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Nr. 27 PAPIER-ZEITUNG 965 Wiener Papier- und Schrelbwaaren Eigenbericht, Nachdruck verboten Nach einigen verspäteten Wintertagen glänzt Wien wieder im herrlichsten Frühlingswetter. Demgemäss haben sich die Auslagen der feinen Papierhandlungen in wahre Veilchengärten verwandelt. Ueberall ist das Veilchen vorherrschend. Briefpapier und Billets mit geprägten und kolorirten Veilchen, das Papier weiss oder zart bläulich, sind in allen Schaufenstern zu sehen. Die letzte Neuheit heisst »Violettes«, ein modernes quadratisches Format, mit grossen russischen Veilchen verziert. Die Aus führung geschah in violettem und grünem Buchdruck von ausserordentlicher Zartheit. Dazwischen sieht man Postkarten mit Veilchensträusschen in farbigem Lichtdruck. Die Nachfrage danach war derart, dass innerhalb weniger Tage die ganze Auflage dieses deutschen Erzeugnisses vergriffen war. In Wien allein dürften über 8000 Stück an einem Tage verkauft worden sein. Sträusschen von künstlichen Veilchen in den Auslagen haben den Verkauf sehr unterstützt. Für glatte Papiere sind alle Tönungen von Blau und Grün modern. Von dem altbekannten und noch immer beliebten »Van Dyk«-Papier abgesehen, ist ein fliederfarbenes Papier mit lila Rand »Pastells« sehr beliebt. Reizende Neuheiten sind »Linen Paper« und »Vert du Lac Leman«. Ersteres ein himmel blaues Leinenpapier, das trotz seiner Glätte eine prachtvolle Nachbildung von Leinengewebe zeigt und sowohl ohne als auch mit weissem Rand verkauft wird. Infolge seiner ausser ordentlich zarten und schönen Wirkung wird das weiss geränderte Papier sehr verlangt. Die Schachtel ist mit dem gleichen Papier wie der Inhalt überzogen, mit modernen Linien- Ornamenten in Weiss geschmückt und zeigt als Hauptzierde in einem Medaillon einen Frauenkopf mit modernem Schmuck in Plakatmanier. Dieser Kopf ist wohl der schönste, der in den letzten Jahren gezeichnet wurde. Vert du Lac Leman ist ein marmorartig gemasertes grünliches Papier von zarter Tönung. Die Schachtel zeigt denselben Ueberzug wie das Papier, mit einer aufgehenden, von Strahlen umsäumten goldenen Sonne, die sich in Wellen spiegelt. Während man zum Linen-Paper mit Vorliebe weisse Mono gramme wählt, gilt für Vert du Lac Leman Roth oder Gold als »mondain«. In Wien zieht man Sezessions-Monogramme vor. Eine etwas grosse und dabei manchmal plumpe Kombination, welche nur die Konturen zeigt, und eine kleinere zierlichere Art mit einem vollen und einem ausgehobenen Buchstaben sind vorherrschend. Nicht selten werden diese Monogramme mit einer modernen Randeinfassung gewünscht. Die früher so beliebten Liliput-Monogramme sind verschwunden, nur eine etwa 8 mm hohe Renaissance-Garnitur ist immer noch gang bar. Auch Block- oder Faksimile-Buchstaben sind noch beliebt. Von dekwirten Papieren ist äusser den schon erwähnten Veilchen- und Violettes-Kassetten ein kräftig grünes »Je porte bonheur« zu sehen. Es stellt Vierklee in goldenen modernen Ranken vor und wirkt sehr hübsch; daneben giebt es noch Mädchen- und Kinderfiguren in blauem oder sepia Kupfer druck. Ebenso Waidmannsbriefe in olivgrünem Kupferstich, sehr naturgetreu gezeichnet, in Form von Kopfleisten. Eine andere hübsche Aufmachung sind Quartblätter mit Jagd- Dessins in Stahlstich und glatten Umschlägen für den zweimal gefalteten Bogen. Ausserordentlich schön in mehrfarbigem Buchdruck ausgeführt sind die Kassetten »The five Senses«, Darstellungen der fünf Sinne; »Papier gracieux«, reizende Mädchenköpfe; »Fleurs cheries«, in leuchtenden Farben ge druckte Blumen in moderner Auffassung. Die Neuheiten früherer Saisons, »Papier Gopenhague«, eine wundervolle Imitation des Kopenhagener Porzellans, »Bronze d’Art« und »Bronze Empire«, patinagrünes und bronzebraunes Papier ohne und mit Prägung weiblicher Köpfe und Figuren im neuen Stile, behaupten sieh noch immer in der Gunst des Publikums. Von Neuheiten in Stahlstich-Kassetten der letzten Saison brachte die hervorragendste Wiener Firma dieses Zweiges eine Anzahl prächtiger Schöpfungen auf den Markt. Auf Bütten papier ausgeführt, in geschmackvollen Kartons verpackt, bilden sie einen sehr begehrten Geschenkartikel. Meistens sind es anmuthige Mädchenköpfe, schwarz und kolorirt, griechische Frauenfiguren oder Köpfe, Scenen aus den Tuilerien aus der Zeit des Roi Soleil usw. in sorgfältigster Ausführung, welche feinen, vornehmen Geschmack verrathen. Der Schlager der Saison war unstreitig »Bas-Relief«. Diese entzückende Neuheit stellt ein weisses Papier dar, dessen erste Seite zur Genüge mit einer gelungenen Reproduktion in Grau von Marmor-Reliefs bedeckt ist. Die Nachbildung ist so gut, dass man wirklich Bas-Reliefs vor Augen zu haben meint. Dieselben Muster in gelblichbrauner Tönung auf gelblichem Papier »Ivoires anciennes« waren trotz ihrer Schönheit weniger begehrt. Eine Konkurrenzfirma brachte unter dem gleichen Namen eine Kassette mit gelblichem Schöpfpapier heraus, das in der linken oberen Ecke mit einer reliefgeprägten Plakette in Altsilber, Gold oder Kupfer versehen war. Dagegen sind die von Deutschland hereingekommenen unbefugten Nach ahmungen der ersterwähnten Sorte in Postkartenform schlecht ausgefallen und wurden trotz der hübschen grünlichen und grauen Farbe abgelehnt. Zu Gratulationskarten, Menü- und Tischkarten wurden die obenerwähnten Neuheiten mit verwandt, auch hierin zeigt sich feines Schönheitsgefühl. Dies beweisen die zahlreichen Be stellungen aus dem Ausland. Besonders in Hochzeits-Menüs, freilich nur für die oberen Zehntausend, wird ein Geschmack und Luxus entfaltet, der Paris und London schon lange in den Schatten gestellt hat. Die Ausführung geschieht gewöhnlich als Doppelkarte in Schöpfkarton und kolorirtem Stahlstich oder Gravüre. Die erste Seite stellt entweder einen prächtigen Hochzeitszug dar, wovon es verschiedene Muster giebt, oder die Bilder des Brautpaares, umrankt von Myrthenzweigen, zu weilen auch nur Myrthenzweige allein, in diesem Falle kommt noch das Monogramm des Brautpaares dazu. Diese Karten, mit breitem weissem Seidenband gebunden, bilden eine schöne Erinnerung und werden von jedem Gast gern aufbewahrt. Tischkarten werden gewöhnlich für diese Feste nicht verwendet, da auf dem Menü ein Raum zum Einschreiben des Namens ausgespart ist. Tafelkarten mit lebenden Blumen zu schmücken gilt nicht mehr für vornehm. Bronzen für den Schreibtisch als Petschaft, Papiermesser, Briefbeschwerer, Schreibschalen usw. werdenhauptsächlich braun oder künstlich patinirt sowie in diesen beiden Farben zusammen ausgeführt. Meistbegehrt ist »Art nouveau« mit seinen über schlanken, theilweise unbekleideten weiblichen Figuren, aber stets in künstlerischer Ausführung. In einzelnen Ateliers be ginnt die Pariser Weltausstellung nachzuwirken, da viele Wiener Künstler dort ausgestellt hatten. Auch die Renaissance streckt wieder ihre Fühler aus. Die entzückenden Neuheiten, welche für die kommende Saison vorbereitet sind, lassen dies bereits merken. Postkarten! Ein entsetzlicher Name für den Kleinhändler! Jeder Tag, nein fast jede Stunde bringt Neuheiten, und was heute früh neu war, ist mittags vielleicht schon veraltet. Das Weihnachtsfest brachte eine hübsche Serie schneeball werfender und eissporthuldigender Directoire-Figuren. Neujahr ebenfalls Directoire, aber »vernewert« und mit modernen Symbolen, Glücksklee, Glücksschweinchen und Hunden. Dazu eine Dackel-Serie: Dachshunde in der Koppel und einzelne Dachshund-Köpfe zwischen Fichtenzweigen, alles grossartig kolorirt. Dann herrliche Frauenköpfe in modernen Orna menten, die nicht umsonst »Gracieuses« getauft waren. Ferner »Kinderköpfe«, eine reizende Nachbildung von Pastellen, darstellend einzelne Kinderköpfe mit Kirschen, Pudel oder Katze, zu Zweit mit Poppe oder zu Dritt mit Schmetter lingen. Und gar die Osterkarten! Kinder hinter einem Zaun, die Hasen füttern, oder in Ringelreihen um einen Weiden baum im Schmucke der Palmkätzchen, drei entzückende Kinder, die auf Lämmchen reiten, von Wiehera gezeichnet. Eine andere Serie zeigt grosse Ostereier, die von Mädchen be malt oder getragen werden. Freier aufgefasst sind Mädchen figuren, die aus Eiern herauskriechen. Diese Serie dürfte, ob wohl ohne Namenszug, von Raphael Kirchner herrühren, da sie die bekannte Kirchner’sche Frauengestalt aufweist. Ebenso prächtig wirkt die jüngst in der Papier-Zeitung beschriebene Kirchner-Serie. Vom Maler Docker sind fünf hübsche Land schaften umrankt von Palmkätzchen-Zweigen in farbiger Litho grafie erschienen, die leider zu zart, infolgedessen zu matt aus gefallen sind. Gerade das Gegentheil gilt vom Druck der von Schindl entworfenen Karte; die stellenweise laienhafte Kolori- rung verdirbt den ganzen Eindruck. Mailick hat eigentlich nichts Neues, Originelles gezeichnet, alles alte Sujets, manch mal sehr für naive Gemüther berechnet; die Chromolithografie dieser Karten zeigt gar keinen Fortschritt, grellbunt, mit einem Wort »Bauerntanz«. Lebhafter Nachfrage begegnet eine Kartenserie mit buntgedruckten und geprägten Osterspeisen: Schinken, Görzer Pinze, Osterstritzel, Bretzeln usw. Die Welf