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Nr. 100 PAPIER-ZEITUNG 3607 diese Blätter gleich groß und anziehend auf Jung und Alt, auf Kenner und Laien. Darin aber liegt ihr großes ethisches Moment, daß sie nicht bestimmt sind, nur in der Mappe oder im Zimmer irgend eines Wohlhabenden ein langweiliges Dasein zu führen, sondern daß sie berufen sind, auch die nach Tages Last und Mühen heimkehrenden Arbeiter durch die Kraft und Schönheit der Farbe zu erquicken. Denn ich bin überzeugt, daß die Zeit nicht mehr allzu fern liegt, wo auch die weitesten Kreise des deutschen Volkes aufmerksam werden auf dieses Unternehmen, welches recht eigentlich für sie ins Leben ge rufen worden ist. Wird auch heute noch dem Unechten, Hohlen, Sentimentalen in aufdringlich schillernden Fassungen der Vorzug gegeben, die Erkenntnis kommt oft über Nacht, und morgen vielleicht ist es schon anders. Das Gold, wonach alle die tausend verlangenden Hände haschen, die tiefe Sehn sucht nach dem Unfaßbaren, Namenlosen, hier liegt es blinkend zutage gefördert als tiefstes Empfinden, als Poesie. Unser Bild ist eine stark verkleinerte Wiedergabe des Blattes »Wenn der Mond aufgeht« von Oskar Graf, Freiburg. Es ist die Zeit, wo der Tag zum Abend wird, wo leise die Schatten sich senken. Hinten am Waldsaum, dort wo der kleinen Häuser letztes steht, kommt langsam der Mond herauf, bleich und groß. Grüngrau ist der Himmel unten, um ganz allmälig nach oben in blaugrau überzugehen. Feines Dämmern rieselt herunter und senkt sich liebevoll auf die Häuser, aus denen hie und da schon ein Lichtschein kommt, auf die beiden Alten, die nun gleich ihr Heim erreicht haben, auf die Straße, auf den Fluß. Dunkel stehen die Bäume gegen den blassen Himmel, etwas verschwommen, ohne scharfe Konturen. Es ist einer jener Abende, wo alles Leid sich auf löst in schimmernden Frieden. — Eine ähnliche Stimmung, nur wenige Minuten früher, gibt derselbe Künstler im »Abendlied«. Zwischen Buchen sitzt der alte Einsiedler beim Geigenspiel, zu Füßen die Häuser und den breiten Fluß, der in der Ferne in feiner Ueberschneidung sich verliert. Die Sonne ist eben unter gegangen, aber noch leuchtet der Himmel. Es ist ein hoher Ton, den der Alte in stiller Versenkung auf der E-Seite greift, und der höchste und letzte Ton des Tages tönt jauchzend aus diesem Bilde. — Im »Zirkus« zeigt August Braun die schwärzen Trakehner mit weißem Zaumzeug in feiner Beleuchtung. — Die »Truthühner« Cäcilie Graf-Pfaffs in ihrer bunten Aufgeregt heit leuchten so lebendig aus der Sommerlandschaft heraus, daß einem förmlich der Wunsch kommt, sie zu necken. — Max Ed. Giese hält in einer duftigen Winter Stimmung den Moment fest, wo »Der Zug kommt«. Mitten auf freiem Felde liegt das Gleis der Kleinbahn, von der wir in Dampf gehüllt die Loko motive mit erleuchteten Laternen erblicken. Der Himmel ist bedeckt und zeigt einen eigenartigen Schein, der sich dem Schnee und dem Rauch der Maschine überträgt. — Etwas anekdotisch und wenig bildmäßig erscheint mir »Philosophie des Nichts«, eine Winterstimmung von Georg Braumüller. - »Heimkehr vom Felde«: Spätsommertag, in schwerer Reife steht das Korn und große weiße Wolken lagern in der Ferne dort überm Dörfle. Der Großvater mit grasbeladenem Karren, die Bäuerin, die Kiepe auf dem Rücken, und der jüngste Spröß- ling mit einem Blumenstrauß, den er kaum tragen kann, so kehren sie vom Felde heim. Rudolf Schiestl hat diese Menschen fein beobachtet, dem Alten merkt man es an, wie schwer er zu schieben hat. Aber nicht nur darum war es dem Maler zu tun. Er liebt kräftige Farben, die er auch trefflich zu geben 'weiß. Die grüne Jacke des Alten, das rote Röckchen und die rote Kapuze des Kindes dominiren wohl im Bilde, aber sie sind kein Gegensatz, sondern nur das Thema in der Harmonie mit den übrigen Farben. Der Duft der Scholle weht aus dem Bilde. — Ein wunderbarer Reiz von Größe und Einsamkeit geht von Franz Hochs »Schloß am Meere« aus. Ein Monu mentalbau mit wenig Fenstern, rings vom Wasser umgeben, ragt es wie ein trotziger Felsen in die dunkeldräuenden, durch leuchteten Wolken. Sie brüten so geheimnisvoll, als sollte jeden Augenblick der Sturm aus ihnen hervorbrechen. Glatt liegt die düstere Wasserfläche, aber auch sie zeigt das Nahen des Gewaltigen — die weißen Kämme, die hie und da sich erheben, die das alte Gemäuer umlecken, als wollten sie seine Festigkeit zum letzten Male prüfen. Aber dieses Schloß wird jeder Brandung trotzen, es wird stehen bleiben als unüber windliches Symbol einsamer Kraft. — Mit Karl Theodor Meyer- Basel stehen wir hoch oben »Am Pilsensee«, auf weiter, braun gelber Fläche. Die Bäume nach dem See hinunter sind herbst rot im Laub. In der Ferne hebt sich der blaue Duft der Berge vom gelblichen Himmel ab. Der Schäfer kommt uns entgegen, er hat den Mantel um, es ist schon etwas kühl geworden . . . Der Grundton dieses Bildes ist wie das Laub der Bäume, wenn ein sonniger Herbst es golden färbt. — Wo die Herden nicht mehr hinaufgelangen, da hat der verwegene »Wildheuer« sein Reich. Es ist ein gefährlicher Beruf. Hans Beatus Wieland zeigt uns in wunderbar großzügiger Komposition einen dieser rauhen, gewandten Gesellen. Hoch oben und hart am Abhang dengelt er seine Sense. Halb stehend, halb knieend hebt er sich groß und scharf ab von den grauen Wolken und vom blauen Himmel. Unter ihm die schneebedeckten Häupter, um ihn der herbe Duft des Wildheues, so steht er, ein kraftvoller Höhenmensch, sicher und fest, wie unbewußt über Leben und Tod. — Der deutschen Jugend hat die Firma Breitkopf & Härtel in Leipzig im Verein mit hervorragenden Künstlern ein Ge schenk gemacht, an dem auch die Großen ihre helle Freude haben werden. Unter dem Namen »Kinder-Serie« hat sie zehn Blätter Steinzeichnungen im Format 40: 50 cm herausgegeben. Wirken die erstgenannten Blätter wie Oelgemälde, so haben die der Kinder-Serie im allgemeinen mehr den Karakter von Aquarellen. Was den Sinn der Kinder bewegt, die Märchen und Spiele sind es vorzüglich, welche hier von Künstlern wiedergegeben werden, die in der Kindesseele zu lesen verstehen. Die feinsten und innigsten Regungen haben sie ihr abgelauscht. Meister Hans Thoma hat einen Beitrag geliefert, köstlich und frisch: »Die sieben Schwaben«. Da sind sie wieder, der Herr Schulz, der Jackli, der Marli, der Jergli, der Michel, der Hans und der Veitli. Wie die sieben romantischen Helden da mit dem langen Spieß auf Abenteuer auswandern, wirklich wandern, das hat Thoma ganz meisterhaft getroffen. Und wie er sie gruppirt und karakterisirt hat! Das ist echter deutscher Humor! Ueber ihnen der fantastische Vogel, unter ihnen ein Fries, der in der Mitte ein kleines harmloses Häschen zeigt, das nach beiden Seiten in stilisirte Ungeheuer mit Hasenköpfen auswächst. Wem fällt da nicht der Vers ein: »Potz, Veitli, lueg, lueg, was isch das? Das Ungeheuer ischt a Has.« Vorm Dorfe unterm Apfelbaum sitzen Hans von Volk manns »Spielende Kinder«. Kleine pausbäckige Mädchen, die ein Sandhäufchen zusammengemullt haben, in welches sie Gänseblümchen pflanzen. Der Junge mit der Harke und dem großen Holzkrug steht dabei, zur Seite der weiße Hund: sie können beide nicht vorübergehen. Ein Idyll friedlichen Kinder glückes. — Franz Hein, der Märchenzeichner, führt uns den lieben »Knecht Ruprecht« zu. Dicht zusammengedrängt stehen die Kinder um den mit verborgenen Herrlichkeiten gefüllten Sack und schauen erwartungsvoll und wohl betend zu dem Alten auf, der so ernst, mit hocherhobener Hand zu ihnen ge sprochen hat. Das Erwartungsvolle der Stimmung wird durch feine Beleuchtung erhöht. Schlicht und einfach klingen diese Märchentöne. — Natürliche Anmut und den bezaubernden Lieb reiz der Jugend schildert Erich Kuithan im »Ringelreihen«. Im Hintergründe die Bäume mit den goldenen Aepfeln, vorn die spielenden Kinder in den hellen Röckchen. Die beiden Blondinen, vor allem aber dieser kleine Schwarzkopf mit der blauen Schleife im Haar: ein niedlich würdiges Prinzeßlein, den kleinen Ritter an der Hand. . Wer wird nicht jung bei diesem Bilde? — Matthäus Schiestl ist Symbolist. Er gibt das uralte Motiv vom »Schutzenglein«, aber er gibt es auf eigene Art. Der dunkle Wald hat etwas mystisches, die roten Fliegen pilze leuchten so lockend von der Waldwiese, auf der im Hemd das kleine Bübchen sitzt und staunend eins der schillernden Gewächse betrachtet. Dieses junge Leben hält den Tod in der Hand, aber er wird vorübergehen, denn wie eine Schwester kniet das Englein warnend hinter dem Kinde. Wer hat nicht schon dieses brennende Leuchten gesehen, wenn er einsam durch dunkle Wälder wanderte? Die Blätter beider Serien haben teils Hoch-, teils Quer format. Originalrahmen sind auch zu diesen Steinzeichnungen angefertigt worden. Wenn wir uns nun dieser jungen Bewegung freuen und ihr helfend den Weg bereiten, so tun wir es in der festen Ueberzeugung, daß die Künstler und Herausgeber auch Hüter ihres Gartens sein werden, damit nicht Unkraut sich einniste. Wie vielen großen schönen Unternehmungen folgte nach ein paar Jahren der Niedergang. Das Echte wurde langsam wieder verdrängt, und die Mittelmäßigkeit gewann die Oberhand. Daß aber dieser köstliche Wandschmuck immer mehr vervoll kommnet werde, dazu wollen wir alle beitragen.