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Politische Rundschau. Deutschland. * Der Kaiser gab am Sonntag persönlich den Königen von Württemberg und Sachsen daS Abschiedsgeleit nach dem Anhalter Bahnhof. Am Montag hörte er den Vortrag des Reichskanzlers in dessen Palais und später im Schloß den Vortrag des komman dierenden Admirals und des Staatssekretärs des Reichsmarineamts. Sämtliche fürstlichen Gäste, die zur Kaiser-Geburtstagsfeier nach Berlin ge kommen waren, haben die Reichshauptstadt wieder verlassen. * Wie verlautet, hätte der Kaiser in einer Unterredung mit dem Bildhauer Begas seine Zu stimmung gegeben zu einer Abänderung des KatserWilhelm-Denkmals, die darin bestehe, daß die geplante Säulenhalle wegsällt, und das Denkmal endgültig auf dem Königs- Platz vor dem neuen Reichstagsgebäude aufge stellt werden soll. * Aus Anlaß des Hannoverschen Sptelerprozesses schwebt nach der ,Voss. Ztg.' noch eine ganze Reihe ehrengerichtlicher Untersuchungen gegen Offiziere. In einigen Fällen, in denen das ehrengerichtliche Urteil bereits gefällt worden ist, habe man bei Beur teilung der Sachlage eine so große Milde walten lassen, - daß der Spruch die kaiserliche Bestäti gung nicht gefunden habe und die nochmalige Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens be fohlen worden sei. *Die Kommandierungen von württem- bergischen Offizieren zur preußischen Armee auf Grund der neuen Vereinbarungen haben begonnen. Es find am 27. d. ein Major und vier Hauptleute in preußische Truppenteile versetzt, darunter zwei Hauptleute als Kompanie- chels zur Infanterie, einer als Batteriechef zur Feld-Artillerie, ei ' Hauptmann und ein Major als aggregiert zu Infanterie-Regimentern. Ferner ist der zum großen Generalstab kommandierte Major Löffier nach Württemberg zurückgekehrt und durch den Hauptmann Dörrer, bisher beim Generalstab des 13. Armeekorps, ersetzt worden. * Die Verhandlungen über die Aufhebung der Staffeltarife zwischen den preußisches und bayrischen Kommissaren haben eine k>^ ' ! Unterbrechung erfahren, da die bayrischem missare nach München gefahren sind, unj ^ ^ von ihnen behauptete pretsdrückende Staffeltarife für Bayern das Ben-K^uno de beschaffe-. Die Unterbrechung dürfte höchstens 14 Tage Verhandlungen * Das Detacheme^ , welches bekanntlich die sässigen Polizeisoldaten ^uhe gegen die auf telegraphischen NackMN Herstellen soll, ist, einer des Detachement Hicht zufolge, unter Führung Kamptz am S »s - Kommandeurs Hauptmann ^onntag dort eingetroffen. * Oesterreich-Ungarn. D-w m Montag traf in Wie ec-Neustadt eine utation aus Brasilien ein, um Dom edro Grafen Eu, der sich als Zögling in der dortigen Militär-Akademie befindet, zu begrüßen. Die Erlaubnis zu dieser Begrüßung war seitens der Deputation selbst vorher im Wiener Aus wärtige Amte nachgesucht und von diesem erteilt worden. Die Devutation ging über Wien nach Budapest, um bei der ungarischen Waffenfabrik eine größere Bestellung für die brasilianische Regierung zu machen. Frankreich. *Jn der Montagssitzung der Zollkommission teilte die Regierung mit, sie werde einen Gesetz entwurf vorlegen, durch den der Zoll auf Getreide aus sieben Frank festgesetzt und der Zoll auf Mehl entsprechend erhöht wird. Die Vorlage soll die Regierung ermächtigen, den Zoll sofort vom Tage der Einvringung der Vorlage ab zu erheben unter der Bedingung der Rückzahlung des Zolles im Falle der Ab lehnung der Vorlage. * Wegen seines Zwischenrufs in der Kammer „Es lebe die Commune!" ist der Abgeordnete „in der blauen Bluse" Thivrier für fünfzehn Sitzungen von der Kammer ausgeschlossen worden. Dieser Ausschluß hat noch unangenehme Folgen. Es werden auf Kosten Thivriers 200 Abzüge des betreffenden Kammerbeschlusses gedruckt und in allen Gemeinden seines Wahlkreises ange schlagen; sodann wird dem Ausgeschlossenen ein volles Monatsgehalt (666 Frank) abgezogen. *Die französische landwirtschaftliche Gesell schaft hat dem Wunsche Ausdruck gegeben, es möchten zwischen den Ver. Staaten, den der lateinischen Münzunion angehörenden Ländern, sowie England und Deutschland aus Veranlassung Frankreichs Unterhandlungen ein geleitet werden behufs Herbeiführung eines Ein vernehmens und eines gemeinsamen Münz gesetzes, das von wenigstens diesen Mächten anzunehmeu wäre. (Diese Wünsche begegnen sich mit denen der Anhänger der Doppelwährung in Deutschland.) Belgien. * Die Brüsseler freie U niversität ist wegen Studentenunruhen geschlossen wor den. Der Rektor selbst gedenkt nun eine Uni versität zu gründen, die die sozialistisch-materia listische Weltanschauung vertritt. Schweiz. *Jn Zürich hat am Sonntag eine Straßen kundgebung zu grinsten der sizilianischen Aufständischen stattgefunden, wobei be sonders vor dem Hause des italienischen Kon suls arge Tumulte entstanden. Italiener und deutsche „Unabhängige" waren bei den Kund gebungen beteiligt. Die Polizei nahm 15 Ver haftungen vor und stellte die Ruhe wieder her. Spanien. *Wie aus Melilla gemeldet wird, ist infolge von anhaltenden Regengüssen der Typhus unter den spanischen Truppen ausgebrochen. Bereits 400 Mann liegen in den Spitälef^hg- nieder. Die Soldaten sind tief in Ux'MoMe geraten, so daß an ein kriea^sches Vorgehen augenblicklich keinesfalls zr^ , ist. (Es scheint daß auch die fische Regierung mit ihren Verhandlungen die Moräste" gerät.) . „ ... ' Nutzland. Unmitt'^h^. nach Abhaltung eines Fest- Ehren des Geburtstages Kaiser Wil- ist der Zar am 27. Januar ziemlich ^«tig an Influenza, verbunden mit Lungen entzündung, erkrankt. Der Zar hat eine starke Körperkonstitutiou und so dürften die neuerlichen Berichte, die von erheblicher Besserung mel- deu, anhalten. Balkanstaate« *Jn diplomatischen Kreisen Belgrads verlautet, daß, da die russische Regierung die Anwesenheit des Königs Milan in Serbien als ungesetzlich betrachtet, der russische Gesandte Persiani angewiesen worden sei, jeden offiziellen Verkehr zu vermeiden. Der französische Gesandte hat sich der Haltung Persianis augeschlossen. * Die Fürstin vonBulgarien ist am Dienstag früh von einem Prinzen entbunden worden. " In dem Prozeß wegen derErmorduug des Prinzen Ferdinand lautet das Urteil : Luka Iwanow wurde zu 15 Jahr, dessen Bruder zu 3 Jahr Gefängnis verurteilt. Afrika. »Dem Vizekönig von Aegypten paßt die politische Vormundschaft Englands durchaus nicht. Kürzlich machte er eine Reise nilauswärts und sand an dem Truppenwesen, das bekanntlich englischen Offizieren untersteht, allerlei auszu setzen. Die Engländer zwangen ihn aber, in einem Tagesbefehl seiner Zufriedenheit Ausdruck zu geben. Abbas mußte in den sauren Apfel beißen, aber die Säure teilte sich auch seinem Tagesbefehl mi t. Die englischen Kreise sind darüber so unzufrieden, daß der .Daily Telegraph' von einer Absetzung des Vize königs spricht, wenn dieser nicht bedingungslos zu Kreuze kriechen will. Amerika »In Brasilien ist, anscheinend auf amerikanische Vermittelung, eine Verständi gung zwischen den feindlichen Parteien ver sucht worden, die aber gescheitert ist. Admiral da Gama hatte au Bord des „San Francisco" in Anwesenheit deS amerikanischen Admirals Benham eine Zusammenkunft mit einem Sekretär Peixotos, behufs Herbeiführung eines Einvernehmens zwischen Peixoto und den Auf ständischen. Die Unterhandlungen sind aber ge scheitert. Die Feindseligkeiten dauern fort. Deutscher Reichstag. In der Montag-Sitzung wurde zunächst die Ver längerung des bestehenden Handelsprovi soriums zwischen dem Reich und Spanien auf die Zeit bis einschließlich zum 31. März d. in dritter Beratung debattelos angenommen. Darauf folgte die erste Beratung des Gesetzentwurfs betr. die an - derweite Ordnung des Finanzwesens des Reichs. Staatssekretär Graf v. Posa- dowsky hob in seiner Einleitungsrede hervor, daß inzwischen die Einzellandtage Gelegenheit gehabt hätten, sich sehr günstig über diese Finanzreform auszusprechen. Die verbündeten Regierungen hielten die vorgeschlagene Reform für eine finanzielle und politische Notwendigkeit. Der Schatzsekretär wies dann im einzelnen nach, daß es nicht thunlich er scheine, die nötigen Mehreinnahmen aus einer Wehr steuer, aus einer über die Regierungsvorlage hinaus erhöhten Börsensteuer, aus Beseitigung der Liebes gabe, aus einer Jnscratenstcucr oder einer Bierstener zu erzielen. Die verbündeten Regierungen erstrebten 1. eine feste Relation zwischen Matrikularbeiträgen und Ueberweisungen, 2. die Bildung eines Reserve fonds in guten Jahren, 3. Zuschläge zu der Ver brauchssteuer und Zöllen zur cvent. Deckung von Fehlbeträgen. — Abg. Lieber (Zentr.) verliest darauf im Namen seiner politischen Freunde eine Erklärung, wonach dieselben ernstliche Bedenken gegen wesentliche Einzelbestimmungen der Vorlage hätten und den gegenwärtigen Augenblick nicht für geeignet zur Durchführung einer solchen Reform hielten. Die hier vorgejegte Finanzreform könne nicht ohne eine wesentliche Erhöhung, der indirekten Steuern statt- finden. Eine solche... ah«. b^AlssAaniederliegen der EMrbstzxPMjsse weiter Volksklassen in allen Erwerbszweigen, ganz besonders der Landwirtschaft, einzuführen, wäre sehr bedenklich, besonders da schon die Aufbringung der für die Militärvorlage not wendigen Kosten, die gegen ihre Stimmen bewilligt worden, äußerst schwer erschiene und auch die zur Durchführung der Vorlage vorgeschlagenen Steuern in der Hauptsache als nicht geeignet erscheinen. Wir müssen bestrebt sein, Ersparnisse im Reichshaus halt eintreten zu lassen; eine Aera von Sparsam keit muß inauguriert werden. — Abg. Rickert (frs. Vgg.): Ich bin auf alle Fälle Gegner des Finanzreformgcsetzes. Auch wir stimmen für Ein schränkung des Haushaltes. Wir haben nach reif licher lleberlegung die Militärvorlage angenommen und werden redlich auf Deckung der Kosten sinnen. Diese dürfen aber nicht die schwachen Schultern be lasten. Die Aushebung der Liebesgabe ist sehr wohl durchführbar. Ich verwerfe die Vorlage vom finan ziellen wie konstitutionell-rechtlichen Gesichtspunkt aus und bitte, die zweite Lesung alsbald im Plenum vorzunehmen. — Preuß.Finanzminister Dr. Miquel: Wann sollen wir denn mit der Reform beginnen? Wir müßten bei Ablehnung der Vorlage zu Anleihen unsere Zuflucht nehmen und wir werden die Einzel- staaten höher besteuern müssen. Soll es dahin kommen, daß die Einzelstaatcn im Reiche ihren Feind er blicken ?! Wir wollen den Einzelstaatcn die Ge währ von Mehrüberweisungen bürgen. Direkte Steuern sind innerhalb des Reiches nicht durchzu führen. Wir bestehen ja nicht gerade auf den vierzig Millionen, die wir überfordern; aber das Prinzip einer Mehrforderung möchten wir wenigstens aner kannt wissen. — Abg. Graf zu Limburg- Stirum (freik.): Die jetzige Finanzwirtschaft kann nicht länger fortgesetzt werden. Eine Reichs - Ein kommensteuer ist unmöglich, nachdem die direkten Steuern in den Einzelstaatcn, zumal in Preußen, bedeutend erhöht worden sind. Die geringen Reichs betriebseinnahmen bedingen geradezu eine Finanz reform. Wir werden mit aller Energie für den Re gierung sentwurf cintrctcu. — Ein Vertagungsantrag wird angenommen. In der Sitzung vom Dienstag wurde die erste Beratung des Gesetzentwurfs betr. die Reichs- finanzreform fortgesetzt. Abg. Richter (frs. Vp.) betont, daß weder in Versammlungen, noch in der Presse, noch auch in den Parlamenten die Vor lage Zustimmung finde. Man fühle allgemein heraus, daß es sich nur um eine Vermehrung der Steuern, um Steuern auf Vorrat handle. Die Drohung mit Zuschlägen zu der Einkommensteuer in den Einzel- staaten könne auch nicht schrecken. In Preußen sei das Defizit von 70 Millionen lediglich ein Kassen defizit, wie er das im preußischen Abgeordneten hause bereits dargethan. Die Gestaltung des preußischen Etats sei durchaus abhängig von der Etatisierung des Eisenbahnetats. Im Namen der Einzelstaaten wolle man immer neue Neichssteuern ein führen, um sie zu entlasten. Wer bürge aber dafür, daß nicht bald eine Militärvorlage komme und die ganzen neuen Reichssteuern verschlinge? Wenn die Einzclstaaten auf die feste Rente von 40 Millionen Mark eingingen, würden sie einfach auf die natürlichen Mehreinnahmen aus den Zöllen und Verbrauchssteuern gemäß der Frankensteinschen Klausel verzichten. Er sei gegen die Vorlage beson ders im Neichsinteresse; dasselbe erfordere Sparsam keit. — Abg. v. Kardorff (freik.) tritt den Aus führungen des Vorredners nach verschiedenen Richtun gen entgegen und führte dann weiter aus, daß, wer geordnete Finanzen im Reiche haben wolle, die Vor lage annehmen müsse. Thue man das nicht, so wür den voraussichtlich die Einzellandtage gegen den Reichstag mobil machen! — Abg. Schippel (soz.) erklärt sich entschieden gegen die. Vorlage. — Abg. Hammacher (nat.-lib.): In dem grund sätzlichen Streben, das finanzielle Verhältnis zwischen Reich und Einzelstaatcn zu regeln, werden wir die Regierung nach Kräften zu unterstützen bestrebt sein. Der Zeitpunkt ist der rechte; wir haben viel zu lange schon mit der Reform gewartet. Möge der Reichstag das Reich finanziell auf eigene Füße stellen! Ich stelle den Antrag, das Gesetz ebenfalls an die Stcmpelsteuerkommission zu überweisen. — Abg. Förster erkennt die vom Vorredner hervorgehobene Notwendigkeit, das Reich auf eigene Füße zu stellen, an. Er empfiehlt Luxussteuern und eine hohe Börsensteuer, namentlich eine hohe Besteuerung aus ländischer Emissionen, die hohen Einkommen könnten stärker herangezogen werden. Redner spricht sich nicht nur für eine Jnseratensteuer, sondern für ein Jnseratenmonopol aus. — Abg. B a ch e m (Zentr.): Der Entwurf will die Franckcnsteinsche Klausel beein trächtigen, an der meine Partei auf alle Fälle fest halten wird. Der Regierungsentwurf will in der That Steuern auf Vorrat schaffen. Die Kosten für die Milstärvorlage wollen wir ja gern beschaffen. Was nicht durch Neichssteuern ausgebracht werden ! kann, kann durch Matrikularbeiträge im Wege der ! direkten Besteuerung aufgebracht werden. Die in- I direkten Steuern sind schon viel zu hoch im Ver hältnis zu den direkten, um noch ihre abermalige Erhöhung zu befürlvorten. Wir lehnen jede Ver antwortung für die finanzielle Kalamität ab, die aus der Militärvorlagc folgt. — Preuß. Finanz minister Dr. Miquel: Bei der Rede der Abgg. Richter und Bachem ist mir das berühmte Wort eingefallen: „Rechter Hand, linker Hand, alles ver tauscht!" Herr Richter verteidigt die Frankenstein - sch« Klausel und Herr Bachem begeistert sich für die Matrikularbeiträge. Wenn der Reichslag heute die Bedürfnisse des Reiches nicht befriedigt, so wird er dies vielleicht morgen nicht mehr können. Sparsam keit empfehlen ist leicht; damit können wir aber jetzt, nicht die Militärvorlage bestreiten. Indirekte Steuern sind leichter gerecht zu verteilen, als die direkten. Mit den Steigerungen für die Heereslasten find wir doch jetzt gewissermaßen am Ende angelangt. Mt der jetzt bestehenden Reichsschuld ist länger keine ver nünftige Wirtschaft möglich. Darauf wird ein Ver tagungsantrag angenommen. Preußischer Landtag. Im Abgeordnetenhause wurde am Dienstag bei der zweiten Etatsberatung der Domänen-Etat, sowie der Etat sür die Lotterie-Verwaltung nach kurzer Debatte angenommen. Ferner wurde der Gefch- entwurf betr. das Verhältnis der Lehrer und Lehrerstmen an nicht staatlichen Schulen einer Kom mission überwiesen. Dann folgte die Beratung eines Gesetzentwurfs betr. Stadterweiterung und Zonen enteignung nach dem Anträge Adickes im Herren hause. Abg. v. Eynatteu (Zeutr.) bekämpfte den Entwurf, der nur den Großkapitalisten zu gute komme. Für den Antrag traten ein die Abgg. Oswaldt (nat.-lib.) und Knebel (nat.-lib.), gegen denselben die Abgg. v. d. Acht (Zentr.) und Irmer (kons.). Danach wurde der Entwurf einer Kom mission überwiesen. Uon Uah «nd Fern. Zu den Grdsenkungen in EiSleben liegen folgende Mitteilungen vor. Die Zeißing- straße ist nunmehr auf der ganzen Strecke des Senkungsgebietes durch Bohrlöcher untersucht worden. Nachdem man am Kaiserschen Garten ohne Schwierigkeiten den Löffelbohrer uiederge- stoßen und bei 6 Meter Tiefe starke Wasserzu flüsse gefunden hatte, bohrte man unter großer Behinderung durch Steingeröll vor dem Baum- bachschen Hause an der Biegung der Zeißtng- straße und vertiefte das Bohrloch vor dem Dockhornschen Hause. Gleichzeitig suchte man auf dem Damme der Saiigerhäuser Straße vor dem Winklerschcn Hause nach einem angeblich vorhandenen alten Kanale. Diluvialwasser bezw. Keller-Ueberschwemmungen sind im raschen Aufgehen begriffen. Mau versucht jetzt mit großer Anstrengung, den Wasserstand im Keller der Bcrgschule durch Auspumpen zu erniedrigen. Ein Wachtposten in Brieg erschoß einen Gefangenen, der aus der Gefangenanstalt ent fliehen wollte. Wer liebte ihn mehr? A) (Fortsetzung.! „Wenn Sie wirklich die Engländer so gern haben, kann ich wohl hoffen, Sie wiederznsehen, so lange ich in Lissabon bin. Darf ich Ihnen einen Besuch machen?" In ihrem Blick lag freudige Zustimmung, aber sie sagte zögernd : „Sie sind so freundlich gegen mich, aber ich glaube, ich kann Sie nicht auffordern, uns zu besuchen. Unser Haushalt ist einfach, mein Onkel arbeitet um das tägliche Brot, solche Gäste, wie Sie, sehen wir nie bei unS." „Aber Sie," unterbrach er sie, „Sie sind eine Dame. Ihre Sprache, Ihre Erscheinung, Ihr Wesen, alles zeugt von feiner Bildung." Sie errötete. „Mein Vater gehörte einer guten, alten eng lischen Familie an," erwiderte sie, „und er sagte oft, ich hätte daS Auftreten einer Dame. Es fteut mich, daß Sie das auch finden; dann war sein Urteil doch nicht durch seine Liebe be einflußt." „Und ich soll Ihnen wirklich keinen Besuch machen? Könnte ich mich nicht mit Ihrem Onkel befreunden?" Sie lachte ihr leises, melodisches Lachen, das er so liebte. „Mein Onkel spricht nur portugifisch, er würde Sie gar nicht verstehen; aber ich will nicht Nein sagen, ich will es mir überlegen, ob es geht." „Das ist sür den ersten Versuch mehr, als ich erwarten konnte," dachte Lord Kilmeyne, laut sagte er: Und nun muß ich mich Ihnen vorstellen, da ich niemand habe, der es für mich thut." Er zog seine Karte heraus und gab sie ihr. „Lord Kilmeyne," las sie und ein Schimmer der Enttäuschung glitt über ihr Gesicht, „ich dachte nicht, daß sie dem englischen Adel ange hörten." „Ich hoffe, daß mir das bei Ihnen keinen Abbruch thut; ich kann es aber leider nicht ändern." „Ich werde mich nicht so frei Ihnen gegenüber fühlen," sagte sie leise. „Das würde mir leid thun; dann gäbe ich am liebsten gleich meinen Namen und Rang auf." „Das würde sich auch lohnen," meinte sie lachend. „Versprechen Sie mir eins," begann er wieder. „Vergessen Sie, wer ich bin, ich werde es auch thun; es wäre mir schrecklich, wenn Sie weniger unbefangen mit mir verkehrten." Er verlor sein Herz und die ruhige Ueber- legung immer mehr, das wußte er wohl, aber das liebliche Gesicht that es ihm an, er fühlte, daß er ohne dasselbe nicht weiter leben könnte. „Nun müssen Sie mir auch Ihren Namen nennen; ich habe schon so viel nachgedacht, aber ich habe noch keinen gefunden, der mir hübsch genug für Sie scheint." „Ich weiß nicht, ob mein Name Ihnen ge fallen wird; meine Mutter wählte ihn, er ist sehr gebräulich in dem Teil Spaniens, aus dem sie stammt; ich heiße Carmen, Carmen Ercell." Er wiederholte: „Carmen Ercell! Welch' hübscher Name, und er paßt so ganz für Sie. Ercell ist ein alter englischer Name, ich habe ihn ost ge hört ; wissen Sie, auS welcher Gegend Ihr Vater stammt?" „Nein, ich weiß nur, daß er ein armer Ab kömmling einer reichen alten Familie war; er hatte gar keine Beziehungen mehr zu seiner Heimat, ich glaube, ec hatte sich mit den Seinigen entzweit. Doch hier ist schon Fresfinis Weinberg, ich bin jetzt gleich zu Hause." Sollte er ohne die Hoffnung auf ein Wieder sehen von ihr gehen? Fast unwillkürlich drängte sich ihm die Frage auf die Lippen: Gehen Sie jeden Sonntag zur Kirche, Miß Ercell?" Aber anstatt gleich zu antworten, sah sie ihn mit ihrem glücklichsten Lächeln an. „Wie schön das klingt," sagte sie; „es hat mich noch nie jemand „Miß Ercell" genannt." Dann fügte sie hinzu: „Ja, wenn es irgend geht, besuche ich immer den Gottesdienst." Er überlegte, daß er sie lieber gar nicht Wiedersehen wollte, als nur all« acht Tage ein mal, deshalb sagte er: „Ich gehe oft hier hinaus spazieren; wäre es Ihnen unangenehm, wenn ich Sie zuweilen träfe?" „O nein, ganz und gar nicht; ich würde mich freuen." Augenscheinlich hatte sie keinen Begriff von englischer Prüderie und Etikette; es schien ihr so natürlich, daß sie als Landsleute gern zu ¬ sammen wären, sie war zu unschuldig, um darin etwas Auffallendes zu finden. So trennten sie sich, für Carmen war das Licht des Tages dahin, und Lord Kilmeyne summte leise das Lied vor sich hin, als er der Stadt zuging: „Nur ein holdes Antlitz am Fenster." L Die Lancedener Ryeburntz waren eine alte, aber nicht gerade besonders wohlhabende Familie, sie waren stets stolz gewesen und hatten alle, Arme und Reiche, mit einem gewissen Hochmut behandelt. In alten Zeiten hatten Ryeburns im Felde wie im Staatsdienst bedeutende Rollen gespielt, erst später begann ihr Verfall. Ein Vorfahre belastete daS Familiengut mit Hypo theken, so viel es nur tragen konnte. Der jetzige Besitzer hatte fast genug gespart, um die Schuld abzutragen; er lebte besonders einfach, um seinem Sohn die Zukunft zu ebnen. Aber trotz alledem war Lancedene gesucht, und wer dort verkehren durfte, rechnete zu den Vornehmsten der englischen Gesellschaft. Alfred Graf von Ryeburn hatte sich früh ver heiratet, er wählte die Tochter Lord Harcourts zur Gattin, eine der lieblichsten und vornehmsten Erscheinungen. Sie hatten zwei Kinder, Viktor, Lord Kilmeyne — Kilmeyne war der Familien name, während dec Name Ryeburn wie der Grafentitel am Besitz hing — und Eva, die ein treues Ebenbild ihrer Mutter war. Sie lebten sehr zurückgezogen in Lancedene. Der Graf hatte nur ein Lebensziel: Geld zu erwerben, um daS Gut schuldenfrei zu machen und eS wieder zu den Ehren zu bringen, die es früher gehabt hatte,