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Mit besondrer Herücltsiclüigung 6er Antkropologie un« Begründet von Karl Andree. In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von Olichard Kiepert Braunschweig ^»«7^77^— "" "»»""I- L? E L°;7»7L"' d"'"'"" 187 7 Peking und Umgebung. V. Die Religionen Chinas. China besitzt neben der Staatsrcligion, deren aus alter Zeit überlieferte Satzungen Confucius (Kong-fu tzc) nm die Mitte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts sammelte, reinigte, ordnete und erweiterte, noch als geduldete Glaubens bekenntnisse den Taoismus, welchen des Confucius Zeitgenosse Lo kwan stiftete, den Buddhismus, welcher 55 Jahre vor un serer Zeitrechnung ciugcführt wurde, den Islam (s. oben S. 167) und das Christenthum, dessen erste sichere Spuren bis in das Jahr 638 n. Chr. zurückreichen. — Die philo sophische Anschauung der Chinesen von der Welt ist nun, daß es eine Urkraft und einen Urstoff gebe, welche nicht ge sondert existiren, sondern sich gegenseitig durchdringen. Zur Erscheinung kommt diese Durchdringung vor Allem in dem sichtbaren Himmel mit Sonne, Mond und Sternen, welchem auch, freilich nur sinnbildlich, geistige Eigenschaften beigclegt werden. Ist der Himniel die in den Urstoff eingegangene Urkraft, so entspricht die Erde dem von der Urkraft durch drungenen Urstoffe und genießt demnach geringere Verehrung. Himmel und Erde sind dann naturgemäß Vater und Mutter aller Dinge. Mit solchem Systeme vermag sich natürlich der Sinn des gemeinen Volkes nicht zu befreunden, und so findet man bei diesem eine starke Verehrung guter und böser Geister sowie der Ahnen, welche als Schutzmächte der Fa milien betrachtet werden, wie denn überhaupt die Pietät ein hervorragender Zug im Charakter der Chinesen ist. Vom Kaiser herab bis zu den mäßig wohlhabenden Leuten hat jeder Chinese einen Saal, eine Halle oder sonst einen Ranm, wo seine Ahnentafeln stehen; dieses Gemach, wo den Ab- Globu« XXXI. Nr. 12. geschiedenen Schälchen mit Neis und Thee hingcstc Sandelholz verbrannt wird, ist die einzige Art von Hel ig- thum, welche diese Staatsreligion kennt. Nur uncigentluh spricht man in ihr von Tempeln und ebensowenig kennt ,ic Götterbilder, Priester und heilige Festzeiten. Was man Tempel nennt, sind mehr Erinncrungshallcn an bedeutende und gelehrte Männer, wie namentlich Confucius. Die Opfer vollzieht jeder Einzelne selbst, indem er Sandelholz verbrennt und Neis und Thee aufstellt; nur für den Staat hat sie der Kaiser in Peking zu bringen, während ihn zn gleicher Zeit im ganzen Lande der jedesmalige höchste Beamte, gleichviel welchen Ranges er sei, vertritt. Das hindert letzteren aber nicht, für gewöhnlich dem Buddhismus anzu hängen. Verfolgt man die breite Straße, welche in genau nord- südlicher Richtung vom Thore Tsisn-mcn an die Chincscn- stadt durchschneidet, so erreicht man kurz vor dem südlichen Thore linker Hand Tien-tan oder den Tempel des Himmels, der im Jahre 1420 errichtet worden ist. Ihm gegenüber, rechter Hand, liegt Sisn-nung-tan oder der Tempel des Ackerbaues. Der Zutritt zu beiden, wie zu sämmtlichen kaiserlichen Gebäuden, ist schwer. Bon Einwohnern Pekings haben dort nur wenige Einlaß gefunden, weil solche erstlich kein Verlangen danach tragen und weil sic von Haus ans jeden kaiserlichen Ort als etwas Heiliges, Unnahbares be trachten, so daß die Behörden vor einen verbotenen Eingang keine bewaffneten Wächter zu stellen brauchen wie in Europa Der Europäer umgekehrt hält jede Thür, vor welcher er 23