäft in gute Hände gegeben habe! Gnädiges Fräulein, mein Kompliment! Alle Achtung, das haben Sie famos weg, mit der Kundschaft umzugehen! Sie sind auf dem rechten Wege, Herr Brockmayer ... das Publikum will persönlich genommen werden, dann kommt es wieder. Eine wunderschöne Kassiererin haben Sie mit gebracht, ist die Dame ... das Fräulein Hoffmann von drüben?" „Ja, Herr Messerschmidt!" „Die wird kein schlechter Anziehungspunkt für das Ge schäft sein. Ich würde nur die Kasse verlegen, dort, etwas weiter ins Licht." „Aber warum?" „Damit der erste Blick des Publikums auf das Mäd chen fällt. Das wirkt angenehm, das bedeutet immer in gute Stimmung kommen, einen schönen Menschen zu sehen ... und das ist die junge Dame wirklichI" Mi lachte schelmisch. „Und ich? Wirke ich dem Publikum gegenüber auch angenehm?" Messerschmidt verbeugte sich chevaleresk: „Das, mein gnädiges Fräulein, sagt Ihnen der Spiegel besser, als ich alter Mann!" * Die Geschwister fuhren heim und nahmen gemeinsam das Abendessen ein. Mi entwickelte einen so guten Appetit, daß Willi staunte. „Ja", sagte Mi lustig. „So gut hats mir noch nie im Leben geschmeckt wie heute! Arbeit ist doch wundervoll! Man kriegt einen guten Appetit!" „Futtere nur!" meinte Willi. „Deine schlanke Linie wirst du nicht gleich verlieren. Das überflüssige Fett läufst du dir wieder ab." „Sicher! Und so schön müde bin ich und ich werde schlafen ... ah, heute freue ich mich auf mein Bett und morgen früh, da weiß ich, was ich zu tun habe, da brauche ich mir nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, was ich an fange!" „Auch eine feine Sache, was?" „Du, aber jetzt sag' mal ... was gibst du mir denn Gehalt?" „Hm! Was denkst du denn?" „Na, eine billige Kraft bin ich nicht!" „Ich gebe dir das, was Fräulein Hoffmann kriegt?" „Was gibst du ihr denn?" „250,— Mark! Bist du damit auch zufrieden?" „Bißchen wenig!" „Ja, das tut mir leid, mein Fräulein, mehr kann ich für Sie nicht anlegen." Sie lachten beide. „Weißt du Mi, ich meine, das spielt jetzt keine Rolle. Das Geschäft gehört ja uns beiden. Wir wollen jetzt so wenig als möglich herausziehen! Weißt du, wir machen es so, wir setzen kein festes Gehalt an, sondern wir nehmen, was wir für unseren gemeinsamen Haushalt brauchen, und da denke ich, daß wir mit 300 Mark im Monat zusammen auskommen." „Ohne Anschaffungen!" „Ja, ich meine nur zum Wirtschaften. Miete usw. alles extra!" „Gut, ich bin einverstanden. Ich werde mir das Taschengeld regelmäßig von dir geben lassen!" „Siehst du, wir verstehen uns! Und jetzt erst richtig!" „Ja früher!" Mi sah versonnen vor sich hin. „Da lebten wir jeder unser Leben für sich. Du saßest in der Arbeit drin, und ich kannte nur Sport und Vergnügen. Jetzt eint uns eins ... und das ist die Arbeit!" „Ja, Schwesterchen!" sagte Willi zärtlich, daß sie rot vor Freude wurde. Der Ton schlug in ihrem Herzen an. * Der Kommerzienrat hielt mit seinen zwei Prokuristen Kriegsrat ab. Er berichtete von dem Kauf des Sohnes und daß jetzt die Firma Brockmayer alles tun müsse, um ein neues Hochkommen der Firma Messerschmidt zu ver hindern. Die Preise von Brockmayer sollten immer 10 A niedriger sein. Ein umfangreicher Spitzeldienst wurde eingerichtet, der ihn ständig über alles, was bei Messerschmidt vorging, unterrichtete. Große Reklamemaßnahmen sollten einsetzen. Der Kommerzienrat sprühte an dem Tage förmlich vor Tatkraft. Aber er sollte im Sohne doch einen tüchtigen Gegner gefunden haben. Als am nächsten Tage in allen Schaufenstern das Reklameschild „Das Haus der billigen Preise!" bei Brock mayer prangte, da erschienen in Messerschmidts sechs großen Schaufenstern sofort Plakate mit dem Text: „Das Haus der guten Qualitäten!" Das war sehr gut pariert. Es war mittlerweile bekannt geworden, daß Vrock- mayers Sohn das Geschäftshaus Messerschmidt über nommen hatte, und manche Kunden kamen aus blanker Neugierde zu Messerschmidt und freuten sich über die vor nehme Behandlung. Im Hause Messerschmidt aber war ein Leben wie noch nie. Handwerker waren beschäftigt, die leeren Stockwerke neu vorzurichten, denn das ganze Haus sollte vom Parterre bis in den vierten Stock dem Geschäft dienen. Ein Textilwarenhaus in erstklassiger Art! Auch eine Erfrischungsabteilung richtete man ein. Neuzeitlich natürlich, mit spottbilligen Preisen. Willi war nicht bestrebt, die Vielfältigkeit zu bieten, wie drüben im Warenhaus. Der Speisezettel seiner Erfrischungsab teilung sah einfacher aus, aber er wußte, daß er genügte. Er ließ eine Lautsprecheranlage einbauen, immer war Musik. Er abonnierte eine Reklamezeitschrift mit zugkräftigen Romanen für sein Geschäft, die an die Kundschaft gratis abgegeben wurde. Jeder konnte sich jede Woche sein Heft holen. Und als der 1. Oktober herangekommen war, da lies das Geschäft in allen vier Stockwerken. Willi war ein Einkaufsgenie. Er hatte einen Blick für das, was das Publikum gern kaufte. Er kannte die Verbindungen bis ins Letzte und man kam dem jungen, energischen Chef überall weitgehendst entgegen. Der Konkurrenzkampf setzte ein. Brachte Willi in seinen Fenstern die neuesten Damen kleider in eleganten Schnitten zu billigen Preisen heraus, gegenüber bei Brockmayer prangte ähnliche Ware 10 A billiger. Willi spürte es. Mancher Kunde sagte: „Drüben kriegt man es billiger!" Aber meist vermochte man auszugleichen und pochte auf die Qualität. „Unsere Preise", sagte Willi oft, „sind das Produkt schärfster Kalkulation. Wir können nichts verschenken, und das kann die Konkurrenz drüben ebensowenig." Immerhin, das Unterbieten durch Brockmayer blieb nicht ganz ohne Wirkung. Der Kommerzienrat hatte erwartet, daß Willi mit gehen würde, und wartete, daß er seine Preise herabsetze, aber das geschah nicht. Willi hatte es sich gründlich überlegt. Es ka-n dabei nichts heraus. Er war vielmehr mit wahrem Fiebereifer bemüht, das Schönste, was es preiswert gab, für seine Kundschaft zusammenzuholen. Keinen Reisenden, der kam, wies er ab, zu jedem war er freundlich und sah sich Stoffe und Modelle genau an. „Unser Lager ist gefüllt!" Das Wort gab es für ihn nicht. Die richtige Ware wurde immer gekauft Er ging nicht nach dem Schema. Er war in allem individuell ... Um billiger arbeiten zu können, ^richtete er eine eigene Schneiderei ein. Die besten Kräfte suchte er sich zusammen, bezahlte sie anständig, und man lohnte es ihm mit ausgezeichneter Leistung. Er war von früh bis abends auf den Beinen, überall war er, und mit fröhlichen Augen, voller Tatkraft, sah er sich überall um Für jeden hatte er ein freundliches Wort. Er konnte mürrische Mienen nicht leiden. „Die Kundschaft will frohe Gesichter sehen!" sagte er immer wieder. Darin hielt er es mit den Amerikanern. Vor allen Dingen war er bemüht, jede unproduktive Kraft auszuschalten. Produktiv ist, wer verkauft! Das galt für ihn. Im Büro saßen ein junger Mann, der sehr tüchtig war, und eine Stenotypistin. Die mußten die ganze Korrespon denz nach den Anweisungen des Chefs erledigen. Sie hatten ein gerüttelt Maß voll Arbeit, denn Willis Wort: „Bei mir gibts keine Rückstände, was heute kommt, wird heute erledigt", machte es ihnen oft nicht leicht. Aber der Eifer des Chefs riß sie mit. Sie wurden gut bezahlt. Darauf hielt Willi überhaupt. „Ich habe kein Interesse, schlechtbezahlte Kräfte herum stehen zu sehen!" pflegte er zu sagen. Messerschmidt hatte früher viel Landkundschaft gehabt. Willi kramte die alten Adressen heraus und in der nächsten Woche ging ein Reisender auf Tour und besuchte die alte Kundschaft mit gutem Erfolge. Mit dem Geschäftsauto kam er vorgefahren und zeigte Kleider, Wäsche und Stoffe vor, lud sie ein, wieder bei Messerschmidt zu kaufen. So lief das Geschäft wie eine Uhr und Ler Umsatz war durchaus befriedigend, was drüben Brockmayer nicht sagen konnte. Sein Beleidigungsprozeß war denkbar ungünstig für ihn verlaufen. Wohl hatte Maxe eine Geldstrafe von 100,— Mark, die Willi bezahlte, in Kauf nehmen müssen, aber der moralisch Verurteilte blieb der Kommerzienrat Brockmayer, der sich sogar vom Richter ein paar abfällige Worte sagen lassen mußte, die ihn gehörig wurmten. In der Presse fand der Prozeß eine wenig schmeichel hafte Beurteilung. Es fehlte nicht an bissigen Bemerkungen. Das geflügelte Wort: „Ein anständiger Mensch kauft nicht bei Brockmayer!" wollte nicht schweigen und an dem schlechten Besuch, jetzt in der Saisonzeit erkannte der Kom merzienrat, daß das Wort Boden faßte. Er ging noch weiter in seinen Preisen zurück. Aber Willi rührte sich trotzdem nicht. Lediglich die Plakate änderten sich- „Das Haus der guten Qualitäten! Schund müssen Sie wo anders kaufen!" Als es der Kommerzienrat las, kriegte er bald einen Wutanfall. Er drohte dem Sohn mit einem Prozeß, führte ihn auch durch, als sich Willi weigerte, und fiel abermals da mit ab. Im Warenhaus Brockmayer herrschte dauernd Sturm. Auf unhörbaren Sohlen schlich der alte Chef durch die Räume und wehe, wenn er einmal zwei Verkäuferinnen erwischte, die ein paar Worte miteinander tauschten. (Fortsetzung folgt.)