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Isabella L. Bird's Reise durch Japan. rung, hohe vergoldete Thüren, die sich geräuschlos öffnen, weite Hallen, auf deren weichen Matten jeder Fußtritt un hörbar verklingt, in deren Dämmerlicht die schräg einfallen den Sonnenstrahlen hier die reiche Arabeskenbemalung der Wände, oder die kunstvoll geschnitzten Blumen und Vögel des Getäfels, dort ein Stück der schön skulptirten Decke beleuchten; goldene Schreine, sechs Fuß hohe goldene Lilien, schwere wallende Vorhänge von Goldbrokat; Weihrauchduft und kolossale Glocken; Götter und Dämonengestalten, die mythischen Thiere, Kirin, Drachen und llovo; daneben Eke- phanten, Affen und Tiger, und zwischendurch in seltsamer Zusammenstellung Blumen und Bäume; goldene Schnörkel und dunkles Rankenweyk auf goldenem Grunde, lackirte Schirme und Pagoden und ein Wald von hohen Bronze laternen; Priester mit kahlgeschorenem Haupte in Gewändern aus Goldstoff und Schintodicner mit schwarzen lackirten Priestermützen, und hell in der Sonne aufblitzendes Gold hier und dort, und einfach ernste Grabmonumente und eine Bergwand mit hohem Kryptomerienwalde, dessen tieffeier licher Schatten von leuchtend rothen Azaleen erhellt wird." Bot Miß Bird's zwölftägiger Aufenthalt in Jrimitschi ihr so Gelegenheit zu eingehendem Studium japanischer Kunst, so benutzte sie alle ihr bleibende Muße zur Beobach tung des stillen, einförmigen Lebens im Dorfe. Von dem Fleiße und den mannichfachen Beschäftigungen der meist armen Dorfbewohner, von ihrem ruhigen gesitteten Verhal ten, ihrer Liebe zu den Kindern, ihren bescheidenen Vergnü gungen (dem eifrigen Lesen von Romanen und den abend lichen Besuchen der Nachbarn, wo man sich mit japanesischem Schachspiel, mit Produktionen auf dem samissn, mit Saks trinken und barbarisch-klingendem Gesänge die Zeit bis gegen Mitternacht zu vertreiben pflegt) entwirft die Reisende manch' anziehendes Bild. Am 24. Juni brach sie von dem freund lichen Orte auf, um sich, nicht auf der großen Straße, son dern auf einem Wege durch das Gebirge, nach Niigata zu begeben. Genauere Angaben über diesen Weg hatte sic trotz vielfacher Erkundigungen nicht zu erlangen vermocht, und so blieb der Reisenden nichts anderes übrig, als sich auf ihre für diese Gegend freilich auch ziemlich lückenhafte Brun- ton'sche Karte zu verlassen und die Gebirgstour, allen War nungen zum Trotze, auf gutes Glück anzutretcn. Schon wenige Stunden hinter Nikkö zeigte cs sich, daß die Be schreibung in Bezug auf die Bergpfade nicht ganz übertrie ben gewesen war. Nachdem man einen Ausläufer der Nikkoberge überschritten hatte, führte der schmale rauhe Pfad stundenlang bald an den schroffen Wänden, bald in dem schlammigen Grunde tiefer, schluchtartiger Thäler entlang, deren Vegetation eine fast tropische Ueppigkeit aufwies. Als besonders hinderlich erwiesen sich hier schon die Strohschuhe der Pferde, diese unbegreiflich plumpe und unpraktische Er findung der Japanesen. Bei dem Hinauf- und Hinabklimmen lockern sie sich immer wieder und auf dem felsigen Boden zerreiben sie sich noch schneller als sonst schon. Die Thiere, deren Hufe durch die fortwährende Umhüllung mit der zoll dicken Strohmatte weich und empfindlich geworden sind, fan gen dann an zu stolpern, und der Mago oder Pferdeführer, der, einige Schritte voranschreitend, das Pferd am Stricke leitet, erklärt einen Stillstand der Kavalkade für nothwendig. Derartige Aufenthalte zum Festbinden der Schuhe oder zum Ersatz der abgetragenen durch neue, die erst in Wasser ein- gcweicht werden müssen, kommen im Laufe eines Tages zu unzähligen Malen vor; und da während der sechs Tagereisen von Nikkö bis Kurumatoge nicht weniger als siebenzchn Bcrgpässe überschritten werden mußten, wurde die Geduld der Reisenden auf eine nicht ganz leichte Probe gestellt. Trotzdem aber und trotz der häufigen starken Regengüsse waren diese beschwerlichen Ritte doch nicht ohne ihre Reize. Die landschaftliche Schönheit des vorher noch von keinem Europäer besuchten Kinugawath alcs und die herrlichen Fernsichten von den Pässen und Berghöhen aus finden wohl nicht oft ihres Gleichen. Zwei Tage lang ging man das malerische Thal der Kinugawa hinauf, die, durch den Regen angeschwollen, in brausenden Kaskaden und Schnellen zwi schen den Porphyrwänden ihres engen Bettes dahinschoß, dessen auf der einen Seite steilausteigende Ufer von dem herrlichsten Nadelwalde bedeckt sind, während die gegenüber liegenden breiten Hänge hier kleine Reis- und andere gut bestellte Felder, dort schönes'Laubholz, vorzugsweise Kasta nien und Ahorn, zeigen, unter dem eine Fülle blühenden Strauch- und Buschwerkes, Azaleen, Syringen, blaue Hy- drangea, Clematis und Caprifolium, Farnkräuter, weiße und gelbe Lilien und verschiedene Jrisarten den Blick erfreuen. Die schöne Wistaria, deren zähe Ranken in Japan überall verwendet werden, wo Hanfstricke nicht fest genug erscheinen, schlingt sich mit ihrem zierlichen Grün in anmuthigcn Bo gen von Baum zu Baum. Bald nach dem Verlassen des Kinugawathales überschritt man einen Paß von etwa 2500 Fuß Höhe und mit ihm die Wasserscheide des Landes; die zahlreich hier in vorzugsweise westlicher Richtung zu Thal strömenden Bäche gehörten ohne Zweifel dem Gebiete des Schinanogawa an, der sich bei Niigata in das Japanische Meer ergießt. Während das Land sich hier der Reisenden von seiner schönsten Seite zeigte, lernte sie bei dem Volke dieser Gegend Zustände kennen, die mit dem, was sic bis Nikko von japanischem Leben gesehen hatte, kaum in Ein klang zu bringen waren. Von der Unsauberkeit der meisten der am Wege liegenden Dörfer, von dem verfallenen Aus sehen der Häuser macht man sich nur schwer einen Begriff: und bei dem Anblick der fast nackten, von Schmutz und Un geziefer starrenden Bewohner, die in diesen schmutzigen, räu cherigen Behausungen leben, muß man es sich immer wieder in das Gedächtniß rufen, daß man sich hier in dem civili- sirten Japan befindet. Betrachtet man den unermüdlichen Fleiß dieser Leute, ihr von keinem Sonntage unterbrochenes Schaffen, ihren Ackerbau, der die Umgebung ihrer Dörfer in große Gärten verwandelt, und endlich ihre sparsamen und mäßigen Lebcnsgewohnheitcn, so kann man sich die schein bare Armuth und den sehr realen Schmutz, die nach unseren Begriffen immer mit Trägheit und Unordnung Hand in Hand gehen, kaum erklären. In allen diesen Dörfern war die Erscheinung der europäischen Reisenden ein bisher nie gesehenes Wunder. Stundenlang konnte eine oft nach vielen Hunderten zählende Volksmenge in strömendem Regen vor der Jadoja stehen, in der die Reisende übernachtete, um den wunderbaren Anblick zu genießen. In einem Dorfe brach das Dach einer Scheune unter der Last von 40 bis 50 Neu gierigen zusammen, die hinaufgestiegen waren, um Miß Bird auf der Veranda vor ihrem Zimmer mit Messer, Gabel und Löffel essen zu sehen; mehrmals wurde sie sür eine Chinesin oder für einen Mann, einmal sogar sür einen Aino gehalten. Außer dem unbehaglichen Gefühl, sich von so vielen ernst haft und verwundert blickenden Augen angestarrt zu wissen, erfuhr die Reisende aber nirgends eine Belästigung von die ser still und, wie es ihr oft scheinen wollte, stumpfsinnig da stehenden Menge, und in einem Dgxfe, wo ein Kind der vermeintlichen Chinesin ein beleidigendes Wort nachrief, stellte sich nach Verlauf von kaum einer Viertelstunde schon der Polizeibeamte des Ortes ein, um ihre Verzeihung für dies Vergehen zu erbitten. Zu den Scharen der Neugieri gen gesellten sich bald in allen Dörfern unzählige Kranke, die, nachdem Miß Bird erst einmal kleine Hausmittel aus 26*