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No. 41. Berlin, den 10. Oktober 1901. XVI. Jahrgang. Kigenthum des Verbandes der Handelsgärtner Deutschlands, Organ des Gartenbau-Verbandes für das Königreich Sachsen, herausgegeben unter Mitwirkung der hervorragendsten Fachmänner des In- und Auslandes. Das „Handelsblatt für den deutschen Gartenbau etc.“ erscheint am Donnerstag jeder Woche. Abonnementspreis für Nlcht-Verbandsmitglieder in Deutschland u. Oesterreich-Ungarn pr. Jahrgang 8 M. 50 Pf., für das übrige Ausland IO M., für Verbandsmitglieder kostenlos. Verantwortlicher Redakteur: F. Johs. Beckmann in Steglitz-Berlin. Verlag: Verband der Handelsgärtner Deutschlands, eingetragen auf Seite 179, Band IV, des Genossenschaftsregisters des Königl. Amtsgerichts zu Leipzig Paragraph 616 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Unter den 2385 Paragraphen des Bürgerlichen Gesetz buches giebt es eine grosse Anzahl, die, wenn man den Versicherungen von dieser oder jener Seite Glauben schenken will, sehr verbesserungsbedürftig sind und eigent lich recht wenig taugen. Dieses Schicksal theilt auch der obengenannte Paragraph. Er befindet sich in dem 7. Ab schnitt desGesetzes unter „Dienstvertrag“ und hat folgenden Wortlaut: Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnissmässig nicht erhebliche Zeit.durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Er muss sich jedoch den Betrag anrechnen lassen, welcher ihm für die Zeit der Ver hinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt. Es sei vorweg bemerkt, dass diese Bestimmung für alle Dienstverhältnisse Geltung hat, seien dieselben solcher Personen, welche der Reichsgewerbeordnung unter stehen, oder nicht. Es ist nun im Laufe dieses Sommers in mehrfachen Fällen vorgekommen, dass auch aus unseren Mitgliederkreisen Zuschriften an uns gelangten, aus denen wir entnehmen mussten, dass dieser Paragraph auch inner halb ihrer Betriebe und mit einzelnen Angestellten zu Differenzen Veranlassung gegeben hat. In den einzelnen Streitfällen wird es ja immer der Entscheidung des Richters überlassen bleiben, was unter einer verhält nissmässig nicht erheblichen Zeit zu ver stehen ist, und für wie stichhaltig die vorgebrachten Gründe ohne ein Verschulden des Arbeitnehmers an gesehen werden. Zweifellos ist aber, dass, wie für jeden anderen Beruf, auch für den unseren dieser Paragraph von Interessse und Wichtigkeit ist. Dass man nun aber allgemein mit dessen jetziger Fassung unzufrieden ist und in ihm eine Schädigung der Arbeitgeber erblickt, das geht aus der Verhandlung her vor, die den im September in Lübeck abgehaltenen Ver bandstag der deutschen Gewerbegerichte, welcher fast ebenso zahlreich von Arbeitnehmern als von Arbeitgebern besucht war, zu diesem Punkt beschäftigten. Ueber diesen Paragraphen 616 bezw. über die Frage, ob er d u r c h V e r - trag auszuschliessen oder zu beschränken sei, hielt Gewerk meister Mett-Plauen i. V. einen besonderen Vortrag, an den sich eine lebhafte Debatte knüpfte, und den wir nach stehend im Auszuge wiedergeben: Die Frage: was unter „verhältnissmässig nicht erheblicher Zeit“ zu verstehen, sei die meist umstrittene. Das richterliche Er messen hat allein darüber zu befinden. Und dieses Ermessen weicht naturgemäss sehr weit von einander ab. Das ist bei der Tragweite der Bestimmung, die dem Arbeiter in allen möglichen Fällen bei Nichtleistung der Arbeit den Fortbezug des Lohnes für „verhältniss mässig kurze“ Zeit sichere, sehr bedauerlich. Mit Recht darf die Frage aufgeworfen werden, wie der Staat dazu kommt, dem Arbeit geber die Vergütung für den Verlust zuzumuthen, der dem Arbeiter etwa durch staatliche Verpflichtungen, Vertretungen, Kontrol- Versammlungen, militärische Uebungen und dgl. erwächst. Der Justizfiskus braucht Zeugengebühren blos zu zahlen, wenn wirklich ein Erwerb versäumt wird, dies ist für den Arbeiter nicht der Fall, wenn der Arbeitgeber ihm die Zeit bezahlen muss. Zu den juristischen Zweifeln gesellen sich gewisse praktische Bedenken gegen den § 616. So wird z. B. die Karenzzeit bei der Kranken versicherung, die Simulationen verhüten will, gegenstandslos ge macht. Der Arbeitgeber ist durch den § 616 der Gefahr der Simu lation preisgegeben, denn bei kürzeren Krankheiten können die Richter von Beibringung eines ärztlichen Attestes absehen. Während die Arbeiterversicherung Werth darauf legt, die Lasten möglichst zu vertheilen, bürdet der § 616 einen wesentlichen sehr drückenden Theil dieser Lasten dem Arbeitgeber allein auf. Bei seiner unbeschränkten Anwendung würde er von denjenigen Arbeitern, die nicht gern arbeiten und es mit der Wahrheit nicht genau nehmen, nach Kräften gemissbraucht werden. Bisher hatten solche Arbeiter, wenn sie nicht arbeiten wollten, wenigstens eine Kürzung ihres Lohnes in den Kauf zu nehmen. Nach § 61'6 können sie unter dem Vorwande des Unwohlseins ruhig fehlen, ohne ihre Einnahmen geschmälert zu sehen; denn das Gewerbegericht kann in solchen Fällen die Beibringung eines ärztlichen Attestes nicht immer verlangen. Soll wegen der geringfügigen Summen jedes mal ein Zeugenapparat aufgeboten werden? Die Abneigung und das Misstrauen der Arbeitgeber gegen die Gewerbegerichte wird dadurch noch verstärkt werden. Auch die Schwierigkeiten bei Berechnung der Vergütung werden. Anass zur Unzufriedenheit