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Die englische Nordpolexpedition, der Smith-Sund und die Nordpolcirfrage. 140 len Vorwärtskommens gemacht. Kiistenstrccken dagegen, die solche hervorragende Punkte nicht aufzuweisen hatten, wie die zwischen der Dobbin-Bay undScoresby-Bay, hatten wieder den Nachtheil, daß man oft, um nicht vom Packeis nach Süden getrieben zu werden, auf den Schutz gestrandeter Eisberge angewiesen war, einen immerhin sehr mißlichen Ankerplatz. Die häufigen Halte während dieser Fahrt boten übrigens Gelegenheit, die steile nach dem Innern zu in hohe Berge übergehende Küste Grinnell-Lands genauer zu mappireu und Breiteubeobachtungen zu machen, welche das Ergebniß lieferten, daß vom Hayes-Sund an alle Punkte auf den bis herigen Karten in wachsendem Maße zu weit nach Norden verlegt waren. Auch der Beschaffenheit des Eises im Smith- Sunde konnte Capitän Nares seine besondere Aufmerksam keit zuwenden, da das klare Wetter häufig bis nach der grönländischen Küste zu sehen erlaubte. In der großen Masse des Packeises im offenen Meer, das aus ein- oder mehrjährigen Schollen bestand, die von Cap Frazer an die respectable Dicke von 12 bis 20 Fuß erreichten, bewegten sich zerstreut größere Eismassen, welche ihrer Entstehung nach, so ähnlich sie sich sind, in zwei ganz gesonderte Classen fallen. Man muß zwischen E i s bergen und Schollenbcrgen einen Unterschied machen; erstere sind losgebrochene Stücke überhängendcr Gletscher von oft erstaunlicher Größe, letztere dagegen durch den Robeson- Canal nach Süden geführte Theile des schon früher be schriebenen enorm dicken Packeises, welches die „Alert" später vor dem Eingänge jenes Canals gelagert fand. Während nun die Eisberge zahlreich waren, sah Capitän Nares ver- hältnißmäßig wenig derartige Schollenberge und zieht dar aus den Schluß, daß das Eis des Polarmeeres einen andern Abzug haben müsse. Ob dies der Fall ist oder ob es über haupt keinen größern Abzugsweg habe, darüber werden wir später noch Gelegenheit haben uns zu äußern; vorläufig ge nüge uns die Thatsache, daß das Treibeis des Smith-Sun des i) sich zum weitaus größten Theile nur aus dem ein- oder mehrjährigen Eise des Sundes selbst zusammensetzt, während aus dem Polarmeere nur wenig hinzukommt. Wir machen hierauf besonders aufmerksam, weil es uns die auffallende Erscheinung zu erklären scheint, daß die Expe dition gerade in den engsten Theilen des Sundes, wo man die größten Eisstauungen vermuthen sollte, das beste Fahr wasser fand. Im Smith-Canal zwischen Port Fonlke und Cap Isabella war alles eisfrei und, wie wir bald sehen wer den, bot gerade der enge Kennedy-Canal von Cap Col linson bis zum Polaris Promontorium trotz heftigen Nordwindes verhältnißmäßig gute Fahrt dar; am gepacktesten und gefährlichsten zeigte sich dagegen das Eis gerade an der breitesten Stelle vor der Oeffnung des Hayes- Sundes. Capitän Nares hält sich für überzeugt, daß kein noch so starker Dampfer dieses Eis in der Mitte des Sun des durchbrechen könnte, sondern im besten Falle nach Süden getrieben werden würde, obgleich doch das Beispiel der „Po laris", die mitten durch den Sund fuhr, beweist, daß er un ter günstigen Umständen auch in der Mitte schiffbar ist. Wir bringen ferner in Erinnerung, daß diese engen Stellen wiederholentlich von den am weitesten vorgedrungc- nen Entdcckungsreisenden offen gefunden wurden. Der Smith-Canal wurde von Jnglefield, Hall, Kaue und Hayes ungehindert befahren; die beiden letzteren blieben erst im Rensselaer-Hafen, also wo der Sund breiter wird, Wir gebrauchen hier den Ausdruck, wie auch noch weiterhin, in der ausgedehnteren Bedeutung der ganzen Straße von Cap Kork bis zum Polarmeer. stecken. Der Kennedy-Canal wurde 1854 von Morton voll kommen offen gefunden und, was Kane als offenes Polar meer ansah, wurde von der Hall'schen Expedition als offener Robeson-Canal nachgewiesen. Um dies zu erklären, ver gegenwärtige mau sich Folgendes: Hat im Sommer die Trift des Eises aus dem Robeson- und Kennedy-Canal in größerm Maße begonnen, während aus dem Polarmeer we nig neues hinzukommt, so muß nothwendigerweise ein grö ßerer Theil der Fläche mit der Zeit offen werden, selbst wenn auch stellenweise ein Theil des Eises durch widrige, hier also andauernde südwestliche Winde zurückgetricben oder gehalten wird. Der Smith-Canal wird hingegen hauptsächlich durch die warme nordwärts fließende wcstgrönländische Strömung offen gehalten, durch welche eben auch das Eis in dem brei tem Smith-Sunde aufgestaut wird. Allerdings muß man immer berücksichtigen, daß die Zeit der Eistrift weiter nördlich höchstens drei Monate umfaßt; es ist mithin auch nicht ausgeschlossen, daß nicht gelegentliche Verstopfungen eintretcn können; dem Vortheile der Enge des Sundes, daß die große Masse des Polarmccreises zurück- gehalten wird, stehen eben auch Nachtheile gegenüber. Aber wir halten uns an die Thalsachen: die beiden Expeditionen, die überhaupt bis jetzt mit zureichenden Mitteln den Smith- Sund so hoch hinauf befahren haben, die amerikanische unter Hall, wie jetzt die englische, haben sowohl den Smith- wie den Kennedy-Canal nicht verstopft, die erstere sogar fast den ganzen Hinweg leicht gefunden H. Im Robeson-Canal liegt die Sache wohl etwas anders, weil er dem Polarmeer am nächsten ist; aber auch hier wur den beide Expeditionen doch erst an dessen Ausgange, wo eben das kolossale Packeis andringt, definitiv anfgehalten; ja die „Polaris" hatte sogar jenseit des aufhaltenden Packeises noch offenes Wasser in Sicht, und wir können ebenso gut aunehmen, daß die englische Expedition ungünstige, als daß die amerikanische besonders günstige Umstände getroffen habe. Capitän Nares ist der Meinung, daß die Discovery-Bay in jedem Jahre zu erreichen sei. Wenn er dabei hinzufügt, daß dies jedoch nur mit Gefahren und bei ausreichender Aus rüstung und geschickter Leitung möglich sei, so ist darauf zu erwidern, daß, wie die Erfahrung zeigt, ohne diese Dinge überhaupt kein Vordringen gegen das schwerste Polareis denkbar ist; wenn aber Herr Dr. A. Petermann die Route durch den Smith-Sund neuerdings für endgültig abgcthan erklärt und dabei von seinen „drei chronisch verstopften Fla schenhälsen" spricht, so müssen wir denselben gegen solche ungerechtfertigten Vorwürfe nachdrücklich in Schutz nehmen. So sehr wir die Verdienste dieses für die Lösung der Nordpolarsrage unermüdlich thätigen Gelehrten in anderer Richtung anerkennen, so wenig können wir uns mit seiner Art zu theorisiren und zu polemisiren befreunden. Ob wir darin Recht haben, mögen unsere Leser aus folgender Zu sammenstellung seiner im Laufe von zehn Jahren, einer für die Aufklärung der circumpolaren Welt gewiß nicht langen Zeit, über den Smith-Sund geäußerten Urtheile selbst ersehen. Im Jahre 1867 sagt Herr Petermann -) — nnd es mag dies zugleich eine Warnung sein, wie vorsichtig man bei arktischen Fragen in Theorien sein muß, die Uber die unmittelbare praktische Erfahrung hinausgehen — wörtlich: „dessen (Sherard Osborn's) Project, durch die mit den er- U Nares bemerkt in seinem Vortrage in der Gcogr. Ges. zu London: eau868 tio ireep nrn'r<»v ekknnel8 elerir, enlar§e<l 8638 nrrrrmv outlet8 are eneumdereä iee. 2) Mittheil. aus I. Perthes' Geographischer Anstalt Bd. XXIl, 1876, Heft 12, S. 442. b) Mittheil. 1887, S. 188.