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Nr. 44 1582 Buchgewerbe Buchbinderei * * * * * Steindruck * * * Buchhandel Eingesandte Werke finden Besprechung Sachliche Mitthellungen finden kostenfreie Aufnahme Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung Wiener Gesellschafts-Drucksachen Eigenbericht. Nachdruck verboten Die Gesellschaftszeit hat ihren Höhepunkt erreicht, und man beeilt sich, vor dem Beginn der Pferderennen rasch noch die letzten gesellschaftlichen Verpflichtungen zu erledigen, um dann aufs Land zu ziehen. Die Bestellungen auf Briefpapier für den Sommeraufenthalt mehren sich. Wer eine Villa oder gar ein Schloss sein Eigen nennt, lässt das Bild desselben in Stahlstich oder Heliogravüre auf den Briefbogen anbringen. Auch braune oder blauschwarze Prägung der Ansicht ist be liebt. Weniger anspruchsvolle Leute begnügen sich mit dem geprägten Namen der Besitzung. Lokomotive, Telegrafenstange, ein Brief deuten an, dass der Ort Bahn-, Post- und Telegrafen station ist, oder man setzt die nähere Ortsbestimmung bei. Hierzu wird jede Schrift verwendet, von glatten Grotesk- buchstaben bis zu den verschnörkelten Formen der Sezessions schriften. Dazwischen bringt man häufig noch Wappen oder sonstige heraldische Zeichen, manchmal auch nur das Mono gramm an. Wer nicht viel Geld ausgeben mag, lässt sich wenigstens in blauem, grünem oder rotem Buchdruck seine Sommerwohnung auf das Briefpapier drucken. Die Umschläge werden nur mit dem Monogramm oder dem Ort versehen. Wer ein eigenes Landhaus besitzt oder auch nur ein solches gemietet hat, muss natürlich seine eigenen Ansichtskarten davon haben. Diese Karten findet man in allen möglichen Aus führungen: Stahlstich, Gravüre, Lichtdruck, Buchdruck bis herab zur mehr oder minder misslungenen Liebhaber-Fotografie, ja sogar Lichtpause. Blickt man auf die abgelaufene Gesellsohaftszeit zurück, so lässt sich mit Genugtuung feststellen, dass manche Ge schmacklosigkeit sich überlebt hat. Zu Junggesellen-Essen lädt man nur noch mit 100X130 mm bis 120X170 mm grossen Karten aus Alabaster- oder Elfenbein-Karton ein. Runde Ecken, weisser oder vergoldeter Schrägschnitt sind nicht mehr modern. Die Ausführung erfolgt fast ausnahmslos in Buchdruck. Als Beispiel für den Text möge folgender dienen: Graf M. M. bittet Herrn - mit ihm am S7. März zu speisen Hotel Sacher 1/25 Uhr Für die Einladungen zu Mittagessen, Fünfuhr-Tees, Abend essen oder Gesellschaftsabenden gelten im Allgemeinen oben genannte oder nur wenig grössere Formate. Der Text wird ausschliesslich lithografirt. Wer besonders fein sein will, nimmt statt glattbesehnittener Karten solche mit Schöpfrand. Eine bekannte Wienerin, deren Abendessen sich durch ihre Kostbarkeit auszeichnen, liess jüngst ihre Einladungen mit den Namen der einzelnen Gäste lithografiren, sodass für jeden der Teilnehmer der Name neu gravirt werden musste. Auch die Kuvertadressen waren lithografirt, somit war für jeden Druck eine neue Gravur erforderlich. Die Einladungen auf weissen Schöpfkarton waren in der rechten Ecke mit einer kleinen kolorirten Stahlstich-Figur geschmückt, darstellend einen Herrn in Jabot und Kniehosen, den Zweispitz unterm Arm, einen Blumenstrauss überreichend. Die Speisenkarte war nicht minder reizvoll als grosse Doppelkarte in gelbem Büttenkarton ausgeführt. Auf die erste Seite war eine kleinere Karte auf gelegt, die eine Tänzerin im Anzuge vom Jahre 1790 in kolo- rirtem Kupferdruck zeigte. Ueber dieser Auflage stand das Datum, unter derselben war ein Rahmen geprägt, in welchen der Name des Gastes geschrieben wurde. Das Bild war mittels zweier Zungen, die entsprechenden Einschnitten in der grossen Karte entsprachen, auf der Speisenkarte befestigt. Entfernte man das Bild, so fand man darunter die gedruckte Speisenfolge. Auf der dritten Seite befand sich das Musik programm. Mit einer rosa Seidenschleife geschmückt, harmo- nirte die Speisenkarte aufs beste mit dem rosa Tafelschmuck, zu dem noch lichtrosa Rosen und Margueriten kamen. Eine kürzlich stattgefundene Hochzeit, deren männliche Teilnehmer sämtlich Offiziere waren, brachte eine hübsche Speisenkarte. Auf einer sandfarbenen Doppelkarte aus Schöpfkarton rankte sich ein Myrthenzweig, in dessen Mitte eine 40x60 mm grosse Szene einer Parforcejagd sichtbar wurde. Jagdbild und Myrthen waren kolorirte Stahlstiche. Ein zierliches modernes Monogramm und eine Barock-Einfassung für den Namen des Gastes, beides in Gold, erhöhten die Wirkung. Auf der Innen seite befand sich die Speisen-Ordnung. Für die Damen waren die Menüs auf Seide gedruckt und auf niedliche Mahagoni- Wandschirme aufgespannt. Leider wird dem Text auf solchen Speisenkarten, soweit die deutsche Zunge reicht, selten die gebührende Aufmerksam keit gewidmet, und so kommt oft das fragwürdigste »Küchen- Französisch« zu Tage. Entweder gibts eine »Speisenkarte«, »Speisenfolge«, »Gerichtsordnung« usw., dann gehört ein richtiges Deutsch auf die Karte, oder man hat »Menüs« in einem fehlerlosen Französisch, denn sonst machen sich Gast geber und Drucker gleich lächerlich. Am meisten wird gegen Akzente, Cedillen, Endungen und Geschlecht gesündigt. Hier muss der Drucker einsetzen, den Besteller auf Sprach widrigkeiten aufmerksam machen und die Richtigstellung nach eingeholter Zustimmung vornehmen. Am schönsten klingt ein richtiges Deutsch oder mindestens richtiges Französisch, da schon einmal der Franzmann die Küche und die Namen der Speisen beherrscht. Freilich kann man da unter Umständen merkwürdige Antworten bekommen, wie folgendes ergötzliche Erlebnis zeigt: In eine der feinsten Wiener Papierhandlungen kommt um die Mittagsstunde eine blonder Recke aus Osteibien und sagt zu einem Verkäufer: »Hier ist der Text, das Muster hat meiner Braut sehr gut gefallen, machen Sie davon X Stück und senden Sie solche nach G « Der Kommis liest den Text durch und frägt dann: »Soll das Alles so gedruckt werden, wie es hier steht, oder darf ich es in korrektes Französisch übersetzen?« Da setzt der Hühne ein geradezu niederschmet terndes Gesicht auf. »Jawoll! Das sind deutsche Speisen, die in einem deutschen Lande von Deutschen gegessen werden!« Sprachs, macht Kehrtum und schreitet stolz zur Thür hinaus. Alles guckte, und ich, neugierig gemacht, erbat mir den Text; hier ist er: MENÜ vom 26. April 1902 Consomme royal Pastetchen ä la Victoria mit gebackenen Austern Chateaubriand ä la barnaise garni Filet de soles ä la Marguery Salmy von Birkhahn ä la Perigord Frischen Helgoländer Hummer mit Mayonnaise Junge Pommersche Gans mit frischem Gurkensalat Salat — Compot Stangenspargel mit Butter Prinz Heinrich Bombe Käseschüssel Cafe Merk’s, Allmutter Germania, das Deutschtum besteht nur in Helgoländer Hummer, Pommersche Gans und Käseschüssel! Besuchs- oder Visitekarten — auch fälschlich Visit- oder Visitenkarten geheissen. Das lange, schmale Format ist noch immer modern und wird voraussichtlich auf lange Zeit seinen