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103, 7. Mai 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Tljchn. Buchhandel. 5443 (vr. Schanz) sondern deren energischste Gegner. Sie würden immer bereit sein, nach Möglichkeit die Schundliteratur zu bekämpfen. Da Übereinstimmung in der Kammer herrsche, könne er sich weitere Ausführungen ersparen und brauche nur noch darauf hinzuweisen, daß man leider in der letzten Zeit die Erfahrung gemacht habe, daß auch eine recht große Anzahl unserer früher ganz guten Witzblätter auf einen sehr bedenklichen Weg nach der Schund literatur hin gekommen seien. Unter dem Deckmantel eines geist reichen Witzes oder der sogenannten modernen Zeichen- und Skizzierkunst würden Dinge in die Welt hinausgeschickt, die keineswegs mehr zu einem normalen Ansehen geeignet seien, und die deshalb immer und immer wieder als Schundliteratur be zeichnet werden müßten. Auch diesen Dingen — und möchten sie in den höchsten Gesellschaftskreisen beliebt sein oder gelesen werden — müsse man unter allen Umständen mit Energie entgegentreten. (Bravo! rechts.) Abgeordneter Nitzsche (soz.): Er weise darauf hin, daß viel empfohlen werde, Buchhandlungen zu boykottieren. Das habe aber seine Schattenseiten. Das Boykottieren könne sich nur richten gegen die Buchhandlungen, aber diese seien eigentlich gar nicht die Wurzel des Übels, sondern das seien die Verlagsbuch handlungen, und diesen könne man bei weitem nicht so leicht bei kommen, als den Buchhandlungen. Boykottiere man diese Buch handlungen ausschließlich, so treffe man diejenigen nicht, die in der Hauptsache verantwortlich seien, daß die Schundliteratur in das Volk komme. Das Hauptmittel gegen die Schundliteratur sei eben die Einrichtung guter Volksbibliotheken; die Stadt Dresden sei jetzt daran, mit gutem Beispiel vorzugehen. Die Bibliotheken müßten auch gute sein. Die bestehenden sogenannten Volks- bibliotheken ließen sehr viel zu wünschen übrig: zu einem großen Teil enthielten sie vollständig wertlose Literatur. In den meisten Fällen bestehe die Volksbibliothek zum größten Teil aus einer Sammlung von frommen Schriften, mit denen man keineswegs die Schundliteratur bekämpfen könne. Zur Bekämpfung der Schundliteratur könnten vor allen Dingen auch die Fortbildungs schulen benützt werden. Es biete sich hier eine sehr günstige Ge legenheit, an die jungen Leute heranzukommen. Abgeordneter Keimling (soz.): Der Kultusminister habe es als eine Pflicht der Staatsregierung bezeichnet, ein Mittel zu finden zur Bekämpfung der Schundliteratur und habe auf die Verordnung hingewiesen, die er ebenfalls schon ange- führt habe, als geeignetes Mittel in dieser Richtung. Was in dieser Verordnung ausgedrückt sei, das sei dasselbe, was die Arbeiter täten, wenn sie bestrebt seien, ihr Versammlungsrecht in die Praxis umzusetzen, sich Säle zu sichern. Ein Bersammlungsrecht ohne Säle sei ein Messer ohne Heft und ohne Klinge. Es bleibe also den Arbeitern in solchen Fällen, wenn ihnen die Säle vor enthalten würden, ohne triftige Gründe, nichts weiter übrig, als das Mittel des Boykotts anzuwenden, und da sei er der Meinung, daß es die Pflicht der Staatsregierung sei, dafür zu sorgen, daß das Vereins- und Versammlungsrecht den Staatsbürgern nicht verkürzt werde. Abgeordneter vr. Dietel (freis.): Die Ausführungen des Kultusministers in bezug auf das pädagogische Mittel, das er aus geführt habe, hätten ihn nicht davon überzeugt, daß sein Stand punkt nicht richtig sei. Er habe auch nicht gemeint, daß das das alleinige Mittel sei; er habe besonders auch dieses Mittel nicht in bezug auf die sogenannte Schmutzliteratur angewendet wissen wollen, sondern auf das, was man Schundliteratur nenne. Der Begriff Schundliteratur sei außerordentlich schwierig zu definieren, und es herrsche ein großer Zwiespalt der Meinungen darüber, was Schundliteratur sei. Dieses Mittel, das er angegeben habe, sei schon praktisch in der Schule mit gutem Erfolge erprobt worden. (Bravo.) Darauf nimmt die Kammer nach einem Schlußwort des Be richterstatters die Anträge der Deputation einstimmig an. Kleine Mitteilungen. Die Novelle zum Posttaxgesetz. (Vgl. Nr. 67, 102 d. Bl.) Der Deutsche Reichstag hat am 4. Mai d. I. die Novelle zum Posttaxgesetz in dritter Lesung angenommen. Die erste und zweite Beratung der Gesetzesnovelle hat am 2. Mai stattgefunden. Hiernach soll auch für gewöhnliche Pakete eine Einlieferungs bescheinigung auf Verlangen gegen eine Gebühr erteilt werden. Die Höhe der Gebühr soll durch Verordnung bestimmt werden; es ist ein Satz von 10 H in Aussicht genommen. Deutscher Reichstag. 77. Sitzung vom 2. Mai. Zur ersten Beratung sprachen: Staatssekretär Kraetke: Der kleine Gesetzentwurf hat den Zweck, es zu ermöglichen, daß dem Publikum auch für gewöhnliche Pakete Einlieferungsscheine erteilt werden können. Aus den Kreisen des Erwerbsstandes und auch aus diesem Hause ist dieser Wunsch mehrfach an uns herangetreten. Bei der großen Zahl von 213 Millionen Paketen, die zur Auf- lieferung gelangen, würde uns aber sehr viel Arbeit ent stehen, die wir in der Zeit der Vereinfachungen, in der wir uns befinden, nicht ohne Gegenleistung übernehmen können. In folgedessen ist eine Änderung des Posttaxgesetzes vorgeschlagen. Die süddeutschen Postverwaltungen werden in gleicher Weise Vorgehen. Ich bitte daher, diesem Entwurf Ihre Zustimmung Abgeordneter Kaempf (Fortschr. Vp.): Ich habe Ein- Wendungen gegen die Vorlage nicht zu erheben; ich möchte aber bei dieser Gelegenheit die Aufmerksamkeit des Staatssekretärs auf einige andere Punkte lenken, in denen das Posttaxgesetz der Abänderung bedarf. Bei Drucksachen ist der Zusatz von fünf geschriebenen Worten zulässig. Was Visitenkarten und dergleichen recht ist, ist für andere Mitteilungen billig, dazu gehört namentlich die Empfangsbestätigung über Geld und andere Sendungen, die nichts weiter enthält als Beirag, Unterschrift und Datum, was in der Regel durch fünf Worte wiederzugeben ist. Das wäre eine Erleichterung des Verkehrs. Einen Ausgleich für den Einnahme ausfall kann man dadurch schaffen, daß die Fakturen, die jetzt in der Regel den Paketsendungen beigefügt werden, gesondert durch die Post befördert werden, und zwar zu einem ermäßigten Portosatz, als Geschäftspapiere. Der Verkehr hat ein Interesse daran, daß die Faktur etwas früher in die Hände des Empfängers gelangt als die Sendung selbst, und die Postverwaltung erzielt eine erhebliche Mehreinnahme. Die Warenproben sind auch bei geringem Gewicht einer unverhältnismäßig hohen Portotaxe unterworfen. Die Erhebung des Bestellgeldes für Postanweisungen bei Überweisung auf Girokonto erscheint mir unberechtigt. Nach der Postordnung ist das Bestellgeld das Entgelt für die Ab tragung des Geldes. Ich bitte den Staatssekretär, auf solche Ver besserungen hinzuwirken, durch die den Wünschen des Publikums entgegengekommen und zugleich eine Mehreinnahme für die Postverwaltung erzielt wird. Abgeordneter Diez (Soz.): Das Gesetz ist ja an sich ganz nützlich. Bemerkenswert ist bei den Paketen immer ihre überaus langsame Beförderung. Bei der Aufgabe von zwei oder drei Paketen unter einer Adresse soll der einfache Gebührensatz Platz greifen; wie gedenkt man es in Zeiten zu halten, wo wegen großen Andranges die gleichzeitige Aufgabe von mehreren Paketen unter einer Adresse untersagt ist? Wie steht es ferner damit, daß die Gebühr von 10 zwar in Aussicht genommen, aber nicht in das Gesetz hineingeschrieben wird? Könnte die Verwaltung vielleicht nachher nach Belieben eine höhere Gebühr festsetzen? Abgeordneter Dove: Gegen eine solche Erhöhung würde ich dieselben Bedenken haben müssen wie der Vorredner. Damit schließt die erste Beratung. In zweiter Lesung wird die Vorlage ohne weitere Debatte unverändert angenommen. ' Eine neue englische Briefmarke. — Die britische Post verwaltung hat beschlossen, eine neue Briefmarke zum Werte von 7 Pence herauszugeben. Sie soll auf einfarbigem, schiefergrauem Papier gedruckt werden. Die Zeichnung soll den bereits im Um lauf befindlichen Marken ähnlich sein. Weiter wird in den Tageszeitungen aus England berichtet, die britische Passbehörde beabsichtige die Herausgabe neuer Brief marken, die nach Art der österreichischen Jubiläumsmarken die wichtigsten Ereignisse aus der britischen Geschichte versinnlichen sollen. 703»