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5442 Börsenblatt 1- » Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 103, 7. Mai 1910. <0r Dietel) man eine gute oder eine schlechte Literatur nenne, sondern daß sie auch die Lust verliere und die Neigungen, in den Klassikern, überhaupt gute und schöne Bücher zu lesen. (Sehr richtig!) Die eingegangenen Petitionen sähen nun das Allheilmittel vor allem in polizeilichen Maßnahmen, in dem Eingreifen auf dem Verordnungswege und in der Ergänzung der gegenwärtigen Gesetzgebung. Seine Freunde könnten sich damit nicht befreunden. Es müßten in, diesem geistigen Kampfe andere Mittel zur Ver fügung stehen. Zu einem besonders wichtigen Mittel, Mitarbeit der Schule möchte er es kurz bezeichnen, möchte er eine kurze Bemerkung machen, und zwar im Anschluß an die Verordnung des Kultusministeriums vom 14. Oktober 1909 und besonders im Anschluß an folgenden Satz, der darin vorkomme: »Die Lehrerschaft der Volksschule wird deshalb aufzufordern sein, dieser Frage ihre besondere Aufmerksamkeit zu widmen und die Schuljugend vor der Lektüre anstößiger Bücher u. dgl., Schriften und Werke zu warnen, auch etwaige diesbezügliche Wahrnehmungen dem Elternhause mitzuteilen.« Er möchte nicht, daß diese Anregung, zu warnen, falsch verstanden würde, vor allem nicht dahin, daß man nun etwa denke, durch Tadel und Strafe die Jugend von solchen an stößigen Schriften abhalten zu wollen. Er wünsche vor allem, daß ab und zu einmal eine solche Schrift mit den Kindern durch gesprochen und daß dabei den Kindern besonders das Dumme und^das Übertriebene zum Bewußtsein gebracht werde. Es sei doch bekannt, daß die Helden in diesen Schriften allwissend, allgegen wärtig seien. Es bedürfe ganz geringer Anregung, um den Kindern das Alberne und Dumme, das darin liege, zum Be wußtsein zu bringen, und es bedürfe auch nicht viel, um in den Kindern, namentlich in den Knaben dann den Stolz und die be rechtigte Entrüstung hervorzurufen darüber, daß man wage, ihnen so etwas zum Lesen zu geben. (Sehr richtig!) Er glaube, daß auf diesem Wege mehr gewonnen werde als etwa durch Tadel, Warnungen und Strafe, weil ja bekanntlich das Verbotene reize und die Kinder auf diese Weise womöglich noch gar dazu an getrieben werden könnten, von der verbotenen Frucht zu naschen. Daß daneben natürlich auch durch Bildung des Gemüts und der Phantasie, durch Spiel und Sport und Handarbeit viel getan werden könne, um dem Übel zu steuern, darauf möchte er bloß noch Hinweisen. Der Vorredner habe nun aber bloß nebenbei ein Mittel gestreift, auf das er ganz besonderen Nachdruck lege; das sei die Mitwirkung der Presse. Die Presse habe vielleicht hier und da es noch besser tun können, als sie es getan habe (Sehr richtig!), und sie verrichte, wenn sie bei dieser Arbeit noch mehr als bisher mitwirke, eine politisch große staatsbürgerliche Tat. Die Presse könne durch Belehrungen, durch ernste Vorstellungen an die Adresse gewisser Buchhandlungen entschieden mehr tun, als es durch Verordnungen geschehen könne. Er bitte deshalb die Presse, besonders das große Publikum auf das aufmerksam zu machen, was bis jetzt schon auf dem Gebiete der Bekämpfung der Schmutz- und Schundliteratur getan worden sei. Er erinnere nur an die Tätigkeit der Prüfungsausschüsse für die Jugend schriften, an die Tätigkeit des Dürerbundes; er erinnere daran, daß diese Vereinigungen Auswahlen empfehlenswerter Jugend schriften herausgegeben hätten; daß sie jährlich Ausstellungen, namentlich zu der Weihnachtszeit, veranstalteten. Er erinnere daran, daß diese Vereinigungen in großen Auflagen Flugblätter herausgegeben hätten, die die Eltern und Erzieher eindringlich vor der Schmutzliteratur warnten. Wenn die Presse solche Flug blätter billig oder kostenlos aufnähme, so würden sie eine größere Verkeilung finden, als es auf dem bisherigen Wege erreicht werden könne. (Sehr richtig!) Eine besondere Pflicht würde die Presse auch erfüllen, wenn sie immer und immer wieder auf die bestehenden Sammlungen guter Bücher Hinweisen wollte, die wohl geeignet seien, der Schmutz- und Schundliteratur entgegen zutreten. In diesem Sinne möchte er das Votum der Depu tation verstanden wissen. Er bedaure eigentlich, daß man das Votum so kurz gefaßt habe; er hätte eigentlich gewünscht, daß es etwas detaillierter wäre; denn in diesem Sinne möchte er die Petitionen nicht zur Erwägung überwiesen haben, daß das All heilmittel in Verordnungen, in polizeilichen Maßregeln oder in anderen Gestaltungen von Gesetzesparagraphen liege, sondern in dem Sinne, daß die Regierung zusammen mit den Ober- und Unterbehörden alles nur Mögliche tue, um auch diesen Kampf mit geistigen Waffen, mit den Waffen der Unterredung und vor allen Dingen der Belehrung zu führen. (Bravo? bei den Frei sinnigen.) Staatsminister I)l)r. Beck: M. H.! Ich schätze Ihre kost bare Zeit, in der Sie sich jetzt befinden, und ich werde mich des halb sehr kurz fassen. Ich kann ja auch nicht mehr viel anführen, nachdem der Gegenstand der Beratung heute wieder so ein gehend besprochen und insbesondere vom Herrn Berichterstatter so warmherzig der Antrag der Deputation empfohlen worden ist, den in der Ersten Kammer der Berichterstatter im Berichte Nr. 147 schon ausführlich vertreten hat. Nur eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Keimling zwingt mich, das Wort zu nehmen, nämlich die Bemerkung, die Verord nung des Kultusministeriums vom 14. Oktober 1909, der er sich in allem und jedem sonst anschließe, sei eine Boykottverordnung, er könne sie als Bundesgenossin mit verwerten, wenn es sich einmal wieder darum handeln sollte — so habe ich ihn wohl recht verstanden —, ihn in Zukunft für eine Boykottaufforderung in Strafe zu nehmen. Ich möchte meinen, jeder Vergleich hinkt aber dieser lahmt vollständig. Denn im vorliegenden Falle handelt es sich doch um den Ausfluß der Pflicht der Königlichen Staatsregierung, im öffentlichen Interesse auf einem der aller wichtigsten Gebiete, dem der Wahrung der Sittlichkeit Mittel und Wege zu finden, um die Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur wirksam durchzuführen. Es handelt sich um ein Mittel, das, wie jene Verordnung angibt, ausdrücklich in den Landesgesetzen vorgesehen ist, nämlich um Aufnahme von Be stimmungen in die Ortsschulordnung, die, wie Sie wissen, in den Schulgesetzen vorgeschrieben ist. Ich muß also den Ausdruck des Herrn Abgeordneten Keimling als irrig hinstellen und von meinem Standpunkte aus zurückweisen. Im übrigen will ich nur noch kurz auf eine Bemerkung er. widern, die der Herr Vorredner aussprach. Er wollte die Ver- ordnung des Kultusministeriums, die auf Seite 12 des Berichts der Ersten Kammer Nr. 147 abgedruckt ist, in einem Punkte gewissermaßen von seinem Standpunkte aus authentisch inter pretieren. Ich glaube, dazu ist natürlich nur das Kultusministerium berufen. Aber wenn er gemeint hat, die Schuljugend solle vor der Lektüre anstößiger Bücher und dergleichen Schriftwerk gewarnt werden, ohne daß dies durch Strafe geschehe, so trifft das die Ansicht des Kultusministeriums. Es muß selbstverständlich dem Takte und dem Ermessen der Schule überlassen bleiben, in welcher Weise sie wirkungsvoll auf die Schuljugend einwirkt, um sie vor solcher Lektüre zu bewahren. Daß Strafe hier das Richtige ist, glaube ich auch nicht. Aber auf der andern Seite ist auch der Weg nicht richtig, den der Herr Vorredner vorgeschlagen hat, nämlich dann und wann solche Schriften mit der Jugend durchzusprechen. Ich würde befürchten, daß die Jugend dann erst recht auf solche Bücher hingeführt wird, insbesondere diejenigen, die davon noch nichts gehört haben. Wenn er gesagt hat, das Verbotene reize zum Naschen, so kann es sehr leicht eintreten, daß das Genießen solcher verbotenen Frucht die Jugend reizt, weitere Versuche zu machen, ob die Bücher wirklich so dumm sind, wie es ihnen in der Schule dar- gestellt worden ist, und daß sie sich damit ordentlich den Magen, d. h. ihre Sittlichkeit verderben. Ich möchte also nicht ganz un widersprochen hinausgehen lassen, daß solche Versuche gemacht werden. Ich beschränke mich auf diese kurzen Bemerkungen und gebe nur noch meiner Freude darüber Ausdruck, daß, wie bei kaum einer Gelegenheit, heute in diesem Hause zwischen allen Parteien ohne Unterschied und zwischen der Ersten und Zweiten Kammer sowie der Regierung eine schätzenswerte Übereinstimmung darüber herrscht, wie alle Volkskreise bemüht sein müssen, dieses Gift aus unserem Volkskörper zu bannen. Ich hoffe, daß alle Mittel, die heute angegeben worden sind, von den beteiligten Kreisen in reiflichste Erwägung gezogen werden, und daß der warme Ruf aller Parteien im Lande nicht unverhallt bleiben, sondern auf einem der wichtigsten Gebiete, dem der Förderung der Sittlichkeit, zum Heile unseres Volkes wirksam werden möge! Abgeordneter vr. Lchanz (kons.): Selbstverständlich seien die Konservativen auch durchaus keine Freunde der Schundliteratur,