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3330 Nichtamtlicher Theil. ^ 212. 11. September. Kritik und wies mit schlagenden Gründe» nach, daß mit einer Be stimmung, welche dem Richter das Recht der Beschlagnahme ein räumt, nicht das Mindeste gewonnen sei, indem man damit den Richter eigentlich nur zum Polizeibeamten herabwürdige und ihn zwinge, in einer Sache, welche er noch gar nicht untersucht habe, ein llrlheil zu fällen. Schließlich empfahl Referent die Berathung nur über §.9. des Entwurfes zu eröffnen, da die übrigen Theile desselben nicht beanstandet werden, und beantragte daraufhin die gänzliche Aufhebung der vorläufigen Beschlagnahme als prin zipielle Forderung auszusprechen. Hr. Klette von der Vossischen Zeitung stimmte den Ausfüh rungen des Referenten i» seiner Eigenschaft als Korreferent voll ständig bei und führte in lebendiger Rede aus, wie mit dem §. 9. die Freiheit der Presse stehe oder falle; denn alles klebrige komme demselben an Wichtigkeit in keiner Beziehung nahe. Die vorläufige Beschlagnahme durch den Richter nannte Redner noch unsinniger als die durch den Polizeibeamten vorgenommene. Zur Begründung seiner Aufstellung brachte Redner zahlreiche Beispiele aus dem vorigen Jahre, da die Berliner Blätter der Reihe nach confiscirt worden. Angesichts solcher Thatsachen erntete er allseitigen lebhaftesten Bei fall, als er zu dem Schluffe kam, die Censur sei ihm noch lieber als die vorläufige Beschlagnahme. Hr. Lecher von der „Presse" wies darauf hin, daß durch die vorläufige» Beschlagnahmen nicht allein die Eigenthümer und das Publicum, Abonnenten und Inserenten, geschädigt würden, sondern auch die Interessen der Journalisten. Man denke nur an die end losen Klagen der Eigenthümer über den Ruin ihrer Blätter gelegent lich einer Confiscation und wie die Stellung der Redakteure dadurch erschüttert werde. Darum müsse man mit der Confiscation in den Gesetzgebungen Deutschlands und Oesterreichs ein Ende machen. Sämmtliche Redner sprachen sich mehr oder minder scharf über die Beschlagnahme und die Beschränkung der Colportage aus, namentlich auch Professor Or. Richter von der „Neuen Freien Presse". Derselbe erklärte Namens seiner Landsleute, daß sie auf Grund dessen, was sie in der Hohcnwartischen Periode in Oester reich erfahren hätten, das lebhafteste Interesse dafür empfinden, daß der Artikel 9. nach dem neuen Ausschußantrage angenommen werde. Denn wenn auch das oesterreichische Gesetz im Falle ungerechtfertigter Beschlagnahme eine nachträgliche Aushebung derselben feststelle, so könne doch der materielle Verlust, wenn einmal durch polizeiliche Willkür herbeigeführt, nicht mehr wieder gut gemacht werden, weil die Aufhebung der Beschlagnahme unter Umständen so spät erfolge, daß von einer günstigen Nachwirkung keine Rede mehr sein könne. Die Preßzustände in Oesterreich seien in mancher Beziehung gün stiger, in manch' anderer wieder ungünstiger, als imDeutschen Reiche und den zugehörigen Ländern, die sich nicht überall der Geschwornen erfreuten. Sie seien bestrebt gewesen, eine Besserung der Preß zustände herbeizuführen, namentlich die Stempelsteuer abzuschaffen und die Colportagcfreiheit zu gewinne», welche für die Agitation in freiheitlichen Dingen wie für die Erhaltung kleiner unabhängiger Blätter eine Lebensfrage sei. Aber der Finanzminister habe sich da gegen ausgesprochen, habe sogar auf die Steuerreform vertröstet. Der Gesetzentwurf entspreche den Wünschen seiner Landsleute voll ständig, und sie würden deshalb denselben zum Gegenstände ihrer Agitation machen: Die Rechtseinheit sei für Deutschland und Oester reich ein nicht hoch genug zu schätzendes Gut. Ueberdies hätten sie für diese Agitation auch noch einen nationalen Grund. Wenn sie auch z. Z. auf territorialem Gebiete getrennt seien, so wollten sie doch wenigstens auf geistigem Gebiete einen Zusammenhang mit Deutschland haben und deshalb beantrage er auch diesmal wieder die Mitthcilung des Berichtes über die Berathungen des Jour nalistentages an die oesterreichische Reichsvertretung. So wurde, nachdem auch noch Hahndorf (Cassel), Bürgers u. A. sich an der Debatte betheiligt, dem Anträge des Referenten entsprechend der Art. 9. des Entwurfes, der de» Richtern die Be- sugniß der Confiscation einräumt, verworfen und einstimmig be schlossen, daß keinerlei Beschlagnahme als Präventiv-Maßregel zulässig sei. Leider finden wir nun den Juristentag nicht in der wünschens- werthen glatten llebereinstimmung mit diesem Votum der Journalisten. In der (3.) Abtheilung für Criminalrecht kam in deren Sitzung am 29. August die Frage zur Verhandlung: „Fordert es die noth- wendige Freiheit der Presse und genügt es der Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit, daß bei den mittelst der Presse verübten straf baren Handlungen die allgemeinen Strafgesetze und Strasrechts- grundsätze ausnahmslos zur Anwendung kommen? oder sollen in gewissen Hauptpunkten (eventuell in welchen?) Ausnahmen statt finden, und welche Ausnahmen sind a) im Interesse der nothwendi- gen Freiheit der Presse erforderlich und zugleich ohne Nachtheil für die öffentliche Sicherheit zulässig? l>) im Interesse der öffentlichen Sicherheit geboten?" Referent Hofgerichtsadvocat vr. Jacques aus Wien: Er sei gegen die Unterscheidung von eigentlichen und uneigentlichen Preßdelicten, wie sie Glaser in seinem Gutachten über die vor liegende Frage mache. Dieselbe sei unpraktisch. Alle Bestimmungen, die auf der Anschauung basirten, daß die Presse gefährlich sei und daß sie besonderer Ueberwachung bedürfe, wolle er nicht. Die freie Meinungsäußerung sei sowohl ein Recht des Individuums, als ein unabweisbares Bedürfniß der Gesammtheit. Jedenfalls seien sür sie nur gesetzliche Grenzen zulässig und nicht durch Verwaltungs willkür gegebene. Er erinnere an das Wort eines belgischen Ju risten: „He cnnaliseL pns In penstze". Es sei die glückliche Fassung unsers Strafgesetzbuches bezüglich der Schmähungen und Aufforderungen zu strafbaren Handlungen zu loben. Keinensalls seien aber Präventivmaßregeln, welcher Art sie auch sein mögen, weder Concessionsertheilung, noch Cautionspflicht, noch Zeitungs stempel, noch Einreichung eines Pflichtexemplars, noch zeitweise Unterdrückung zu billigen. Er beantragt: ,,I) Die Hervorbringung und der Verkauf von Erzeugnissen der Presse, die Colportage und das Anhcften von Placaten haben ausschließlich den Bestimmungen der Reichs-Gewerbeordnung zu unterliegen. Eine Entziehung der Befugniß zum Gewerbebetrieb findet nicht statt. 2) Alle Präventivmaßregeln (Concessions ertheilung, Cautionspflicht, Zeitungsstempel, Pflichtexemplar, zeit weise Unterdrückung) sind unzulässig." Diese Anträge wurden mit großer Majorität angenommen. Ferner beantragt Referent: „Jede vorläufige Beschlagnahme, sowohl administrative als richterliche, ist unzulässig." Eine solche enthalte einen schweren Eingriff in das Privateigenthum, stände, da sie ohne contradictorisches Verfahren vor sich gehen solle, im Wider spruche mit den allgemeinen Prinzipien der Rechtspflege. Staatsrath Zachariä aus Göttingen: Er stimme im Großen und Ganzen dem Referenten bei. Doch dürfte die Befugniß der Staatsgewalt, Verbrechen, welche durch die Presse begangen worden sind, zu ahnden und resp. derartige Verbrechen zu verhindern, nicht beschränkt oder aufgehoben werden. Er sei deshalb für gerichtliche Beschlagnahme. Or. Lenz aus Wien: Er sei mit dem Referenten einverstan den. Nach der Präventivtheorie des Vorredners wäre man auch gezwungen, alle Bäume zu fällen, weil Knittel zur Beibringung von Körperverletzungen daraus geschnitten werden könnten. Fränzel aus Dresden beantragt: „Die Beschlagnahme von Preßcrzcugnissen ist nach Ablauf von 10 Tagen, von der Hinaus- gabe jener an gerechnet, unzulässig."