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Mit besonderer Berücksichtigung cler Anthropologie mul Ethnologie. Begründet von Karl Andree. In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von vr. Richard Kiepert. Braunschweig Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten zum Preise von 12 Mar! pro Band zu beziehen. 1881. Panama und Darien. Nach dem Französischen des Schiffslieutenant A. Reclus. X. Es kam jetzt Reclus vor allen Dingen darauf an, seine Rückkehr nach Panama in möglichst kurzer Zeit zu bewerk stelligen, und so wandte er sich, um einige zuverlässige Führer zu erhalten, noch an dem nämlichen Tage an einen reichen Indianer, dessen Hütte der Niederlassung der Cau- cheros gerade gegenüber auf dem andern Ufer des Flusses lag. Aber dasselbe Mißtrauen, das ihm schon vorher in dem Dorfe am Guati entgegengetreten war, machte sich auch hier geltend. Wieder mußte Reclus die Klagen über die Neger, die den Indianern den Kautschuk, die Taguanüffe und Bananen genommen hätten und ihre Pflanzungen ver wüsteten; wieder auch die Vermuthung hören, daß die Frem den hierhergekommen seien, um die Neger und Einwohner von Cartagena in ihren Uebergriffen und ihrem Uebermuthe zu bestärken. Von einem Versuche, dem Indianer den Zweck seines Kommens zu erklären, stand Reclus bald ab: es war nicht möglich dem Manne auch uur einen annähern den Begriff davon bcizubringen und ihm sein Mißtrauen zu benehmen. Ein Einkauf von mehreren Hühnern, den der Reisende bei ihm machte, stimmte den Indianer indessen etwas freundlicher. Er versprach sich wegen der gewünsch ten Führer an den versammelten Rath des Stammes zu wenden, besten Antwort dann der große Kazike in eigener Person überbringen werde. Und nach wenigen Stunden er schien dieser auch mit einigen Begleitern in der Hütte am Flusse: ein ausfallend hagerer, aber rüstiger Greis, der, wie er alle hier versammelten Indianer an Größe weit über ragte, sich durch intelligenten Gesichtsausdruck und eine Globus XXXIX. Nr. 6. gewisse Würde auch vorthcilhaft von ihnen unterschied. Nachdem er sich dem Fremden gegenüber niedergelassen hatte, sing er sogleich an zu „lorlar", d. h. iu näselndem, singendem Tone eine lange Rede zu halten, die der versam melte Rath des Stammes in der vorhergehenden Nacht un ter dem bei solchen Gelegenheiten üblichen Massenkonsum von Chicha zur Begrüßung des Weißen entworfen hatte. Die Art des Vortrages war äußerst merkwürdig: der erste Theil eines jedcnSatzes wurde langsam, mit erhobener Stimme und noch besonderer Betonung aller Endsylben der einzelnen Worte recitirt; ohne jeden Uebergang schloß sich daran der mit größter Schnelligkeit und leiser, allmälig zu tonlosem Flüstern herabsinkender Stimme gesprochene zweite Theil. Nach jedem Satze aber machte der Redner eine Pause, in der die Ver sammlung ein langgezogenes beistimmendes „Hm" oder „Bä" hören ließ. Den Inhalt der schier endlosen Rede bildete zunächst wieder die Frage nach dem Zwecke, der den Weißen in das früher so friedliche arme Land der Indianer geführt habe, dann folgten die Klagen über die, Caucheros und das Volk von Neu-Granada im Allgemeinen. Reclus beruhigte, so gut sich dies durch die Vermittelung seines betrunkenen Dolmetschers thun ließ, die aufgeregte Versammlung und unterstützte durch das Geschenk einer Flasche Wein und einer Scheere, die er dem Alten, sowie einiger Biscuits, die er dem Enkel desselben gab, seine Forderung, einen Führer ge stellt zu erhallen. Endlich erreichte er seinen Zweck; aber wenn auch einige der Indianer, und unter ihnen der Kazike, sich freundlich bezeigten, so machte die große Mehrzahl aus 11