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132 Peking und Umgebung. dem Wege dahin den Tempel mit der großen Glocke zu zei gen. Dieses Seitenstück zu der Moskauer Riesenglocke, wel ches 25 Fuß hoch ist und zu Anfang des fünfzehnten Jahr hunderts gegossen wurde, ist innen und anßen vollständig mit buddhistischen Sprüchen in chinesischer und tibetanischer Sprache bedeckt; die erhöhten Buchstaben sind etwa 2 Centi- meter groß. Um nach dem Sommerpalaste zu gelangen, wählt man meist das Thor Si-tschi-men in der westlichen Mauer der Tatarenstadt und gelangt von dort in einer Stunde Trab auf einer guten Straße aus Quadersteinen und durch eine anmuthige, wohlbcbaute Ebene nach dem Dorfe Hai-tien. Rechter und linker Hand führt noch je ein an derer Weg dem gleichen Ziele zu und zwar der zur Rechten Uber Ta-tschung-tse, das Kloster mit der großen Glocke. Als Ehoutzs jenes Thor durchritt, machte sich plötzlich unter den Passanten eine allgemeine Bewegung bemerklich: die Kulschen hielten an, die Fußgänger traten zur Seite uud die Reiter stiegen von ihren Gäulen. Einer der letzteren, der im Sattel geblieben war, wurde deshalb vou einem hereinkommenden Beamten mit dem rothen Knopfe, dem ein ziemlich zahlreiches Gefolge und eine Herde von acht gelb- gezäumlen Pferden folgte, hart angelassen. Das waren die acht kaiserlichen Gäule, welche draußen geweidet hatten und nun in die Stadt zucückkehrten. Choutzö, dem es widerstand, an den allgemeinen Ehrenbezeugungen für die Thiere theil zunehmen, blieb zu Pferde, aber hielt sich ein wenig zur Seite. In Hai-tien traf er mit mehreren Freunden zusam men , welche in einer kleinen Pagode ihre Wohnung aufge schlagen hatten und den Schnepfen des Teiches bei dem Sommerpalaste eifrig uachstcllten; dann ging es weiter aus der Steinstraße nach dem Pavillon am Seeufer, den die europäischen Bewohner der Hauptstadt bei ihren Ausflügen zur ständigen FrühstUcksstatiou sich erwählt haben. Linker Hand fließt ein Bach nnd dehnen sich Reisfelder und der Seespiegel aus, aus welchem Lotus und weiße und rothe Seerosen schwimmen, während zur Rechten Trümmer von Häusern liegen, in denen die Beamten aus dem kaiserlichen Gefolge logirten; es sind rolh abgeputzte Mauerstücke, an deren Fuß sich im Frühjahr ein Veilchcnteppich ausbrcitct, welchen im Herbst der wilde Wein ersetzt. Auch die Reste Der Hügel Wan-schüu-schan mit dem See Kung-ming-hu. (Nach einer Photographie.) des Zwingers liegen dort, in welchem die Kaiser Tiger ans der Tatarei hielten. — Am Bache wuschen tatarische Weiber in rosenrothen uud grünlichen Kleidern ihre Wäsche, nnd dahinter hob sich von dem tiefblauen Himmel der Hügel Wan-schön-schan mit seinen grellfarbigen Gebäuden und dem dunkelgrünen Laubschmucke scharf ab. Zwanzig Minuten von Hai-tien führt die Straße unter einem Triumphbogen hindurch, darauf quer Uber einen Exercirplatz und durch ein verschanztes Lager von 100 Meter Durchmesser uud erreicht endlich die rothe Mauer des Parks, deren rothes Thor, rechts nnd links von je einem schönen phantastischen Löwen aus Bronze bewacht, weit offen stand. Dort mußte die Gesell schaft ihre Pferde iu der Obhut der Reitknechte zurücklassen; denn den Thieren ist der Eintritt nicht gestattet, und es war schon viel, daß man die Menschen ohne Weiteres cin- dringen ließ. Zuerst durchschreitet man zwei Höfe, welche mit den Trümmern zerstörter Gebäude bedeckt sind; mehrere verkohlte Baumstämme zeugen dort noch heute von der Macht des Feuers, welches hier vor einem halben Menschenalter ge- wüthet hat. Auch einige Felsblöcke von bizarrer Gestatt liegen dort und tragen cingemcißeltc Verse des Kaisers Kiön- lung. Darauf betritt man eine lange Fichtcnallee, in deren Mitte ein mit Ziegelsteinen gepflasterter Pfad entlang führt. Letzterer war einst von einer langen Gallerte überdeckt, von welcher noch einige Säulen erhalten sind und die sich, von den beiden Baumreihen beschattet, am See hinzog, parallel dem eleganten Geländer aus weißem Marmor, welches das Gewässer umgiebt. Und während dem Beschauer zur Linken sich der stille mit Lotus und anderen Wasserpflanzen bedeckte Secspiegel ausbrcitct, plätschert zur rechten Hand ein Bach herab, über welchen hinweg unter dem Schatten zweier rie sigen Weiden eine kleine Brücke zu dem sechseckigen Thore eines kaiserlichen Absteigequartiers führt. Weiterhin liegen wieder Trümmerhaufen, aus denen noch die gelben, blauen, grünen, violetten und schwarzen Fayenceziegeln der zerstörten Gebäude hervorleuchten. Auf jener Fichtcnallee erreichte die Gesellschaft zuletzt den Piknik-Pavillon, wo schon das von Dienern bereitete Früh stück ihrer harrte. Als Tisch diente der Steinboden, als