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45 Oberst Unterberger's Reise in China von Tien-tsin Dame geziemt. Schon von weitem hören wir Rädcrgequike und bald erblicken wir eine Reihe mit Waaren beladener Schubkarren. Aus dieser Gesellschaft ist der Frohsinn ver bannt. Die Kärrner, erschöpft mit stumpfen Gesichtern, von denen der Schweiß, trotz der kühlen Witterung, in großen Tropfen niederfällt, erregen das tiefste Mitleid. Mit An strengung aller Kräfte stoßen sie die Karren vorwärts, auf merksam darauf achtend, daß das Rad derselben nicht aus dem ansgefahrenen Geleise kommt. Die Zeit für eine kurze Rast ist herangekommen, die Karren stehen still, hockend setzen sich die Kärrner zusammen, wischen sich den Schweiß von den Gesichtern und rauchen sich langsam ihre Pfeifen an. Eine Unterhaltung zwischen ihnen hört man nicht. Während dessen wird ein hoher Regierungsbeamter in der Sänfte vorübergetragen; Reiter eröffnen den Zug, ihm den Weg durch die Menge bahnend, Reiter schließen auch wie der den Zug. Die Träger, den einen Arm in die Seite gestemmt, den andern im Takte schwingend, schreiten in leichtem, frischem Schritte daher, von Zeit zu Zeit die Trag stange von einer Schulter auf die andere hinüberwerfend. Sie schreiten rasch einher, denn ihnen zur Seite geht noch ein doppelter Wechsel von Trägern. Mit Neid blicken die Kärrner auf diese im Vergleich zu der ihrigen so leichte Arbeit; nach einer kurzen Rast von wenigen Minuten neh men sie ihre Karren wiederum schweigend auf und mürrisch beginnen sie von Neuem ihre schwere Arbeit. Für die Ein wohner des Landes ist dieser Anblick ein zu gewohnter, um irgend welchen Eindruck hervorzubringeu; dem Fremden da gegen flößen diese Arbeiter das tiefste Mitleid ein. Bei größeren Entfernungen zwischen Städten und Dör fern findet man einzeln stehende Gasthöfe, in welchen die ärmeren Reisenden kurze Rast zu halten pflegen. Ein sol cher Gasthof besteht in der Regel aus einer großen Küche, einem kleinen Gelasse für die Familie dcs Wirthes und einem großen Zeltdache für die Gäste, welches mit Tischen und Bänken aus Lehm versehen ist. Um die Mittagszeit sam melt sich hier eine große Menge Reisender an und es ent wickelt sich eine gesteigerte Thätigkeit der Köche und Diener. Die Einen bereiten auf großen hölzernen Brettern süße Brote, die gedämpft werden, oder eine Art Fleischkuchen oder Nu deln, die eine Lieblingsspeise der Chinesen bilden, Andere be sorgen das Kochen derselben und vertheilen die Portionen in Thoufchalen. Es sammeln sich immer mehr Menschen, die Plätze an den Tischen werden immer mehr gefüllt, die neu Hinzukommenden drängen sich um die Herde, um die verlangten Speisen zu erhalten, und hocken dann auf dem Boden, wo sie gerade Platz finden, den Durst mit warmem Thee stillend oder Makkaroni und Fleischkuchen mit stark ge würztem Gemüse verzehrend. Nachdem das Mahl beendet und die Pfeife angeraucht, legt sich ein Theil auf den Boden zur Ruhe; ein anderer begiebt sich in die Küche über den warmen Herd, um sich dem Genüsse des Opiumrauchens hinzugeben; ein dritter endlich sammelt sich zu kleineren Grup pen, um sich die Zeit mit Kartenspiel und Würfeln zu ver treiben. Wein wird gewärmt aus Metallbechern und in der Regel nur in geringer Quantität genossen, dagegen werden Karten- (fast ausnahmslos Hazard-) spiele leidenschaftlich gespielt. So mäßig der Chinese in Allem zu sein pflegt, so maßlos ergiebt er sich der Leidenschaft des Hazardspieles. Diese Leidenschaft und das Rauchen von Opium enthalten die Keime zum sittlichen Verfalle der Bewohner des Reiches der Mitte. Nachdem sie der Ruhe gepflegt, entfernen sich die Reisenden allmälig, der Gasthof wird leer, um am fol genden Tage einer neuen Menge Reisender der niedern Klasse Obdach zu geben. Näherten wir uns dem Dorfe oder der Stadt, wo wir bis Tsching-kiang. zu rasten beabsichtigten, so wurden unsere Maukthiere aus Brunnen, die zu diesem Zwecke am Wege angelegt sind, ge tränkt. Den Weg entlang steht eine Reihe Eimer, damit die Gespanne vieler Karren gleichzeitig bedient werden kön nen, ohne den Weg zu sperren. Aus dem Hause, zu wel chem der Brunnen gehört, treten die Besitzer hervor, empfan gen die Bezahlung und füllen wiederum die Eimer. Nach der Tränkung hatten wir bis zur Haltestelle in der Regel noch 1/4 bis i/z Stunde zu fahren. Eine Gruppe niedriger, einstöckiger Lehmgebäude, mit Schilf gedeckt, von Lehmwänden umgeben, mit Bäumen be pflanzt, das ist das Bild eines chinesischen Dorfes. Der Chinese Pflanzt und pflegt mit Sorgfalt die das Dorf um gebenden Bäume, welche im Sommer durch ihr reiches Laub dem Orte ein lebensvolles und heiteres Anfchen geben. Beim Eingang in das Dorf befindet sich in der Regel ein Teich von ovaler Form zum Ansammeln von Regenwasser; außerdem giebt es aber noch in jedem Dorfe eine Menge Brunnen. Der Weg führt durch das Dorf in engen krum men Gassen, zwischen Mauern aus Lehm hin, weil die Wohn gebäude im Hofe angelegt sind; nur die Kramläden münden auf die Straße. An den Straßenecken stehen Händler, die Süßigkeiten auf Tragbrettern feilbieten, oder es tummeln sich Haufen von Kindern jeglichen Alters herum. Die kleineren, welche nicht zeitig genug vor uns flüchten können, erheben ein klägliches Geschrei, die kühneren unter ihnen folgen unseren Karren, beschauen uns und tauschen gegen seitig ihre Gedanken Uber uns aus. Sobald wir uns von ihnen genugsam entfernt haben, hören wir dann ihren Spott ruf: „ckauA-Kvoi-tM« — überseeischer Teufel, eine Benen nung, welche der Chinese jedem Europäer giebt; nicht selten wurden diese Rufe von Steinwürfen begleitet. Begegneten wir Erwachsenen, so folgten sie uns mit neugierigen Blicken oder sie gingen an uns würdevoll vorbei, sich das Ansehen gebend, als bemerkten sie uns nicht. Die Unsauberkeit und der Schmutz in chinesischen Nieder lassungen ist unglaublich. Aller Unrath wird auf die Straße gegossen. Die menschlichen Auswurfstoffe werden als Dün ger für die Felder sehr hoch geschätzt, daher sieht man zu beiden Seiten des Weges viele Retiraden, eigens sür die Reisenden angelegt und mit Schilfgcflecht umgeben. Der Geruch derselben, verbunden mit dem aller anderen auf der Straße faulenden organischen Reste ist entsetzlich und ver pestet die Atmosphäre in weitem Umkreise. Doch da erblicken wir schon die zwei an dem Thore ausgehängten großen Troddeln und erkennen daran das Wirthshaus. Sobald der in die Zugstangen gespannte Maulesel das Thor erreicht, wendet ein Zuruf des Führers den Karren und im Trabe geht es durch das Thor. So gleich werden die Thiere abgefchirrt und zu den Futter trögen geführt, welche mit gehacktem Stroh einer Ccrealie, „Gaulian«, gefüllt sind, die im nördlichen China unser Heu vertritt, während das Korn der Pflanze den Hafer er setzt. Sobald für die Thiere gesorgt ist, werden die Karren abseits gezogen und in einer Reihe aufgestellt; das Geschirr wird nebenbei gelegt. Dann wird der Reisende in ein Zimmer des Gasthauses geführt, wo er sogleich ein Gefäß mit warmem Wasser erhält, um Gesicht und Hände von dem fingerdick aufliegendcn Staube zu reinigen; während der kalten Jahreszeit erhält er ferner ein Kohlenbecken, um die erstarrten Hände zu wärmen. Kehrt man zum Nacht lager ein, so wird ein kleiner Ofen angeheizt, welcher die Schlafstelle von unten durch Röhren erwärmt, die in einen Rauchfaug münden. Ohne den Befehl dazu abzuwarten, werden eine Thcekanne mit siedendem Wasser und kleine Porcellantassen gebracht; dann erst erwartet man fernere